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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Vergewaltigungen: Gruppenvergewaltigungen stellen in urbanen Gebieten weiterhin ein Pro blem dar. Täter sind oftmals Jugendliche oder Studenten. Diese Vergewaltigungen geschehen meist in ärmeren Stadtteilen, bei Migranten, zurückgekehrten Flüchtlingen oder IDPs im städti schen Raum (USDOS 22.4.2024). Im Gegensatz zum Süden Somalias gibt es aus Somaliland so gut wie keine Berichte über Vergewaltigungen durch Uniformierte (FIS 5.10.2018, S. 32). Aufgrund sozialen Drucks werden Vergewaltigungen nur selten angezeigt (FH 2024a). Zudem ist das Gesetz gegen Sexualdelikte nach Einwänden des Religionsministeriums durch den Präsidenten wieder außer Kraft gesetzt. Ein neues Gesetz bezüglich Vergewaltigung und Se xualverbrechen wurde eingebracht und passierte im August 2020 das Repräsentantenhaus. Dieses Gesetz bricht einige internationale Menschenrechtsstandards. Es gestattet u. a. Kinder- und Zwangsehe und schließt eine Vergewaltigung in der Ehe aus. Das Gesetz lag zuletzt beim Guurti (MBZ 6.2023; vgl. ÖB Nairobi 10.2024) und ist noch nicht in Kraft getreten (ÖB Nairobi 10.2024). Nach anderen Angaben wurde hingegen 2018 das erste Mal in der Geschichte Vergewaltigung per Gesetz zum Verbrechen erklärt, mit Haftandrohung von 4-7 Jahren, bei Gewalt und Drohun gen 15-20 Jahren, im Falle von Minderjährigen unter 15 oder von Gruppenvergewaltigungen mit 20-25 Jahren, im Falle von Verletzungen oder HIV-Übertragung lebenslänglich. Schlussendlich werden Vergewaltigungen auch zur Anzeige gebracht: Von Jänner bis August 2022 wurden in Somaliland fast 300 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht, 2020 sind es 161 gewesen (Hal beeg 1.9.2022). Nach anderen Angaben sind im Jahr 2022 bis November 266 Vergewaltigungen angezeigt worden, es gab 280 Beschuldigte. 240 davon wurden gefasst (SD 4.11.2022). Auch auf Betreiben von Frauenhäusern werden Vergewaltigungen nachgewiesen und zur Anzeige gebracht, Verhaftungen folgen (UNICEF 26.2.2024). Im Juni 2024 hat Präsident Bihi ein Dekret unterzeichnet, das die Verhandlung von Vergewaltigungsfällen durch Clanälteste verbietet. Alle derartigen Fälle müssen künftig der staatlichen Justiz zugeführt werden (HO 25.6.2024c). Hilfe: Die NGO WAAPO - ein Partner mehrerer UN-Organisationen - führt Frauenhäuser in Hargeysa, Borama und Burco. Das Angebot richtet sich an Opfer geschlechtsspezifischer Ge walt und von FGM und dient auch dem Kinderschutz. Die Einrichtungen bieten psychosozia le Beratung, medizinische Unterstützung, Rechtshilfe und Mediation (WAAPO o.D.a; vgl. UN OCHA 2022). Diese Dienste erfolgen kostenlos. Die Häuser arbeiten auch mit der Polizei zu sammen. Den Frauen wird geholfen, nach Gewalttaten für Gerechtigkeit zu sorgen (UNICEF 26.2.2024). 2021 hat UNFPA gemeinsam mit dem somaliländischen Sozial- und Familienmi nisterium eine 24-Stunden-Hotline eingerichtet, an welche sich Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt richten können. Bereits in den ersten Monaten konnte über hundert Opfern geholfen werden, u. a. durch Beratung und Vermittlung. Die Nummer der Hotline wird z. B. über das Radio verbreitet (UNFPA 28.10.2021). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] 244

■ FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Somaliland, https://www.ecoi.net/de/do kument/2109065.html, Zugriff 8.7.2024 ■ FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_- Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1- f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ Halbeeg - Halbeeg (1.9.2022): Close to 300 rape cases reported in Somaland since January, https: //en.halbeeg.com/2022/09/01/close-to-300-rape-cases-reported-in-somaland-since-january/ , Zugriff 21.6.2024 ■ HO - Hiiraan Online (25.6.2024c): Somaliland president bans clan elders from adjudicating rape cases, https://www.hiiraan.com/news4/2024/Jun/196837/somaliland_president_bans_clan_elders_ from_adjudicating_rape_cases.aspx?utm_source=hiiraan&utm_medium=SomaliNewsUpdateFront, Zugriff 27.6.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin informa tion report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_Ju ne_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024 ■ ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf , Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich] ■ SD - Somali Dispatch (14.5.2023): Somaliland Parliament welcomes the first female MP, https: //www.somalidispatch.com/latest-news/somaliland-parliament-welcomes-the-first-female-mp , Zugriff 2.5.2024 ■ SD - Somali Dispatch (4.11.2022): Somaliland: Police issues an incomplete report on the crimes committed this year, https://www.somalidispatch.com/latest-news/somaliland-police-issues-an-inc omplete-report-on-the-crimes-committed-this-year/ , Zugriff 14.11.2023 ■ UNFPA - United Nations Population Fund (28.10.2021): UFPA-supported hotline in Hargeisa im proves reporting of Gender-Based Violence, https://somalia.unfpa.org/en/news/ufpa-supported-hot line-hargeisa-improves-reporting-gender-based-violence , Zugriff 21.6.2024 ■ UNICEF - United Nations International Children’s Emergency Fund (26.2.2024): A path towards independence and self-reliance, https://www.unicef.org/somalia/stories/path-towards-independence, Zugriff 21.6.2024 ■ UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2022): Somalia Humanitarian Response Plan 2022, Appeal Data, https://projects.hpc.tools/project/184533/view, Zugriff 21.6.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071126.html, Zugriff 4.10.2023 ■ WAAPO - WAAPO (o.D.a): Safe Houses, https://waapo.org/safe-house/, Zugriff 21.6.2024 19.1.3 Familie, Ehe, Zwangsehe, Scheidung, Ehrenmorde Letzte Änderung 2025-01-16 14:10 Die Scharia ist gerade hinsichtlich des Familienrechts die wichtigste Rechtsquelle in Somalia und Somaliland. Sie findet etwa bei Ehe, Erbe, Adoption und Sorgerecht Anwendung. Zivilrecht kann zwar neben der Scharia angewendet werden, muss aber immer mit der Scharia vereinbar sein. Bei jeglicher Abweichung wird hier der Scharia Vorrang gegeben (Omer2/ALRC 17.3.2023). Ehe: Für die Eheschließung relevant sind die Vorgaben von Xeer (traditionelles Recht) und Scharia, die nahezu deckungsgleich sind (Omer2/ALRC 17.3.2023). Polygamie ist laut beiden Rechtsgrundlagen erlaubt und wird gesellschaftlich akzeptiert (UNHRCOM 6.5.2024; vgl. ÖB 245

Nairobi 10.2024). Es gibt keine Zivilehe (Landinfo 14.6.2018, S. 7). In weiten Teilen Süd-/Zentral somalias spricht al Shabaab Recht - auch hinsichtlich Ehe, Scheidung und darauf basierenden Sorgerechtsregelungen (Omer2/ALRC 17.3.2023). Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die ge sellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38), wobei eine Überprüfung der Jungfräulichkeit laut einer Quelle nicht mehr weit verbreitet ist (Omer2/ALRC 17.3.2023). Nach anderen Angaben ist nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über 15 Jahren verheiratet; 37,9 % waren demnach noch nie verheiratet. Letztgenannte Per sonengruppe findet sich zunehmend in den Städten (42,1 %), weniger verbreitet auf dem Land (30 %) (GN 28.3.2023a) Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (Landinfo 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. „ nobler“ Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f). Eheschließung (Vorgang): Generell muss vor der Eheschließung beim Imam Klarheit über die Identität der Ehepartner herrschen. Zudem muss sich der Imam im persönlichen Einzelgespräch mit beiden Ehepartnern versichern, dass diese freiwillig heiraten. Dies muss auch von den anwesenden Zeugen bezeugt werden. Das Brautgeld wird von der Braut genannt und vom Bräutigam bestätigt. Alle Parteien (das Ehepaar, der Vormund, die Zeugen und der Imam) müssen den Ehevertrag/die Eheurkunde (Deed of Marriage) unterfertigen. Mit der Zunahme an Somali, die in der Diaspora leben, sind heute Eheschließungen über das Telefon keine Seltenheit mehr. Dabei bedarf es üblicherweise an beiden Enden eines Imams. Sobald eine Ehe vor einem Imam und gemäß den Vorgaben der Scharia (Reife, Freiwilligkeit, Zeugen) geschlossen wurde, ist diese nach somalischer Rechtsnorm rechtsgültig (Omer2/ALRC 17.3.2023). Kinderehe und Ehealter: Siehe Kinder Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Zusätzlich ist es im Xeer sehr wohl möglich, dass Eltern oder ein Vormund auf Minderjährige einwirken, damit diese einer Eheschließung - wie in der Scharia verlangt - „ freiwillig“ zustimmen. Die in der Scharia verlangte Einwilligung wird im Xeer relati viert. Kinder- und arrangierte Ehen sehen oft keine ehrliche Freiwilligkeit vor. Eigentlich hätten solche Ehen nach islamischer Rechtsauffassung keine Gültigkeit (Omer2/ALRC 17.3.2023). Dementsprechend ist der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe fließend (MBZ 6.2023). Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustim mung gänzlich oder nahezu gänzlich (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 23.8.2024), Zwangsehen sind in Somalia normal bzw. weitverbreitet (SPA 1.2021; vgl. FH 2024b). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele davon waren bei der Ehe schließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen 246

