kirg-lib-2025-01-23-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Das gegenständliche Produkt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt. Ein Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation ist ein COI-Dokument, das beruhend auf den Bedürfnissen in Verfahren des Asyl- und Fremdenwesens (RD, EASt, ASt, BVwG) mittels Recherche von vorhandenen, vertrauenswürdigen und vorrangig öffentlichen Informationen gemäß den Standards der Staatendokumentation erstellt wird. Ein LIB gibt eine einzelfallunabhängige Darstellung über die Lage betreffend relevanter Tatsachen in Herkunftsländern bzw. in EU-Mitgliedsstaaten. Das LIB beinhaltet Arbeitsübersetzungen fremdsprachiger Quellen. Die LIB dienen den Bedarfsträgern der Instanzen des Asyl- und Fremdenwesens. Für sie gilt § 5 Abs. 5 letzter Satz BFA-G, d.h. sie sind als solche nicht Teil der allgemein zugänglichen, öffentlichen Staatendokumentation. Sie werden aber durch Verwendung im Verfahren (Parteiengehör, Verwendung im Bescheid) der jeweiligen Partei zugänglich und durch Verwendung im Bescheid öffentlich gemacht. Das gegenständliche Produkt erhebt bezüglich der zur Verfügung gestellten Informationen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aus dem vorliegenden Produkt ergeben sich keine Schlussfolgerungen für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Verfahrens. Das LIB stellt keine allgemeine oder individuelle Entscheidungsvorgabe dar. Das vorliegende Dokument kann insbesondere auch nicht als politische Stellungnahme seitens der Staatendokumentation oder des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gewertet werden. Aktualisierungshinweis Dieses LIB wird mittels Einbezug relevanter Kurzinformationen der Staatendokumentation auf aktuellem Stand gehalten. Eine Gesamtaktualisierung des LIB erfolgt entweder in vorgegebenen Intervallen (TOP-Herkunftsstaaten) oder bei gegebenem Bedarf (andere Herkunftsstaaten). Die Aktualität der verwendeten Quellen wird seitens der Staatendokumentation überprüft. Daher können auch im LIB verwendete Quellen älteren Datums als inhaltlich aktuell erachtet werden. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 2 von 43

Länderspezifische Anmerkungen Die Währungsumrechnung erfolgte mit folgendem Kurs: 1 KGS [SOM] = 0,0110512 EUR (Stand 21.1.2025; https://www.xe.com) .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 3 von 43

Inhaltsverzeichnis 1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen..................................................................5 2. Politische Lage............................................................................................................................5 3. Sicherheitslage........................................................................................................................... 8 4. Rechtsschutz / Justizwesen......................................................................................................10 5. Sicherheitsbehörden.................................................................................................................13 6. Korruption................................................................................................................................. 14 7. Ombudsperson.........................................................................................................................15 8. Wehrdienst, Wehrersatzdienst und Wehrdienstverweigerung / Desertion................................16 9. Allgemeine Menschenrechtslage..............................................................................................17 10. Meinungs- und Pressefreiheit................................................................................................... 19 11. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition..............................................................21 12. Todesstrafe............................................................................................................................... 