2025-09-09-coi-cms-laenderinformationen-iran-version-10-33ca
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Frauen, die sich an Online- und Offline-Kampagnen gegen die Hijabpflicht beteiligt haben, wur den auch wegen Sicherheitsdelikten angeklagt, da sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatten (DIS 3.2023). Diese und andere Vorschriften ermächtigen verschiedene Stellen am Arbeitsplatz, im Bildungs- und Gesundheitswesen und in kulturellen Einrichtungen, ein breites Spektrum an Disziplinar maßnahmen und Einschränkungen gegen Frauen zu verhängen, die sich nicht an die Hijab- Pflicht und die Vorschriften zur Geschlechtertrennung halten (JS 11.4.2024). Die Bestrafung des Aussehens von Frauen, die Gerichtsverfahren u. v. m. setzen Frauen auch psychologisch unter Druck. Maßnahmen wie die Beschlagnahmung von Autos wegen Verstößen gegen die Hi jab-Vorschriften führen außerdem auch zu vielen Streitigkeiten innerhalb von Familien (MRAI-2 13.6.2025). Die sogenannte Sittenpolizei „ Gasht-e Ershad“ wurde nach derzeitigem Kenntnisstand, trotz anderslautender Aussagen iranischer Regierungsvertreter, nie formal aufgelöst. Seit Juli 2023 setzen sogenannte „ Sittenwächterinnen“, allerdings ohne sichtbares Logo, erneut verstärkt die Kleidervorschriften im öffentlichen Raum durch. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Aus einandersetzungen, auch mit Todesfolge [Anm.: s. auch Kap. Sicherheitsbehörden / Polizei (Strafverfolgungskommando/FARAJA), Sittenpolizei zur Sittenpolizei] (AA 15.7.2024). Gleichwohl ignorieren viele Frauen, v. a. in den Städten, trotz etwaiger Gegenmaßnahmen wei terhin die Einhaltung der Kopftuchpflicht (BAMF 4.12.2023; vgl. DW 21.5.2025). Ab Mai 2023 entwickelten sich beispielsweise die U-Bahnstationen in Teheran zu Kampffeldern zwischen Gegnerinnen und Befürwortern des verpflichtenden Hijabs. Frauen, die grüne Schulterschärpen mit der Aufschrift „ Orientierungsbotschafterinnen“ tragen, halten dort Frauen an, die kein Kopf tuch tragen, und ermahnen sie zur Einhaltung der Hijab-Pflicht (IRINTL 25.11.2023), wobei sich manche der Frauen über eine harte Behandlung durch diese „ Botschafterinnen“ beschwerten (IRWIRE 23.11.2023). Die Behörden sind noch mehr in Alarmbereitschaft, seit eine 17-Jährige [lt. manchen Quellen auch 16-Jährige] im Oktober nach einer Konfrontation mit der Sittenpolizei in der Teheraner U-Bahn gestorben ist (RFE/RL 6.11.2023). Laut Zeugenaussagen war die junge Frau, die kein Kopftuch trug, von einer Hijab-Vollstreckerin gestoßen worden, sodass sie mit dem Kopf auf einen Metallgegenstand fiel. Sie verlor daraufhin das Bewusstsein und verstarb nach einigen Wochen im Koma (TIME 28.10.2023; vgl. RFE/RL 6.11.2023). Laut offiziellen Statistiken sind rund 70 % der iranischen Bevölkerung gegen den verpflichtenden Hijab (BAMF 1.2023). Zahlreiche Beschränkungen zielen auf Frauen in Sport und Kultur ab (Verbot des Singens au ßer im Chor, Verbot des Tanzens, Verbot des Zugangs zu Fußballstadien, etc.) (ÖB Teheran 11.2021). Frauen ist es untersagt, in der Öffentlichkeit allein zu singen. Tanzen in der Öffent lichkeit ist nicht ausdrücklich verboten, doch können Personen strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Behörden ihre Handlungen für unanständig oder unmoralisch halten. Es gab mehrere Berichte über Mädchen, die 2023 verhaftet wurden, nachdem sie Videos von sich beim Tanzen ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit veröffentlicht hatten. In vielen Fällen wurde Frauen der Be such von Sportveranstaltungen untersagt, obwohl Frauen an nach Geschlechtern getrennten 153

Sportarten teilnehmen dürfen (USDOS 23.4.2024). Seit 1979 wird Frauen der Zutritt zu großen Fußballstadien verwehrt. Auf Druck der FIFA und anderer Organisationen durften Frauen in den letzten Jahren bei einer Handvoll nationaler Spiele anwesend sein. Im August 2022 durften sie zum ersten Mal ein Ligaspiel besuchen (AJ 25.8.2022). Im Mai 2024 wurde wieder von Zutritts verboten von Frauen zu einem Stadion berichtet (IRWIRE 16.5.2024). Im Februar 2024 wurde beispielsweise von einem in der Provinz Khorasan Razavi erlassenen Verbot berichtet, das die Sportausübung von Frauen in Parks einschränkt (IRWIRE 6.2.2024). Wirtschaftliche Teilhabe Obwohl die islamische Republik die sozialen und wirtschaftlichen Rechte iranischer Frauen nach der Revolution in vielen Bereichen einschränkte, eröffnete die neue Gesellschaftsordnung auch Chancen für große Teile der iranischen Gesellschaft. Die nach der