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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
führende Rolle dabei gespielt, auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren und Lücken im öffentlichen Sektor zu schließen (RDPP 12.12.2022). Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure haben während des Jahres 2022 zugenommen. Dabei werden z.B. NGOs, die internationale Unterstützung erhalten, teilweise als ausländische Agenten diffamiert (AA 5.12.2022). In Gebieten, die von der Hizbollah beherrscht werden, sind unabhängige NGOs Schikanen und Einschüchterungen ausgesetzt, einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Berichten zufolge bezahlte die Hizbollah Jugendliche, die in „inakzeptablen“ NGOs arbeiteten, damit sie die Gruppen verließen (USDOS 12.4.2022) Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023 -FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023 -ICNL - International Center for Not-For-Profit Law (14.11.2022): Lebanon, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/lebanon, Zugriff 30.1.2023 -RDPP - Region Development & Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan & Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization %20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023 10. Wehrdienst und Rekrutierungen Die allgemeine Wehrpflicht wurde 2006 abgeschafft und die Armee in eine Berufsarmee umgewandelt. Der Zugang zum Militärdienst ist nicht an ethnische oder religiöse Kriterien gebunden (AA 5.12.2022). Im Alter von 17 bis 25 Jahre können Männer und Frauen im Libanon den freiwilligen Militärdienst ableisten (CIA 11.1.2023). Laut dem US-Ministerium für Arbeit beträgt das Mindestalter für den Eintritt in den freiwilligen Wehrdienst 18 Jahre (UDOL 28.9.2022). Fahnenflüchtigen drohen nach Art. 107 ff. des Militärstrafgesetzbuches Haftstrafen. Für Offiziere bzw. in Spannungszeiten erhöht sich das Strafmaß empfindlich. Auf Fahnenflucht mit Überlaufen zum Feind steht die Todesstrafe (Art. 110 lib. MilitärStGB). Dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland ist allerdings kein Fall bekannt, in der diese vollstreckt wurde (AA 5.12.2022). Die Vereinten Nationen (UN) bestätigen für das Jahr 2021 die Rekrutierung und den Einsatz von 32 Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren durch nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24), Fath .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 68

al-Islam (3), Hizbollah (2), Jund Ansar Allah (1), Saraya al-Muqawama7 (1) und Da'esh (1) (UNGA & UNSC 23.6.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023 -CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 1.2.2023 -UDOL - United States Department of Labor [USA] (28.9.2022): 2021 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2082757.html, Zugriff 1.2.2023 -UNGA - United Nations General Assembly & UNSC - United Nations Security Council (23.6.2022): Children and armed conflict - Report of the Secretary-General (A/76/871-S/2022/493), https://childrenandarmedconflict.un.org/wp-content/uploads/2022/07/ Secretary-General-Annual-Report-on-children-and-armed-conflict.pdf, Zugriff 1.2.2023 11. Allgemeine Menschenrechtslage Libanon ist eines der 51 Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen (UN), die am 26.6.1945 die UN-Charta unterzeichnet haben (UN o.D.). Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass der Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Staat ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen, jedoch wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert, so beispielsweise auch das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 5.12.2022). Die Libanesen haben eine starke Vorstellung von sich selbst als Mitglieder eines repräsentativen und demokratischen Systems (IACL 18.10.2022). Der Libanon verfügt über eine starke und lebendige Zivilgesellschaft mit den vielfältigsten und aktivsten NGOs der Region (RDPP 12.12.2022). Allerdings bringt die tiefgreifende Wirtschaftskrise katastrophale Folgen für die Menschenrechte im Land mit sich (HRW 12.1.2023). Laut eines UN Sonderberichts über extreme Armut und Menschenrechte im Libanon, ist der libanesische Staat, einschließlich seiner Zentralbank, für grundlegende Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der unnötigen Verarmung der Bevölkerung, verantwortlich, die sich aus der von Menschen verursachten Wirtschafts- und Finanzkrise ergeben haben (OHCHR 11.4.2022). Die Reaktion der Behörden auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise im Libanon hat das Recht der Einwohner auf Gesundheit und sogar ihr Recht auf Leben in den akutesten Momenten der Treibstoff- und Medikamentenknappheit nicht gewährleistet (AI 29.3.2022). Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehören zudem glaubwürdige Berichte über: schwerwiegende .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 24 von 68

