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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle über nommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021). Pro-iranische Milizen haben in Bagdad mit Drohun gen und gewaltsamer Einschüchterung unter anderem Sunniten genötigt, Eigentum aufzugeben (FH 2023). In Mossul, Ninewa, werden sunnitische Zivilisten von Milizionären der „ PMF Babylon“ und „ Shabak Hashd“ wahllos schikaniert, eingeschüchtert und verhaftet. Einige PMF-Fraktionen werden auch für die Massaker von Farhatiyah und Khailaniyah im Jahr 2020 in Salah ad-Din bzw. Diyala verantwortlich gemacht (BS 23.2.2022). Teile der sunnitischen Bevölkerung lehnen die PMF ab und fürchten deren Vorgehen. Manche sehen daher den IS als geringeres Übel an und dulden die Gruppe in ihren Gebieten (ÖB Bagdad 20.11.2022, S7). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2022), https://www.ecoi.net/e n/file/local/2082728/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_ Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Oktober_2022),_28.10.2022.pdf , Zugriff 23.3.2023 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 11.7.2023 ■ FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument /2090187.html, Zugriff 7.7.2023 ■ HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2043505.html, Zugriff 16.8.2023 ■ ÖB Bagdad - ÖB Bagdad - Österreichische Botschaft Bagdad [Österreich] (20.11.2022): Asyllän derbericht zu Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/2094775/IRAK_ÖB Bericht_2022_11.odt, Zugriff 12.7.2023 [Login erforderlich] ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommen ded for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq Chapter AR2021.pdf, Zugriff 21.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Reli gious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091863.html, Zugriff 12.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 18.2 Kurden Letzte Änderung 2023-10-09 11:01 Schätzungen zufolge sind 15-20 % der irakischen Bevölkerung Kurden, die mehrheitlich im Norden des Irak leben (AA 28.10.2022, S.6). Auch Kurden sind von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen betroffen, wenn sie außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI) leben. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 hat die föderale Armee die zwischen der KRI und der föderalen Regierung sogenannten „ umstrittenen Gebiete“ größtenteils wieder unter die Kontrolle Bagdads gebracht. Das Verhältnis zwischen Kurden und Arabern in den Gebieten ist generell angespannt (AA 28.10.2022, S.16). 178

Es gibt Berichte über willkürliche Festnahmen von Kurden, insbesondere in Ninewa, durch mit dem Iran verbündete PMF-Milizen (Volksmobilisierungskräfte) (USDOS 20.3.2023). Kurden be klagen Landraub und Vertreibung (Rudaw 9.12.2020; vgl. AA 28.10.2022, S.16). So gibt es immer wieder Meldungen über Landstreitigkeiten zwischen Kurden und Arabern, insbesondere im Gouvernement Kirkuk (Rudaw 9.12.2020). Im Dezember 2020 wurden beispielsweise die kurdischen Einwohner des Dorfes Palkana im Gouvernement Kirkuk gezwungen, ihre Häu ser zu verlassen (USDOS 30.3.2021; vgl. K24 15.12.2020, Rudaw 9.12.2020). Ein Kontingent bestehend aus Angehörigen der Irakischen Armee, der PMF und der Bundespolizei hat das Dorf gestürmt und unter Androhung von Haft und Gewalt von den kurdischen Einwohnern die Räumung ihrer Häuser verlangt (K24 15.12.2020; vgl. Rudaw 9.12.2020). Personen, die sich weigerten, wurden festgenommen (Rudaw 9.12.2020). Zu Hilfe gerufene lokale Polizei hat nicht eingegriffen (USDOS 30.3.2021). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2022), https://www.ecoi.net/e n/file/local/2082728/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_ Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Oktober_2022),_28.10.2022.pdf , Zugriff 23.3.2023 [Login erforderlich] ■ K24 - Kurdistan 24 (15.12.2020): Kurdistan Region Parliament warns of continued ’Arabization’ in Kirkuk, https://www.kurdistan24.net/en/story/23640-Kurdistan-Region-Parliament-warns-of-continu ed-'Arabization'-in-Kirkuk , Zugriff 21.7.2023 [Login erforderlich] ■ Rudaw - Rudaw Media Network (9.12.2020): Kurds forced out of Kirkuk village: locals, https://www. rudaw.net/english/middleeast/iraq/09122020, Zugriff 21.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html, Zugriff 11.7.2023 18.3 Faili-Kurden (Feyli-Kurden) Letzte Änderung 2023-10-09 11:01 Faili-Kurden sind konfessionell Schiiten (Kirkuk Now 15.5.2020; vgl. USDOS 2.6.2022). Ethnisch sind sie Kurden (Kirkuk Now 15.5.2020). Sie sind eine ethnische Gruppe, die historisch gesehen auf beiden Seiten des Zagros-Gebirges entlang der irakisch-iranischen Grenze angesiedelt ist und als grenzübergreifende Bevölkerung betrachtet werden kann. Heute leben Faili-Kurden im Irak hauptsächlich in Bagdad (MRG 11.2017a; vgl. DFAT 16.1.2023, S.13) sowie in den östlichen Teilen der Gouvernements Diyala, Wassit (Kirkuk Now 15.5.2020; vgl. DFAT 16.1.2023, S.13), Missan und Basra. Auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) gibt es eine größere Zahl von Faili-Kurden. Sie sprechen einen eigenen kurdischen Dialekt, der ein Unter-Dialekt des Luri ist [Anm.: dem Persischen nah verwandt] (MRG 11.2017a). Angaben zur Zahl der Faili-Kurden im Irak unterscheiden sich je nach Quelle teils massiv: Sie reichen von 200.000-250.000 (Rudaw 29.4.2018), über 800.000 (Kirkuk Now 15.5.2020), zwischen 500.000 bis zu einer Million (DFAT 16.1.2023,S.13) und bis zu 1,5 Millionen (MRG 11.2017a; vgl. EWS/ISI 11.2019, S.11). 179

Von den 329 Parlamentssitzen in Bagdad sind neun per Gesetz für Minderheiten reserviert, davon einer für einen Kandidaten der Faili-Kurden aus dem Gouvernement Wassit (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.1.2021, S.11, FH 24.2.2022). Im kurdischen Regionalparlament ist kein Sitz für ein Mitglied der Faili-Kurden reserviert (USDOS 20.3.2023). Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren unter dem Regime von Saddam Hussein wurde zwi schen 150.000 und 500.000 Faili-Kurden die irakische Staatsbürgerschaft entzogen, gefolgt von Massendeportationen und Vertreibungen nach Iran (MRG 11.2017a; vgl. DFAT 16.1.2023, S.13) sowie Konfiszierung von Faili-Eigentum (MRG 11.2017a). Die staatlich sanktionierte Verfolgung der Faili-Kurdenendete offiziell nach 2003, und viele Faili-Kurdensind aus Iran zurückgekehrt. In der Präambel der Verfassung werden die Faili-Kurdenals Opfer von Unterdrückung und Massa kern anerkannt (DFAT 16.1.2023, S.13). Am 29.11.2010 erklärte das irakische Höchstgericht die Faili-Kurdenzu Opfern einer ethnischen Säuberung (Rudaw 29.4.2018). 2011 verabschiedete die irakische Nationalversammlung einstimmig eine entsprechende Resolution (DFAT 16.1.2023, S.13). Mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 2006 wurden unter anderem Rechtsvorschriften, die den Faili-Kurden die Staatsangehörigkeit entzogen, aufgehoben (DFAT 16.1.2023, S.41). Es ermög licht ihnen, ihre Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen. Der Prozess dazu ist jedoch langwierig und bürokratisch (MRG 11.2017a; vgl. DFAT 16.1.2023, S.13). Insbesondere die Anforderung, die Staatsbürgerschaft vor 1980 nachzuweisen, wird als zu hohe Hürde für die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft angesehen (EWS/ISI 11.2019, S.12). Während die irakische Regierung behauptet, dass 97 % der vertriebenen Faili-Kurden die Staatsbürgerschaft wiedererlangt ha ben, behaupten Aktivisten der Gemeinschaft, dass Tausende von Familien weiterhin staatenlos sind (DFAT 16.1.2023, S.13). Ohne Staatsbürgerschaftsdokumente haben Faili-Kurden keinen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung. Sie sind auch nicht in der Lage, andere