25 13. Religionsfreiheit........................................................................................................................25 14. Ethnische Minderheiten............................................................................................................27 14.1. Usbeken.........................................................................................................................27 14.2. Uiguren...........................................................................................................................29 15. Relevante Bevölkerungsgruppen..............................................................................................30 15.1. Frauen............................................................................................................................ 30 15.2. Kinder............................................................................................................................. 33 15.3. sexuelle Minderheiten.................................................................................................... 34 16. Bewegungsfreiheit....................................................................................................................36 17. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge..................................................................................37 18. Wirtschaft/ Grundversorgung....................................................................................................38 19. Medizinische Versorgung..........................................................................................................41 20. Rückkehr................................................................................................................................... 43 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 4 von 43

1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden. 2. Politische Lage Die Kirgisische Republik ist ein Einheitsstaat (Verf. KIRG 5.5.2021) mit einem präsidentiellen Regierungssystem. Aktueller Präsident ist Sadir Dschaparow (AA 30.10.2024a). Als zweiter wichtiger und sehr einflussreicher Mann im Staat gilt Kamtschibek Taschijew, enger Vertrauter von Dschaparow, Vorsitzender des Komitees für Staatssicherheit (GKNB) und stellvertretender Vorsitzender des Kabinetts, verantwortlich für die Aufsicht über den Sicherheitsapparat (BS 19.3.2024). Kirgisistan, einst als „Insel der Demokratie“ Zentralasiens bezeichnet, schwenkte 2021 und 2022 in Richtung autoritäres Präsidialsystem ab und wird seitdem als autoritär und nicht frei eingestuft (BS 19.3.2024; vgl. UNIG-VDI 3.2024, FH 29.2.2024, EIU 2024). Auch 2024 gingen die Behörden weiterhin gegen unabhängige Journalisten und Regierungskritiker vor, indem sie sie aus politischen Gründen inhaftierten und strafrechtlich verfolgten. Im April 2024 trat ein Gesetz über „ausländische Vertreter“ in Kraft, das von NGOs, die aus dem Ausland finanziert werden, eine Registrierung unter strenger staatlicher Aufsicht verlangt (HRW 16.1.2025). Die zwei wichtigsten außenpolitischen Angelegenheiten betreffen die Grenzkonflikte mit Usbekistan und Tadschikistan. Am 27. Jänner 2023 verkündeten die Präsidenten von Kirgisistan und Usbekistan den offiziellen Abschluss des Prozesses der Neuordnung der Grenzziehung (Eurasianet 27.1.2023). Im Falle von Kirgisistan und Tadschikistan gibt es zwar noch keine vertragliche Regelung, allerdings soll es laut jüngsten Meldungen auch hier bereits Fortschritte im laufenden Verhandlungsprozess zur Regelung des Grenzverlaufes geben (DIP 4.12.2024). Mit der im Mai 2021 ratifizierten Verfassung wurde in Kirgisistan erneut ein Präsidialsystem eingeführt, nachdem das Land seit 2010 über ein mehrheitlich parlamentarisch-präsidentielles System verfügt hatte. In der aktuellen sehr zentralisierten präsidentiellen Regierungsform ist der Präsident die höchste nationale Autorität (BS 19.3.2024; vgl. FH 29.2.2024, LWL 2024) und kann in einer Direktwahl für maximal zwei Amtszeiten, mit je fünf