politische Eingriffe in die Justiz; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt, Gewaltandrohung oder ungerechtfertigter Verhaftungen oder strafrechtlicher Verfolgung von Journalisten, sowie Zensur; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; Abschiebung von Flüchtlingen in ein Land, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind; schwerwiegende und weit verbreitete Korruption auf hoher Ebene; das Bestehen oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen kriminalisieren; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle (LGBTI) und das Bestehen der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022). Im Januar 2021 wurde die Menschenrechtslage in Libanon zum dritten Mal im Rahmen des allgemeinen Überprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrats („Universal Periodic Review“, UPR) überprüft. Die Antworten der Regierung in diesem Rahmen wurden von Menschenrechtsgruppen negativ aufgenommen; insbesondere seien die Zuständigkeit von Militärstrafgerichten über Zivilisten aufrechterhalten und UPR-Empfehlungen betreffend der Gleichbehandlung der Geschlechter nicht umgesetzt worden (AA 5.12.2022). Obwohl die Rechtsstruktur die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung von Beamten vorsieht, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption begangen haben, bleibt die Durchsetzung ein Problem. Regierungsbeamte genießen ein gewisses Maß an Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Umgehung oder Beeinflussung von Gerichtsverfahren. Das Nationale Menschenrechtsinstitut (NHRI) soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Mit Stand Dezember 2021 hatte das NHRI die ihm zugewiesenen Aufgaben noch nicht aufgenommen (USDOS 12.4.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2 022.pdf , Zugriff 1.2.2023 -AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 1.2.2023 -HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 1.2.2023 -IACL - The International Association of Constitutional Law (18.10.2022): Lebanon: A Century of a Constitutional Contradiction, https://blog-iacl-aidc.org/new-blog-3/2022/10/18/lebanon-a- century-of-a-constitutional-contradiction, Zugriff 1.2.2023 -OHCHR - United Nations High Commissioner for Human Rights (11.4.2022): Visit to Lebanon Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and human rights, Olivier De Schutter, (A/HRC/50/38/Add.1), https://lebanon.un.org/sites/default/files/2022- .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 25 von 68

05/FINAL%20SR%20Report%20on%20his%20Visit%20to%20Lebanon-ENG-Published %20May2022.pdf, Zugriff 1.2.2023 -RDPP - Region Development & Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan & Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization %20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023 -UN - United Nations (o.D.): About the United Nations in Lebanon, https://lebanon.un.org/en/about/about-the-un, Zugriff 1.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023 12. Meinungs- und Pressefreiheit Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Pressevertreter, und legt fest, dass Einschränkungen nur unter außergewöhnlichen Umständen vorgenommen werden dürfen. Die Regierung respektierte dieses Recht im Allgemeinen. Einzelpersonen steht es im Grunde frei, die Regierung zu kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu diskutieren (USDOS 12.4.2022). Allerdings wies eine Koalition von NGOs im Juli 2020 auf eine zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung hin, insbesondere in den sozialen Medien, vor allem bei politischen und sozialen Themen (USDOS 12.4.2022; vgl. SMEX 13.7.2020). Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt der Libanon im Jahr 2022 Rang 130 von 180 Ländern (RSF 23.1.2023). Im Jahr 2021 lag der Libanon noch auf Platz 107 von 180 Ländern, was bedeutet, dass der Libanon im vergangenen Jahr um 23 Plätze abgerutscht ist, obwohl Vergleiche dadurch erschwert werden, dass die RSF ihre Methodik in diesem Jahr geändert hat, um neue Indikatoren zu berücksichtigen (OT 4.5.2022). Die Rundfunk- und Fernsehszene des Libanon ist vielfältig und lebendig und spiegelt den Pluralismus des Landes und seine Spaltung wider. Es war das erste arabische Land, das private Radio- und Fernsehsender zuließ, und hat sich zu einem regionalen Medienzentrum entwickelt (BBC 17.5.2022). Obwohl die Medien des Landes zu den offensten und vielfältigsten in der Region gehören, sind fast alle Medien von der Schirmherrschaft politischer Parteien, wohlhabender Einzelpersonen oder ausländischer Mächte abhängig und üben folglich ein gewisses Maß an Selbstzensur aus (FH 24.2.2022). Laut RSF herrscht in den libanesischen Medien zwar echte Meinungsfreiheit, doch wird der Sektor in der Praxis von einer Handvoll Personen kontrolliert, die direkt mit politischen Parteien verbunden sind oder lokalen Dynastien angehören. Die einflussreichsten Fernsehsender sind: LBCI, Al Jadeed und MTV, die jeweils den Familien Daher- Saad, Khayat und Murr gehören. Al Manar ist der offizielle Fernsehsender der Hizbollah. Die Presse ist ein Ausdruck des politischen und kommunalen Separatismus im Land, einschließlich der religiösen Überwachung der Medien (RSF 23.1.2023). Hinzu kommt, dass die Finanzkrise und die .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 26 von 68

Auswirkungen der Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 viele Medien gezwungen haben, ihr Personal und ihre Budgets zu kürzen (BBC 17.5.2022; vgl. RSF 23.1.2023). Es ist eine Straftat, den Präsidenten oder die Sicherheitsdienste zu kritisieren oder zu verleumden. Die Behörden nutzen diese Gesetze mitunter, um Journalisten zu schikanieren und zu inhaftieren (FH 24.2.2022). Journalisten, Social Media-Aktivisten und Blogger können für ihre Tätigkeit nach dem Strafgesetzbuch (insb. wegen Verleumdung) bestraft werden; zunehmend werden sie zu Befragungen der Sicherheitsbehörden vorgeladen. Immer wieder werden Journalisten durch nicht- staatliche Gruppen, insbesondere durch die Hizbollah, bedroht oder eingeschüchtert (AA 5.12.2022).Trotz der rechtlichen und praktischen Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, können viele Journalisten über heikle Themen wie staatliche Korruption, Fehlverhalten der Eliten und das Verhalten bewaffneter Gruppen wie der Hizbollah berichten und diese kommentieren (FH 24.2.2022). Es herrscht Unklarheit darüber, welcher rechtliche Rahmen für Online-Nachrichtenseiten im Land gilt. Es gibt kein spezielles Gesetz, das die Online-Rede regelt (USDOS 12.4.2022). Politiker und Journalisten werden durch ausgeklügelte Spionagesoftware ins Visier genommen, und mehrere Online-Journalisten und Nutzer sozialer Medien wurden vom Büro für Cyberkriminalität vorgeladen (FH 3.6.2022). Online-Hass- und Desinformationskampagnen, die von Netzwerken von Hizbollah- Anhängern betrieben werden, zielen auf Kritiker und Gegner der Partei ab, um sie zu verleumden und zu diffamieren (NL 16.3.2022; vgl. FH 3.6.2022). Quellen: -BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon profile – Media, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648683, Zugriff 8.2.2023 -FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023 -FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023 -NL - Now Lebanon (16.3.2022): Suppressors and freedom of expression, https://nowlebanon.com/suppressors-and-freedom-of-expression/, Zugriff 8.2.2023 -OT - L’Orient Today (4.5.2022): Lebanon falls 23 places in Reporters Without Borders' annual press freedom ranking, https://today.lorientlejour.com/article/1298372/lebanon-falls-23-places-in- reporters-without-borders-annual-press-freedom-ranking.html, Zugriff 8.2.2023 -RSF - Reporters Sans Frontières (23.1.2023): Lebanon, https://rsf.org/en/country/lebanon, Zugriff 8.2.2023 -SMEX - Social Media Exchange (13.7.2020): Lebanon: New Coalition to Defend Free Speech, https://smex.org/lebanon-new-coalition-to-defend-free-speech/, Zugriff 8.2.2022 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 27 von 68

