2025-09-08-coi-cms-laenderinformationen-somalia-version-8-50fd
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024). Clans [zu Clanschutz siehe auch Rechtsschutz, Justizwesen ]:Der Clan ist die relevanteste so ziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das ein zelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungs position werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Frie densstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022). Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethni schen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtba sis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/ SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrach tet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023). Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskrimi nierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Ge sellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, 217

S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustel len, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022). Recht [siehe hierzu auch Rechtsschutz, Justizwesen]: Die Übergangsverfassung und Verfas sungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz be nachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlen mäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Po lizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaß nahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kom pensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14). Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbän den gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaftkann eine „ falsche“ Clanzugehörigkeit in ein geschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] 218

■ ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rück kehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI- Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/ 2052555/20210531_COI-Webinar Somalia_ACCORD_Mai 2021.pdf, Zugriff 17.5.2022 ■ AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche ■ BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 ■ DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resi lience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-impro ved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf , Zugriff 15.12.2023 ■ FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (7.8.2020b): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia Fact-Finding Mis sion to Mogadishu in March 2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 12.10.2023 ■ Horn - Horn Observer (6.5.2024): Controversial Somali court decision grants immunity to perpetrator of human rights abuses, https://hornobserver.com/articles/2744/Controversial-Somali-court-decisio n-grants-immunity-to-perpetrator-of-human-rights-abuses , Zugriff 7.5.2024 ■ LIFOS - LIFOS-Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhetssektorn Version 1.0, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012758/190704400.pdf, Zugriff 3.6.2024 ■ NLM/Barnett - James Barnett (Autor), New Lines Magazine (Herausgeber) (7.8.2023): Inside the Newest Conflict in Somalia’s Long Civil War, https://newlinesmag.com/reportage/inside-the-newes t-conflict-in-somalias-long-civil-war/ , Zugriff 2.10.2023 ■ ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf , Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich] ■ Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (26.10.2022): The deaths of clan eld ers in the struggle against Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 468, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich] ■ Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (30.9.2022): Winning the war of grievances, in: The Somali Wire Issue No. 458, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich] ■ SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minder heiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ Shukri/TEL - The Elephant (Herausgeber), Saeed Shukri (Autor) (3.5.2021): Unrecognized Vote: Somaliland’s Democratic Journey, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/05/03/unrecogniz ed-vote-somalilands-democratic-journey/ , Zugriff 13.10.2023 ■ SOMNAT/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendoku mentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Somaliland National (Autor) (5.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023 ■ SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://re liefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 15.11.2023 ■ UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021b): Citizenship and State lessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf , Zugriff 6.10.2023 ■ UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanit arian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (5.8.2023): Muna Mohamed Abdi: Helping include marginalised communities in Kismayo, https://unsom.unmissions.org/muna-mohamed-abd i-helping-include-marginalised-communities-kismayo , Zugriff 17.1.2024 219

18.1 Bevölkerungsstruktur Letzte Änderung 2024-12-04 10:43 Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölke rung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschafts beziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017). Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irrefüh rend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Über leben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016). Große Clanfamilien: Die sogenannten „ noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zu rückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „ noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden: • Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wich tigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent. • Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss. 220

• Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia). • Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024). • Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017). Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017). Minderheiten: AlsMinderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „ noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethni scher Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „ nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Auswärtiges_Amt, _Bericht_über_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_(Stan d_Januar_2021),_18.04.2021.pdf, Zugriff 17.10.2024 [Login erforderlich] ■ AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche ■ BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 ■ Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (4.4.2016): Prac tical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/ asset/3569/1/3569_1.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin informa tion report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_Ju ne_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024 ■ SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minder heiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021a): Citizenship and State lessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf , Zugriff 12.3.2024 ■ UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanit arian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 ■ Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A 221