Jahren, gewählt werden (FH 29.2.2024; vgl. LWL 2024). Ausgangspunkt dieser Veränderungen waren die Parlamentswahlen von Oktober 2020, an derem Ende Vorwürfe des Wahlbetrugs und Stimmenkaufs zu Protesten geführt hatten (LWL 2024). Im Zuge dieser Unruhen stießen Demonstranten mit der Polizei zusammen, befreiten gewaltsam Gefangene und steckten das Gebäude in Brand, das Parlament und Büro des Präsidenten beherbergte. Einer dieser befreiten Gefangenen war Sadir Dschaparow von der Mekenchil (Patriotischen) Partei, der eine Haftstrafe wegen Entführung verbüßte. Innerhalb von zwei Wochen nach den Wahlen wurde Dschaparow zunächst geschäftsführender Premierminister und am nächsten Tag, nach dem Rücktritt von Präsident Sooronbai Dscheenbekow, auch .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 5 von 43

geschäftsführender Präsident. Die Zentrale Wahlkommission (CEC) annullierte die Parlamentswahlen vom Oktober 2020 und setzte eine neue Wahl für Dezember 2020 an. Das Parlament setzte diese Wahl jedoch für unbestimmte Zeit aus und verlängerte das Mandat der 6. Parlamentssession ohne Legitimation durch eine Wahl (FH 29.2.2024). Als geschäftsführender Premierminister und Präsident leitete Dschaparow daraufhin einen Prozess der Reformierung der Verfassung ein (LWL 2024). Die letzte Präsidentschaftswahl am 10.1.2024 gewann Sadir Dschaparow mit 79,2 %, bei einer Wahlbeteiligung von 39,16 %. Die Wahlbeteiligung beim gleichzeitig abgehaltenen Referendum über das künftige politische System lag bei 39,12 % und ging mit 81,30 % der Stimmen zugunsten einer Präsidialrepublik aus (OSCE/ODHIR 4.6.2021). Im Zuge der Verfassungsreform von 2021 wurde die Position des Präsidenten gegenüber dem Parlament deutlich gestärkt. Der Präsident kann nun Referenden initiieren, außerordentliche Parlamentssitzungen einberufen sowie Themen auf die Tagesordnung setzen und kann mittels verbindlicher Dekrete und Anordnungen regieren. Das Amtsenthebungsverfahren ist nicht mehr nur auf Parlament und Verfassungsgerichtshof beschränkt, sondern inkludiert nun auch den Generalstaatsanwalt, der Teil der Exekutive ist. Das Ministerkabinett wird vom Präsidenten ernannt und vom Parlament bestätigt. Die Verfassung von 2021 hat die Rolle, die Macht und die Unabhängigkeit der Regierung signifikant eingeschränkt. So muss der Vorsitzende des Ministerkabinetts gleichzeitig Leiter der Präsidialverwaltung sein, wodurch der Präsident die Kontrolle über die Regierung ausübt, gegen Entscheidungen der Regierung ein Veto einlegen und jederzeit einzelne Minister oder das Kabinett als Ganzes austauschen kann (LWL 2024; vgl. BS 19.3.2024). Das Parlament der Republik Kirgisistan ist der unikamerale Dschogorku Kengesch („Oberste Rat“), mit seit der Parlamentswahl Ende 2021 nur mehr 90 Sitzen, anstelle der zuvor 120 (LWL 2024; vgl. AA 30.10.2024b). Von diesen 90 Parlamentssitzen werden 54 nach einem landesweiten parteilistenbasierten Verhältniswahlrecht vergeben und 36 als Einmandatswahlkreise (LWL 2024; vgl. BS 19.3.2024). Die Wahlen in den Einmandatswahlkreisen ähneln dem Mehrheitswahlrecht, sind aber weitgehend parteiunabhängig (BS 19.3.2024). Das Recht, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, wurde mit der neuen Verfassung stark gestreut und liegt nun bei mehreren Institutionen, wie dem Präsidenten, den Parlamentsabgeordneten, dem Vorsitzenden des Ministerkabinetts, dem Obersten Gerichtshof, dem Volkskurultai (einem neu institutionalisierten, nicht gewählten Gremium), dem Generalstaatsanwalt, dem Volk, wobei für eine Gesetzesinitiative des Volkes mindestens 10.000 Unterstützer erforderlich sind (LWL 2024), und dem Verfassungsgerichtshof (BS 19.3.2024). Der in der Verfassung von 2021 eingeführte Volkskurultai (FH 29.2.2024; vgl. LWL 2024) oder „Nationalkurultai“ (ZAA/Sadyrbek 20.6.2024) ist eine nicht gewählte Versammlung mit weitreichenden Befugnissen wie z. B. Vorschlag politischer Maßnahmen und Gesetze (FH 29.2.2024). Ursprünglich war der Kurultai eine Versammlung des .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 6 von 43