Revolution eingeführte Geschlechtertrennung im Bildungssystem veranlasste viele religiöse Familien, ihre Töchter auf die weiterführende Schule und an die Universität zu schicken. Außerdem wurden die Beschäf tigungsmöglichkeiten für Frauen in Bereichen wie Bildung, Gesundheitswesen, Einzelhandel und anderen speziell auf Frauen ausgerichteten Dienstleistungen erweitert. In einigen Fällen verschaffte diese Trennung Frauen privilegierten Zugang zu Arbeitsplätzen und Positionen im Hochschulbereich, sodass sie ohne direkte Konkurrenz durch männliche Kollegen in diese Bereiche vordringen konnten. Das Wirtschaftswachstum der 1990er und 2000er Jahre erhöh te die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und verbesserte ihren sozioökonomischen Status (CCMES 12.2024), wobei die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen unter dem Durchschnitt der Nahostregion liegt (WB 13.10.2024). Makroökonomische Entwicklungen haben hierbei große Auswirkungen auf die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen. So stieg die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen zwischen 2015 und 2018 von 12 auf 18 %, als einige der gegen Iran verhäng ten Sanktionen ausgesetzt wurden, und Frauen bekleideten rund 41 % der neu geschaffenen Jobs. Durch die Wiedereinsetzung der Sanktionen und die wirtschaftlichen Schocks, die von der COVID-19-Pandemie ausgelöst wurden, sank die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen wieder auf 13 % und Frauen waren deutlich stärker von Arbeitsplatzverlusten betroffen, als Männer (CCMES 12.2024). Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen sind Frauen, die Arbeitslosenrate von Frauen ist jedoch doppelt so hoch wie jene der Männer (FA 2.2.2023). Nur etwa 13 % aller Frauen über 15 Jahren sind in Iran laut den aktuellsten Daten (2024) berufstätig (WB 7.1.2025a), während es unter den Männern geschätzte 66 % sind (WB 7.1.2025b). Frauen sehen sich am Arbeitsmarkt im Hinblick auf Beschäftigungschancen und gleiche Bezahlung mit Diskriminierung konfrontiert. Außerdem dürfen sie bestimmte Berufe nicht ausüben (z. B. das Richteramt) (BS 19.3.2024). Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch sozia le und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung von Frauen auf deren Rolle als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Eheman nes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen 154

nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstä tigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021). Zugang zum Bildungswesen Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflich tend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Sie können von der Schulpflicht ausgenommen werden, wenn sie verheiratet sind (USDOS 23.4.2024). Auf der einen Seite gibt es an den Schulen eine institutionalisierte Ungleichheit der Geschlechter, welche die Qualität der Bildung, die Frauen erhalten, aktiv beeinträchtigt. Alle Schulen sind nach Geschlechtern getrennt, sowohl in Bezug auf Schüler als auch auf Lehrer. Es ist bekannt, dass iranische Schulbücher Bilder und Schriften enthalten, die Frauen zugunsten von Männern diskriminieren. Ferner wird berichtet, dass drei mal so viele Mädchen im schulpflichtigen Alter keine Bildung erhalten wie Buben (BAMF 7.2020; vgl. AIC 12.7.2022). Andererseits hat Iran immense Fortschritte in den Bereichen Alphabetisie rung von Frauen, Grundschulbildung und Hochschulbildung gemacht. Am bemerkenswertesten ist die weibliche Dominanz in der tertiären Bildung (AIC 12.7.2022). Im regionalen Vergleich bietet das iranische Bildungssystem daher etwas mehr Möglichkeiten für Frauen (BS 19.3.2024). Fast 60 % der Studenten sind weiblich (TEHT 27.6.2023; vgl. SRF 22.10.2022), wobei es für Frauen Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Studienfächern gibt (Zeit Online 10.3.2023). Uni versitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Es gibt jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020). Reproduktive Rechte Nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges (1980-1988), in dem die Familien ermutigt wurden, mehr Kinder zu bekommen, befürchtete die iranische Führung, dass das Bevölkerungs wachstum des Landes die Ressourcen übersteigen könnte. Daher begann sie mit der Umsetzung landesweiter Familienplanungsprogramme. Unter der Leitung des damaligen Obersten Führers Ruhollah Khomeini ermutigte die Regierung Familien, nur ein oder zwei Kinder zu haben, riet von Schwangerschaften bei Minderjährigen