13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition Die Behörden respektieren im Allgemeinen das von der Verfassung geschützte Versammlungsrecht (FH 24.2.2022; vgl. AA 5.12.2022, USDOS 12.4.2022), und in der Praxis versammeln sich die Menschen regelmäßig ohne Genehmigung oder Abstimmung mit den Sicherheitsdiensten (FH 24.2.2022). Offiziell müssen die Organisatoren drei Tage vor einer Demonstration eine Genehmigung beim Innenministerium einholen (USDOS 12.4.2022). Gelegentlich werden Demonstrationen – insbesondere aus dem salafistischen Spektrum – aus Sicherheitsgründen untersagt (AA 5.12.2022). In den letzten Jahren konnten Demonstranten gegen die schlechte Funktionsweise der Regierung und den Mangel an Dienstleistungen protestieren, doch kam es bei diesen Veranstaltungen häufig zu Gewalt seitens der Behörden, politischer Parteien, Milizen und ziviler Teilnehmer (FH 24.2.2022). Die Sicherheitskräfte griffen gelegentlich ein, um Demonstrationen aufzulösen, in der Regel, wenn Demonstranten Sachschäden verursachten, oder es zu Zusammenstößen zwischen gegnerischen Demonstranten kam (USDOS 12.4.2022). Durch ein während des Pride Month 2022 vom Innenministerium erlassenes Verbot von LGBTI-Versammlungen wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt (AA 5.12.2022; vgl. AlM 1.12.2022). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023; vgl. AlM 1.12.2022). Seit der Libanon im Mai 2017 als erstes arabisches Land die Pride Week feierte, hatten libanesische NGOs die Möglichkeit, trotz des Drucks von religiösen Persönlichkeiten Versammlungen zu organisieren (AlM 1.12.2022). Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, wobei einige Bedingungen gesetzlich festgelegt sind, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen respektiert (USDOS 12.4.2022). Für die Gründung einer Vereinigung ist keine vorherige Genehmigung erforderlich, aber die Organisatoren müssen das Innenministerium benachrichtigen, um eine rechtliche Anerkennung zu erhalten, und das Ministerium muss überprüfen, ob die Organisation die „öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die staatliche Sicherheit“ respektiert. In einigen Fällen hat das Ministerium die Anmeldeunterlagen einer NGO an die Sicherheitskräfte geschickt, um Nachforschungen über die Gründungsmitglieder einer Organisation anzustellen (USDOS 12.4.2022; vgl. OHCHR 11.2021). Das Innenministerium ist in die Kritik geraten, weil es Vereinigungen, insbesondere solchen, die sich mit sensiblen Themen wie den Rechten von LGBTI befassen, lange nach der Anmeldung keine Bescheinigungen ausstellt. Dazu gehört auch die libanesische LGBTI-Vereinigung Helem, die seit 2004, als sie dem libanesischen Innenministerium ihre Vereinigungsmeldung vorlegte, auf eine offizielle Bestätigung ihrer Gründung wartet. In der Praxis kann eine Vereinigung jedoch auch ohne die Eintragung durch das Innenministerium tätig werden - die fehlende Rechtspersönlichkeit hat jedoch praktische Auswirkungen, da sie beispielsweise kein Bankkonto eröffnen oder keine Räumlichkeiten mieten kann (OHCHR 11.2021). Organisationen müssen darüber hinaus Vertreter des Ministeriums zu jeder Generalversammlung einladen, bei der die Mitglieder über Satzungen, .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 28 von 68

Änderungen oder Sitze im Vorstand abstimmen. Das Ministerium muss dann die Abstimmung oder Wahl validieren. Geschieht dies nicht, kann die Organisation durch einen Erlass des Ministerrats aufgelöst werden (USDOS 12.4.2022). Das Kabinett muss alle politischen Parteien zulassen (USDOS 12.4.2022). In den letzten Jahren hat die Zahl der politischen Gruppen, die das Establishment im Libanon herausfordern wollen, zugenommen (TPI 4.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023 -AlM - Al Monitor (1.12.2022): Lebanon's Shura Council suspends ban on LGBTQ event, https://www.al-monitor.com/originals/2022/11/lebanons-shura-council-suspends-ban-lgbtq-event, Zugriff 8.2.2023 -FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023 -OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (11.2021): Freedom of Association in the Middle East and North Africa Region, https://romena.ohchr.org/sites/default/files/2022-04/Freedom-of-Association-EN.pdf, Zugriff 8.2.2023 -TPI - The Policy Initiative (4.2022): Lebanon’s Political Alternatives: Mapping the Opposition, https://api.thepolicyinitiative.org/content/uploads/files/Lebanon%E2%80%99s-Political- Alternatives-Report.pdf, Zugriff 8.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023 14. Haftbedingungen Die sozioökonomische Krise im Libanon hat auch die ohnehin schon schlechten Haftbedingungen in den libanesischen Gefängnissen weiter verschärft. Die schlechten Bedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung führen regelmäßig zu Aufständen und Unruhen in den Gefängnissen (AlM 7.8.2022). Die Haftbedingungen in den 18 regulären libanesischen Haftanstalten entsprechen nicht den internationalen Mindestanforderungen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an hygienischen Standards, medizinischer Versorgung, Bewegungsmöglichkeiten, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Beschäftigungsmöglichkeiten in Haft (etwa: Berufsausbildung) und an geschultem Gefängnispersonal (AA 5.12.2022). Aufgrund von Rückständen in der Justiz bleiben die Gefangenen in vielen Fällen monatelang, manchmal sogar jahrelang, ohne Gerichtsverfahren inhaftiert (OT 26.9.2022; vgl. PI 19.5.2022, USDOS 12.4.2022). Die Regierung selbst gab im September 2022 an, dass mit über 8.200 Gefangenen eine Belegung von 323 % (Strafgefangene) bzw. 222 % (Untersuchungshäftlinge) .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 29 von 68