Adels zur Wahl und Beratung des Khans und wird heute von der kirgisischen Regierung als Bürgergremium neuinterpretiert. Kritiker sehen darin eine vom Präsidenten dominierte Parallelstruktur zum Parlament, die dem herrschenden Regime als Instrument der Legitimierung und Machtsicherung dient. Der Prozess der Auswahl der Deligierten wird als intransparent und die Versammlungen als stark von den Interessen des Präsidenten geprägt beschrieben (ZAA/Sadyrbek 20.6.2024). Die erste Sitzung des Gremiums fand im Dezember 2023 statt, als sich 700 Delegierte zu einer zweitägigen Versammlung trafen (FH 29.2.2024). Die letzten Parlamentswahlen fanden im November 2021, mit einer Wahlbeteiligung von 34% statt. Die ersten von der Zentralen Wahlkommission veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass mehrere Parteien die für den Einzug ins Parlament erforderliche Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hatten. Diese Ergebnisse wurden jedoch später zurückgezogen und fast 10 Prozent der abgegebenen Stimmen für ungültig erklärt. Vertreter der Zentralen Wahlkommission begründeten die Änderungen bei der Stimmenauszählung, die zum Ausschluss von vier Oppositionsparteien aus dem Parlament führten, mit technischen Fehlern. Die Parteien, die auf den 54 landesweiten Sitzen ins neue Parlament einzogen, waren Ata-Jurt Kirgisistan mit 15 Sitzen, gefolgt von Ishenim mit 12, Yntymak mit 9, Alyans mit 7, Butun Kirgisistan mit 6 und Yiman Nuru mit 5 Sitzen (FH 29.2.2024). Kirgisistan ist in sieben Regionen (Chüy, Talas, Issyk-Kul, Naryn, Region Osch, Jalalabad und Batken) und zwei unabhängige Städte mit regionalem Status (Bischkek und Osch) unterteilt. Die Regionen unterteilen sich wiederum in Bezirke, Städte und Gemeinden mit eigener Selbstverwaltung (LWL 2024). Seit 2022 gibt es laufende Verwaltungs- und Territorialreformen, mit dem Ziel, kleinere lokale Verwaltungseinheiten (Ayil Aimaks) zusammenzufassen. Laut Behörden soll damit eine Effizienz- und Qualitätssteigerung in der lokalen Verwaltung sowie eine Verringerung des Korruptionsrisikos erfolgen (FH 2024). Quellen: •AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.10.2024a): Kirgisistan: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/kirgisistan-node/steckbrief-206736, Zugriff 23.1.2025 •AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.10.2024b): Kirgisistan: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/kirgisistan-node/politisches- portrait-206926, Zugriff 23.1.2025 •BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Kyrgyzstan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105908/country_report_2024_KGZ.pdf, Zugriff 21.11.2024 •DIP - Diplomat, The (4.12.2024): After 33 Years, Kyrgyzstan and Tajikistan Announce Bor- der Agreement, https://thediplomat.com/2024/12/after-33-years-kyrgyzstan-and-tajikistan- announce-border-agreement/, Zugriff 20.1.2025 •EIU - Economist Intelligence Unit (2024): Democracy Index 2023 - Age of Conflict, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf •Eurasianet (27.1.2024): Kyrgyzstan, Uzbekistan complete border delimitation process, https://eurasianet.org/kyrgyzstan-uzbekistan-complete-border-delimitation-process, Zugriff 17.12.2024 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 7 von 43

•FH - Freedom House (2024): Nations in Transit 2024 - Kyrgyzstan, https://www.ecoi.net/en/document/2115571.html, Zugriff 19.12.2024 •FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Kyrgyzstan, https://www.ecoi.net/en/document/2108023.html, Zugriff 19.11.2024 •HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - Kyrgyzstan, https://www.ecoi.net/en/document/2120094.html, Zugriff 17.1.2025 •LWL - Lempp J., Wolters A., Lehmann J. (2024): The Political System of Kyrgyzstan. In: Lempp J., Mayer S. (Hg.): Central Asia in a Multipolar World – Internal Change, External Actors, Regional Cooperation. Contributions to Political Science. Cham: Springer, S.75-89 •OSCE/ODHIR - Organization for Security and Co-operation in Europe / Office