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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
dazu, dass die Gefangenen ihre Beschwerden über Folterungen oder Misshandlungen bei denselben Behörden einreichen müssen, die diese Handlungen durchgeführt oder zugelassen haben (Alkarama 15.1.2023). Auch nichtstaatliche Organisationen wie die Hizbollah und palästinensische Milizen betreiben Berichten zufolge inoffizielle Gefängnisse (USDOS 12.4.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023 -Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 1.2.2023 -AlM - Al Monitor (7.8.2022): Thirty inmates saw out of Lebanon jail, escape: authorities, https://www.al-monitor.com/originals/2022/08/thirty-inmates-saw-out-lebanon-jail-escape- authorities, Zugriff 1.2.2023 -OT - L’Orient Today (26.9.2022): Is reducing the prison year to six months the solution to prison overcrowding? https://today.lorientlejour.com/article/1312733/is-reducing-the-prison-year-to-six- months-the-solution-to-prison-overcrowding.html, Zugriff 1.2.2023 -OT - L’Orient Today (31.8.2022): Mawlawi to introduce bill that would reduce prison sentences, https://today.lorientlejour.com/article/1310010/mawlawi-to-introduce-bill-that-would-reduce-prison- sentences.html, Zugriff 1.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023 15. Todesstrafe Die Justiz verhängt weiterhin Todesurteile. Der Libanon hat allerdings seit 2004 keinen verurteilten Straftäter mehr hingerichtet, da seit 18 Jahren de facto ein Vollstreckungsmoratorium besteht (OT 18.4.2022; vgl. AA 5.12.2022). 81 Verurteilte, libanesische und ausländische, warten derzeit in der Todeszelle, hauptsächlich im Zentralgefängnis Roumieh. Die Justiz wartet noch immer auf einen nationalen Konsens zur Abschaffung der Todesstrafe (OT 18.4.2022). Offiziell droht im Libanon laut Gesetz die Todesstrafe noch für eine Reihe Delikte des allgemeinen Strafrechts (lib. StGB), darunter u.a. Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage, Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge und Terrorismus in besonders schweren Fällen (AA 5.12.2022). Im Jahr 2021 wurde mindestens zwölf mal die Todesstrafe verhängt, während es im Jahr zuvor zwei Urteile gab. Am 5.10.2021 verurteilte das Ständige Militärgericht des Landes vier Männer zum Tode, weil sie an einem Angriff der in Syrien ansässigen bewaffneten Gruppe Jabhat an-Nusra auf libanesische und syrische Soldaten in Arsal, Libanon, im Jahr 2014 beteiligt waren, bei dem mehrere Soldaten beider Armeen ums Leben kamen (AI 24.5.2022). Im Libanon sind keine .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 68

extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden. Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30. Juni 2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben infolge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern seither erfolglos eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse (AA 5.12.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -AI - Amnesty International (24.5.2022): Death sentences and executions 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/, Zugriff 30.1.2023 -OT - L’Orient Today (18.4.2022): Ansar’s quadruple femicide revives the debate on the death penalty in a Lebanon in crisis, https://today.lorientlejour.com/article/1297086/ansars-quadruple- femicide-revives-the-debate-on-the-death-penalty-in-a-lebanon-in-crisis.html, Zugriff 30.1.2023 16. Religionsfreiheit Die Verfassung sieht „absolute Glaubensfreiheit“ vor und erklärt, dass der Staat alle religiösen Gruppen und Konfessionen sowie den Personenstand und die religiösen Interessen von Personen jeder religiösen Gruppe respektiert. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung religiöser Riten, sofern sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und erklärt die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Bürger ohne Diskriminierung oder Bevorzugung (USDOS 2.6.2022). Es gibt 18 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, davon sind zwölf christlich und fünf muslimisch (AA 5.12.2022; vgl. USDOS 2.6.2022, CIA 11.1.2023). Eine kleine jüdische Gemeinde kommt hinzu (FAZ 18.8.2020). Christen wie Muslime üben ihre Religion offen und ohne Einschränkung aus. Die kleine Anzahl an Juden und Jüdinnen geben sich meist nicht öffentlich zu erkennen (AA 5.12.2022). Zu den Gruppen, die die Regierung nicht anerkennt, gehören die Baha'is, Buddhisten, Hindus und mehrere protestantische Gruppen (USDOS 2.6.2022). Nach Schätzungen von Statistics Lebanon sind 64,9 % der Bevölkerung Muslime (32 % Sunniten, 31,3 % Schiiten und 1,6 % Alawiten und Ismailiten zusammen). Statistics Lebanon schätzt außerdem, dass 32 % der Bevölkerung Christen sind. Die größte christliche Gruppe sind die maronitischen Katholiken (mit 52,5 % der christlichen Bevölkerung), gefolgt von den griechisch- orthodoxen Christen (25 % der christlichen Bevölkerung) (USDOS 2.6.2022). Der Anteil der Drusen beläuft sich auf lediglich 4,5 % der Bevölkerung (CIA 11.1.2023). In der Verfassung heißt es, dass bei der Verteilung von Kabinettsposten und hochrangigen Posten im öffentlichen Dienst .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 32 von 68

ein „gerechtes und ausgewogenes Verhältnis“ zwischen den großen Religionsgemeinschaften herrschen soll (USDOS 2.6.2022). Von den 64 Sitzen für Muslime im libanesischen Parlament entfallen 27 auf die Schiiten und 27 auf die Sunniten, acht auf die Drusen und zwei auf die Alawiten. Von den 64 Sitzen für Christen entfallen 34 auf Maroniten, 14 auf Orthodoxe, 8 auf Mitglieder der griechischen Kirche, 5 auf Armenier und 3 auf andere christliche Minderheiten (AB 25.1.2022). Laut Gesetz gestattet die Regierung anerkannten Religionsgemeinschaften die Anwendung ihrer eigenen Regeln für Familien- und Personenstandsangelegenheiten, einschließlich Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder und Erbschaft. Schiiten, Sunniten, anerkannte Christen und Drusen verfügen über staatlich ernannte subventionierte klerikale Gerichte, die das Familien- und Personenstandsrecht gemäß den Überzeugungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft verwalten. Während die religiösen Gerichte und die religiösen Gesetze rechtlich an die Bestimmungen der Verfassung gebunden sind, hat der Kassationsgerichtshof, das höchste Zivilgericht im Justizsystem, nur eine sehr begrenzte Aufsicht über die Verfahren und Entscheidungen der religiösen Gerichte. Gemäß der Verfassung können anerkannte Religionsgemeinschaften ihre eigenen Schulen betreiben, sofern sie die allgemeinen Vorschriften für öffentliche Schulen einhalten, die besagen, dass die Schulen nicht zu konfessionellem Zwist anstiften oder die nationale Sicherheit gefährden dürfen. Die Regierung erlaubt den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, schreibt ihn aber nicht vor. Sowohl christliche als auch muslimische Vertreter lokaler Religionen veranstalten gelegentlich Aufklärungsveranstaltungen in öffentlichen Schulen (USDOS 2.6.2022). Die Ehe kann nur durch anerkannte Religionsgemeinschaften und in religiöser Form geschlossen werden (AA 5.12.2022). Einige christliche und muslimische Religionsbehörden führen interreligiöse Eheschließungen durch (USDOS 2.6.2022). Diese waren allerdings nur in wenigen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die letztlich darauf abzielen, dass ein Ehepartner zum Glauben des anderen konvertiert. Die vor einer anerkannten religiösen Instanz geschlossenen Ehen müssen anschließend in das libanesische Personenstandsregister eingetragen werden, damit die Eheurkunde rechtliche Beweiskraft erlangen kann. Eine zivile Eheschließung in Libanon ist weiterhin nicht möglich (AA 5.12.2022). Konversion Die Konversion ist im Libanon nicht ohne Stigma oder Schwierigkeiten, aber sie ist rechtlich zulässig, und das Kräfteverhältnis zwischen Islam und Christentum ist annähernd ausgeglichen (FT 1.2023). Laut Gesetz steht es einer Person frei, zu einer anderen Religion zu konvertieren, wenn ein örtlicher leitender Beamter der Religionsgemeinschaft, der die Person beitreten möchte, dem Wechsel zustimmt. Die Religionsgemeinschaft stellt ein Dokument aus, in dem die neue .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 33 von 68

