jord-lib-2024-29-01-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 3 von 40 Länderspezifische Anmerkungen Aufgrund der aktuellen Lage können Ereignisse wie ad hoc-Schließungen von Grenzüber- gängen oder Änderungen bei Aspekten der Sicherheitslage nicht ausgeschlossen werden. Hinweis: COVID-19: Informationen dazu sind im LIB enthalten, wo diese relevant sind. Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports. Für historische Daten bis zum 10.3.2023 s. die Datenbank der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd4029942 3467b48e9ecf6.

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 4 von 40 Inhaltsverzeichnis 1.Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen .................................................................... 4 2.Politische Lage............................................................................................................................. 5 3.Sicherheitslage ............................................................................................................................ 9 4.Rechtsschutz / Justizwesen ......................................................................................................... 9 5.Sicherheitsbehörden .................................................................................................................. 12 6.Folter und unmenschliche Behandlung ...................................................................................... 13 7.Korruption .................................................................................................................................. 14 8.NGOs und Menschenrechtsaktivisten ........................................................................................ 15 9.Wehrdienst und Rekrutierungen ................................................................................................. 16 10.Allgemeine Menschenrechtslage .............................................................................................. 17 11.Meinungs- und Pressefreiheit ................................................................................................... 18 12.Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition .............................................................. 20 13.Haftbedingungen ...................................................................................................................... 21 14.Todesstrafe .............................................................................................................................. 22 15.Religionsfreiheit ....................................................................................................................... 23 16.Minderheiten ............................................................................................................................ 24 17.Relevante Bevölkerungsgruppen ............................................................................................. 25 17.1 Palästinenser ..................................................................................................................... 25 17.1.Frauen ............................................................................................................................... 27 17.2.Kinder ................................................................................................................................ 29 17.3.Sexuelle Minderheiten ....................................................................................................... 31 18.Bewegungsfreiheit ................................................................................................................... 32 19.IDPs und Flüchtlinge ................................................................................................................ 33 20.Grundversorgung und Wirtschaft.............................................................................................. 36 21.Medizinische Versorgung ......................................................................................................... 38 22.Rückkehr .................................................................................................................................. 40 1.