ab, stellte kostenlos Kondome zur Verfügung und subventionierte Vasektomien, neben anderen Initiativen. Selbst in ländlichen Gebieten hatten Frauen und Schwangere im Allgemeinen verlässlichen Zugang zu Gesundheitsuntersuchun gen in Kliniken und anderen Diensten zur Familienplanung (WP 1.12.2021). Bis 2020 ist die Geburtenrate auf 1,75 Kinder pro Frau gesunken, von 6,5 Kindern pro Frau im Jahr 1979 (CC MES 12.2024). In einer Zeit des Bevölkerungsrückgangs scheint sich das Kalkül verschoben zu haben (WP 1.12.2021; vgl. BNE 17.5.2024). Im November 2021 wurde ein neues Gesetz zur „ Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie“ verabschiedet, das von UN- Menschenrechtsexperten als menschenrechtswidrig bezeichnet worden ist (DW 1.6.2025). Das Gesetz weist die Behörden an, dem Bevölkerungswachstum Priorität einzuräumen. Diese Politik 155

umfasst Maßnahmen wie das Verbot der freiwilligen Sterilisation und das Verbot der kostenlo sen Verteilung von Verhütungsmitteln durch das öffentliche Gesundheitssystem. Das Gesetz sieht auch vor, dass Inhalte über Familienplanung in Universitätslehrbüchern durch Materialien über eine „ islamisch-iranische Lebensweise“ ersetzt werden sollten (USDOS 23.4.2024). Legale Abtreibungen können nur mehr mit offizieller Erlaubnis durchgeführt werden. Trotz drohender Strafen werden illegale Abtreibungen im Untergrund durchgeführt. Laut Schätzungen des Ge sundheitsministeriums, die im Juni 2024 von einer iranischen Nachrichtenseite veröffentlicht wurden, werden in Iran jährlich rund 600.000 illegale Abtreibungen durchgeführt (DW 1.6.2025). Der Staat gewährt Opfern von sexueller Gewalt keinen Zugang zu Diensten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Notfallverhütung und Postexpositionsprophylaxe [Anm.: zur Anste ckungsvermeidung von sexuell übertragbaren Krankheiten] sind nicht routinemäßig als Teil der klinischen Behandlung von Vergewaltigungen verfügbar. Gemäß dem Menschenrechtsbericht des US-amerikanischen Außenministeriums gibt es keine Berichte über Zwangsabtreibungen, es existieren jedoch vereinzelte Berichte über unfreiwillige Sterilisationen seitens der Behörden. Die Menschenrechtsorganisation Haalvash berichtete beispielsweise über Fälle von Frauen in der Provinz Sistan und Belutschistan, denen nach einer Geburt ohne ihre Zustimmung die Gebärmutter entfernt wurde (USDOS 23.4.2024). Schutz vor Gewalt Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen (AA 15.7.2024). Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrau en, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht (AA 15.7.2024; vgl. MRAI 19.6.2023) und häus liche Gewalt ist gesetzlich nicht verboten. Die Behörden betrachteten den Missbrauch in der Ehe und innerhalb der Familie als Privatsache und sprachen nur selten öffentlich darüber (US DOS 23.4.2024). Dennoch war Regierungsdokumenten zu entnehmen, dass mehr als 74.000 Frauen forensische Zentren zur ärztlichen Untersuchung nach Missbrauch durch den Ehepart ner besucht haben, wobei die tatsächliche Anzahl derartiger Fälle höher liegen könnte [Anm.: der betroffene Zeitraum ist nicht bekannt, der Kontext legt bis zu drei Jahre nahe] (RFE/RL 3.2.2025). Im April 2023 billigte das Parlament die Grundsätze eines Gesetzesentwurfs mit dem Titel „ Verteidigung der Würde und Schutz von Frauen vor Gewalt“, der bereits seit über einem Jahrzehnt vorlag. Einige der Bestimmungen wurden zur weiteren Prüfung an die zuständigen Parlamentsausschüsse verwiesen (AI 24.4.2024). Der Gesetzentwurf blieb bislang im Parlament anhängig. Der Entwurf definierte häusliche Gewalt nicht als Straftat, stellte Vergewaltigung in der Ehe und Kinderheirat nicht unter Strafe und stellte auch nicht sicher, dass Männer, die ihre weiblichen Verwandten ermorden, mit angemessenen Strafen rechnen müssen (AI 29.4.2025). Nach Angaben iranischer Gesundheitswissenschaftler gibt es in Iran 26 Frauenhäuser. Sie bie ten sowohl kurzfristige (wie Essen, Kleidung und Unterkunft) als auch langfristige (wie Beratung zur Unterstützung und Selbermächtigung) Dienstleistungen an [Anm.: zur tatsächlichen Ver fügbarkeit und Zugänglichkeit konnten im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche keine Informationen gefunden werden] (Larki/Azmoude/Manouchehri 2024). 156

Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaß nahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unan ständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Ver gewaltigungsopfern befürchtet (USDOS 23.4.2024). Eine ehemals in Iran tätige Rechtsanwältin mit umfangreichem Erfahrungsschatz in diesem Bereich gab an, dass sie ihren Klientinnen bei sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigung nie dazu riet, diese anzuzeigen, da sie dann Gefahr laufen, außerehelicher Beziehungen beschuldigt zu werden. Hinzu kommt, dass der Zugang zu Rechtsberatung oftmals eingeschränkt ist und Rechtsanwälte teuer sind. Während sich Personen in Strafrechtssachen zwar an die Rechtsanwaltsvereinigung wenden können, ist die Qualität der vom Staat gestellten Pflichtverteidiger im Allgemeinen eher schlecht. Sie sind unterbezahlt und ihnen fehlt in derartigen Fällen oftmals die Expertise. Dies hat zu einer Vielzahl an Problemen bei Steinigungs- und Selbstverteidigungsfällen von Frauen geführt [Anm.: wobei Steinigungen zuletzt nicht mehr durchgeführt wurden] (MRAI 19.6.2023). Ehrenmorde Unter Ehrenmord (qatl-e namusi) wird ein Mord verstanden, der innerhalb einer Familie, von einem Vater, einem Ehemann oder einem sonstigen männlichen Verwandten begangen wird, um ein Familienmitglied (in der Regel Frauen und Mädchen) zu bestrafen, das den Ruf und die Ehre der Familie beschädigt hat. Typische Ursachen für die Beschädigung der Familienehre sind vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr, Vergewaltigung, Widerstand gegen eine Zwangs verheiratung und die Weigerung, eine arrangierte Ehe einzugehen (BAMF 1.2023). Ehrenmorde werden nach Angaben einer Frauenrechtlerin oftmals unter Zustimmung oder gar Unterstützung der Familie begangen. Familienmitglieder, die sich dagegen aussprechen, berichten später, un ter Druck gesetzt worden zu sein, keine Anzeige zu erstatten oder mit den Medien zu reden (IRJ 18.5.2024). Ehrenmorde, die von einem Vater, Großvater oder einem männlichen Verwandten begangen werden, gehören nach Art. 301 des Islamischen Strafgesetzbuchs (IStGB) 2013 nicht zu den qisas-Strafen (Vergeltungsstrafrecht) [Anm.: s. Kap. Rechtsschutz / Justizwesen / Is lamisches Strafgesetzbuch (IStGB), Strafzumessungspraxis für Begriffserklärungen zu hadd, qisas, ta’zir und diyah]. Stattdessen sind hier die Zahlung eines Blutgelds [diyah] sowie ta’zir- bzw. Ermessensstrafen vorgesehen. Nur wenn nach Art. 612 IStGB 1996 der Ehrenmord eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Gesellschaft darstellt, wird der Täter zu einer Freiheitsstrafe von drei bis zu zehn Jahren verurteilt. Nach Art. 630 IStGB 1996 wird ein Ehemann nicht nach dem Vergeltungsstrafrecht (qisas) bestraft, wenn er seine Ehefrau beim Ehebruch mit einem anderen Mann erwischt und tötet bzw. sich sicher ist, dass es sich um keine Vergewaltigung handelt. Auch entfällt in diesem Fall die Zahlung eines Blutgeldes (diyah). Wird die Ehefrau von einem anderen Mann vergewaltigt (Ehebruch gegen den Willen der Ehefrau), kann der Ehemann nur den Täter straffrei töten [Anm.: Das IStGB 1996 ist unbefristet erlassen 157

worden, sowohl das IStGB 2013 wie auch das 5. Buch des IStGB 1996 sind anwendbar] (BAMF 1.2023). Ehrenmorde sind v. a. in den ländlichen Gebieten verbreitet und richten sich meistens ge gen Frauen und Mädchen. Größtenteils werden sie in den folgenden Provinzen verzeichnet: West-Aserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah, Ilam, Lurestan und Khuzestan. Hier leben v. a. arabische, kurdische und lurische Bevölkerungsgruppen (BAMF 1.2023). Es gibt keine offiziellen Statistiken zu Femiziden. Nach Angaben der NGO Iran Human Rights werden Morde an Frauen oft nicht gemeldet oder fälschlicherweise als Selbstmorde oder Unfälle gemeldet. Gemäß einer Analyse von Radio Farda, dem Farsi-sprachigen Sender von Radio Liberty/Radio Free Euro pe (RFE/RL) wurden im vergangenen persischen Kalenderjahr 133 Frauen aus „ Ehren-“ oder anderen Gründen von ihren Ehepartnern, Vätern oder Brüdern ermordet (RFE/RL 3.2.2025). Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist gesetzlich verboten (UNFPA 3.2024). Daten zur Verbreitung von FGM in Iran sind nur begrenzt verfügbar. Die Praxis kommt vor allem in den Provinzen Westaserbaidschan, Kurdistan, Kermanshah und Hormuzgan vor und wird insbe sondere mit den Sorani sprechenden Shafi’i-Kurden in Verbindung gebracht (Ahmady 2022). UNFPA berichtet vereinzelt von Fällen von FGM innerhalb der sunnitischen Minderheit. Die irani sche Mehrheitsgesellschaft lehnt FGM ab (AA 15.7.2024) und gemäß Daten aus dem Zeitraum 2009-2014 hat die Verbreitung von FGM auch in den vier genannten Provinzen abgenommen (Ahmady 2022). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.7.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 03. April 2024), https://www.ecoi.net/en/file/local/211 2796/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islami schen_Republik_Iran,_15.07.2024.pdf, Zugriff 25.7.2024 ■ Ahmady - Ahmady, Kameel (2022): In The Name of Tradition, https://kameelahmady.com/wp-conte nt/uploads/2023/10/In-the-name-of-tradtion-1_compressed.pdf , Zugriff 4.6.2024 ■ AI - Amnesty International (29.4.2025): Iran: Human rights in Iran: Review of 2024/2025, https: //www.amnesty.org/en/documents/mde13/9275/2025/en/, Zugriff 21.5.2025 ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): Amnesty International Report 2023/24; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107919.html, Zugriff 3.5.2024 ■ AI - Amnesty International (6.3.2024): Iran: Testimonies Provide a Frightening Glimpse Into the Daily Reality of Women and Girls, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2024/03/MDE137770 2024ENGLISH.pdf, Zugriff 13.5.2024 ■ AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World’s Human Rights; Iran 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089407.html , Zugriff 30.3.2023 ■ AIC - American Iranian Council (12.7.2022): MYTH vs. FACT: Education in Iran, http://www.us-iran. org/resources/2016/10/10/education, Zugriff 4.4.2023 ■ AJ - Al Jazeera (25.8.2022): Iranian women allowed to watch football match after FIFA pressure, https://www.aljazeera.com/news/2022/8/25/iranian-women-allowed-to-watch-football-match-after-f ifa-pressure, Zugriff 5.4.2023 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (4.12.2023): Briefing Notes KW 49 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.2023): Länderreport 56 Iran: Rechtliche Situation der Frauen, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/68 158

3300/683479/683484/6029645/24047468/-/Deutschland._Bundesamt_fr_Migration_und_Flchtlinge, _Iran_-_Rechtliche_Situation_der_Frauen,_01.01.2023._(Lnderreport___56).pdf, Zugriff 3.4.2023 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport 28 Iran: Frauen Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.euaa.europa.eu/administratio n/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf, Zugriff 3.4.2023 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (20.6.2025): ’A choice of two evils’: Young anti-regime Iranians divided over conflict, https://www.bbc.com/news/articles/clyn2nv21q9o, Zugriff 25.6.2025 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (16.9.2022): Fury in Iran as young woman dies following morality police arrest, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-62930425 , Zugriff 23.3.2023 ■ BNE - BNE IntelliNews (17.5.2024): Iranian cleric warns of security threat from collapsing birthrate, https://www.intellinews.com/iranian-cleric-warns-of-security-threat-from-collapsing-birthrate-32581 1/, Zugriff 6.6.2024 ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/2105885/country_report_2024_IRN.pdf, Zugriff 26.3.2024 ■ CCMES - Crown Center for Middle East Studies (12.2024): The Islamic Republic of Iran’s Chastity and Hijab Law and the Weaponization of Women’s Economic Vulnerabilities, https://www.brandeis .edu/crown/publications/middle-east-briefs/pdfs/101-200/meb162.pdf , Zugriff 25.6.2025 ■ DIS - Danish Immigration Service [Denmark] (3.2023): Iran Protests 2022-2023, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2090070/coi_brief_report_iran-protests-2022-2023.pdf , Zugriff 1.12.2023 ■ DW - Deutsche Welle (1.6.2025): More Iranian women forced into illegal abortions, https://www.dw .com/en/more-iranian-women-forced-into-illegal-abortions/a-71229081 , Zugriff 25.6.2025 ■ DW - Deutsche Welle (21.5.2025): Why Iran ’cannot turn back time’ on public hijab rule, https: //www.dw.com/en/why-iran-cannot-turn-back-time-on-public-hijab-rule/a-72616469 , Zugriff 25.6.2025 ■ EN - Euronews (1.2.2023): Iran protests: What caused them? Are they different this time? Will the regime fall?, https://www.euronews.com/2022/12/20/iran-protests-what-caused-them-who-is-gener ation-z-will-the-unrest-lead-to-revolution , Zugriff 14.3.2023 ■ FA - Foreign Affairs (2.2.2023): The Long Twilight of the Islamic Republic, https://www.foreignaffairs .com/iran/long-twilight-islamic-republic , Zugriff 3.4.2023 ■ FH - Freedom House (2025): Freedom in the World 2025 - Iran, https://freedomhouse.org/country/i ran/freedom-world/2025, Zugriff 10.3.2025 ■ FNS - Friedrich Naumann Stiftung (8.12.2022): Gewalt und Verbrechen gegen Frauen