Religion des Konvertiten bestätigt wird, sodass der Konvertit seine neue Religion bei der Direktion für den Personenstand des Innenministeriums eintragen lassen kann. Die neue Religion wird anschließend in die von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden eingetragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, die übliche Angabe ihrer Religion aus den von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden zu entfernen oder die Art der Angabe zu ändern. Für die Änderung der Dokumente ist keine Genehmigung der religiösen Beamten erforderlich, und die Eintragung der Person bei der Direktion für den Personenstand wird nicht geändert oder aufgehoben (USDOS 2.6.2022). In der Praxis kommen Konversionen nur in Ausnahmefällen vor, zumal Konvertiten nur eingeschränkt mit Verständnis ihres familiären oder gesellschaftlichen Umfelds rechnen können und allenfalls auch der Gefahr physischer Bedrohung ausgesetzt sind. Staatlichen Repressionen sind Konvertiten nicht ausgesetzt (AA 5.12.2022). Blasphemie Das Strafgesetzbuch sieht eine Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis für jeden vor, der wegen „öffentlicher Gotteslästerung“ verurteilt wird (USDOS 2.6.2022; vgl. HRF 26.11.2022). Es wird nicht definiert, was dies bedeutet. Gesetzliche Bestimmungen sehen mögliche Geld- oder Gefängnisstrafen für sektiererische Provokationen vor und der Presse ist die Veröffentlichung von blasphemischen Inhalten in Bezug auf die offiziell anerkannten Religionen des Landes oder von Inhalten, die sektiererische Fehden provozieren könnten, untersagt (USDOS 2.6.2022). Quellen: -AB - Al Bawaba (25.1.2022): Religious and Ethnic Groups in Lebanon, https://www.albawaba.com/opinion/religious-and-ethnic-groups-lebanon-1463785, Zugriff 30.1.2023 -CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023 -FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.8.2020): Religionsführer im Libanon : Moralische Autoritäten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/welche-rolle-religionsfuehrer-im-libanon- spielen-16909146.html, Zugriff 6.3.2023 -FT - First Things (1.2023): From Mecca to Rome, https://www.firstthings.com/article/2023/01/from-mecca-to-rome, Zugriff 31.1.2023 -HRF - Human Rights First (26.11.2022): Compendium Blasphemy Laws – Lenbanon, https://humanrightsfirst.org/wp-content/uploads/2022/11/Compendium-Blasphemy-Laws.pdf, Zugriff 31.1.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 30.1.2023 17. Minderheiten Die Bevölkerung des Libanon von geschätzten 5.296.814 Menschen besteht zu 95 % aus Arabern, zu 4 % aus Armeniern und zu 1 % aus sonstigen Ethnizitäten (CIA 11.1.2023). Die demografischen Daten sind umstritten, und seit 1932 hat es keine Volkszählung mehr gegeben. Einige Minderheitengruppen werden in erster Linie durch ihre Religion definiert, andere durch ihre .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 34 von 68

ethnische Zugehörigkeit (MR 5.2020). Es besteht im Grundsatz keine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung für libanesische Staatsangehörige oder die 18 anerkannten konfessionellen Gruppen. Die armenisch-stämmige Bevölkerung, eine bedeutende ethnische Minderheit, ist in Staat und Gesellschaft integriert. Die ca. 100.000 Personen umfassende kurdisch-stämmige Bevölkerung türkischen, syrischen oder irakischen Ursprungs wird nicht als Minderheit anerkannt, unterliegt aber keiner Repression wegen ihrer Volkszugehörigkeit; nach wie vor ist ein kleiner Teil dieser Bevölkerungsgruppe (ca. 1.000 - 1.500 Personen) aber staatenlos und hat damit keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen (AA 5.12.2022). [Anm.: Zur Lage von palästinensischen und syrischen Flüchtlingen siehe Kapitel 21.1 und 21.1.] Einen Sonderfall stellen in Libanon lebende ausländische Hausangestellte dar. Es handelt sich überwiegend um Frauen aus Süd- und Südostasien sowie aus Afrika. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft von weit verbreiteten Fällen schwerer Misshandlung, sexuellen Missbrauchs, wirtschaftlicher Ausbeutung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Passentzug seitens der Arbeitgeber. In einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie der NGO Egna Legna Besidet in Zusammenarbeit mit der Lebanese American University, bei der 913 Interviews mit ausländischen Hausangestellten durchgeführt wurden, gaben 68 % der Befragten an, während ihres Aufenthalts im Libanon mindestens eine Erfahrung von sexueller Belästigung gemacht zu haben. Für ausländische Hausangestellte gelten die Schutzbestimmungen des libanesischen Arbeitsrechts nicht, sondern das sogenannte Kafala System. Die Erfordernis eines persönlichen „Sponsors“ für die Aufenthaltsgenehmigung unterwirft die Betroffenen faktischer und rechtlicher Abhängigkeit. Die Regierung hat 2020 einen neuen Mustervertrag mit Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen verordnet. Dieser Vertrag ist allerdings aufgrund von Klagen von Vermittlungsagenturen vor Gericht derzeit ausgesetzt. Im Übrigen blieben staatliche Bemühungen für eine signifikante Verbesserung der Lage von Hausangestellten unzureichend (AA 5.12.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023 -MR - Minority Rights (5.2020): Lebanon, https://minorityrights.org/country/lebanon/, Zugriff 30.1.2023 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 35 von 68

17.1. Beduinen – al-Ashaer, bzw. al-Arabiya Die meisten Beduinen identifizieren sich aufgrund des sozialen Stigmas nicht als „Badu“ sondern als „Al-Ashaer“ („Stämme“) oder „Al-Arabiya“ (ÖB 28.10.2021). Beduinen sind nomadische Araber, die seit Hunderten von Jahren im Nahen Osten präsent sind (T961 28.1.2021). Sie sind stark in eigenen Traditionen verwurzelt, einschließlich eines traditionellen Rechtssystems und eines sie von anderen Libanesen differenzierenden Dialekts (ÖB 28.10.2021). Ein Teil der Angehörigen der Nomadenstämme/Beduinen in der Bekaa-Ebene und der Region Akkar wurde 1994 eingebürgert. Auch wenn diese rechtlich nicht diskriminiert werden, handelt es sich sozial und ökonomisch neben den palästinensischen und syrischen Flüchtlingen um die am stärksten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Die Lage der nicht-eingebürgerten Beduinen ist besonders prekär; sie haben keinen Zugang zu staatlichen Leistungen (AA 5.12.2022). Ursprünglich lebten Beduinen vor allem in der Bekaa-Ebene sowie in Wadi Khaled im Akkar. Mittlerweile gibt es solche Gruppen im gesamten Land. Viele Beduinen leben schon lange im Land, zusätzliche Gruppen kamen während des Syrien-Kriegs in den Libanon. Die meisten von ihnen sind nach wie vor staatenlos, die Einbürgerung einiger zehntausende unter Premierminister Rafik Hariri 1994 stieß vor allem bei der christlichen Bevölkerungsgruppe auf Kritik, da man eine Veränderung des Bevölkerungsgleichgewichts befürchtete (ÖB 28.10.2021). Vielen staatenlosen Beduinen im Libanon werden aufgrund ihrer fehlenden Staatsangehörigkeit Grundbedürfnisse und Dienstleistungen wie Arbeit und die Schulbildung ihrer Kinder verweigert. Die Tatsache, dass sie im Staat unterrepräsentiert sind, macht es schwieriger, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, zumal viele von ihnen den Gedanken ablehnen, politischen Parteien beizutreten, weil sie sich stark ihrem Stamm zugehörig fühlen (T961 28.1.2021). Die Zahl der über das Schulsystem gut integrierten Beduinen dürfte 5 % nicht übersteigen, sodass die überwiegende Mehrzahl weiterhin als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeitet. Es fehlt in ihren Dörfern an grundlegender Infrastruktur (ÖB 28.10.2021). Bei den Sunniten in Khalde [nahe Beirut] handelt es sich meist um Beiruter Beduinen, die während des Bürgerkriegs von christlichen Milizen aus dem Stadtteil Quarantaine [Karantina] vertrieben wurden („Arab Al-Maslakh“ oder „Schlachthausaraber“) (ÖB 28.10.2021; vgl. OT 6.5.2922). Der Zusammenstoß in Khalde im August 2021 involvierte die Hizbollah und auf der anderen Seite Mitglieder eines Beduinenstammes (KT 3.8.2021; vgl. Reddit 1.8.2021). Ein Jahr zuvor war ein Mitglied des Stammes von einem Hizbollah-Mitglied getötet worden. Dieses wurde ein Jahr später aus Rache bei einer Hochzeit ermordet. Dann folgte ein Angriff auf dessen Beerdigungszug in Khalde, was in eine Auseinandersetzung mit mindestens fünf Toten mündete (KT 3.8.2021). Quellen: .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 36 von 68

-AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -KT - Khmer Times (3.8.2021): Armed groups clash in area south of Lebanese capital, https://www.khmertimeskh.com/50907321/armed-groups-clash-in-area-south-of-lebanese-capital/, Zugriff 30.1.2023 -ÖB Beirut (28.10.2021): Auskunft per E-Mail -OT - L’Orient Today (6.5.2022): In Khaldeh, 'a gate to four places,' the Arab tribes stake out their turf, https://today.lorientlejour.com/article/1298555/in-khaldeh-a-gate-to-four-places-the-arab- tribes-stake-out-their-turf.html, Zugriff 30.1.2023 -Reddit [Posting von Johnny GSG9] (1.8.2022): Video: Arabs of Khalde (Bedouin clans) clashing with Hezbollah supporters in Khalde, Lebanon. 1 august 2021, https://www.reddit.com/r/CombatFootage/comments/ovze48/arabs_of_khaldebedouin_clans_clas hing_with/, Zugriff 30.1.2023 -T961 - The961 (28.1.2021): How The Bedouins of Lebanon Came To Be, https://www.the961.com/story-bedouins-of-lebanon/, Zugriff 30.1.2023 18. Relevante Bevölkerungsgruppen 18.1. Frauen Frauen sind im politischen und gesellschaftlichen Leben deutlich unterrepräsentiert. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2020 gingen insgesamt acht Sitze an Frauen, was eine leichte Verbesserung gegenüber 2018 darstellt (2018: sechs) (AA 5.12.2022; vgl. HBS 2.12.2022). Im Bericht des Weltwirtschaftsforums zum Gender Gap 2022 wird der Libanon auf Platz 119 von 146 Ländern geführt und gehört damit zu den Ländern, die im regionalen Vergleich noch am besten abschneiden (WEF 13.7.2022). Innerhalb der Familien und der Gesellschaft herrscht allerdings weiterhin ein patriarchalisches System, das den Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert (AA 5.12.2022). Frauen im Libanon werden sowohl durch das Gesetz und als auch in der Praxis diskriminiert (USDOS 12.4.2022). Libanon hat 1997 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert, jedoch bezüglich zahlreicher Bestimmungen Vorbehalte eingelegt. Das dazugehörige Fakultativprotokoll zur Möglichkeit der Individualbeschwerde wurde bisher nicht unterzeichnet (AA 5.12.2022). Die Verfassung verbietet nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (USDOS 12.4.2022). Seit Dezember 2020 ist sexuelle Belästigung in Libanon strafbar (AA 5.12.2022). Die rechtliche Stellung der Frau wird stark durch die konfessionell unterschiedlichen Personenstandsgesetze beeinflusst (AA 5.12.2022; vgl HRW 12.1.2023; vgl. HBS 2.12.2022) [siehe hierzu auch Kapitel 5. „Rechtsschutz/Justizwesen“]. Alle 18 anerkannten Religionsgemeinschaften haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für diese Angelegenheiten zuständig sind, und die Gesetze variieren je nach Religionsgemeinschaft. So wenden beispielsweise sunnitische Religionsgerichte ein Erbrecht an, das einer Tochter die Hälfte .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 37 von 68

des Erbes eines Sohnes zuspricht. Das religiöse Recht in Sorgerechtsangelegenheiten bevorzugt in den meisten Fällen den Vater, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Scharia-Gerichte gewichten die Aussage eines Mannes genauso wie die zweier Frauen (USDOS 12.4.2022). Auch das Staatsangehörigkeitsrecht diskriminiert Frauen, die an ihren Ehepartnern und ihren Kindern nicht die Staatsangehörigkeit übertragen dürfen (USDOS 12.4.2022; vgl. HBS 2.12.2022, HRW 12.1.2023). Das Personenstandsrecht wird in hohem Maße von religiösen Persönlichkeiten geschützt, beherrscht die Familiengerichte und wirkt sich auf alle Aspekte des Lebens der Frauen im Lande aus. Zu den Personenstandsgesetzen kommen die Gesetze hinzu, die im Laufe der Jahre im Mittelpunkt feministischer Kämpfe standen, nämlich das Staatsangehörigkeitsgesetz, das Gesetz über geschlechtsspezifische Gewalt, das Gesetz über Belästigung, das