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 5 von 40 2. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden. 3. Politische Lage Jordanien ist eine konstitutionelle Monarchie (AA 3.2.2022a) und als Zentralstaat mit zwölf Gouvernements organisiert (AA 3.2.2022b). Staatsoberhaupt ist König Abdullah II (USDOS 20.3.2023). König Abdullah II regiert das Land seit 1999, als er seinem Vater, König Hussein, der Jordanien 47 Jahre lang regiert hatte, auf den Thron folgte. Designierter Thronprinz ist sein 1994 geborener Sohn Hussein bin Abdullah. Die königliche Familie der Haschemiten beruft sich auf ihre Abstammung vom Propheten Mohammed. König Abdullah genießt zudem als Hüter der heiligen islamischen Stätten in Jerusalem besondere Legitimität in der jordanischen Bevölkerung (CRS 23.6.2023). Der Islam ist Staatsreligion (FH 2023). Die Staats- und Amtssprache ist Arabisch (BMEIA 16.1.2024). Formal sind Exekutive, Legislative und Judikative unabhängig. Faktisch ist die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt, weil der König über weitreichende Kompetenzen verfügt (AA 3.2.2022b). Die jordanische Verfassung verleiht dem König weitreichende Exekutivbefugnisse: Er ernennt den Premierminister und kann ihn entlassen. Er hat auch die alleinige Befugnis, den Kronprinzen, hochrangige Militärs, Richter des Verfassungsgerichts und alle Mitglieder des Senats sowie die Minister des Kabinetts zu ernennen. Die Verfassung ermöglicht es dem König, beide Kammern des Parlaments aufzulösen und die Wahlen zum Unterhaus um zwei Jahre zu verschieben. Damit Gesetze auch in Kraft treten können, müssen diese vorher vom König gebilligt werden. Zudem kann er das Parlament durch einen Verfassungsmechanismus umgehen, der es dem Kabinett erlaubt, vorläufige Gesetze zu erlassen, wenn das Parlament nicht tagt oder aufgelöst wurde (CRS 23.6.2023). Die jüngsten jordanischen Verfassungsänderungen im Jahr 2022 konzentrieren die Macht des Königs noch stärker in der Exekutive. Die umstrittenste der vom Parlament verabschiedeten umfangreichen Änderungen ist diejenige, die es dem König erlaubt, wichtige Ernennungen per königlichem Dekret vorzunehmen, ohne den Ministerrat zu konsultieren. Der jordanische Monarch kann nun den Obersten Richter, den Vorsitzenden des Scharia-Rates, den Großmufti, den Vorsitzenden des Königlichen Gerichtshofs, den Minister des Gerichtshofs und die Berater des Königs ernennen und entlassen (Carnegie 1.3.2022; vgl. FH 2023). Obwohl der König in der Praxis immer das letzte Wort bei all diesen Entscheidungen hatte, sehen Oppositionsgruppen diese neuen Änderungen als einen Versuch, verfassungswidrige Verstöße zu legalisieren. Sie befürchten, dass die „parlamentarische Monarchie“, die in der Verfassung von 1952 verankert ist, ausgehebelt wird (Carnegie 1.3.2022). Das jordanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem vom Volk gewählten Repräsentantenhaus (Majlis al-Nuwwab) und einem vom König ernannten Senat (Majlis al-Ayan)

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 6 von 40 (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Wahlen sind ein Merkmal des jordanischen politischen Systems. Die Mitglieder der Gemeinderäte, der Gouverneursräte sowie des Repräsentantenhauses werden in freien Wahlen bestimmt (BS 23.2.2022). Die Wahlen werden von der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) geleitet, die von internationalen Beobachtern in Bezug auf die technische Durchführung im Allgemeinen positiv bewertet wird, obwohl immer wieder von Unregelmäßigkeiten berichtet wird. Die Mitglieder der IEC werden per königlichem Dekret ernannt (FH 2023). Die Mitglieder des Repräsentantenhauses werden in 23 Wahlbezirken mit mehreren Mitgliedern gewählt, wobei 15 Sitze für weibliche Spitzenkandidaten reserviert sind, die in den Bezirken keinen Sitz erringen konnten. Zwölf Bezirkssitze sind für religiöse und ethnische Minderheiten reserviert (FH 2023). Bürger palästinensischer Herkunft machen die Mehrheit der Gesamtbevölkerung aus, sind aber politisch unterrepräsentiert (FH 2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Die Wahlbezirke sind so gestaltet, dass