im Iran, https://www.freiheit.org/de/deutschland/gewalt-und-verbrechen-gegen-frauen-im-iran , Zugriff 3.4.2023 ■ FR24 - France 24 (24.6.2025): How Iran is using the war with Israel to ramp up repression by arresting ‘spies’, https://www.france24.com/en/asia-pacific/20250624-how-iran-using-war-with-isr ael-ramp-up-repression-arresting-spies , Zugriff 25.6.2025 ■ GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2020): Iran: Gesellschaft, https: //web.archive.org/web/20210514043046/https:/www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 14.3.2023 ■ HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - Iran, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2120038.html, Zugriff 22.1.2025 ■ IRINTL - Iran International (12.5.2024): Iran’s Hijab Bill to Enforce Deportation of Illegal Foreign Nationals, https://www.iranintl.com/en/202405120149, Zugriff 5.6.2024 ■ IRINTL - Iran International (5.5.2024): Iranian Education Minister Criticizes UNESCO’s Gender Equal ity Agenda, https://www.iranintl.com/en/202405033888, Zugriff 4.6.2024 ■ IRINTL - Iran International (25.11.2023): No One Takes Responsibility For Hijab ‘Horror Tunnel’ In Tehran, https://www.iranintl.com/en/202311248500, Zugriff 1.12.2023 ■ IRJ - Iran Journal (18.5.2024): Morde aus archaischer Überzeugung, https://iranjournal.org/gesellsc haft/ehremorde-femizid-iran, Zugriff 4.6.2024 ■ IRWIRE - IranWire (16.5.2024): ’I Feel Suffocated’: Iran Intensifies Crackdown on Women, https: //iranwire.com/en/women/129304-i-feel-suffocated-iran-intensifies-crackdown-on-women/ , Zugriff 5.6.2024 ■ IRWIRE - IranWire (13.3.2024): Explained: What is Iran’s Controversial Hijab and Chastity Law, https: //iranwire.com/en/women/126365-explained-what-is-irans-controversial-hijab-and-chastity-law/ , Zugriff 5.6.2024 ■ IRWIRE - IranWire (6.2.2024): Women in Northeast Iran Province Barred From Exercising in Parks, https://iranwire.com/en/women/125063-women-in-northeast-iran-province-barred-from-exercising-i n-parks/, Zugriff 5.6.2024 159

■ IRWIRE - IranWire (23.11.2023): Deployment of Hijab Enforcers in Tehran Metro Sparks Anger, https: //iranwire.com/en/women/122800-deployment-of-hijab-enforcers-in-tehran-metro-sparks-anger/ , Zugriff 1.12.2023 ■ JS - Just Security (11.4.2024): Iran’s Hijab and Chastity Bill Underscores the Need to Codify Gender Apartheid, https://www.justsecurity.org/94504/iran-hijab-bill-gender-apartheid/ , Zugriff 5.6.2024 ■ Larki/Azmoude/Manouchehri - Larki, Mona, Azmoude, Elham, Manouchehri, Elham (2024): Es tablishment of Shelters: A Novel Paradigm for Combating Intimate Partner Violence against Wo men in Iran. In: Iranian Journal of Nursing and Midwifery Research, Jg. 29, Nr. 2, S. 272, https://journals.lww.com/jnmr/fulltext/2024/29020/establishment_of_shelters__a_novel_par adigm_for.18.aspx?context=latestarticles, Zugriff 25.6.2025 ■ MRAI - Menschenrechtsanwältin aus Iran (19.6.2023): Interview, via Videotelefonie ■ MRAI-2 - Menschenrechtsanwältin aus Iran-2 (13.6.2025): Auskunft per E-Mail ■ NatGeo - National Geographic (17.10.2022): „ Frau, Leben, Freiheit”: Die Proteste in Iran und ihre Geschichte, https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/10/frau-leben-freiheit-p roteste-iran-geschichte-frauenrechte , Zugriff 14.3.2023 ■ NYT - New York Times, The (5.5.2023): Businesses Caught in Cross-Fire as Iran Enforces Hijab Law, https://www.nytimes.com/2023/05/05/world/middleeast/iran-hijab-law-businesses.html , Zugriff 1.12.2023 ■ ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islami sche Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_ÖB-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich] ■ RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (3.2.2025): Inside Iran’s Epidemic Of ’Honor’ Killings: One Woman Killed Every Two Days, https://www.rferl.org/a/iran-women-honor-killing-gender-viole nce/33300465.html, Zugriff 25.6.2025 ■ RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.11.2023): Three Iranians Detained After Allegedly Assaulting Hijab Adviser In Tehran Subway, https://www.rferl.org/a/iran-hijab-protests-subway-attac k/32673515.html, Zugriff 1.12.2023 ■ Rudaw - Rudaw Media Network (25.5.2025): Iran’s security council halts implementation of new hijab bill: Parliament speaker, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iran/25052025 , Zugriff 25.6.2025 ■ Spiegel - Spiegel, Der (19.1.2023): Iran schränkt Internetzugang für zwei Tage ein, https://www.spie gel.de/ausland/iran-schraenkt-internetzugang-fuer-zwei-tage-ein-a-bcd408c3-8285-45b1-9687-a 