Sorgerechtsgesetz und das Kafala-System, das auf das Fehlen gerechter Gesetze zum Schutz von Migrantinnen zurückzuführen ist (HBS 2.12.2022). Problematisch ist auch, dass es kein allgemeinverbindliches gesetzliches Mindestheiratsalter gibt und zahlreiche religiös-konfessionelle Rechtsstatute die Verheiratung von Minderjährigen erlauben [Anm.: siehe hierzu auch das Unterkapitel 18.2 „Kinder“] (AA 5.12.2022). Gemäß Art. 487-489 des Strafgesetzes erhalten Frauen bei Verurteilung wegen Ehebruchs höhere Strafen als Männer (AA 5.12.2022). Die Mindesthaftstrafe für eine Person, die wegen Vergewaltigung verurteilt wird, beträgt fünf Jahre, bei Vergewaltigung eines Minderjährigen sieben Jahre. Das Gesetz befreit Vergewaltiger nicht mehr von der Strafverfolgung oder hebt ihre Verurteilung auf, wenn sie ihre Opfer geheiratet haben (USDOS 12.4.2022). 2017 wurde durch die Aufhebung des Paragraphs 522 des Strafgesetzbuches die Straffreiheit abgeschafft, für den Fall, dass der Vergewaltiger das Opfer nach der Tat heiratete. Gewalt gegen Frauen (und Kinder) ist ein verbreitetes soziales Problem, das öffentlich prominent diskutiert wird (AA 5.12.2022). Eine wachsende Zahl von Fällen von Femizid und häuslicher Gewalt macht deutlich, dass das entsprechende Gesetz gegen Gewalt in der Familie stärker umgesetzt werden muss (HRW 12.1.2023). Frauen und Mädchen sind weiterhin verschiedenen Risiken und Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Im zweiten Quartal 2022 waren körperliche Angriffe und psychische oder emotionale Misshandlungen mit 36 % bzw. 34 % die am häufigsten gemeldeten Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt. Sexueller Missbrauch bleibt ein Risiko mit verheerenden Folgen für Frauen und Mädchen. Aufgrund der damit verbundenen Stigmatisierung wird jedoch nach wie vor zu wenig darüber berichtet. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung machen 17 % aller gemeldeten Vorfälle aus, so der UN-Gender-Based-Violence-Bericht aus dem Jahr 2022 (UNFPA et al. 7.10.2022). Dank der Lobbyarbeit und der hartnäckigen Bemühungen von Frauenorganisationen und Aktivisten und Aktivistinnen wurde 2014 ein Gesetz erlassen, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt (CSKC .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 38 von 68

31.12.2014; vgl. HBS 2.12.2022, AA 5.12.2022). Das Gesetz ist jedoch nach wie vor nicht in der Lage, einen umfassenden Schutz zu bieten, da es nicht alle Arten von Gewalt anerkennt, moralischen, emotionalen und verbalen Übergriffen keine Bedeutung beimisst und die wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit der Frauen von ihren Tätern nicht garantiert (HBS 2.12.2022). Einer der Hauptmängel des Gesetzes besteht darin, dass es Vergewaltigung in der Ehe nicht ausdrücklich unter Strafe stellt, was nach anderem libanesischem Recht keine Straftat ist. Ein früherer Entwurf des Gesetzes sah Vergewaltigung in der Ehe als Straftat vor, doch wurde diese Bestimmung auf Druck religiöser Autoritäten gestrichen (HRW 3.4.2014). Als eine Art Kompromiss stellt das Gesetz die Anwendung von Drohungen oder Gewalt durch einen Ehepartner unter Strafe, um ein „eheliches Recht auf Geschlechtsverkehr“ einzufordern, nicht aber die nicht einvernehmliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit selbst (HRW 3.4.2014; vgl. USDOS 12.4.2022). Die Aktivistinnen und Aktivisten kritisierten auch den Verweis auf ein „eheliches Recht auf Geschlechtsverkehr“, das es im libanesischen Strafrecht nicht gibt, und befürchten, dass dies zur Legitimierung von Vergewaltigungen in der Ehe verwendet werden könnte (HRW 3.4.2014). Darüber hinaus ist das Strafmaß deutlich niedriger als bei Vergewaltigung außerhalb der Ehe (AA 5.12.2022). Während die Regierung versucht das Gesetz effektiv durchzusetzen, verhindert seine Auslegung durch religiöse Gerichte in Fällen, die vor diese und nicht vor Zivilgerichte gebracht wurden, die vollständige Umsetzung des Zivilrechts in allen Provinzen (USDOS 12.4.2022). Laut KAFA (enough) Violence & Exploitation, einer lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, waren