Dokumente wie Geburts-, Sterbe- und Heiratsurkunden zu erhalten. Über Faili-Kurden, denen es gelungen ist, Staatsbürgerschaftsnachweise zu erhalten, wurde berichtet, dass die ihnen ausgestellten Personalausweise eine andere Farbe haben als jene anderer Iraker, bzw. Ausweise sie als Bürger „ iranischer Herkunft“ ausweisen, was zu Diskri minierung führen kann. Darüber hinaus werden die Akten von Faili-Kurden immer noch in der Abteilung für „ Fremde“ der Generaldirektion für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten aufbe wahrt. Manche Faili-Kurden berichten von Beleidigungen, Schikanen und Demütigungen beim Besuch von Ämtern. Die Restitution von konfisziertem Faili-Eigentum geht nur schleppend voran. Eine Kommission dafür wurde nach dem Fall Saddam Husseins eingerichtet (MRG 11.2017a; vgl. DFAT 16.1.2023, S.13-14). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file /local/2057645/Deutschland___Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungs relevante_Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Januar_2021),_22.01.2021.pdf , Zugriff 21.7.2023 [Login erforderlich] 180

■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.1.2023): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2085737/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 2.2.2023 ■ EWS/ISI - European Network on Statelessness, Institute on Statelessness and Inclusion (11.2019): Statelessness in Iraq, Country Position Paper, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021270/Stateless Journeys-Iraq-final.pdf, Zugriff 21.7.2023 ■ FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2068634.html, Zugriff 11.7.2023 ■ Kirkuk Now - Kirkuk Now (15.5.2020): The Feyli Kurds pay the price for their ethnicity and sect, https://kirkuknow.com/en/news/62229, Zugriff 21.7.2023 ■ MRG - Minority Rights Group (11.2017a): Iraq – Faili kurds, http://minorityrights.org/minorities/faili-k urds/, Zugriff 21.7.2023 ■ Rudaw - Rudaw Media Network (29.4.2018): Faili Kurds feel ‘expelled’ from Baghdad with quota seat in Wasit, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/29042018, Zugriff 21.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 21.7.2023 18.4 Christen Letzte Änderung 2023-10-09 16:24 Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert (AA 28.10.2022, S.16). Vor 2002/2003 wird die christliche Bevölkerung auf zwischen 800.000 und 1.500.000 ge schätzt (USDOS 2.6.2022; vgl. AA 28.10.2022, S.16, DFAT 16.1.2023, S.19). Hunderttausende irakische Christen sind in den vergangenen Jahren ins Ausland geflohen. Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (AA 28.10.2022, S.16; vgl. DFAT 16.1.2023, S.19). Nach Angaben christlicher Führer sind weniger als 250.000 Christen im Irak verblieben (USDOS 2.6.2022). Kernland der verschiedenen christlichen Gemeinschaften im Irak ist der Norden des Landes, die Ninewa-Ebene (USCIRF 4.2021, S.2; vgl. DFAT 16.1.2023, S.19). Ca. 67 % der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20 % Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, armenisch-katholische, armenisch-apos tolische, anglikanische Christen und andere Protestanten. In der Kurdistan Region Irak (KRI) gibt es etwa 2.000 registrierte evangelikale Christen, während eine unbekannte Anzahl von Christen, zumeist Personen, die vom Islam konvertiert sind, ihren Glauben im Geheimen praktizieren (USDOS 2.6.2022; vgl. DFAT 16.1.2023, S.19). Das Christentum ist per Personenstandsgesetz anerkannt und kann auf den nationalen Iden titätsausweisen ausgewiesen werden. Religiöse Angelegenheiten der Christen werden durch das Amt (Diwan) für religiöse Stiftungen für Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer verwaltet (USDOS 2.6.2022). Nach dem Vormarsch des Islamischen Staats (IS) auf Mossul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 Zehntausende Christen die Flucht in die Kurdistan Regi on Irak (KRI) und vereinzelt auch nach Bagdad (AA 28.10.2022, S.17). Weniger als 50 % der 181