herrsche (AA 5.12.2022). Nach Angaben des geschäftsführenden Innenministers Bassam Mawlawi befinden sich 79,1 % der Häftlinge in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess (OT 31.8.2022). Untersuchungshäftlinge werden von den Behörden oftmals zusammen mit verurteilten Häftlingen festgehalten. Laut Statistiken der Internal Security Forces (ISF) waren im Jahr 2021 110 Minderjährige und 207 Frauen inhaftiert. Die ISF halten Frauen in vier speziellen Frauengefängnissen (Baabda, Beirut, Zahle und Tripoli) gefangen. Das ISF berichtete außerdem, dass im Laufe des Jahres 2021 19 Personen in Haftanstalten gestorben sind. 18 Gefangene starben an medizinischen Problemen, darunter Herzinfarkt, Krebs und COVID-19, und ein Gefangener verübte Selbstmord. Einige NGOs kritisieren die Nachlässigkeit der Behörden und das Versäumnis, den Gefangenen eine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, was zu einigen Todesfällen beigetragen haben könnte (USDOS 12.4.2022). Da der Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und minimaler medizinischer Versorgung für die Gefängnisinsassen im ganzen Land immer schwieriger wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf diejenigen, die ohnehin schon am meisten gefährdet sind, darunter auch Migranten und Flüchtlinge (Alkarama 15.1.2023). Seit August 2016 verfügt die General Security über eine neue Haftanstalt, sodass sich die Haftbedingungen für Ausländer, die abgeschoben oder ausgeliefert werden sollen, relativ verbessert haben; die Möglichkeiten medizinischer Versorgung sind allerdings, wie im gesamten Land, eingeschränkt (AA 5.12.2022). Es gibt in den Justizvollzugsanstalten eine elektronische Datenbank zur Nachverfolgung von Verbleib, Haftdauer und medizinischer Betreuung von Gefangenen (AA 5.12.2022). Im August 2022 wurden dem Parlament zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt (OT 26.9.2022), mit denen die Überbelegung der libanesischen Gefängnisse verringert werden soll. Die Gesetzentwürfe waren eine Reaktion auf die Drohung von Catering-Unternehmen, ab dem 1.9.2022 kein Essen mehr an Häftlinge zu liefern, wenn der Staat sie nicht bezahlt (OT 31.8.2022). Die Regierung ließ eine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen durch lokale und internationale Menschenrechtsgruppen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu, und diese Überwachung fand auch statt. Außerdem können Gefangene und Häftlinge Misshandlungen direkt bei der Menschenrechtsabteilung der ISF melden. Nach Angaben der ISF- Menschenrechtsabteilung ergriff die ISF Disziplinarmaßnahmen gegen Offiziere, die sie für Missbrauch oder Misshandlung verantwortlich machte, einschließlich Entlassungen, doch wurden diese Informationen nicht veröffentlicht. Die ISF berichtete, dass fünf ISF-Offiziere bestraft wurden, weil sie Verdächtige nicht über ihre Rechte bei der Festnahme gemäß Artikel 47 der Strafprozessordnung informiert hatten (USDOS 12.4.2022). Nichtregierungsorganisationen kritisieren allerdings, dass das libanesische Recht zwar vorsieht, dass die Aufsicht über die Gefängnisse von der Gefängnisabteilung des Justizministeriums wahrgenommen wird, die Haftanstalten jedoch weiterhin der Generaldirektion der Sicherheitskräfte unterstehen. Dies führt .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 30 von 68