im Juni 2022 93 % der Täter in neu gemeldeten Missbrauchsfällen die Ehemänner (KAFA 18.8.2022). Obwohl das Gesetz für Körperverletzung eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis vorsieht, konnten sich religiöse Gerichte auf das Personenstandsrecht berufen, um von einer misshandelten Ehefrau zu verlangen, dass sie in die gemeinsame Wohnung mit ihrem Misshandler zurückkehrt. Einige Polizeibehörden, vor allem in ländlichen Gebieten, behandelten häusliche Gewalt als eine soziale und nicht als eine kriminelle Angelegenheit (USDOS 12.4.2022). Im Allgemeinen bemühen sich Polizei- und Justizbeamte um eine bessere Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt, stellen jedoch fest, dass sozialer und religiöser Druck - vor allem in konservativeren Gemeinschaften - dazu führt, dass zu wenig Fälle gemeldet werden. Einige Opfer, die oft unter dem Druck von Verwandten stehen, suchen die Schlichtung durch religiöse Gerichte oder zwischen Familien, anstatt sich an die Justiz zu wenden. Es gibt Berichte und Fälle von ausländischen Hausangestellten, in der Regel Frauen, die unter Misshandlung, Missbrauch und in einigen Fällen unter Vergewaltigung oder sklavereiähnlichen Bedingungen leiden (USDOS 12.4.2022). KAFA hat eine langfristige Zusammenarbeit mit der libanesischen Sicherheitsbehörden (ISF) eingeleitet, um eine bessere Reaktion auf misshandelte und von Gewalt bedrohte weibliche Hausangestellte zu entwickeln und umzusetzen (KAFA 2022). Die Internal Security Forces (ISF) .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 39 von 68

informieren ihre Menschenrechtsabteilung über Fälle, in denen Opfer häuslicher Gewalt und andere gefährdete Gruppen involviert sind, damit die Beamten die Fälle verfolgen und den Opfern angemessene Unterstützung bieten können. Die Abteilung für Frauenangelegenheiten im Sozialministerium und mehrere NGOs setzen ihre Projekte zur Bekämpfung von sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt fort, z. B. die Bereitstellung von Beratung und Unterkünften für Opfer (USDOS 12.4.2022). Der Libanon ist ein Zielland des internationalen Frauenhandels, vornehmlich aus Osteuropa, Russland und Syrien. Die Regierung arbeitet inzwischen mit NGOs zusammen, um diesen die Betreuung von Opfern des Frauenhandels zu ermöglichen (AA 5.12.2022). Besonders schwierig ist die Situation von Flüchtlingsfrauen in der gegenwärtigen Krise. Dies beschränkt sich nicht nur auf die krisenbedingte wirtschaftliche Belastung, sondern bezieht sich auch auf ihre eigenen derzeitigen Möglichkeiten, Schutz zu suchen und Rechte zu erlangen. Im Libanon sind syrische und palästinensische Flüchtlingsfrauen und -mädchen noch weit von jeglicher Form der Gleichstellung entfernt, selbst mit ihren libanesischen (nicht geflüchteten) Mitbürgerinnen (HBS 2.12.2022). Die Zahl der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) im Libanon ist stetig gestiegen (ICNL 14.11.2022). Wichtige libanesische NGOs und CSOs, die sich für Frauen einsetzen, sind neben KAFA (KAFA o.D.) auch Lebanese Democratic Women’s Gathering (RDFL) (RDFL o.D.), Lebanese Council for Women (LCW) (CSKC o.D.), Dar Al Amal (DAA) (DAA o.D.) oder Fe-Male (FM o.D.). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023 -CSKC - Civil Society Knowledge Center (31.12.2014): Issuance of Law no. 293 for the Protection of Women and Family Members from Domestic Violence, https://civilsociety- centre.org/content/issuance-law-no-293-protection-women-and-family-members-domestic- violence, Zugriff 30.1.2023 -CSKC - Civil Society Knowledge Center (o.D.): Lebanese Council for Women (LCW), https://civilsociety-centre.org/content/lebanese-council-women-lcw, Zugriff 30.1.2023 -Dar Al Amal (DAA) (o.D.): About Us, https://www.dar-alamal.org/aboutus.php, Zugriff 30.1.2023 -FM - Fe-Male (o.D.) Who We Are, https://www.fe-male.org/who-we-are, Zugriff 30.1.2023 -HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023 -HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 30.1.2023 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 40 von 68