vorzugehen (USDOS 22.4.2024). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie ge wählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 10). Zu Unterstützung und Frauenhäusern siehe Frauen - Süd-/Zentralsomalia und Frauen - Somaliland. Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition aber gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (Landinfo 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden (FIS 5.10.2018, S. 26f). Zusätzlich gibt es auch die Tradition des „ Durchbrennens“ (Elopement, Qubdo Sireed), wobei die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung kommt in allen Landesteilen vor und wird üblicherweise auch akzeptiert (Omer2/ALRC 17.3.2023). Ehe-Registrierung: Beim Imam werden die von allen Parteien unterfertigten Urkunden kopiert und an alle Teilnehmer ausgeteilt. Eine Urkunde wird im Register der Moschee hinterlegt. Dies ist nicht immer möglich, doch ist eine solche Registrierung für die Gültigkeit einer Ehe nicht zwingend erforderlich. Nach Möglichkeit wird die Eheschließung auch bei einem Standesamt oder Amtsgericht in der nächstgelegenen Gemeinde eingetragen, die dazu in der Lage ist. In Somaliland ist ein solcher Eintrag bei der Gemeinde oder dem Regionalgericht einfacher möglich. Die zivile Registrierung einer Ehe ist absolut freiwillig. Die Rechtsgültigkeit einer Ehe ergibt sich aus der Erfüllung der Anforderungen gemäß Scharia (Omer2/ALRC 17.3.2023). Zu Dokumenten siehe auch Dokumente / Süd-/Zentralsomalia und Dokumente / Somaliland. Scheidung: Eine solche ist erlaubt (ÖB Nairobi 10.2024), es gibt eine hohe Scheidungsrate (AQ21 11.2023). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019a). Die Frau hat das Recht, den Mann aus dem gemein samen Haushalt zu verstoßen (AQ21 11.2023). Nach einer Scheidung ist eine Phase von drei bis sechs Monaten vorgesehen, bevor eine neue Ehe eingegangen werden darf (Omer2/ALRC 17.3.2023). Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (Landinfo 14.6.2018, S. 18). Laut Zahlen aus dem Jahr 2023 sind 9 % der Bevölkerung im Alter von 25-29 Jahren geschieden, bei den 30-34-Jährigen sind es 7,6 % (GN 28.3.2023a). Bezüglich einer Scheidung gibt es kein Stigma (Landinfo 14.6.2018, S. 18f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f; AQ21 11.2023). Während es früher die Norm war, dass Kinder beim Mann blieben, ist dies heute oft umgekehrt (AQ21 11.2023; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f). Viele 247

