isra-lib-2020-07-02-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Während für normale Gerichtsverfahren faire Prozesse großteils garantiert sind, gelten für Vergehen im Sicherheitsbereich Sonderregelungen, nach denen Personen ohne Prozess für sechs Monate in Verwaltungshaft gehalten werden können, die verlängerbar ist. Nach dem Strafgesetzbuch können Verdächtige bei Sicherheitsdelikten unter gewissen Voraussetzungen bis zu 96 Stunden ohne Vorführung vor einen Richter festgehalten werden. Der Zugang zu einem Anwalt/Anwältin kann für bis zu 21 Tage verweigert werden (FH 4.3.2020). Die israelischen Behörden führten im Westjordanland Hunderte Razzien durch und nahmen PalästinenserInnen vor allem bei Nacht in ihren Häusern fest. Sie wurden in Gefängnissen in Israel inhaftiert, zusammen mit Tausenden weiterer PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten, die bereits in den vorangegangenen Jahren in Gewahrsam genommen worden waren. Dies stellt laut Amnesty International einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar, welches verbietet, Häftlinge in das Gebiet der Besatzungsmacht zu verlegen. Die israelischen Behörden nutzten Verwaltungshaftanordnungen, die beliebig oft verlängert werden konnten, um PalästinenserInnen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren weiterhin in Haft zu halten. Nach Angaben der israelischen Justizvollzugsbehörde saßen mit Stand 31. Dezember 2019 rund 4.544 PalästinenserInnen aus den besetzten Gebieten, darunter 464 Verwaltungshäftlinge, in israelischen Gefängnissen. Viele Familien von palästinensischen Häftlingen in Israel, vor allem jene aus dem Gazastreifen, bekamen keine Einreiseerlaubnis nach Israel, um ihre Verwandten zu besuchen. Palästinensische Zivilpersonen, unter ihnen auch Minderjährige, aus den besetzten Gebieten mussten sich vor Militärgerichten verantworten, welche die Anforderungen für faire Gerichtsverfahren nicht erfüllen (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Seit 2009 gibt es ein spezielles Militärgericht für Verfahren gegen Minderjährige: Die israelischen Behörden hielten mit Stand 31. Dezember 2019 rund 186 palästinensische Kinder und Jugendliche (im Alter von 12 bis 17 Jahren) aus den besetzen Gebieten in israelischer Militärhaft fest, vier von ihnen befanden sich in Verwaltungshaft. Gelegentlich wurden auch jüngere Kinder festgehalten, obwohl dies gegen israelisches Recht verstößt. Die Verurteilungen betrafen meist den Einsatz von Wurfgeschossen wie Steine gegen israelische Truppen in der Westbank. Freisprüche sind selten, und den Militärgerichten wurde ein Mangel an fairem Verfahrensschutz vorgeworfen. Die NGO Defence for Children International – Palestine berichtete, dass die Minderjährigen in Abwesenheit ihrer Eltern verhört wurden und zusammen mit Erwachsenen inhaftiert sind. Darüber hinaus wurde über unnötige Gewaltanwendung durch die israelischen Sicherheitskräfte bei der Verhaftung und physischer Missbrauch in der Haft gemeldet. Das Völkerrecht sieht eine Inhaftierung von Kindern nur als letztmögliches Mittel und für den kürzest möglichen Zeitraum vor (AI 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020; HRW 14.1.2020). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 20 von 57

Palästinensische Minderjährige aus Ostjerusalem fallen in die Zuständigkeit israelischer, ziviler Jugendgerichte (FH 4.3.2020). Quellen: - AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Nahen Osten und in Nordafrika: 2019; Israel und besetzte Palästinensische Gebiete, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026067.html, Zugriff 22.4.2020 - FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 – Israel, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2025929.html, Zugriff 22.4.2020 - HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022793.html, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026369.html, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Israel and the Golan Heights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430355.html , Zugriff 22.4.2020 5. Sicherheitsbehörden Die Israeli Security Agency (ISA) unter der Autorität des Premierministers ist für die Bekämpfung von Terrorismus und Spionage im Staat Israel und den besetzten Gebieten zuständig. Die Polizei, einschließlich der Grenzpolizei und der Einwanderungspolizei, unterstehen dem Ministerium für Innere Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Die Israeli Defense Force (IDF) [israelische Streitkräfte] sind für die äußere Sicherheit zuständig. Diese haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit und unterstehen dem Verteidigungsministerium. Bei Einsätzen in den besetzten Gebieten im Westjordanland und Ostjerusalem untersteht die ISA den Streitkräften (USDOS 11.3.2020). In Ermittlungen zu Vorfällen, in welchen die Polizei den Streitkräften unterstand, werden die Ermittlungen zwischen dem Justizministerium und der IDF aufgeteilt (USDOS 3.3.2017). Die zivilen Behörden üben die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die Regierung ergriff Maßnahmen, um Beamte unabhängig von ihrem Rang oder Dienstalter, die in Israel Missbräuche begangen haben, zu verfolgen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020). Das Department for Investigation of Police Officers (DIPO) ermittelt bei Beschwerden gegen die ISA, bei Polizei- und Grenzpolizeieinsätzen auf israelischem Gebiet, in Jerusalem sowie in den besetzten Gebieten, wenn in die Vorfälle kein Waffengebrauch involviert war. Im im April 2017 vom Rechnungshof veröffentlichten Bericht war das DIPO Kritik ausgesetzt, weil es Beschwerden nur nach den Kriterien einzelner strafrechtlicher oder disziplinarischer Verstöße und nicht nach den .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 21 von 57

Kriterien systematischer oder organisatorischer Probleme untersucht. Dem im Februar 2019 veröffentlichen Jahresbericht des DIPO zufolge wurden 2017 in 249 Fällen eine strafrechtliche Anklage erhoben. 85 Prozent der Anzeigen führten zu Verurteilung (USDOS 13.3.2019). Das Military Police Criminal Investigations Department im Verteidigungsministerium ist für Vorwürfe gegen die IDF sowie gegen Polizeieinheiten, die unter der IDF im Einsatz in den besetzten Gebieten waren, zuständig (USDOS 13.3.2019). Sowohl die israelischen Sicherheitskräfte als auch die Zivilbevölkerung sehen sich der ständigen Bedrohung durch Terroranschläge in kleinem Maßstab ausgesetzt, die meist Angriffe unter Einsatz von Messern oder Fahrzeugen erfolgen. Menschenrechtsgruppen warfen der Polizei vor, manchmal gegen Steinewerfer oder Täter von Messerstechereien und Fahrzeugangriffen tödliche Gewalt anzuwenden, auch wenn diese keine tödliche Bedrohung darstellten (FH 4.3.2020). Quellen: - FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 – Israel, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2025929.html, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026369.html, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Israel, Golan Heights, West Bank, and Gaza - Israel and the Golan Heights, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004252.html, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Israel and The Occupied Territories - Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394612.html, Zugriff 22.4.2020 6. Folter und unmenschliche Behandlung Das Gesetz verbietet Folter, die Anwendung von physischen oder psychischen Schmerzen sowie Übergriffe oder Druck durch MitarbeiterInnen des öffentlichen Dienstes. Obwohl Folter im Jahr 1999 vom Obersten Gerichtshof verboten wurde, können Vernehmer der Israelischen Sicherheitsagentur (ISA) von der Strafverfolgung ausgenommen werden, wenn sie in Ausnahmefällen, die eine unmittelbare Bedrohung darstellen, sogenannte außergewöhnliche Methoden anwenden, solange diese nicht auf Folter hinauslaufen. Menschenrechtsorganisationen zufolge unterzogen israelische SoldatInnen, PolizeibeamtInnen und Angehörige des israelischen Geheimdienstes (Israel Security Agency – ISA) weiterhin palästinensische Gefangene, darunter auch Minderjährige, der Folter oder anderweitigen Misshandlungen und gingen straffrei aus. Die berichteten Foltermethoden umfassten Schläge, Schlafentzug, Ohrfeigen, schmerzhafte Fesselungen, Verharren in schmerzhaften Positionen und Drohungen. Lange Phasen von Einzelhaft, manchmal über mehrere Monate hinweg, wurden üblicherweise als Strafmaßnahmen angewendet (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020; FH 4.2.2020). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 22 von 57

