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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Die globale Finanzkrise des Jahres 2008 traf Großbritannien aufgrund des stark ausgeprägten Finanzsektors besonders hart. Sinkende Immobilienpreise, eine hohe Verschuldung der Verbraucher und die weltweite Konjunkturabschwächung verschärften die wirtschaftlichen Probleme Großbritanniens und drängten die Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 in eine Rezession. Seit dem Referendumsvotum zum Austritt aus der EU im Juni 2016 hat sich die Konjunktur in Großbritannien verlangsamt. Eine anhaltende Abwertung des britischen Pfunds hat die Verbraucher- und Erzeugerpreise erhöht und damit die Konsumausgaben belastet, ohne einen nennenswerten Anstieg der Exporte zu bewirken (CIA 16.6.2021). Das Leistungsbilanzdefizit stieg im Jahr 2019 leicht auf 4,6% des BIP an. Dies ist ein Indiz für die anhaltende Exportschwäche der britischen Wirtschaft (BS o.D). Infolge des EU Austritts und der unsicheren Zukunftsperspektiven hat die britische Wirtschaft schon in den Jahren 2018 und 2019 nur um schwache 1,3% und 1,4% zugelegt. Nach dem formellen Abgang aus der Union am 31.1.2020, und wenig Hoffnung auf umfassenden Zugang zum Binnenmarkt nach Ende der Übergangsfrist am 31.12 2020, wurde auch für 2020 und 2021 nur ein schwaches Plus von 1% erwartet. In der Zwischenzeit manövrierte der durch die Covid-19 Pandemie bedingte wirtschaftliche Teil-Stillstand Großbritannien in eine historische Wirtschaftskrise. Ein kaputt gespartes Gesundheitssystem, die sehr hohe Bevölkerungsdichte, soziale Ungleichgewichte und massive politische Versäumnisse sorgten in der Erstphase der Pandemie für die höchsten Opferzahlen in Europa und erzwangen lange andauernde Betriebsschließungen auch in Industrie und Bauwirtschaft (WKO 4.2021). Im Frühjahr 2021 machten sich schließlich jedoch die positiven Folgen einer beispiellosen Impfkampagne und eines konsequenten, 4-monatigen Lockdowns bemerkbar. Doch trotz der merkbaren Aufbruchsstimmung und einzelner optimistischer Prognosen wollte sich der Aufschwung nicht wie erhofft einstellen. 2020 sank die Wirtschaftsleistung um 9,9%. Die mit Rücksicht auf die darin enthaltenen, massiven Basiseffekte eher gedämpften Wachstumserwartungen von +5,1% für 2021 und +5,5% für 2022, lassen ein Aufschließen zu den Ergebnissen von 2019 – anders als am Kontinent – erst für 2023 erwarten. Dabei erschweren auch die Negativeffekte des endgültigen Abgangs aus EU-Zollunion und Binnenmarkt den Rückweg in die volkswirtschaftliche Gewinnzone. Obwohl die Pfund- Schwäche für gewissen Preisdruck sorgt, hielten Nachfrageanämie und billiges Öl die Inflationsrate 2020 bei 1% (WKO 4.2021). Innerhalb der EU lag der Durchschnitt im selben Jahr bei 0,51% (laenderdaten.info o.D). Für 2021 werden 1,7% erwartet. Die Arbeitslosenquote wird für 2021 mit 5,6% angenommen (WKO 4.2021). Eine Erhöhung des nationalen Mindeststundenlohns auf das Niveau des sogenannten existenzsichernden Lohns wurde angekündigt und parteiübergreifend unterstützt. Ziel ist, dass die Mindeststundenlöhne in den kommenden Jahren schneller steigen als die Durchschnittslöhne (BS .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 21 von 23

o.D). Mit Stand April 2021 lag der Mindeststundenlohn bei 8,91 £ (Anm.: ca. 10,4 EUR) (gov.uk o.D.). Quellen: - BS – Bertelsmann Stiftung (o.D.): United Kingdom Report. Sustainable Governance Indicators, https://www.sgi-network.org/docs/2020/country/SGI2020_UK.pdf, Zugriff 22.6.2021 - CIA (16.6.2021): The World Factbook – United Kingdom, https://www.cia.gov/the-world- factbook/countries/united-kingdom/, Zugriff 21.6.2021 - gov.uk (o.D.): National Minimum Wage and National Living Wage rates, https://www.gov.uk/national-minimum-wage-rates, Zugriff 28.6.2021 - laenderdaten.info (o.D.): Vereinigtes Königreich, https://www.laenderdaten.info/Europa/Vereinigtes-Koenigreich/wirtschaft.php, Zugriff 22.6.2021 - WKO (04.2021): Wirtschaftsbericht Vereinigtes Königreich, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/vereinigtes-koenigreich-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 28.6.2021 18. Medizinische Versorgung Der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) ist nach wie vor ein Eckpfeiler des universellen Wohlfahrtsstaates des Vereinigten Königreichs und