18.2 Süd-/Zentralsomalia, Puntland Letzte Änderung 2025-01-16 14:12 Politik: In Süd-/Zentralsomalia sind politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Ver waltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organi siert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB Nairobi 10.2024). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, wäh rend kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; FH 2024b) [siehe dazu auch: Politische Lage/ Süd-/Zentralsomalia]. Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2024b). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen, und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaf ten einzusetzen (SPC 9.2.2022). So finden sich in der aktuellen Regierung zwar alle relevanten Clans und Gruppen wieder (AA 23.8.2024), und das Frauen- sowie das Umweltministerium wer den von Angehörigen von Minderheiten geführt (AQ21 11.2023). In Süd-/Zentralsomalia ist die formelle Vertretung von Minderheiten im Rahmen der 4.5-Formel nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die Formel trägt dazu bei, dass bestehende Strukturen aufrechterhalten und damit Minderheiten sozial und politisch ausgrenzt werden (ÖB Nairobi 10.2024). Nach Anga ben einer Quelle der FFM Somalia 2023 versucht die Regierung hingegen, Minderheiten zu ermutigen, sich für Regierungsstellen zu bewerben. Allerdings ist die Diskriminierung tief in der Gesellschaft verwurzelt und besteht weiter fort (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Lage: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024; FH 2024b). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – mittelbar auch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 23.8.2024). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausge baut, sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan/SWT 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan/SWT 24.10.2022; vgl. SPC 9.2.2022). In staatlichen Behörden - etwa Poli zei und Justiz - sind Minderheiten nur spärlich vertreten (ÖB Nairobi 10.2024). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu [Anm.: Die Digil sind v. a. Landwirte und nicht Nomaden und können bei Dürre schwerer ausweichen]. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan/SWT 24.10.2022). Selbst in Mogadischu erhalten Minderheitenangehörige weniger Nahrungsmittelhilfe (TANA/ACRC 9.3.2023). Sie stehen einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber (UN OCHA 14.3.2022). Ein Programm der Bundesregierung soll zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von fast 25.000 benachteiligten und marginalisierten Haushalten beitragen. Dieses von Deutschland finanzierte 50-Millionen-Euro-Programm zielt darauf ab, den Zugang zu Bildung, Gesundheit, Hygiene und 222

Ernährung für Kinder und Jugendliche zu verbessern und die Ernährungssicherheit benachtei ligter Haushalte zu erhöhen. Die Regierung von Jubaland organisiert Workshops für Jugendliche aus marginalisierten Gruppen, um Integration und Partizipation zu fördern (UNSOM 5.8.2023). Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind laut einer Quelle über proportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 22.4.2024). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Gebieten, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB Nairobi 10.2024). Von Frauen marginalisierter Gruppen eingebrachte Vergewaltigungsanzeigen werden tendenziell ignoriert (UNSOM 5.8.2023). Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021a, S. 58). Mogadischu: In der Hauptstadt verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehö rige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (AQSOM 4 6.2024; vgl. FIS 7.8.2020a). Laut einem Experten dominieren auch die Rahanweyn mittlerweile bestimmte Stadtteile. Insgesamt leben in Mogadischu sehr viele unterschiedliche Clans, alle können Eigentum besitzen, sich in der Wirtschaft betätigen (AQSOM 4 6.2024), sich frei bewegen und niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (AQSOM 4 6.2024; vgl. FIS 7.8.2020b, S. 39). Außerdem tendieren die Menschen dazu, auf dem Gebiet des eigenen Clans zu wohnen. Bezie hungen zu Abgaal oder Habr Gedir - familiäre, wirtschaftliche, eheliche oder freundschaftliche - sind von Vorteil, um Konflikte abwenden oder lösen zu können. Generell agieren die dominanten Clans Mogadischus aber nicht im rechtsfreien Raum, da sie aufgrund von z. B. in Mogadischu begangenem Unrecht mit Gegenunrecht in anderen Teilen Somalias rechnen müssen (AQSOM 4 6.2024). Im Allgemeinen ist es schwierig, Menschen, die in Mogadischu aufgewachsen sind, oberflächlich nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020). Zum Clanwesen in Mogadischu siehe auch Sicherheitslage / Süd-/Zentralsomalia / Banadir. Al Shabaab: Zum Verhältnis von al Shabaab zu Clans und Minderheiten siehe Kapitel Sicher heitslage/Al Shabaab Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ AQ21 - Anonyme Quelle 21 (11.2023): Expertengespräche ■ AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche ■ DIS/UNFPA - United Nations Population Fund (Autor), Danish Immigration Service [Denmark] (Her ausgeber) (25.6.2020): Skype-Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia 223