dazu, dass die Gefangenen ihre Beschwerden über Folterungen oder Misshandlungen bei denselben Behörden einreichen müssen, die diese Handlungen durchgeführt oder zugelassen haben (Alkarama 15.1.2023). Auch nichtstaatliche Organisationen wie die Hizbollah und palästinensische Milizen betreiben Berichten zufolge inoffizielle Gefängnisse (USDOS 12.4.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023 -Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 1.2.2023 -AlM - Al Monitor (7.8.2022): Thirty inmates saw out of Lebanon jail, escape: authorities, https://www.al-monitor.com/originals/2022/08/thirty-inmates-saw-out-lebanon-jail-escape- authorities, Zugriff 1.2.2023 -OT - L’Orient Today (26.9.2022): Is reducing the prison year to six months the solution to prison overcrowding? https://today.lorientlejour.com/article/1312733/is-reducing-the-prison-year-to-six- months-the-solution-to-prison-overcrowding.html, Zugriff 1.2.2023 -OT - L’Orient Today (31.8.2022): Mawlawi to introduce bill that would reduce prison sentences, https://today.lorientlejour.com/article/1310010/mawlawi-to-introduce-bill-that-would-reduce-prison- sentences.html, Zugriff 1.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023 15. Todesstrafe Die Justiz verhängt weiterhin Todesurteile. Der Libanon hat allerdings seit 2004 keinen verurteilten Straftäter mehr hingerichtet, da seit 18 Jahren de facto ein Vollstreckungsmoratorium besteht (OT 18.4.2022; vgl. AA 5.12.2022). 81 Verurteilte, libanesische und ausländische, warten derzeit in der Todeszelle, hauptsächlich im Zentralgefängnis Roumieh. Die Justiz wartet noch immer auf einen nationalen Konsens zur Abschaffung der Todesstrafe (OT 18.4.2022). Offiziell droht im Libanon laut Gesetz die Todesstrafe noch für eine Reihe Delikte des allgemeinen Strafrechts (lib. StGB), darunter u.a. Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage, Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge und Terrorismus in besonders schweren Fällen (AA 5.12.2022). Im Jahr 2021 wurde mindestens zwölf mal die Todesstrafe verhängt, während es im Jahr zuvor zwei Urteile gab. Am 5.10.2021 verurteilte das Ständige Militärgericht des Landes vier Männer zum Tode, weil sie an einem Angriff der in Syrien ansässigen bewaffneten Gruppe Jabhat an-Nusra auf libanesische und syrische Soldaten in Arsal, Libanon, im Jahr 2014 beteiligt waren, bei dem mehrere Soldaten beider Armeen ums Leben kamen (AI 24.5.2022). Im Libanon sind keine .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 68

extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden. Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30. Juni 2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben infolge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern seither erfolglos eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse (AA 5.12.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -AI - Amnesty International (24.5.2022): Death sentences and executions 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/, Zugriff 30.1.2023 -OT - L’Orient Today (18.4.2022): Ansar’s quadruple femicide revives the debate on the death penalty in a Lebanon in crisis, https://today.lorientlejour.com/article/1297086/ansars-quadruple- femicide-revives-the-debate-on-the-death-penalty-in-a-lebanon-in-crisis.html, Zugriff 30.1.2023 16. Religionsfreiheit Die Verfassung sieht „absolute Glaubensfreiheit“ vor und erklärt, dass der Staat alle religiösen Gruppen und Konfessionen sowie den Personenstand und die religiösen Interessen von Personen jeder religiösen Gruppe respektiert. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung religiöser Riten, sofern sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und erklärt die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Bürger ohne Diskriminierung oder Bevorzugung (USDOS 2.6.2022). Es gibt 18 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, davon sind zwölf christlich und fünf muslimisch (AA 5.12.2022; vgl. USDOS 2.6.2022, CIA 11.1.2023). Eine kleine jüdische Gemeinde kommt hinzu (FAZ 18.8.2020). Christen wie Muslime üben ihre Religion offen und ohne Einschränkung aus. Die kleine Anzahl an Juden und Jüdinnen geben sich meist nicht öffentlich zu erkennen (AA 5.12.2022). Zu den Gruppen, die die Regierung nicht anerkennt, gehören die Baha'is, Buddhisten, Hindus und mehrere protestantische Gruppen (USDOS 2.6.2022). Nach Schätzungen von Statistics Lebanon sind 64,9 % der Bevölkerung Muslime (32 % Sunniten, 31,3 % Schiiten und 1,6 % Alawiten und Ismailiten zusammen). Statistics Lebanon schätzt außerdem, dass 32 % der Bevölkerung Christen sind. Die größte christliche Gruppe sind die maronitischen Katholiken (mit 52,5 % der christlichen Bevölkerung), gefolgt von den griechisch- orthodoxen Christen (25 % der christlichen Bevölkerung) (USDOS 2.6.2022). Der Anteil der Drusen beläuft sich auf lediglich 4,5 % der Bevölkerung (CIA 11.1.2023). In der Verfassung heißt es, dass bei der Verteilung von Kabinettsposten und hochrangigen Posten im öffentlichen Dienst .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 32 von 68