ländliche Gebiete gegenüber städtischen Gebieten bevorzugt werden, wodurch die Vertretung von Gebieten, die stark von Jordaniern palästinensischer Herkunft bewohnt werden, die einen großen Teil der 10,5 Millionen Einwohner des Landes ausmachen, beeinträchtigt wird. Die städtischen Gebiete sind auch Hochburgen der Muslimbruderschaft, die den Großteil ihrer Unterstützung aus der palästinensischen Bevölkerung bezieht (KAS 2.2021). Darüber hinaus begünstigt das Wahlsystem Unabhängige mit Verbindungen zu Stämmen gegenüber politischen Parteien mit spezifischen Ideologien und Programmen, was auch für die auf Klientelismus basierende politische Kultur gilt (FH 2023). Die letzte Wahl, die inmitten der COVID-19-Pandemie am 10. November 2020 stattfand, hatte mit 29,88 % der Wahlberechtigten die niedrigste offizielle Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten. Obwohl es Vorwürfe über unseriöses Verhalten gab, wird der Ablauf des Wahltages insgesamt als Erfolg gewertet. Die Beibehaltung des vorgesehenen Wahlzyklus war zwar ein positives Zeichen für die Demokratie, doch die dahinterstehenden Abläufe unterstrichen das anhaltende Fehlen von politischem Wettbewerb. Die niedrige Wahlbeteiligung ist zum einen auf die Besorgnis der Gesellschaft über das Coronavirus zurückzuführen, aber auch auf das mangelnde Vertrauen in das etablierte Wahlverfahren, ein Parlament hervorzubringen, das im Gegensatz zu persönlichen und familiären Interessen ein breites bürgerliches Spektrum vertritt (BS 23.2.2022). Parteiunabhängige Abgeordnete, von denen viele Stammesangehörige und Geschäftsleute sind, die als loyal gegenüber der Monarchie gelten, gewannen die meisten Sitze. Das politische System - einschließlich der Überrepräsentation ländlicher Wähler - schränkt die Möglichkeiten einer parteibasierten Opposition, signifikante Gewinne zu erzielen ein. Die Islamische Aktionsfront (IAF) und ihr Verbündeter, die Islah-Allianz, errangen bei den Wahlen im November 2020 zusammen 8,7 % der Sitze im Repräsentantenhaus (FH 2023). In den Wahlen wurden kein Premierminister und keine Regierung gewählt. Stattdessen ernannte der König Bisher al-Khasawneh zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Zusammenstellung

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 7 von 40 eines Kabinetts (BS 23.2.2022). Die verfassungsrechtliche Autorität der Monarchie führt dazu, dass keine Oppositionskraft die Kontrolle über die Exekutive allein mit demokratischen Mitteln gewinnen kann. Zuvor beobachteter Stimmenkauf wurde bei der Wahl im November 2020 noch häufiger, was teilweise auf die durch die Pandemie verursachte schlechte wirtschaftliche Lage zurückzuführen ist (FH 2023). Frauen haben gleiche politische Rechte, und weibliche Kandidaten haben in der Vergangenheit Sitze außerhalb der gesetzlichen Quoten für das Parlament und die subnationalen Räte gewonnen, aber kulturelle Vorurteile sind in der Praxis weiterhin ein Hindernis für die volle Beteiligung von Frauen. Bei den Wahlen im November 2020 gewann keine Frau einen zusätzlichen Sitz im Parlament, der über die Quote von 15 Sitzen hinausgeht. In Lokalwahlen konnten Frauen rund 27 % aller Sitze in unterschiedlichen Räten für sich beanspruchen (FH 2023). Die jordanische Regierung hat die Bemühungen um eine dauerhafte Beendigung des israelisch- palästinensischen Konflikts seit langem als eine ihrer höchsten Prioritäten bezeichnet. Im Jahr 1994 unterzeichneten Jordanien und Israel einen Friedensvertrag. 30 Jahre nach der Unterzeichnung des jordanisch-israelischen Friedensvertrags stellt der anhaltende israelisch-palästinensische Konflikt nach wie vor eine große Herausforderung für Jordanien dar. Die Frage der Rechte der Palästinenser hallt in weiten Teilen der Bevölkerung nach und der Konflikt hat die Bemühungen um eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Jordaniern und Israelis beeinträchtigt (CRS 23.6.2023). Besonders deutlich wurde dies nach dem brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden militärischen Reaktion Israels im Gazastreifen. Da ein erheblicher Teil der jordanischen Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist, ist die politische Atmosphäre besonders