for Democratic Institutions and Human Rights (4.6.2021): Kyrgyz Republik – Early Presidential Election and Referendum 10 January 2021, https://www.osce.org/files/f/documents/7/0/488587_1.pdf, Zugriff 20.1.2025 •UNIG-VDI - University of Gothenburg, V-Dem Institute (3.2024): Democracy Report 2024, https://www.v-dem.net/documents/43/v-dem_dr2024_lowres.pdf, Zugriff 20.1.2025 •Verf KIRG – Verfassung Kirgisistan [Kirgisistan] (5.5.2021): The Constitution of the Kyrgyz Republic , https://legislationline.org/sites/default/files/2023-04/The%20Kyrgyz%20Republic%E2%80% 99s%20Constitution%2005.05.2021%20%28in%20English%29.pdf, Zugriff 12.12.2024 •ZAA/ Sadyrbek – Zentralasien-Analysen (20.6.2024): Traditionelles Repräsentationsorgan oder populistisches Machtwerkzeug? Der Nationalkurultai in Kirgisistan (Zentralasien- Analysen 164), https://laender-analysen.de/zentralasien-analysen/164/nationalkurultai- kirgistan/, Zugriff 20.1.2024 3. Sicherheitslage Aufgrund innenpolitischer und sozialer Spannungen kann es im ganzen Land immer wieder zu gewaltsamen Demonstrationen und Protesten kommen. In den unmittelbaren Grenzgebieten zu Usbekistan und Tadschikistan wird vor Landminen und der Möglichkeit von bewaffneten Grenzzwischenfällen gewarnt. Zudem können auch terroristische Angriffe nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 19.12.2024). Besonders im Süden des Landes werden regelmäßig islamistische Zellen bzw. Personen mit potenziell terroristischer Ausrichtung ausgehoben (AA 1.10.2024). Die meisten Demonstrationen verlaufen grundsätzlich friedlich, dennoch kann es gelegentlich zu Gewaltausbrüchen kommen, mit wenig oder gar keiner Vorwarnung. So wurden am 17. und 18. Mai 2024 in Bischkek, bei kirgisischen Protesten gegen südasiatische Wanderarbeiter und Studierende, 41 Menschen verletzt (GOV.UK o.D.). Auslöser war ein in sozialen Medien veröffentlichtes Video, das eine mutmaßliche Auseinandersetzung zwischen kirgisischen und ägyptischen Medizinstudierenden in der Nacht zum 13.5.2024 zeigt. In Folge kam es in Bischkek zu Ausschreitungen durch junge kirgisische Männer, die zu Hunderten Studierendenwohnheime stürmten und ausländische Studierende angriffen. Viele Studierende aus Pakistan und weiteren südasiatischen Ländern verließen daraufhin Kirgisistan (BAMF 27.5.2024). Laut aktuellem USDOS-Terrorismus-Bericht für das Jahr 2023 gab es keine terroristischen Zwischenfälle. Die kirgisische Regierung schränkt allerdings die Veröffentlichung von Informationen über Fragen der nationalen Sicherheit ein, wodurch die Wirksamkeit ihrer .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 8 von 43

Antiterrormaßnahmen oder das Ausmaß der terroristischen Bedrohung schwer eingeschätzt werden kann. Das Land bleibt anfällig für grenzüberschreitende Bedrohungen, insbesondere in den abgelegenen südlichen Regionen, wo schlecht definierte und durchlässige Grenzen einen relativ freien Personenverkehr und illegalen Warenhandel ermöglichen. Laut Regierungsstatistiken haben seit 2014 schätzungsweise 850 kirgisische Staatsbürger das Land verlassen, um sich terroristischen Gruppen anzuschließen. Die Fähigkeit der Regierung, zurückkehrende ausländische Terroristen und ihre Familienangehörigen zu rehabilitieren, gegen sie zu ermitteln und gegebenenfalls strafrechtlich zu verfolgen, ist aufgrund mangelnden Fachwissens, fehlender Ressourcen und potenzieller Mängel im Rechtsrahmen begrenzt. Im Jahr 2023 hat die kirgisische Regierung 333 ihrer Staatsangehörigen, darunter auch Minderjährige, aus Flüchtlingslagern im Nordosten Syriens repatriiert. Die kirgisische Regierung schätzt, dass sich noch etwa 150 kirgisische Frauen und Kinder in den Lagern befinden, die für eine Rückführung bereit sind. Nach einer anfänglichen Unterbringung in Rehabilitationszentren, in denen eine medizinische und psychologische Betreuung, sowie Berufsausbildung und Rechtsberatung erfolgt, werden die Rückkehrer ihren Verwandten und lokalen Behörden zur weiteren Betreuung, Schulanmeldung der Kinder sowie Wohnungs- und