vertriebenen Christen sind seit der Niederlage des IS in ihre Häuser zurückgekehrt. Zehntau sende leben weiterhin als Binnenflüchtlinge (IDPs) in Vertriebenen- und Flüchtlingslagern unter schwierigen Bedingungen mit mangelhafter Grundversorgung und einer schlechten wirtschaftli chen Lage (USCIRF 4.2021, S.2). Viele warten aber noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mossul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder aufgebaut sind (AA 25.10.2021, S.18). Vertriebene Christen, die versuchten, in ihre Häuser zurückzukehren, mussten häufig feststellen, dass Peshmerga, PMF-Gruppen (Volksmobilisie rungseinheiten) und andere Sicherheitskräfte ihr Eigentum in Besitz genommen hatten. Es ist Christen im Allgemeinen nicht gelungen, ihre früheren Häuser von diesen Gruppen zurückzu erhalten. In Mossul ist die christliche Bevölkerung von bisher rund 5.000 Familien auf rund 70 gefallen (DFAT 16.1.2023, S.19). Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen (AA 28.10.2022, S.17) sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmit telgeschäfte, in denen gegebenenfalls auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden (AA 28.10.2022, S.17; vgl. FH 3.3.2021a, DFAT 16.1.2023, S.19). Christen berichten über anhaltende Diskriminierung, verbale Belästigung und körperliche Miss handlung durch Mitglieder der PMF. Die PMF kontrollieren weiterhin Gebiete in christlichen Gegenden und Handelsrouten in der Ninewa-Ebene und heben eine „ PMF-Steuer“ auf Waren, die aus Erbil oder Mossul importiert werden, sowie Bestechungsgelder von Christen, die PMF- Kontrollpunkte passieren wollen, ein (USDOS 2.6.2022). Weiters gibt es Berichte über willkürli che und unrechtmäßige Festnahmen von Christen durch PMF-Angehörige (USDOS 20.3.2023). Ebenso sind Christen unverhältnismäßig häufig das Ziel von Entführungen zur Erpressung von Lösegeld und anderen Gewaltverbrechen, auch durch PMF und Stammesgruppen, was darauf zurückgeführt wird, dass Christen sowohl als wohlhabend als auch als wehrlos wahrgenommen werden (DFAT 16.1.2023, S.19). Christen berichten auch über Versuche von Teilen der föderalen Regierung in Bagdad, einen demografischen Wandel zu erleichtern, indem in traditionell christlichen Gebieten Land und Wohnungen für schiitische und sunnitische Muslime zur Verfügung gestellt werden. Betroffen sind traditionell christliche Gebiete in der Ninewa-Ebene, wie der Subdistrikt Bartella (USDOS 2.6.2022). Christliches Eigentum, inklusive Kultstätten, wurde zerstört oder enteignet (USCIRF 4.2021, S.1). Christen außerhalb der KRI berichten über anhaltende Diskriminierung im Bil dungswesen und den fehlenden Beitrag zu religiösen Minderheiten in den Lehrplänen und in der Unterrichtssprache (USDOS 2.6.2022). In der KRI haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht ge funden. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Es gibt christliche Dörfer oder auch große christliche Viertel in Großstädten, wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben und religiöse Feste feiern können (AA 28.10.2022, S.17). Die Kurdi sche Regionalregierung (KRG) hat zusätzlich zu den durch die föderale Regierung anerkannten Religionsgemeinschaften elf evangelikale und andere protestantische Kirchen registriert: die Nahda al-Qadassa Kirche, die evangelische Nasari Kirche, die kurdisch-zamanische Kirche, die 182