Die Regierung beschloss 2018, dass die Bestimmungen, Verfahren und Verhörmethoden des ISA aus Sicherheitsgründen vertraulich sind, es jedoch interner und externer staatlicher Aufsicht unterliegt. Das unabhängige Büro des Inspektors für Beschwerden gegen ISA-Verhörer im Justizministerium bearbeitete Beschwerden über Fehlverhalten und Missbrauch beim Verhören. Die Entscheidung, eine Untersuchung gegen einen ISA-Beamten einzuleiten, liegt im Ermessen des Generalstaatsanwalts. In von der Polizei untersuchten Kriminalfällen, bei denen es um Verbrechen mit einer Höchststrafe von 10 Jahren oder mehr geht, wird die Aufzeichnung von Verhören vorgeschrieben. Ein erweitertes zeitweiliges Gesetz befreit jedoch die ISA von der Verpflichtung zur Audio- und Videoaufzeichnung bei Verhören von Verdächtigen im Zusammenhang mit sogenannten Sicherheitsdelikten. In nicht sicherheitsrelevanten Fällen sind die ISA-Verhörräume mit Kameras mit geschlossenem Kreislauf ausgestattet, und nur vom Justizministerium ernannte Aufsichtsbeamte haben Zugang zu den audiovisuellen Echtzeit- Aufnahmen. Aufsichtspersonen sind verpflichtet, alle Unregelmäßigkeiten zu melden, die sie während der Verhören beobachten. Die NGO Public Committee Against Torture in Israel (PCATI) kritisierte diesen Mechanismus als unzureichend, um Folter zu verhindern und zu identifizieren, da es keine Aufnahme der Verhöre für eine spätere gerichtliche Überprüfung und Rechenschaftspflicht gibt. Laut PCATI gab die Regierung in einigen Fällen die Anwendung sogenannter außergewöhnlichen Methoden (wie Schläge, Androhung von Vergewaltigung physische Gewalt, Schlafentzug, Drohungen gegen die Familie des Gefangenen usw.) zu. Weiters wurde von PCATI festgestellt, dass das Prozedere der Regierung zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen von Gefangenen komplex und fragmentiert sei (USDOS 11.3.2020). Laut PCATI und Physicians for Human Rights Israel (PHRI) wurden Prellungen und Verletzungen von Ärzten und Sanitätern ignoriert, die aus den gewaltsamen Verhaftungen und Verhören resultierten. Als Reaktion auf eine der Empfehlungen des UN-Ausschusses gegen Folter, laut der unabhängige medizinische Untersuchungen für alle Gefangenen vorgesehen werden sollten, erklärte die Regierung, dass Anträge von Gefangenen auf unabhängige Untersuchungen auf Kosten des Insassen von einem medizinischen Team der Israeli Prison Service (IPS) geprüft werden können (USDOS 11.3.2020). Quellen: - AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Nahen Osten und in Nordafrika: 2019; Israel und besetzte Palästinensische Gebiete, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026067.html, Zugriff 22.4.2020 - FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 – Israel, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2025929.html, Zugriff 22.4.2020 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 57

- USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026369.html, Zugriff 22.4.2020 7. Korruption Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption von Beamten vor, und die Regierung hat dieses Gesetz generell wirksam umgesetzt. Es gab Berichte über Korruption in der Regierung, obwohl Straffreiheit kein Problem darstellte (USDOS 11.3.2020). Korruptionsermittlungen gegen hochrangige Persönlichkeiten sind in den letzten Jahren relativ häufig, die in mehreren Skandale und Kriminalfälle verwickelt waren. Betroffene sind z.B. Premierminister Benjamin Netanjahu, einige seiner engsten Mitarbeiter sowie seine Ehefrau. Netanjahu wurde im November 2019 formell in drei getrennten Fällen wegen Korruption angeklagt, aber er weigerte sich, seinen Rücktritt zu erklären und strebte weiterhin eine Wiederwahl an. Weiters bemühte er sich aktiv um die legislative Verabschiedung eines Immunitätsgesetzes, das ihn und andere Gesetzgeber während seiner Amtszeit vor Strafverfolgung schützen sollte, obwohl die Maßnahme im Laufe des Jahres 2019 nicht erlassen wurde (FH 4.3.2020; vgl. DZ 21.11.2019). 