Männer verschwinden auch einfach und bieten Frau und Kindern keinerlei Unterstützung (AQ21 11.2023). Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S. 27f). Bei der Auswahl eines neuen Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (Landinfo 14.6.2018, S. 19). Annullierung: Eine Ehe kann nur dann annulliert oder angefochten werden, wenn stichhaltige Beweise dafür vorgelegt werden, dass bei einem Ehepartner keine freiwillige Einwilligung vorlag; dass einem Ehepartner die erforderliche Reife (psychisch und physisch) fehlt; wenn nachträglich Beweise dafür auftauchen, dass die Ehefrau bereits verheiratet war und die Scheidung noch nicht vollzogen wurde; wenn der vorgeschriebene Zeitraum zwischen Scheidung und neuer licher Ehe von 3-6 Monaten noch nicht verstrichen war; oder wenn der Ehegatte bereits mit vier Ehefrauen verheiratet ist. Sterilität oder andere physische Einschränkungen stellen keinen Annullierungs-, wohl aber einen Scheidungsgrund dar (Omer2/ALRC 17.3.2023). Ehrenmorde: In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer ak zeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Ein uneheliches Kind wird aller dings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S. 27; vgl. Love Does 20.10.2023). Laut einer Quelle ist außer- oder vorehelicher Geschlechtsverkehr eine Straftat (Omer2/ALRC 17.3.2023). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rück kehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI- Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/ 2052555/20210531_COI-Webinar Somalia_ACCORD_Mai 2021.pdf, Zugriff 17.5.2022 ■ AQ21 - Anonyme Quelle 21 (11.2023): Expertengespräche ■ FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Somalia, https://freedomhouse.org/cou ntry/somalia/freedom-world/2024, Zugriff 8.7.2024 ■ FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_- Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1- f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf.pdf, Zugriff 12.3.2024 ■ GN - Goobjoog News (28.3.2023a): Divorce highest between ages 25 and 29 in Somalia, https: //goobjoog.com/english/divorce-highest-between-ages-25-and-29-in-somalia/ , Zugriff 17.1.2024 ■ ICG - International Crisis Group (27.6.2019a): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff 12.3.2024 ■ Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://www.ecoi.net/en/file/local/2013990/Report-Somalia-Marriag e-and-divorce-14062018-2.pdf , Zugriff 12.3.2024 ■ LIFOS - LIFOS-Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0), https://www.ecoi.net/en/file/local/2007150/190416400.pdf, Zugriff 21.6.2024 248

■ Love Does - Love Does (20.10.2023): Stories from the Somalia Safe House, https://lovedoes.org/s tories-from-the-somalia-safe-house , Zugriff 21.6.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin informa tion report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_Ju ne_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024 ■ ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf , Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich] ■ Omer2/ALRC - Ahmed Omer 2, Africa Legal Risk Control Ltd (17.3.2023): Somali Family Law & Practice. An Expert Report (Bericht i.A. der österreichischen und deutschen Botschaften in Nairobi); per e-Mail ■ SPA - Somali Public Agenda (1.2021): A comparative review of Somalia’s controversial Sexual Offences Bills, https://somalipublicagenda.org/wp-content/uploads/2021/01/SPA_Governance_Brie fs_11_2021_ENGLISH.pdf, Zugriff 21.6.2024 ■ UNHRCOM - United Nations Human Rights Committee (6.5.2024): Concluding observations on the initial report of Somalia [CCPR/C/SOM/CO/1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2108970/G240561 3.pdf, Zugriff 24.5.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 19.2 Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C) Letzte Änderung 2024-12-03 13:46 Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor: a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniin ka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym „ FGM“ verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68). b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/ Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (SunnaSaghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/ Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „ Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, 249

S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022). Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet („ … an dere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen.“). Teilnehmer der Studie beschrei ben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung („ SmallCut“) sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshand lungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021). Dahingegen beschreiben Crawford und Ali für Somalia folgende Formen von FGM/C (HEART/ Crawford/Ali 2 2015, S. 66ff): 250

Quelle 20: HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66ff Prävalenz [siehe auch Unterkapitel]: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheits ministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von „ mehr als 90 %“ (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 251

5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017). Quelle 21: (STC 9.2017) Trend weg von der Infibulation und hin zu Sunna[siehe auch Unterkapitel]: Die Infibulation ist insgesamt zurückgedrängt worden, dies wird von zahlreichen Quellen bestätigt (Omer2/ ALRC 17.3.2023; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015; FGMCRI o.D.; Landinfo 14.9.2022; LIFOS 16.4.2019, S. 14f/39; DIS 1.2016, S. 7; FIS 5.10.2018, S. 30f; PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22ff; BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Der Trend geht in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022): Quelle 22: DNS/Gov Som 2020, S. 220 252

Sowohl der finanzielle wie auch der Bildungshintergrund spielen bei der Entscheidung hinsicht lich der Form des Eingriffs eine Rolle: Quelle 23: DNS/Gov Som 2020, S. 214 Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in länd lichen Gebieten höher ist als in der Stadt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 69). Viele Menschen – v. a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022), der gesell schaftlich auf Akzeptanz trifft (Landinfo 14.9.2022). So werden in Mogadischu junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70). Eine Rolle spielen hierbei religiöse Überlegungen. Bei einer Studie in Somaliland haben religiöse Führer angegeben, dass alle Rechtsschulen des Islam die Infibulation bzw. die pharaonische Beschneidung verbieten. Demgegenüber ist die Sunna gemäß der in Somalia am meisten verbreiteten Shafi’i-Schule obligatorisch, während z. B. die Hanafiya eine Beschneidung zwar zulässt, diese aber nicht fordert (MoHDSL/UNFPA 2021). Gesellschaft [siehe auch Unterkapitel]: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („ Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/ et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht 253