Arbeitssuche übergeben. Lokale Polizeibeamte überwachen die Rückkehrer auf Anzeichen für mögliche extremistische Aktivitäten (USDOS 12.12.2024). Es kann im Oblast [Gebiet] Batken, an der Grenze zu Tadschikistan, weiterhin sporadisch zu Demonstrationen, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der kirgisischen und tadschikischen Bevölkerung, sowie zu Schusswechseln zwischen den Sicherheitskräften beider Länder kommen. Dabei kommt es immer wieder auch zu Todesopfern oder Verletzten. Zeitweise werden auch die Grenzübergänge zwischen Kirgisistan und Tadschikistan geschlossen. Im September 2022 wurden bei Kampfhandlungen im Grenzgebiet zu Tadschikistan zahlreiche Menschen getötet und verletzt. Trotz des Waffenstillstands vom 16. September 2022 kam es zu weiteren Kampfhandlungen zwischen kirgisischen und tadschikischen Sicherheitskräften. Die Lage bleibt in den Grenzgebieten angespannt. Es bestehen latente ethnische Spannungen in den Städten Osch und Jalalabad und den umliegenden Gebieten. Einzelereignisse können kurzfristige lokale Eskalationen auslösen, besonders wenn die Spannungen im Zusammenhang mit Wahlen zunehmen (EDA 23.7.2024). Das Land ist anfällig für häufige Naturkatastrophen und gilt als besonders anfällig gegenüber dem Klimawandel, der sich auf die wachsende Zahl von Naturgefahren in Kirgisistan auswirkt. Fast das gesamte Land ist anfällig für häufige Erdbeben, Lawinen, Überschwemmungen, Schlammlawinen und Erdrutsche. Mehr als 10.000 Häuser liegen in erdrutschgefährdeten Gebieten im Süden (UNICEF o.D.). Quellen: .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 9 von 43

•AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.10.2024): Kirgisistan – Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/kirgisistan- node/kirgisistansicherheit/206738, Zugriff 17.12.2024 •BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (27.5.2024): Briefing Notes, Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/ BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw22-2024.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 17.12.2024 •BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (19.12.2024): Kirgisistan (Kirgisische Republik), https://www.bmeia.gv.at/reise- services/reiseinformation/land/kirgisistan/, Zugriff 20.1.2025 •GOV.UK – Government of the United Kingdom [Vereinigtes Königreich] (o.D.): Foreign travel advice Kyrgyzstan, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/kyrgyzstan/safety-and- security, Zugriff 17.12.2024 •MDP – Migration Data Portal (9.5.2024): Migration data in Central Asia, https://www.migrationdataportal.org/regional-data-overview/central-asia, Zugriff 23.1.2025 •RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.5.2024): Why Mass Labor Exporter Kyrgyzstan Faces Migrant Worker Fear at Home, https://www.rferl.org/a/mass-labor- kyrgyzstan-migrant-worker-fear/32957992.html, Zugriff 23.1.2025 •EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (23.7.2024): Reisehinweise für Kirgisistan, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/kirgisistan/ reisehinweise-kirgisistan.html, Zugriff 19.11.2024 •UNICEF – United Nations Children’s Fund (o.D.): Children in Kyrgyzstan, https://www.unicef.org/kyrgyzstan/children-kyrgyzstan, Zugriff 15.11.2024 •USDOS - US State Department [USA] (12.12.2024): Country Report on Terrorism 2023 - Chapter 1 - Kyrgyz Republic, https://www.ecoi.net/en/document/2118971.html, Zugriff 23.1.2025 4. Rechtsschutz / Justizwesen Im Rule of Law Index (Rechtsstaatlichkeitsindex) 2024 des World Justice Project (WJP) rangiert Kirgisistan auf Platz 101 von 142 Ländern (WJP o.D.). Die Justiz ist verfassungsrechtlich von den anderen Gewalten getrennt, in der Praxis jedoch der Exekutive untergeordnet und wird von ihr dominiert, insbesondere vom Amt des Präsidenten. Die Justiz wird in der Öffentlichkeit zudem als eine der korruptesten Institutionen des Landes wahrgenommen (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024, FH 29.2.2024). Verfassung und Gesetze sehen eine unabhängige