wird weithin als zentrale öffentliche Einrichtung angesehen. Der Großteil der vom NHS bereitgestellten Gesundheitsversorgung ist kostenlos. Es gibt jedoch Gebühren für Rezepte und zahnärztliche Behandlungen, wenngleich bestimmte demographische Gruppen (z.B. Rentner) von diesen Gebühren befreit sind. Zudem gibt es ein begrenztes privates Gesundheitssystem (BS o.D.; vgl. bpb 30.4.20214). Trotz ständiger realer Erhöhungen der öffentlichen Mittel für das Gesundheitswesen durch Regierungen aller Couleurs kann die Versorgung nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt halten. Speziell im Winter sind immer wieder Engpässe zu verzeichnen, da Krankenhäuser mit Notaufnahmen zu kämpfen haben und wegen der Freigabe der benötigten Betten Routineoperationen absagen müssen. Dies ist zum Teil auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen, zeigt aber auch Unzulänglichkeiten in der Finanzierung und Organisation von Pflegediensten für ältere Menschen auf. Die von den lokalen Behörden finanzierte Sozialfürsorge ist unter Druck geraten, was dazu führt, dass teurere Krankenhauspflege in Anspruch genommen werden muss. Die Qualität der NHS-Leistungen ist hoch und wird von einer unabhängigen Care Quality Commission überwacht. Die finanzielle Lage vieler Krankenhaus-Trusts ist eher prekär und war im letzten Jahr Gegenstand wachsender Besorgnis, da immer mehr Krankenhäuser um die Einhaltung von Standards kämpfen und Zielvorgaben für Wartezeiten von Patienten verfehlen (BS o.D.; vgl. CQC 21.10.2020). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 22 von 23

Der NHS steht immer wieder im Mittelpunkt hitziger öffentlicher Debatten. In letzter Zeit haben Tarifänderungen die öffentlichen Zahlungen an Kliniken und Akut-Trusts - private Krankenhaus- betreibergesellschaften im Auftrag des Gesundheitsministeriums - verschoben und reduziert. Außerdem gab es einen lang anhaltenden Streit zwischen Regierung und Assistenzärzten über deren Gehälter und Arbeitsbedingungen, der in weiterer Folge zu Streiks führte. Grund hierfür waren Versuche der Regierung, einen vollen 24/7-Betrieb zu erreichen, um auf die Bedenken zu reagieren, dass die Behandlung am Wochenende von geringerem Standard sei. Ein neuer Arbeitsvertrag für Assistenzärzte, der eine Gehaltserhöhung und freundlichere Regeln für Wochenenden und lange Schichten beinhaltet, trat 2019 in Kraft (BS o.D.). Trotzdem kommt es immer wieder zu umfassenden Protesten (TheGuardian 3.7.2021). Auch wenn die Gesundheitsversorgung im Vereinigten Königreich im internationalen Vergleich weit überdurchschnittlich ist, beunruhigt der unklare zukünftige Status von EU-Arbeitsmigranten viele Gesundheitsexperten, zumal das britische Gesundheitswesen auf die Rekrutierung von Personal auf allen Ebenen aus anderen EU-Mitgliedstaaten und Drittländern angewiesen ist (BS o.D.; vgl. GPonline 12.7.2021). Quellen: - bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (30.4.2014): Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung in Großbritannien, https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72928/finanzierung, Zugriff 7.7.2021 - BS – Bertelsmann Stiftung (o.D.): United Kingdom Report. Sustainable Governance Indicators, https://www.sgi-network.org/docs/2020/country/SGI2020_UK.pdf, Zugriff 22.6.2021 - CQC – Care Quality Commission (21.10.2020): CQC Insight. NHS trusts, https://www.cqc.org.uk/guidance-providers/nhs-trusts/cqc-insight-nhs-trusts, zugriff 8.7.2021 - GPonline (12.7.2021): GPs per patient slump as NHS medical workforce '25 years behind EU', BMA warns, https://www.gponline.com/gps-per-patient-slump-nhs-medical-workforce-25-years- behind-eu-bma-warns/article/1721892, Zugriff 12.7.2021 - TheGuardian (3.7.2021): Protests call for end to NHS underfunding and understaffing, https://www.theguardian.com/society/2021/jul/03/protest-groups-to-call-for-end-to-nhs- underfunding-and-understaffing, Zugriff 8.7.2021 19. Rückkehr Das Gesetz sieht im Allgemeinen Freizügigkeit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor, und diese Rechte werden von der Regierung respektiert (USDOS 30.3.2021). Quellen: - USDOS – US Department of State (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: United Kingdom, https://www.ecoi.net/en/document/2048494.html, Zugriff 26.6.2021 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 23