2017 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Bedingungen für Anklageempfehlungen durch die Polizei bei gewählten Amtspersonen und höheren Angestellten des öffentlichen Dienstes einschränkt, was den Vorwurf der Opposition nach sich zog, dass die politische Führung dadurch geschützt würde, auch wenn bereits laufende Ermittlungen nicht rückwirkend von dem Gesetz betroffen waren (FH 4.3.2020; vgl. FH 1.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). Israels Gesetze, die politische Praxis, Gruppen der Zivilgesellschaft und unabhängige Medien sorgen für ein substantielles Ausmaß an Transparenz in der Regierung. Die aktuellen Korruptionsfälle illustrieren anhaltende Schwächen, zeigen aber auch, dass das System schlussendlich Fehlverhalten offenlegt (FH 4.3.2020). Im Korruption Perceptions Index 2019 von Transparency International wird Israel mit 60 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) bewertet (TI 23.1.2020). Quellen: - DZ – Die Zeit (21.11.2019): Benjamin Netanjahu wegen Korruption angeklagt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-11/israel-benjamin-netanjahu-wird-wegen-korruption- angeklagt, Zugriff 22.4.2020 - FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 – Israel, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2025929.html, Zugriff 22.4.2020 - FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426305.html, Zugriff 22.4.2020 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 24 von 57

- TI – Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019; https://www.transparency.org/cpi2019, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026369.html, Zugriff 22.4.2020 8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten Eine Bandbreite von israelischer, palästinensischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen kann generell ohne Einschränkungen durch die Regierung aktiv sein, Recherchen durchführen und diese veröffentlichen. Regierungsvertreter haben ein Ohr für ihre Anliegen, und sie werden regelmäßig von Parlamentsabgeordneten zu Anhörungen über Gesetze in die Knesset eingeladen. Die Regierung bemühte sich nach eigenen Angaben konzentriert um die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Gesetzgebungsprozess, in die Entwicklung der öffentlichen Politik und in eine Reihe von verschiedenen Projekten innerhalb der Regierungsministerien. Die Regierung arbeitete jedoch nicht mit NGOs zusammen, die sie als „politisch verbunden“ („politically affiliated“) erachtete. Menschenrechtsorganisationen können direkt Eingaben beim Obersten Gerichtshof zu Regierungsmaßnahmen machen und Beschwerden zu individuellen Fällen vorbringen (USDOS 11.3.2020). Freedom House, Amnesty International und Human Rights Watch zufolge hat sich das Umfeld für NGOs jedoch verschlechtert (FH 4.3.2020; vgl. AI 31.7.2019; HRW 25.11.2019). In jüngster Zeit haben die israelischen Behörden versucht, die Arbeit von Menschenrechtsaktivisten zu beeinträchtigen, indem sie unter anderem einer Reihe anderer internationaler Rechtsverteidiger die Einreise verweigerten, israelische Rechtsverteidiger verleumdeten, ihnen belastende finanzielle Berichtsanforderungen auferlegten und Razzien in den Büros palästinensischer Rechtsverteidiger durchführten und diese verhafteten (HRW 25.11.2019). Außerdem erhielten Berichten zufolge NGOs wie Amnesty International Israel und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Aid Organization for Refugees and Asylum Seekers in Israel (ASSAF) oder das Elifelet Children’s Activity Center, die sich für die Rechte von Asylwerbern einsetzen, anonyme Morddrohungen (AI 31.7.2019). Die Behörden führten weiterhin belastende Prüfungen bei NGOs bzgl. deren Finanzierung durch ausländische Regierungen durch (FH 4.3.2020). Das israelische Parlament hat 2016 trotz aller Kritik ein Gesetz verabschiedet, das vor allem Nichtregierungsorganisationen (NGO) schärfere Auflagen erteilt. Demnach müssen alle Organisationen in Israel, die mehr als die Hälfte ihres Geldes von ausländischen Regierungen oder politischen Gruppen erhalten, dies in ihren Veröffentlichungen ausweisen. Vertreter dieser Gruppen müssen außerdem bei Besuchen im .