Justiz vor, allerdings wird die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter durch Einflussnahmen und Korruption beeinträchtigt. Verlauf und Ausgang von Gerichtsverfahren scheinen in vielen Fällen vorbestimmt. Zahlreiche Quellen, darunter NGOs, Rechtsanwälte, Regierungsvertreter und Privatpersonen, berichten, dass einige Richter Bestechungsgelder zahlen, um ihr Amt zu behalten. Viele Anwälte behaupten, dass Richter überall Bestechungsgelder annehmen. Die Behörden respektieren im Allgemeinen die Entscheidungen der Gerichte (USDOS 23.4.2024). Die Justiz besteht seit 2021 aus dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gerichtshof und den örtlichen Gerichten. Das Verfassungsgericht übt die Kontrolle über die Verfassung aus und der .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 10 von 43

Oberste Gerichtshof fungiert als höchstes Organ der Judikative und prüft Berufungen gegen Gerichtsentscheidungen in Zivil-, Straf-, Wirtschafts- und Verwaltungssachen. Richter werden nach einem Vorschlag durch einen Justizrat vom Präsidenten ernannt und entlassen. Das Parlament bestätigt nur Ernennungen der obersten Richter des Verfassungs- und Obersten Gerichtshofes (LWL 2024). 2023 gab es mehrere wichtige Entwicklungen, welche die Unabhängigkeit der Justiz und das Gleichgewicht der Kräfte bedrohten. So unterzeichnete Präsident Dschaparow im September ein neues Gesetz, das dem Präsidenten die Befugnis einräumt, Urteile des Verfassungsgerichts aufzuheben. Dem Gesetz zufolge kann der Präsident diese Befugnis ausüben, wenn „die Entscheidung des Verfassungsgerichts den moralischen Werten und dem sozialen Bewusstsein des kirgisischen Volkes widerspricht“. Das Gesetz sieht auch vor, dass Urteile des Verfassungsgerichts aufgehoben werden können, wenn sich die ihnen zugrunde liegenden Verfassungsnormen ändern oder neue Beweise auftauchen (FH 2024). Das Gesetz sieht ein faires und öffentliches Gerichtsverfahren vor, verbietet willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und gibt jeder Person das Recht, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Nach der Strafprozessordnung sind nur Gerichte befugt, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen zu erlassen. Berichte zeigen jedoch, dass es zu weit verbreiteten Verstößen kommt. Dazu zählen Inhaftierungen ohne Haftbefehl oder unter Verletzung gesetzlicher Bestimmungen, erzwungene Geständnisse, Erpressung von Bestechungsgeldern, Folter, Verweigerung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand sowie Verurteilungen ohne ausreichende Beweise oder trotz entlastender Beweise. Internationale Beobachter berichten von Drohungen und Gewalt gegen Angeklagte und Verteidiger sowie von Einschüchterungsversuchen seitens Angehöriger und Freunden der Opfer gegen Richter. Die Gerichtsverfahren verstoßen regelmäßig gegen die in der Verfassung verankerte Unschuldsvermutung. Strafverteidiger kritisieren, dass Richter Fälle routinemäßig an die Ermittler zurückverweisen, wenn die Staatsanwälte keine ausreichenden Beweise für eine Schuld vorlegen, während die Verdächtigen weiterhin in Haft verbleiben. Rechtsanwälten zufolge verhängen Richter in der Regel Bewährungsstrafen, unabhängig von der Qualität der Beweise. Die Gerichte gewähren der Öffentlichkeit in der Regel Zugang zu den Gerichtsverhandlungen, es sei denn, es liegen Staatsgeheimnisse oder Datenschutzbedenken vor (USDOS 23.4.2024). Die Regierung stellt mittellosen Angeklagten auf Staatskosten Anwälte zur Verfügung. Die Angeklagten können einen Rechtsbeistand jedoch ablehnen und sich selbst verteidigen. Berichten zufolge arbeiten einige vom Staat gestellte Verteidiger mit den Staatsanwälten zusammen und verteidigen ihre Mandanten nicht angemessen. Beobachter, vor allem im Süden des Landes, beschreiben diese Anwälte als „Taschenanwälte“. Ihre Dienstleistung besteht in der Beschaffung von Bestechungsgeldern, welche an Polizei und Richter weitergeleitet werden, um die Freilassung .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 11 von 43