angespannt. Seit Beginn des Krieges kommt es regelmäßig - vor allem nach den Freitagsgebeten - zu teilweise emotional aufgeheizten Demonstrationen. Unter anderem wird von Zwischenfällen wie brennenden Autoreifen, Vandalismus, Sachbeschädigungen und Zusammenstößen mit Sicherheitskräften berichtet. Trotz alldem entspricht die offizielle Haltung Jordaniens der Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Nebst einem totalen Zusammenbruch der Kommunikation zwischen Jordanien und Israel, haben der jordanische König sowie führende Politiker die israelische Militäraktion im Gazastreifen wiederholt verurteilt. Man befürchtet u.a. ein Erstarken der Hamas im eigenen Land und den möglichen Zustrom palästinensischer Flüchtlinge aus dem Gazastreifen (Washington Institute 22.12.2023). Daher fordert Jordanien regelmäßig ein Kriegsende und eine ernsthafte Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung (Washington Institute 22.12.23; vgl. Al-Jazeera 6.1.2024). Auf internationaler Ebene ist Jordanien nach wie vor eines der wichtigsten Gastländer für Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien und (in geringerem Maße) dem Jemen. Sowohl in politischer und wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht stellen die Flüchtlinge aus den benachbarten

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 8 von 40 Konfliktländern, die Jordanien aufnimmt, eine große Belastung für die jordanische Bevölkerung dar (BS 23.2.2022; vgl. CRS 23.6.2023). Die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga Mitte Mai ging Hand in Hand mit einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Syrien und Jordanien. Im vergangenen Sommer besuchte der jordanische Außenminister den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Jordanien erhofft sich dadurch unter anderem eine freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu ermöglichen und den illegalen Drogenhandel an der syrisch-jordanischen Grenze in Zusammenarbeit mit den syrischen Behörden bekämpfen (Arab News 22.10.2023). Die Jordanier kämpfen an der syrisch-jordanischen Grenze gegen den Schmuggel mit der Droge Captagon, die den Nahen Osten geradezu überschwemmt. Damit finanziert sich das Assad-Regime. Die Hoffnung der Araber auf Verbesserung durch die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga hat sich nicht erfüllt (Der Standard 25.1.2024). Quellen: - AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.2.2022a): Jordanien: Steckbrief, https://www.auswaertiges- amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/steckbrief/218006, Zugriff 16.1.2024 - AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.2.2022b): Jordanien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/politisches- portrait/218042, Zugriff 16.1.2024 - Al-Jazeera (6.1.2024): Jordan’s King Abdullah II presses Blinken to push for a ceasefire in Gaza, https://www.aljazeera.com/news/2024/1/7/jordans-king-abdullah-ii-presses-blinken-to-push-for-a- ceasefire-in-gaza, Zugriff 6.1.2024 - Arab News (22.10.2023): How Jordan and Syria can cooperate to improve relations, https://www.arabnews.com/node/2395876, Zugriff 26.1.2024 - BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (16.1.2024): Jordanien, Stand 16.01.2024 (Unverändert gültig seit: 19.10.2023), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/jordanien/, Zugriff 16.1.2024 - BS – Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4, Zugriff 16.1.2024 - Carnegie – Carnegie Endowment for International Peace (1.3.2022): Constitutional Amendments in Jordan, https://carnegieendowment.org/sada/86538, Zugriff 8.7.2022 - CRS – Congressional Research Service (23.6.2023): Jordan: Background and U.S. Relations, https://sgp.fas.org/crs/mideast/RL33546.pdf, Zugriff 16.1.2024 - Der Standard (21.1.2024): Brisante Konflikte im Schatten des Gaza-Kriegs, https://www.derstandard.at/story/3000000204029/brisante-konflikte-im-schatten-des-gaza-kriegs, Zugriff 24.1.2024 - FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Jordan, https://www.ecoi.net/en/document/2094369.html, Zugriff 25.1.2024 - FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html, Zugriff 16.1.2024 - KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung (2.2021): Jordan’s 2020 Parliamentary Election: Settling for the Status Quo, https://www.kas.de/documents/279984/280033/Elections+Article.pdf/4504ba80-43e8- 1e18-c5ef-0fd525b30e01?version=1.2&t=1614079882642, Zugriff 14.7.2022 - USDOS – United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089239.html, Zugriff 16.1.2024 - Washington Institute – Fikra Forum (22.12.2023): What Does the War in Gaza Mean for Jordan's National Security?, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/what-does-war-gaza- mean-jordans-national-security, Zugriff 16.1.2024