167dcf6e38a, Zugriff 23.3.2023 ■ SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (22.10.2022): In Iran studieren mehr Frauen als Männer, https://www.srf.ch/wissen/mensch/paradox-an-irans-universitaeten-in-iran-studieren-mehr-frauen- als-maenner#:~:text=Der Zutritt an eine Uni,er bei gut 60 Prozent., Zugriff 4.6.2024 ■ TEHT - Tehran Times, The (27.6.2023): Iran witnessed increase in number of literate, educated wo men after Islamic Revolution, https://www.tehrantimes.com/news/486261/Iran-witnessed-increase- in-number-of-literate-educated-women#:~:text=Today, universities in Iran are,times since the Islamic Revolution., Zugriff 4.6.2024 ■ TIME - TIME Magazine (28.10.2023): A 16-Year-Old Iranian Girl Has Died After an Alleged Encounter With Morality Police, https://time.com/6320956/teen-girl-coma-armita-iran-morality-police/ , Zugriff 6.12.2023 ■ TIS - Times of Israel, The (13.6.2025): Netanyahu to Iranian people: We hope our operation will clear path for your freedom, https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/netanyahu-to-iranian-peo ple-we-hope-our-operation-will-clear-path-for-your-freedom/ , Zugriff 25.6.2025 ■ UNFPA - United Nations Population Fund (3.2024): Female genital mutilation (FGM) frequently asked questions, https://www.unfpa.org/resources/female-genital-mutilation-fgm-frequently-asked-quest ions, Zugriff 4.6.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107731.html, Zugriff 3.5.2024 ■ WB - Weltbank (7.1.2025a): Labor force participation rate, female (% of female population ages 15+) (modeled ILO estimate) - Iran, Islamic Rep., https://data.worldbank.org/indicator/SL.TLF.CACT.FE. ZS?locations=IR, Zugriff 25.6.2025 ■ WB - Weltbank (7.1.2025b): Labor force participation rate, male (% of male population ages 15+) (modeled ILO estimate) - Iran, Islamic Rep., https://data.worldbank.org/indicator/SL.TLF.CACT.MA. ZS?locations=IR, Zugriff 25.6.2025 160

■ WB - Weltbank (13.10.2024): Islamic Republic of Iran Gender Landscape (English), https://docume nts.worldbank.org/en/publication/documents-reports/documentdetail/099059507012214040/idu1c b165936155de14b8c1bf73155e178d1318f, Zugriff 25.6.2025 ■ WP - Washington Post, The (1.12.2021): Iran doubles down on abortion and contraception restric tions, https://www.washingtonpost.com/world/2021/12/01/iran-doubles-down-abortion-contracepti on-restrictions/, Zugriff 5.4.2023 [kostenpflichtig, Login erforderlich] ■ Zeit Online - Zeit Online (10.3.2023): Wird es gefährlich, sich zu bilden?, https://www.zeit.de/kultur /2023-03/iran-schuelerinnen-vergiftung-bildung-frauen/komplettansicht , Zugriff 4.4.2023 18.1.1 Heirat, Scheidung, Vormundschaft und Obsorge für Kinder Letzte Änderung 2025-07-17 12:29 Anm.: Die drei in der iranischen Verfassung anerkannten Buchreligionen Judentum, Christen tum und Zoroastrismus genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich Autonomie (AA 15.7.2024) und sind somit berechtigt, ihr eigenes Personenstandsrecht anzu wenden, das allerdings der iranischen Gesetzgebung zur öffentlichen Ordnung entsprechen muss (McGlinn 2001). Auch Sunniten dürfen in Personenstandsfragen eigene Gerichte be treiben. Personen, die als Angehörige der genannten religiösen Gruppen anerkannt werden, müssen Personenstandsfragen vor den Gerichten ihrer jeweiligen Religionsgemeinde klären. Sie können sich in diesen Fällen nicht an die staatlichen Gerichte wenden. In Hinblick auf ihre Rechte kann dies für Frauen in manchen Fällen positiv sein, in anderen ist es das nicht. Manche christliche Gemeinden sehen beispielsweise keine Möglichkeit zur Scheidung vor und in man chen sunnitischen Gemeinden haben Frauen kein Recht auf eine Erbschaft von ihrem Vater, während das für Schiiten geltende Personenstandsrecht diese Rechte gewährleistet. Manche christliche Gemeinden - allerdings nicht die Mehrheit der Gemeinden dieser anerkannten reli giösen Minderheit - sind dagegen progressiver und gestehen Frauen die gleichen Rechte zu wie Männern (MRAI 19.6.2023). Nachstehend wird v. a. auf die rechtliche Situation von Frauen der schiitischen Mehrheitsgesellschaft sowie der nicht anerkannten Religionsgruppen, denen das Recht auf ein eigenes Ehe- und Familienrecht nicht zugesprochen wird, eingegangen. Für Informationen zur Heirat von Unter-18-Jährigen, zur Behandlung von unehelichen Kindern sowie zur Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch Mütter, s. Kap. Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder / Staatsbürgerschaft und Geburtenregistrierung, rechtliche Behandlung unehelicher Kinder. Das Gesetz erkennt Ehen zwischen muslimischen Frauen und nicht-muslimischen Männern nicht an (USDOS 23.4.2024; vgl. IRWIRE 13.2.2014). Muslimische Männer dürfen nicht-mus limische Frauen aus den drei anerkannten Buchreligionen dagegen auf jeden Fall in Zeitehen [auch: sigheh, mut’a-Ehe] heiraten, während die Meinungen bezüglich permanenter Ehen aus einandergehen. Manche Rechtsgelehrte gehen von ihrer Zulässigkeit aus, andere nicht (IRWIRE 13.2.2014). Es ist Männern gesetzlich erlaubt, bis zu vier Ehefrauen und eine unbegrenzte An zahl von „ Ehefrauen auf Zeit“ zu haben, basierend auf einem schiitischen Brauch, der zivile und religiöse Verträge mit begrenzter Dauer zulässt. Das Gesetz gewährt Frauen kein Recht auf mehrere Ehemänner (USDOS 23.4.2024). In der Praxis ist Polygamie von Männern in Iran 161

jedoch nicht weit verbreitet (USIP 4.8.2023). Laut gesetzlichen Bestimmungen benötigen jung fräuliche Frauen zur Heirat die Zustimmung ihrer Väter oder Großväter oder die Erlaubnis eines Gerichts (USDOS 23.4.2024). Eine Frau kann sich nur unter bestimmten Voraussetzungen scheiden lassen (USDOS 23.4.2024: vgl. BAMF 7.2020), wie z. B. wenn ihr Ehemann einen Vertrag unterzeichnet, der ihr dieses Recht einräumt, wenn er seine Familie nicht versorgen kann, wenn er gegen die Bestimmungen des Ehevertrags verstößt oder wenn er drogenabhängig, geisteskrank oder impotent ist. Ein Mann kann sich ohne Angabe von Gründen von seiner Frau scheiden lassen. Das Gesetz erkennt das Recht einer geschiedenen Frau auf einen Teil des gemeinsamen Ver mögens und auf Unterhalt an. Dies wird nicht immer durchgesetzt (USDOS 23.4.2024). Frauen können dieses Recht einklagen, allerdings ist dies ein zeit- und kostenintensiver Prozess (MRAI 19.6.2023). Nach iranischem Recht fordert die Familie der Frau im Fall einer dauerhaften Eheschließung eine nicht unerhebliche Morgen- bzw. Brautgabe (mehrieh) in Form von Geld, Immobilien oder Goldmünzen (BAMF 1.2023). Mahr [Mehrieh] wird als traditioneller islamischer Ehevertrag an gesehen. Gemäß den Bedingungen der Vereinbarung/des Vertrags erklärt sich der Ehemann dabei bereit und verpflichtet sich, eine vereinbarte Summe in Form der Morgengabe an die Frau zu zahlen (Maclean 17.7.2019). Die Erfüllung dieser Vereinbarung kann zu jeder Zeit während der Ehe oder auch während der Scheidung von der Frau verlangt werden. Die Mehrieh oder Morgengabe dient in einer konservativen islamischen Gesellschaft der Vorsorge für die Frau im Falle der Scheidung (BAMF 7.2020). Manche Frauen nutzen ihre Mehrieh auch, um ihre Männer zur Scheidung zu bewegen, indem sie auf die Zahlung verzichten, oder indem sie eine geringere Summe verlangen, wenn der Gatte der Scheidung zustimmt (IRINTL 8.8.2022; vgl. MRAI 19.6.2023). Mehrieh ist in diesen Fällen ein wichtiges Instrument für Frauen. Sie können es als Druckmittel einsetzen, um andere Rechte, wie das Recht auf Scheidung, auszuhandeln - allerdings auf Kosten ihrer finanziellen Absicherung. Vor rund 15 Jahren galten Eheverträge in Iran noch als etwas, das nur die Eliten nutzten. Inzwischen ist es kein Tabuthema mehr, aller dings ist schwer zu sagen, wie weit Eheverträge tatsächlich verbreitet sind. Vermutlich sind sie unter gebildeten oder urbanen Bevölkerungsgruppen üblicher als in anderen Gesellschaftsteilen. Die drei wichtigsten Klauseln in Eheverträgen betreffen meist Scheidungsfragen, die Aufteilung von gemeinsamem Eigentum (MRAI 19.6.2023) und das Recht auf Reisefreiheit der Ehefrau en ohne Zustimmung der Ehemänner (MRAI 19.6.2023; vgl. IRWIRE 2.11.2019). Eheverträge können dagegen keine Klauseln betreffend der Obsorge für etwaige Kinder enthalten, da dies erst nach der Geburt der Kinder entschieden werden kann. Nach der Geburt eines Kindes kann jedoch eine entsprechende offizielle Vereinbarung getroffen werden (MRAI 19.6.2023). Die Vormundschaft für Minderjährige liegt laut den gesetzlichen Bestimmungen beim Vater oder Großvater väterlicherseits. Wenn diese nicht in der Lage sind, die Verantwortung zu überneh men, kann vom Gericht ein Ersatz bestellt werden (Landinfo 5.8.2022; vgl. MRAI 19.6.2023). In Abwesenheit eines Vaters bzw. Großvaters gibt es eine Möglichkeit für die Mutter, die Vormund schaft für ihr Kind zu übernehmen, so ein Gericht zustimmt. Laut einem von Landinfo befragten Experten ist es unter islamischen Rechtsgelehrten jedoch sehr umstritten, ob Mütter tatsächlich 162