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 25 von 57

Parlament spezielle Plaketten tragen. Verstöße sollen mit Geldbußen von umgerechnet 7.000 Euro geahndet werden. Befürworter wollen damit die „Durchsichtigkeit“ der Finanzierung von NGOs gewährleisten. Gegner sehen darin hingegen ein Instrument zur Schwächung regierungskritischer Linksgruppen, die sich der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern widersetzen. Rechtsgerichtete Gruppen in Israel, die beispielsweise die jüdischen Siedlungen im Westjordanland unterstützen, finanzieren sich vor allem über Privatspenden, die von dem Gesetz ausgenommen sind (FH 4.3.2020; vgl. DZ 12.7.2016; MW 1.9.2019). Im Februar 2019 veröffentlichte das Ministerium für strategische Angelegenheiten einen Bericht, in dem palästinensische MenschenrechtlerInnen und AktivistInnen der Kampagne Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) als "Terroristen in Anzügen" bezeichnet wurden. Unter ihnen befanden sich der Generaldirektor der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al- Haq, Shawan Jabarin, Raji Sourani, der Direktor des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte, und Salah Hamouri, ein französisch-palästinensischer Ermittler für Addameer. Am 19. September 2019 durchsuchten Angehörige der israelischen Streitkräfte das Büro von Addameer in Ramallah und beschlagnahmten mehrere technische Geräte (AI 18.2.2020). Ausländischen Mitgliedern bestimmter NGOs wird weiterhin die Einreise verweigert, wenn die Organisationen nach Regierungsansicht einen Boykott Israels, bestimmter israelischer Institutionen oder bestimmter Einrichtungen unter israelischer Kontrolle befürworten. Obwohl die Maßnahme von Organisationen der Zivilgesellschaft als Hindernis für die Aktivitäten vieler pro- palästinensischer und Menschenrechtsgruppen kritisiert wurde, kam 2019 das Gesetz wiederholt zur Anwendung, um gegen AktivistInnen und Organisationen vorzugehen, die sich kritisch zur Politik Israels geäußert hatten. Im November 2019 hielt beispielsweise das Oberste Israelische Gericht weiterhin an einem Ausweisungsbefehl gegen den Direktor von Human Rights Watch Israel und Palästina, fest, der sich auf dieses Gesetz stützte (AI 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020; HRW 25.11.2019; USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus hinderten die israelischen Behörden im Oktober 2019 eine Mitarbeiterin von Amnesty International aus Sicherheitsgründen, die nicht bekannt gegeben wurden, daran, aus dem besetzten Westjordanland auszureisen (HRW 25.11.2019). Quellen: - AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Nahen Osten und in Nordafrika: 2019; Israel und besetzte Palästinensische Gebiete, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026067.html, Zugriff 22.4.2020 - AI – Amnesty International (31.7.2019): Amnesty International Israel‘s office targeted with death threat, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/07/amnesty-international-israels-office- targeted-with-death-threats/, Zugriff 18.6.2020 - FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 – Israel, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2025929.html, Zugriff 22.4.2020 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 26 von 57

- DZ – Die Zeit (12.7.2016): Israel verschärft Auflagen für NGOs, https://www.zeit.de/politik/ausland/2016-07/knesset-israel-umstrittenes-ngo-gesetz, Zugriff 18.6.2020 - HRW – Human Rights Watch (25.11.2019): Israel Expels Human Rights Watch Director Today, https://www.hrw.org/news/2019/11/25/israel-expels-human-rights-watch-director-today, Zugriff 18.6.2020 - MW – Mena-Watch (1.9.2019): Israel und der eingebildete permanente „Rechtsruck“, https://www.mena-watch.com/israel-und-der-eingebildete-permanente-rechtsruck/, Zugriff 18.6.2020 - USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026369.html, Zugriff 22.4.2020 9. Wehrdienst und Rekrutierungen Bezüglich Wehrdienst gehen die Quellen auseinander. CIA zufolge ist der Militärdienst ab dem Alter von 18 Jahren für jüdische und druzische Männer und Frauen verpflichtend. Jedoch ist es ChristInnen, MuslimInnen und TscherkessInnen möglich, sich freiwillig ab dem Alter von 17 Jahren für den Militärdienst melden (CIA 7.2.2020). USDOS zufolge ist der Militärdienst für jüdische BürgerInnen, männliche druzische und männliche tscherkessische Bürger obligatorisch. Orthodoxe jüdische Frauen, arabische ChristInnen und MuslimInnen sind vom Militärdienst befreit. Ein freiwilliger Militärdienst ist für sie jedoch möglich (USDOS 21.6.2019). Wer nicht Wehrdienst geleistet hat, ist von verschiedenen sozialen/öffentlichen Leistungen wie etwa Stipendien und Wohnkredite ausgeschlossen (FH 4.3.2020). Die Dauer des Wehrdienstes zuletzt 32 Monate für Männer und 24 Monate für Frauen und variiert nach militärischer Funktion. Für Offiziere beträgt der Wehrdienst 48 Monate. Piloten verpflichten sich für 9 Jahre. Männer sind bis zum Alter von max. 51 Jahren in der Reserve, Frauen bis zum Alter von 24 Jahren (CIA 1.4.2020). Ab 1. Juli beträgt die Wehrdienstdauer für Männer 30 Monate, wobei sich dies aufgrund einer geplanten Gesetzesänderung wieder ändern kann. Derzeit arbeitet Verteidigungsminister Benny Gantz an einer Reform der Wehrpflicht, welche auf irgendeine verpflichtende Form von Dienst wie etwa beim „National Service“ [Anm.: dazu mehr in Abschnitt 9.1.], bei den Notfalldiensten oder der Polizei für alle israelische StaatsbürgerInnen abzielt (TJP 1.7.2020). Im September 2017 strich der Oberste Gerichtshof die Ausnahmeregelung beim Militärdienst für ultra-orthodoxe Männer und setzte der Knesset bereits mehrere Fristen, für den Erlass neuer Gesetze zur Reduzierung der ungleichen Wehrbelastung zwischen ultra-orthodoxen und anderen Juden (USDOS 21.7.2019). Die Kontroverse um die von säkularen Israelis zunehmend abgelehnte Ausnahmeregelung stand im Mittelpunkt des politischen Stillstands, der zu drei Wahlen innerhalb eines Jahres führte (F24 29.2.2020). Es fehlt jedoch nach wie vor das entsprechende Gesetz für .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 27 von 57

die Wehrpflicht von Ultra-Orthodoxen trotz des steigenden Drucks auf die Politik nach der Aufhebung der Ausnahmeregelung durch den Obersten Gerichtshof (F24 29.2.2020) Die Spannungen zwischen ultra-orthodoxen und anderen Israelis bezüglich Wehrdienst und anderen Fragen (Wohnbau, öffentliche Verkehrsmittel und Teilnahme am Arbeitsmarkt) halten an (USDOS 21.6.2019; vgl. HNA 25.9.2020). Quellen: - CIA – Central Intelligence Agency (1.4.2020): The World Factbook – Israel, https://www.cia.gov/ library/publications/the-world-factbook/geos/is.html, Zugriff 22.4.2020 - EN – Euronews (16.9.2019): Bibi und die Ultraorthodoxen: Darum geht es bei der Wahl in Israel, https://de.euronews.com/2019/09/16/worum-es-bei-den-wahlen-in-israel-geht, Zugriff 22.4.2020 - FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 – Israel, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2025929.html, Zugriff 22.4.2020 - F24 – France24.com (29.02.2020): Ultra-Orthodox army service looms over Israel vote, https:// www.france24.com/en/20200229-ultra-orthodox-army-service-looms-over-israel-vote, Zugriff 15.5.2020 - HNA – Hessische/Niedersächsiche Allgemeine (25.9.2019): Israel-Experte im Interview: „Viele haben Netanjahu satt“, https://www.hna.de/politik/israel-experte-im-interview-viele-haben- netanjahu-satt-13038527.html, Zugriff 