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 9 von 40 4. Sicherheitslage Laut den Sicherheits- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland besteht insbesondere aufgrund der Lage in Syrien, Irak und Israel landesweit die Gefahr von Terroranschlägen in Jordanien und eine Sicherheitsgefährdung auch an Orten, die von Ausländern besucht werden. Die jordanischen Behörden haben daher ihre Sicherheitsvorkehrungen an diesen Orten entsprechend erhöht. An den Grenzen zu Syrien und dem Irak kommt es wiederholt zu Zwischenfällen und vereinzelten Auseinandersetzungen. Das syrisch-jordanische und das irakisch-jordanische Grenzgebiet sind militärisches Sperrgebiet (AA 22.1.2024). Seit einigen Jahren kommt es im jordanisch-syrischen Grenzgebiet auch zu verstärkten Einsätzen der jordanischen Armee gegen Drogenschmugglerbanden und allen voran dem Schmuggel von Captagon. Beispielsweise kam es am 18. Dezember 2023 zu starken Gefechten zwischen dem jordanischen Militär und bewaffneten syrischen Drogenhändlern. Dabei bombardierte die jordanische Luftwaffe auch Drogenbanden im syrischen Grenzgebiet und tötete dabei mehrere Rauschgifthändler (The New Arab 17.1.2024). Es kommt sowohl in der Hauptstadt Amman als auch in anderen Städten und Ortschaften des Landes vor allem an den Wochenenden nach dem Freitagsgebet des Öfteren zu Demonstrationen und Protestaktionen, in denen verschiedene Bevölkerungsgruppen ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen artikulieren. In der Folge kann es zu Verkehrsbeeinträchtigungen und auch vereinzelten gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen (AA 22.1.2024). Im Kontext des Gazakrieges ist zudem in Jordanien regelmäßig mit Demonstrationen oder Straßensperren – vor allem in den Grenzgebieten zu Israel - zu rechnen (BMEIA 22.1.2024). Quellen: - AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2024): Jordanien - Reise- und Sicherheitshinweise, Stand - 22.01.2024 (Unverändert gültig seit: 23.10.2023), https://www.auswaertiges- amt.de/de/service/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008,Zugriff 22.1.2024 - BMEIA – Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (22.1.2024): Jordanien, Stand 22.01.2024 (Unverändert gültig seit: 19.10.2023) – Sicherheit und Kriminialität, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/jordanien, Zugriff 22.1.2024 - The New Arab (17.1.2024) - Syria Insight: Captagon drug trade sees tense stand-off with Jordan, https://www.newarab.com/analysis/syria-insight-captagon-drug-trade-sees-jordan-stand, Zugriff 22.1.2024 5. Rechtsschutz / Justizwesen Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, was laut US-amerikanischem Außenministerium im Allgemeinen auch respektiert wird (USDOS 20.3.2023). Laut der NGO Freedom House ist die Unabhängigkeit der Justiz allerdings auch eingeschränkt. Der König ernennt einseitig das gesamte

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 10 von 40 Verfassungsgericht und den Vorsitzenden des Justizrates, der die Richter für das Zivilgerichtssystem benennt und sich überwiegend aus hochrangigen Mitgliedern der Justiz zusammensetzt. Die Richter, sowohl des Zivilgerichts als auch des Scharia-Gerichts (islamisches Recht), die sich mit Personenstandsangelegenheiten von Muslimen befassen, werden formell per königlichem Erlass ernannt. Das Justizministerium ist befugt, die Richter zu überwachen, sie zu befördern und ihre Gehälter festzulegen, was die Autonomie der Richterschaft schwächt (FH 28.2.2022). Dem Justizsystem mangelt es an Unabhängigkeit, was dazu führt, dass ein ordnungsgemäßes Verfahren häufig nicht