evangelische Ashti Kirche, die evangelische Freikirche, die Baptistenkirche des Guten Hirten, die internationale evangelische al-Tasbih Kirche, die Rasolia Kirche, die vereinigte evangelische Kirche, die Assemblies of God und die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Die KRG gestat tet die Registrierung neuer Religionsgemeinschaften ab mindestens 150 Gläubigen (USDOS 2.6.2022). Die Kurdische Regionalregierung fördert den Kirchenbau wie auch die Kirche als In stitution mit staatlichen Ressourcen. Die umfangreichen Enteignungen von christlichem Besitz unter dem alten Regime sind jedoch nicht rückgängig gemacht worden (AA 28.10.2022, S.17). In Gebieten, in denen Christen in großer Dichte leben, wird von der KRG christlicher Reli gionsunterricht zur Verfügung gestellt. So gibt es in der KRI 49 syriakische Schulen und die syriakische Sprache ist in jenen Verwaltungseinheiten, die von Christen dicht besiedelt werden, als Amtssprache anerkannt (USDOS 2.6.2022). Im März 2021 fand der erste päpstliche Besuch im Irak statt. Dabei traf Papst Franziskus auch mit Großayatollah as-Sistani zusammen und führte sowohl christliche als auch interreligiöse Zeremonien in Bagdad, Mossul und in der KRI durch. Laut führenden Vertretern von Christen, aber auch anderer religiöser und ethnischer Minderheiten habe der Besuch dazu beigetragen, den christlichen Belangen im Land mehr Gewicht zu verleihen und die Bedeutung der religiösen Vielfalt hervorzuheben (USDOS 2.6.2022). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2022), https://www.ecoi.net/e n/file/local/2082728/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_ Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Oktober_2022),_28.10.2022.pdf , Zugriff 23.3.2023 [Login erforderlich] ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/e n/file/local/2063378/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_ Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Oktober_2021),_25.10.2021.pdf , Zugriff 24.8.2023 [Login erforderlich] ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.1.2023): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2085737/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 2.2.2023 ■ FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/docu ment/2046520.html, Zugriff 11.7.2023 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommen ded for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq Chapter AR2021.pdf, Zugriff 21.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 21.7.2023 183

18.5 Turkmenen Letzte Änderung 2024-03-28 08:35 Turkmenen stellen die drittgrößte Ethnie des Irak dar (MRG 11.2017b; vgl. DFAT 16.1.2023, S. 16). Angaben zur Bevölkerungszahl der Turkmenen unterscheiden sich massiv. Sie reichen von 400.000 (AA 28.10.2022, S. 17), über 600.000 bis zu 2 Millionen (MRG 11.2017b; vgl. DFAT 16.1.2023, S. 17). Die meisten irakischen Turkmenen leben im Norden des Landes, in einem Bogen, der sich von Tal ’Afar über Mossul, Erbil, Altun Kopru, Kirkuk, Tuz Khurmatu und Kifri nach Khanaqin erstreckt (MRG 11.2017b; vgl. DFAT 16.1.2023, S. 16, AA 28.10.2022, S. 17). Turkmenen nennen diese Gebiete Turkmen Eli (Land der Turkmenen). Kirkuk nimmt dabei eine besondere Stellung ein und wird von Turkmenen oft als ihre inoffizielle Hauptstadt betrachtet. Es finden sich auch turkmenische Gemeinden in größeren irakischen Städten, wie Bagdad und Basra (YRIS 6.2018). Etwa 60 % der Turkmenen sind Sunniten, der Rest Zwölfer-Schiiten bzw. Angehörige anderer schiitischer Konfessionen (MRG 11.2017b; vgl. DFAT 16.1.2023, S. 16). Turkmenen aus Ninewa sind traditionell Schiiten (MRG 21.1.2020, S. 7). Rund 30.000 Turkme nen sind Christen (OFPRA 14.11.2017, S. 8). Tal ’Afar wird von schiitischen und sunnitischen Turkmenen bewohnt (AA 28.10.2022, S. 17). Turkmenen im Irak sprechen einen südlichen Dialekt der aserbaidschanischen Sprache, der als Turkmenisch bezeichnet wird (YRIS 6.2018). Das Turkmenische ist in Gebieten, in denen Turkmenen die Bevölkerungsmehrheit bilden, als Amtssprache anerkannt (USDOS 2.6.2022; vgl. DFAT 17.8.2020, S. 25). Gleichermaßen räumt die Verfassung den Turkmenen das Recht ein, ihre Sprache im Bildungswesen zu verwenden (MRG 11.2017b; vgl. DFAT 17.8.2020, S. 25). Der schlechte Zustand des Bildungssystems des Landes verhindert in vielen Fällen den Zugang turkmenischer Kinder zu muttersprachlicher Bildung (MRG 11.2017b). In der Kurdistan Region Irak (KRI) existieren 18 turkmenische Schulen (USDOS 2.6.2022). Im Zuge des Vormarsches des Islamischen Staates (IS) kam es zu kollektiven Vertreibungen auch von Turkmenen (AA 28.10.2022, S. 16). Die Mehrheit der schiitischen Turkmenen floh vor dem IS (DFAT 17.8.2020, S. 26; vgl. MRG 11.2017b), während viele Sunniten geblieben sind. Die vertriebenen schiitischen Turkmenen aus Tal ’Afar und anderen Distrikten leben nun größtenteils im Süden des Irak. Die meisten von ihnen konnten noch nicht in ihre Häuser zurückkehren (Stand Mitte 2020) (DFAT 17.8.2020, S. 26). Tal ’Afar blieb bis 2017 unter IS-Kontrolle (AA 28.10.2022, S. 17). Insbesondere schiitische Turkmenen wurden zum Ziel von Angriffen des sog. IS, wie z. B. in seinen Kampagnen gegen die mehrheitlich schiitisch-turkmenischen Städte Tal ’Afar und Amerli (MRG 11.2017b). Etwa 1.300 Turkmenen wurden entführt, darunter 470 Frauen und 130 Kinder. Etwa 800 davon wurden getötet, während der Rest weiterhin verschollen ist (USDOS 12.4.2022). Nach anderen Angaben waren Ende 2021 noch immer 900 vom IS entführte schiitische und sunnitische Turkmenen vermisst (USDOS 2.6.2022). 2017 flohen viele sunnitische Turkmenen im Zuge der Rückeroberung des IS-Gebietes (MRG 11.2017b). Sunnitische Turkmenen wurden bei außergerichtlichen Hinrichtungen durch iraki sche Sicherheitskräfte ermordet (MRG 11.2017b; vgl. DFAT 16.1.2023, S. 16). Es gab auch Berichte über willkürliche und rechtswidrige Verhaftungen, Erpressungen und Entführungen 184

von Turkmenen in Ninewa (USDOS 20.3.2023). Turkmenen aus Kirkuk werfen der Verwaltung Diskriminierung vor (ICG 15.6.2020, S. 10-11). PMF-Milizen (Volksmobilisierungseinheiten) haben sunnitischen Turkmenen die Rückkehr in ihre Dörfer im Distrikt Tuz-Khurmato in Salah ad-Din verweigert, schiitischen Turkmenen jedoch gestattet. In Tal ’Afar schikanieren PMF sunnitische Turkmenen an Kontrollpunkten weiterhin verbal und verlangen von ihnen die Zustimmung des Geheimdienstes der PMF, um amtliche Dokumente zu erhalten (USDOS 2.6.2022). Etwa 400 Turkmenen aus Tal ’Afar haben sich im Lauf des Jahres 2020 für ein monatliches Ge halt der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) angeschlossen und wurden in Trainingslager geschickt (USDOS 12.5.2021). Im kurdischen Regionalparlament waren fünf Sitze für Turkmenen reserviert (AA 22.1.2021, S. 11). Die kurdische Quotenregelung für ethno-konfessionelle Minderheiten wurde nach einer Klage zweier PUK-Politiker und einer christlichen Partei aus Sulaymaniyah durch das irakische Höchstgericht als verfassungswidrig erklärt. Folglich sind Minderheitsparteien nun gezwungen, ihre Kandidaten gegen jene von finanziell besser ausgestatteten, etablierten kurdischen politi schen Parteien aufzustellen (Rudaw 25.2.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2022), https://www.ecoi.net/e n/file/local/2082728/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_ Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Oktober_2022),_28.10.2022.pdf , Zugriff 23.3.2023 [Login erforderlich] ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file /local/2057645/Deutschland___Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungs relevante_Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Januar_2021),_22.01.2021.pdf , Zugriff 21.7.2023 [Login erforderlich] ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.1.2023): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2085737/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 2.2.2023 ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 20.6.2023 ■ ICG - International Crisis Group (15.6.2020): Iraq: Fixing Security in Kirkuk, https://www.ecoi.net/e n/file/local/2031663/215-iraq-fixing-security-in-kirkuk.pdf , Zugriff 15.5.2021 ■ MRG - Minority Rights Group (21.1.2020): Mosul after the Battle: Reparations for civilian harm and the future of Ninewa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2023155/MRG_CFR_Iraq_EN_Jan201.pdf, Zugriff 17.8.2023 ■ MRG - Minority Rights Group (11.2017b): Iraq – Turkmen, http://minorityrights.org/minorities/turkme n/, Zugriff 21.7.2023 ■ OFPRA - Amt zum Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen [Frankreich] (14.11.2017): The Security situation of religious and ethnic minorities, https://www.ofpra.gouv.fr/libraries/pdf.js/web/viewer.html ?file=/sites/default/files/ofpra_flora/171011_irq_religious_and_ethnic_minorities_in_iraq.pdf, Zugriff 16.8.2023 [Login erforderlich] ■ Rudaw - Rudaw Media Network (25.2.2024): Christian parties blame KDP, PUK for losing quota seats in Iraq court ruling, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/25022024, Zugriff 5.3.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 185

■ USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html, Zugriff 21.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html, Zugriff 24.8.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli gious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 21.7.2023 ■ YRIS - Yale Review of International Studies, The (6.2018): Caught between Baghdad and Erbil: The Political Struggle of Iraqi Turkmans, http://yris.yira.org/comments/2496, Zugriff 21.7.2023 18.6 Jesiden Letzte Änderung 2023-10-09 16:24 Die Glaubensgemeinschaft der Jesiden ist eine verfassungsmäßig anerkannte Religion, mit dem Recht auf freie Religionsausübung (USDOS 2.6.2022; vgl. AA 28.10.2022, S.5, DFAT 16.1.2023, S.21). Obwohl Jesiden als Religionsgemeinschaft per Personenstandsgesetz anerkannt sind, gibt es kein jesidisches Personenstandsgericht. Religiöse Angelegenheiten der Jesiden wer den durch das Amt (Diwan) für religiöse Stiftungen für Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer verwaltet (USDOS 2.6.2022). Den Jesiden steht im Irak ein Parlamentssitz zu (AA 22.1.2021, S.11). Jesiden sprechen den kurdischen Dialekt „ Kurmancî“ (BPB 2.7.2018; vgl. DFAT 16.1.2023, S.21), verwenden aber arabisch als liturgische Sprache (DFAT 16.1.2023, S.21). In der wissen schaftlichen Literatur werden die Jesiden aufgrund ihrer Sprache und Kultur überwiegend den Kurden zugeordnet (BPB 2.7.2018). Die Mehrheit der Jesiden definiert sich ebenfalls ethnisch als Kurden. Ein Teil der Jesiden betrachtet sich dagegen als eigene, unabhängige ethnische Volksgruppe (BPB 2.7.2018; vgl. DFAT 16.1.2023, S.21). Diese Gruppe geht sogar so weit, dass sie jegliche ethnische Verbindung zu den Kurden und zum Kurdentum negiert (BPB 2.7.2018). Die Zahl der Jesiden im Irak lag nach eigenen Angaben vor 2014 bei etwa 450.000-500.000 (AA 28.10.2022, S.17; vgl. USDOS 2.6.2022, DFAT 16.1.2023, S.21). Der Großteil der Jesiden siedelt im Norden des Irak (AA 28.10.2022, S.17; vgl. USDOS 2.6.2022), vor allem im Gebiet um die Städte Sinjar (zwischen Tigris und der syrischen Grenze) und Shekhan (Gouvernement Ninewa) sowie im Gouvernement Dohuk (AA 28.10.2022, S.17). Für den Islamischen Staat (IS) sind Jesiden Apostaten und Teufelsanbeter (AA 28.10.2022, S.17). Jesiden waren durch den IS von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid betroffen (BS 23.2.2022, S.5; vgl. USDOS 2.6.2022). Der Vormarsch des IS auf Sinjar im August 2014 führte zur Vertreibung fast der gesamten jesidischen Gemeinschaft und zur Gefangennahme, Ermordung und Versklavung von Tausenden (DFAT 16.1.2023, S.21). Der IS setzte Vergewalti gung, sexuelle Sklaverei und Zwangsheirat systematisch ein (HRW 13.1.2022). Das Vorgehen des IS gegen die Jesiden wird als Genozid deklariert (USCIRF 4.2021, S.2). Das Vorrücken des IS löste unter den Jesiden eine Flüchtlingswelle aus. Etwa 200.000 (AA 28.10.2022, S.17) bzw. 310.000 Jesiden wurden zu Flüchtlingen (USDOS 30.3.2021), wobei etwa 100.000 den Irak verlassen haben. Etwa 150.000 Jesiden sind nach wie vor Binnenvertriebene (IDPs) (US DOS 2.6.2022). Im Zuge des IS-Vormarsches wurden mehrere jesidische Pilgerstätten zerstört. Gewalttaten und Verbrechen wie gezielte Tötungen, Massaker an Jesiden, Verschleppungen 186