_health_care_nov_2020.pdf?la=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E 60C, Zugriff 12.3.2024 ■ FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Somalia, https://freedomhouse.org/cou ntry/somalia/freedom-world/2024, Zugriff 8.7.2024 ■ FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (7.8.2020a): Somalia: Tiedonhankintamatka Mogadishuun maaliskuussa 2020, Mogadishun turvallisuustilanne ja humanitääriset olosuhteet, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia FFM raportti maaliskuu 2020.pdf/f58d6cd5- 271a-55fd-9b89-b3d32e4ff80b/Somalia FFM raportti maaliskuu 2020.pdf?t=1596797440011, Zugriff 12.3.2024 ■ FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (7.8.2020b): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia Fact-Finding Mis sion to Mogadishu in March 2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 12.10.2023 ■ INGO-F/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumen tation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Internationale NGO F, Senior Aid Official (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023 ■ ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf , Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich] ■ Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (24.10.2022): Power, access, and social capital in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 467, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich] ■ SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://re liefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 15.11.2023 ■ TANA/ACRC - Tana Copenhagen (Herausgeber), African Cities Research Consortium (Autor) (9.3.2023): Understanding Systems in Mogadishu City, https://tanacopenhagen.com/wp-content/upl oads/2023/03/ACRC-Tana-Mogadishu-City-System-Analysis.pdf , Zugriff 23.5.2024 ■ UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021a): Citizenship and State lessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf , Zugriff 12.3.2024 ■ UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanit arian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (5.8.2023): Muna Mohamed Abdi: Helping include marginalised communities in Kismayo, https://unsom.unmissions.org/muna-mohamed-abd i-helping-include-marginalised-communities-kismayo , Zugriff 17.1.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 18.2.1 Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation Letzte Änderung 2025-01-16 14:12 Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine an dere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017). Mitunter werden sie als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Pro bleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021a). Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (MBZ 6.2023). In den Städten ist die Bevölkerung allge mein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und 224

Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020). Nach anderen Angaben können Angehörige eth nischer Minderheiten Diskriminierung und Benachteiligung ausgesetzt sein - etwa beim Zugang zu sozialer Absicherung oder zu humanitärer Hilfe. Auch im Xeer werden sie marginalisiert (MBZ 6.2023). In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020a). Die Bantu (Jareer) sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 7.8.2020a). Sie stammen teils von Bauernvölkern ab, die bereits vor der Expansion der Somali an den Flüssen existiert haben; teils stammen sie von nach Somalia importierten Sklaven ab. „Adoon“ – ein abwertendes Wort, das noch immer von einigen ethnischen Somalis für die Jareer ver wendet wird – bedeutet wörtlich „ Sklave“. Ein weiteres abwertendes Wort für somalische Bantu – „ tiimo jareer“ („ hartes Haar“) – bezieht sich vorgeblich auf die dichten Locken ihrer Haare im Gegensatz zu den „ weichen Locken“ ethnischer Somali. Die Bantu selbst haben dies aufge griffen und bezeichnen sich als „ Jareer“ oder „ die Harten“. Als sie ihre zahlenmäßige Stärke erkannt haben, änderte sich der Name in „ Jareer Weyne“ – „ die großen Harten“. Was einst eine Beleidigung war, ist heute ein Ehrenzeichen (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). Traditionell waren somalische Bantu in verschiedenen, getrennten Gemeinschaften im Süden Somalias verstreut. Hier gibt es z. B. die Makanne, Shiidle, Gobaweyne, Mushunguli und Shan gani (Sahan/Menkhaus 23.8.2023), die Kabole, Reer Shabelle und Oji. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017; vgl. UNHCR 22.12.2021a). Bantu werden oft für manuelle Tätigkeiten eingesetzt. Sie über nehmen Arbeiten, die von ethnischen Somali als zu gering erachtet werden (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). Die Bantu waren jahrzehntelang systematischer Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt durch die somalische Regierung und die somalische Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt (Sahan/ SWT 3.11.2023). Sie sind die am stärksten marginalisierte, ausgegrenzte und ausgebeutete somalische Gemeinschaft. Von Machtpositionen auf lokaler und nationaler Ebene sind sie viel fach ausgeschlossen (Sahan/Menkhaus 23.8.2023; vgl. MBZ 6.2023). Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, S. 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, S. 25; vgl. USDOS 22.4.2024). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu herab (SEM 31.5.2017; vgl. UNHCR 22.12.2021a; MBZ 6.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (Sahan/SWT 3.11.2023; vgl. BS 2024) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019). Der mangelnde Zugang zu Bildung, Beschäftigung und politischer Vertretung hat einen Kreislauf aus Armut und Ausgrenzung verursacht und die Möglichkeiten für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg eingeschränkt. Dies wiederum verstärkt gesellschaftliche Stereotypen (Sahan/SWT 3.11.2023; vgl. TANA/ACRC 9.3.2023). In Städten wie Kismayo mangelt es den Bantu an Ressourcen und Unterstützung (Sahan/SWT 1.12.2023). 225

Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 22.4.2024; vgl. LIFOS 19.6.2019), Bantu haben kaum Zu gang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019) und sind folglich besonders schutzlos (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. FIS 7.8.2020a). Die Diskriminierung von Bantu ist auch in der Bundesarmee und im so malischen Rechtssystem allgegenwärtig. Oft wird ihnen der Zugang zur Justiz verweigert, sie tragen ein höheres Risiko, vor Gericht ungerecht behandelt zu werden (Sahan/SWT 3.11.2023); im Justizsystem sind Bantu kaum vertreten (TANA/ACRC 9.3.2023). Nach anderen Angaben sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen einge gangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020a). Eine Quelle erklärt, dass die meisten von ihnen als niedrige Kaste einem dominanten somalischen Clan angehören (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). Gleichzeitig erklärt der Experte Ken Menkhaus zur jüngeren Entwicklung der Bantu in Somalia: Bis vor Kurzem hatten die unterschiedlichen Bantu-Gruppen kein Gefühl einer ge meinsamen Identität. Auch ihre Probleme und ihr Identitätsgefühl waren lokal und nicht national. Sich als „ Jareer“ zu bezeichnen ist neu. Bis vor Kurzem waren die Bantu unbewaffnet und daher politisch schwach und anfällig für Raubüberfälle. Der Aufstieg von al Shabaab hat das geändert. Die Rekrutierungstaktiken der militanten Gruppen konzentrieren sich seit Langem darauf, Miss stände auszunutzen, wobei die Jareer ein offensichtliches Ziel sind. Der Beitritt zu al Shabaab wurde oft als attraktive Option angesehen, da er den Jugendlichen der Jareer ein Gehalt, eine Waffe, Status und Schutz verschafft hat. Obwohl die meisten Jareer heute der al Shabaab ge genüber misstrauisch und viele aus dem Territorium der militanten Gruppe geflohen sind, hat die Tatsache, dass so viele zu bewaffneten Kämpfern geworden sind, begonnen, ihren Status zu verändern (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). Heute finden sich unter den hunderttausenden IDPs im Großraum Mogadischu zu fast 80 % Bantu (FIS 7.8.2020a). Jahrzehnte der Urbanisierung haben aus den Subsistenzbauern der Flusstäler Stadtmenschen gemacht (Sahan/SWT 1.12.2023). Menkaus erklärt diesbezüglich: Somalische Bantu stellen heute einen signifikanten Prozentsatz der städtischen Bevölkerung in Südsomalia. Dies könnte bei allgemeinen Wahlen durchaus von Bedeutung werden und ist einer der Hauptgründe, warum politisch einflussreiche Clans in den Städten darauf bestehen, die Jareer als IDPs zu bezeichnen, die per Definition anderswo hingehören. Tatsächlich ist ihre Umsiedlung aber dauerhaft geschehen. Die Jareer bilden heute eine große städtische Unter schicht mit begrenzten Aussichten auf soziale Mobilität und ein besseres Leben außerhalb der sogenannten IDP-Lager. Wahr ist aber auch, dass zumindest einige städtische Jareer nunmehr bewaffnet und in der Lage sind, Banden oder Milizen in Mogadischu zu leiten und Straßenpro teste zu mobilisieren. Das ist eine außergewöhnliche Entwicklung, die noch vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen wäre (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). So geschehen ist dies etwa, als ein Offizier der Bundesarmee - ein Bantu - verhaftet worden war. Sowohl in Baidoa als auch in Mogadischu kam es daraufhin zu Protesten von Bantus. Dies wäre früher undenkbar gewesen (Sahan/SWT 16.8.2024). Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019). Viele Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. 226