22.4.2020 - TJP – The Jerusalem Post (1.7.2020): IDF: Mandatory service shortened from 32 months to 30, https://www.jpost.com/israel-news/idf-mandatory-service-shortened-from-32-months-to-30- 633397, Zugriff 1.7.2020 - USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Isreal, 21. Juni 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011170.html, Zugriff 22.4.2020 9.1. Wehrersatzdienst Zur Lage von Personen, die zum Wehrdienst verpflichtet wären, aber diese nicht leisten wollen, siehe Abschnitt 9.2. Wer vom verpflichtenden Wehrdienst ausgenommen ist, kann weiterhin eine zivile Alternative („National Service“) absolvieren. Der „National Service“ besteht aus Freiwilligen, welche für zwei Jahre soziale Arbeiten übernehmen, z.B. in Schulen, Spitälern und NGOs. Regierungsbeamten und NGOs zufolge war diese Alternative bei Frauen mit „national-religiösem“, jüdisch-orthodoxen Hintergrund beliebter als bei anderen Gruppen, die von der Wehrpflicht befreit sind (USDOS 21.6.2019). Quellen: - USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Isreal, 21. Juni 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011170.html, Zugriff 22.4.2020 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 28 von 57

9.2. Wehrdienstverweigerung / Desertion Das Einziehen zum Wehrdienst von Mitgliedern der Zeugen Jehovas wurde bei Vorlegen der fortgesetzten Zugehörigkeit zu der Gruppe weiterhin mit Zustimmung der Regierung „verschoben“, auch wenn ihr Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht anerkannt wurde. Da die Mitglieder nicht offiziell vom Wehrdienst ausgenommen sind, können sie nicht am National Service als Alternative teilnehmen (USDOS 21.6.2019). WehrdienstverweigerInnen aus Gewissensgründen wurden inhaftiert. Im Jahr 2019 waren es mindestens drei Personen. Im August 2019 wurde der Wehrdienstverweigerer Roman Levin nach 82 Tagen Einzelhaft aus dem Gefängnis entlassen. (AI 18.2.2020). Quellen: - AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Nahen Osten und in Nordafrika: 2019; Israel und besetzte Palästinensische Gebiete, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026067.html, Zugriff 22.4.2020 - USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Isreal, 21. Juni 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011170.html, Zugriff 22.4.2020 10. Allgemeine Menschenrechtslage Zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen zählen unter anderem die unrechtmäßigen oder willkürlichen Tötungen, einschließlich gezielter Tötungen israelischer Zivilisten und Soldaten; willkürliche Inhaftierungen und die wesentlichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Terroranschläge gegen Zivilisten sowie politisch und religiös motivierte Morde durch nicht- staatliche Gruppen und Einzeltäter, die oft exterritoriale Verwaltungshaft in Israel für PalästinenserInnen [siehe auch Abschnitte Justizsystem und Haftbedingungen], sowie Gesetze und offizielle Rhetorik, welche den Aktionsbereich für Menschenrechtsorganisationen negativ beeinflussen [siehe Abschnitt Menschenrechtsorganisationen]. Im Jahr 2019 starben bei Terroranschlägen in Jerusalem, Ashdod, Kibbutz Erez und Ashkelon neun Personen. Die meisten Angreifer waren Palästinenser aus der Westbank oder dem Gazastreifen (USDOS 11.3.2020). Auch wenn die Justiz beim Schutz von Minderheitenrechten aktiv ist, so diskriminieren die politische Führung und viele Teile der Gesellschaft arabische und andere Minderheiten, was in systematischen Disparitäten in den Bereichen politische Repräsentation, Strafjustiz, Bildung und wirtschaftliche Möglichkeiten resultiert (FH 4.3.2020). Problematisch war auch der Umgang mit Flüchtlingen. Irregulär ins Land eingereiste Personen, darunter auch Asylsuchende, können bis zu einem Jahr ohne Anklage inhaftiert werden (FH 4.3.2020). Darüber hinaus weigerten die Behörden Asylsuchenden den Zugang zu einem fairen und zügigen Verfahren, um ihren Flüchtlingsstatus feststellen zu lassen (AI 18.2.2020). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 29 von 57