sowie Vergewaltigungen und Verstümmelungen jesidischer Frauen sind von der Mission der Vereinten Nationen im Irak (UNAMI) und des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OH CHR) untersucht und dokumentiert worden. Die Zahl der Todesopfer schwankt je nach Angaben zwischen 2.000 und 5.000 Personen (AA 28.10.2022, S.17). Die jesidische Religion verbietet eine Heirat außerhalb der Gemeinschaft und es ist nicht möglich, durch Konversion Jeside zu werden (DFAT 16.1.2023, S.21). Man kann nur als Kind jesidischer Eltern in die Gemeinschaft hineingeboren werden (USDOS 2.6.2022; vgl. AJ 24.3.2021). Jesidische Frauen und Mädchen, die während ihrer Gefangennahme in Zwangsehen oder zu Zwangsprostitution gezwungen wurden und von IS-Kämpfern gezeugte Kinder geboren haben, werden von ihren Familien und Gemeinschaften häufig aus Gründen der Tradition entweder verstoßen oder müssen diese Kinder zurücklassen (AA 28.10.2022, S.13; vgl. DFAT 16.1.2023, S.22, AJ 24.3.2021). Einer Rückkehr in ihre Familien gemeinsam mit diesen Kindern stehen die im jesidischen Glauben und in ihren Traditionen verankerten Normen entgegen (AA 28.10.2022, S.18). Einige Jesidinnen, die als Folge sexueller Gewalt Kinder geboren haben, seien laut jesidischen Quellen durch jesidische Anführer exkommuniziert worden (USDOS 2.6.2022). Der oberste geistliche Rat der Jesiden verkündete im April 2019, dass vom IS verschleppte Frauen und Kinder wieder in die jesidische Gemeinschaft zurückkehren dürfen (Spiegel 28.4.2019). Dies gilt aber nicht für Kinder, die mit IS-Kämpfern gezeugt wurden (Spiegel 28.4.2019; vgl. AJ 24.3.2021). Viele dieser Frauen halten sich derzeit versteckt im Raum Dohuk auf (AA 28.10.2022, S.18). Internationale NGOs vermittelten einigen jesidischen Frauen Unterkünfte und helfen in manchen Fällen den Müttern bei der Suche nach einem Zuhause für ihre zwangsweise ausgesetzten Kinder (USDOS 20.3.2023). Die Zahl der betroffenen Kinder wird auf mehrere Dutzende bis mehrere Hundert geschätzt. Die gesellschaftliche Stigmatisierung macht es schwierig, genaue Zahlen zu erhalten (USDOS 2.6.2022). Solche Frauen sind gezwungen diese Kinder als Muslime zu registrieren (USDOS 2.6.2022; vgl. AJ 24.3.2021) und selbst zum Islam zu konvertieren, um Ausweise, Pässe und andere staatliche Leistungen zu erhalten (USDOS 2.6.2022). Solche Kinder können von Ehren- und Vergeltungsmorden bedroht sein (USDOS 2.6.2022), ebenso wie ihre Mütter anfällig für Ehrverbrechen von Verwandten und anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaften sind. Es soll eine Reihe von Fällen inszenierter oder erzwungener Selbstmorde jesidischer Frauen gegeben haben, wobei solche Fälle oft nicht gemeldet werden (DFAT 16.1.2023, S.22) Viele jesidische Frauen, die sexuell versklavt wurden, bleiben verschollen (FH 24.2.2022). Nach Angaben des Direktorats für jesidische Angelegenheiten des Ministeriums für Stiftungen und re ligiöse Angelegenheiten der Kurdischen Regionalregierung (KRG) wurden von schätzungsweise 6.417 entführten Jesiden 3.543 Personen (1.204 Frauen, 1.044 Mädchen, 956 Buben und 339 Männer) gerettet (UNSC 30.3.2021, S.13). Am 1.8.2022 erklärte das KRG-Büro für die Rettung entführter Jesiden, dass 2.717 (1.273 Frauen und 1.444 Männer) weiterhin vermisst werden (USDOS 20.3.2023). Die jesidische Gemeinde im Distrikt Sinjar berichtete im August 2020, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den Jahren seit der Niederlage des IS Hunderte jesidische Kinder entführt habe, um sie zu rekrutieren (USDOS 2.6.2022). 187