gewährleistet werden kann (FH 2023) Dennoch gibt es Fälle richterlicher Unabhängigkeit, in denen sich Bürger erfolgreich gegen staatliche Akteure durchsetzen können (FH 28.2.2022). Das jordanische Justizsystem unterscheidet zwischen Zivil-, Religions- und Sondergerichten. Die Zivilgerichte entscheiden grundsätzlich über alle Zivil- und Strafsachen entsprechend der gesetzlichen Vorgaben. Zu den zivilen Gerichten gehören u.a. Amtsgerichte, Gerichte erster Instanz, Berufungsgerichte, ein Gericht für bestimmte Schwerverbrechen (Major Felonies Court) und der Kassationsgerichtshof (Oberster Gerichtshof) (USDOS o.D.). (Anm.: Zu den religiösen Gerichten siehe weiter unten.) Das formelle Rechtssystem beseitigt nicht das Stammeskonzept der Familien: Die Zivilgesellschaft in Jordanien hat ihre Wurzeln im Stammessystem, das tief in der Gesellschaft verankert ist, und neben dem formellen Rechtssystem funktioniert. Die Stämme in Jordanien spielen eine politische Rolle, bieten ein alternatives Rechtssystem und erbringen Dienstleistungen für die Gemeinschaften. (ICNL 12.1.2024). Stammestribunale und Stammesrechtsbräuche (z.B. „Jalwa“, die Verbannung von Großfamilien als kollektive Bestrafung für die verurteilten Verbrechen eines Familienmitglieds) können in die reguläre Gerichtsbarkeit einfließen (BS 23.2.2022). Zu den religiösen Gerichten gehören die Scharia-Gerichte (islamisches Recht) und die Gerichte anderer Religionsgemeinschaften, insbesondere der christlichen Minderheit. Das Personenstandsrecht, das die Religionszugehörigkeit, die Eheschließung, die Ehescheidung, das Sorgerecht für die Kinder und das Erbrecht umfasst, fällt nach der Verfassung in die Zuständigkeit der religiösen Gerichte. Das anzuwendende Personenstandsrecht richtet sich somit nach der Religionszugehörigkeit. Für Muslime sind ausschließlich die Scharia-Gerichte zuständig. Für Fragen des Personenstandsrechts christlicher Minderheiten sind je nach Konfession (Orthodoxe, Katholiken, Melkiten usw.) die jeweiligen Kirchengerichte zuständig. Fälle, in denen eine Partei Muslim und die andere Nicht-Muslim ist, werden vor einem Zivilgericht verhandelt, es sei denn, beide Parteien stimmen der Anrufung eines Scharia-Gerichts zu (USDOS 15.5.2023). Obwohl das Kriegsrecht 1991 aufgehoben wurde, werden bestimmte Straftaten, die die Staatssicherheit berühren, immer noch vor den vom jordanischen Militär verwalteten Staatssicherheitsgerichten (SSC) verhandelt. Zu diesen Straftaten gehören Spionage, Bestechung

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 11 von 40 von Amtsträgern, Drogen- und Waffenhandel, Schwarzhandel und "Sicherheitsdelikte". Die Fälle werden in der Regel von Militärrichtern verhandelt (USDOS o.D.). Gegen Urteile des SSC kann beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt werden (USDOS 20.3.2023). Per Gesetz sind alle Zivilgerichtsverhandlungen und Verhandlungen mit Bezug zur Staatssicherheit öffentlich, es sei denn das Gericht beschließt, dass es für den Schutz der Allgemeinheit notwendig ist, die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Es gilt die Unschuldsvermutung (USDOS 20.3.2023). Die Polizei kann Verdächtige bis zu sechs Monate festhalten, ohne formelle Anklage zu erheben, und die Gouverneure sind befugt, Verwaltungshaft bis zu einem Jahr zu verhängen. In der Praxis ignorieren die Behörden oft die verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen gegen willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und halten Personen ohne Kontakt zur Außenwelt oder über die gesetzlichen Fristen hinaus fest. Angeklagte haben in der Regel vor Prozessbeginn keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, was ihre Möglichkeiten zur Verteidigung beeinträchtigt. Trotz eines verfassungsrechtlichen Verbots akzeptieren Gerichte angeblich unter Folter erzwungene Geständnisse (FH 2023). Angeklagte haben das Recht auf einen Rechtsbeistand, der – im Fall von Anklagen für Verbrechen, die mit der Todesstrafe bzw. lebenslänglicher Haft bestraft werden – bedürftigen Personen auf Staatskosten zur Verfügung gestellt wird. Jedoch haben in der Praxis viele Angeklagte in strafrechtlichen Fällen keinen zeitgerechten Rechtsbeistand (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Die Behörden missachten das Recht der Angeklagten auf frühzeitige und detaillierte Information über ihre Anklagepunkte, auch wird ihnen oft keine angemessene Zeit zur Vorbereitung des Gerichtsprozesses zur Verfügung gestellt. Trotz bestehender Bemühungen die Situation zu verbessern, erhalten ausländische Einwohner, insbesondere nicht-arabischsprachige Gastarbeiter, zum Teil keinen Dolmetscher oder Rechtsbeistand. Wie gesetzlich vorgesehen, hat das Justizministerium in Zusammenarbeit mit der jordanischen Anwaltskammer und einer Menschenrechts-NGO eine eigene Stelle für die Rechtsberatung von Zeugen und Angeklagten eingerichtet (USDOS 20.3.2023). Quellen: - BS – Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI Transformation Index. Jordan Country Report 2022, https://bti-project.org/en/reports/country-report/JOR#pos4, Zugriff 23.1.2024 - FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2094369.html, Zugriff 23.1.2024 - FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071876.html, Zugriff 16.1.2024 - HRW – Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068595.html, Zugriff 23.1.2024 - ICNL – International Center for Not-for-Profit Law (12.1.2024): Civic Freedom Monitor – Jordan, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/jordan, Zugriff 23.1.2024 - United States Embassy in Jordan [USA] (o.D.): Jordanian Legal System, https://jo.usembassy.gov/u-s-citizen-services/local-resources-of-u-s-citizens/attorneys/jordanian- legal-system/, Zugriff 1.2.2024

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 12 von 40 - USDOS – United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071204.html, Zugriff 1.2.2024 - USDOS – United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089239.html, Zugriff 25.1.2024 6. Sicherheitsbehörden Der König ernennt eigenmächtig die Leitung der Streitkräfte, des Geheimdienstes und der Gendarmerie (FH 2023). Das Direktorat für öffentliche Sicherheit (PSD, Public Security Directorate) ist für die Strafverfolgung zuständig und untersteht dem Innenministerium. Das PSD und das GID (General Intelligence Directorate, Anm.: der Geheimdienst, arabisch "Mukhabaraat") teilen sich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Das GID berichtet in der Praxis direkt dem König (USDOS 20.3.2023). Die Streitkräfte unterstehen verwaltungstechnisch dem Verteidigungsminister und haben eine unterstützende Funktion für die innere Sicherheit. Es gibt kein separates Verteidigungsministerium; der Premierminister fungiert auch als Verteidigungsminister (USDOS 20.3.2023). Die zivilen Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab glaubwürdige Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte einige Übergriffe begangen haben (USDOS 20.3.2023). Polizeibeamte müssen sich vor Polizeigerichten verantworten, wenn sie entweder strafrechtlich oder verwaltungsrechtlich bestraft werden sollen. Das National Center for Human Rights (NCHR) und mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) forderten wiederholt, dass Polizeibeamte, die grober Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, vor unabhängigen Zivilgerichten und nicht vor Polizeigerichten verurteilt werden sollten, weil diese dem Innenministerium unterstehen, und nach Ansicht der NGOs als weniger unabhängig gelten. Die NGOs beklagten sich häufig darüber, dass sie keinen Zugang zu Informationen über die Ergebnisse der Verfahren erhalten haben (USDOS 20.3.2023). Es gibt keine Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen durch Behörden oder ihre Vertreter. Darüber hinaus gab es im beobachteten Zeitraum einen Todesfall in Gewahrsam, bei dem glaubhaft behauptet wurde, er sei durch Folter verursacht worden (Anm.: siehe Kapitel „Folter und unmenschliche Behandlung“). Es gab Entwicklungen in Bezug auf Todesfälle in Gewahrsam aus den Vorjahren. Beispielsweise äußerte eine NGO ihre Besorgnis darüber, dass nach dem Tod einer namentlich nicht genannten Person in einem Krankenhaus in Irbid, nicht genügend Informationen öffentlich zugänglich seien, um eine willkürliche oder unrechtmäßige Tötung durch Sicherheitskräfte auszuschließen (USDOS 20.3.2023). Quellen:
