palg-gaza-lib-2022-05-31-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
29.9.2021). Bei den Kampfhandlungen im Mai 2021 (HRW 13.1.2022), wie auch schon zuvor, wurden unter anderem auch Bildungseinrichtungen beschädigt (UNSC 6.5.2021). Palästinenser in Gaza berichteten, dass die Einmischung der Hamas in die öffentlichen Schulen auf Primar-, Sekundar- und Universitätsebene aufgrund der COVID-19-bedingten Schulschließungen und der Konzentration auf den Online-Unterricht erheblich zurückgegangen sei (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge bot die Hamas in ihren Schulen im Rahmen von Sommerlagern für Jugendliche Kurse zur militärischen Ausbildung an, für die sich schulpflichtige Kinder um Aufnahme bewerben konnten. Allerdings gab es im Jahr 2021 keine Berichte, dass die Hamas Kindersoldaten rekrutierte oder einsetzte (USDOS 12.4.2022). 2020 verifizierten die Vereinten Nationen dagegen die Rekrutierung und den Einsatz von zwei Kindersoldaten durch die al-Qassam-Brigaden (UNSC 6.5.2021). Die Palästinensische Autonomiebehörde hat Gesetze und Verordnungen zu Kinderarbeit erlassen. Der Rechtsrahmen im Westjordanland und im Gazastreifen weist jedoch Lücken auf, die einen angemessenen Schutz der Kinder vor den schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich des Kinderhandels, verhindern (USDOL 29.9.2021). Die Hamas hat die Gesetze zur Kinderarbeit im Gazastreifen nicht wirksam durchgesetzt; dennoch ist der Prozentsatz der Kinderarbeit im Gazastreifen niedriger als im Westjordanland, was mit der hohen Arbeitslosigkeit in allen Teilen der Gesellschaft und der damit einhergehenden Konkurrenz um Arbeitsplätze in Verbindung gebracht wird. Berichten zufolge ermutigte die Hamas Kinder, Kies und Metallschrott von Bombenabwurfstellen zu sammeln, um sie an Recycling-Händler zu verkaufen. Die Hamas rekrutierte Jugendliche für den Tunnelbau. Kinder arbeiteten informell in Werkstätten, oftmals als Hilfskräfte von Mechanikern und halfen beim Reifenwechsel. Aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Not im Gazastreifen war das Betteln auf der Straße, vor allem durch Kinder, von denen die Jüngsten drei Jahre alt waren, im gesamten Gazastreifen üblich, und die Hamas versuchte nicht mehr, diese Praxis zu unterbinden (USDOS 12.4.2022). Das im Westjordanland und im Gazastreifen geltende Strafgesetzbuch erlaubt die körperliche Züchtigung von Kindern durch die Eltern, was nach wie vor eine weit verbreitete Praxis ist (HRW 13.1.2022). Andererseits verbietet das Gesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Gewalt gegen Kinder; die Behörden der PA und der Hamas im Gazastreifen bestraften jedoch nur selten Personen, denen Gewalt in der Familie vorgeworfen wurde. Berichte über häusliche Gewalt nahmen unter den Coronavirus-Notstandsverordnungen zu (USDOS 12.4.2022). Kinderehen scheinen im Westjordanland und im Gazastreifen nicht weit verbreitet zu sein, wie NGOs berichten (USDOS 12.4.2022). Mädchen sind im Gazastreifen jedoch anfällig für .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 50

Kinderheirat und frühe Schwangerschaft. Sie sind nicht nur durch das nationale Recht – das die Heirat von Mädchen im Alter von 16 Jahren erlaubt – schlecht geschützt, sondern stehen auch unter erheblichem Druck seitens ihrer Familien, früh zu heiraten, um die „Ehre“ zu wahren, und auch aufgrund von wirtschaftlicher Not. Aus einem Bericht der palästinensischen Statistikbehörde (PCBS) von 2020 geht hervor, dass 17% der Frauen im Gazastreifen im Alter von 20 bis 24 Jahren zum ersten Mal geheiratet haben, bevor sie 18 Jahre alt waren (al-Bayoumi et al. 10.2021). Im Gazastreifen droht Verdächtigen, die der Vergewaltigung eines Opfers, das jünger als 14 Jahre ist, überführt werden, unter der Herrschaft der Hamas die Todesstrafe. Berichten zufolge führten gesellschaftliche Normen im Gazastreifen dazu, dass der Hamas die sexuelle Ausbeutung von Kindern oftmals nicht gemeldet wurde. Im Gazastreifen gibt es kein gesetzliches Schutzalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, weil eine Heirat vor dem Geschlechtsverkehr gesetzlich vorgeschrieben ist (USDOS 12.4.2022). Im Gazastreifen kommt es vor allem durch Offensiven des israelischen Militärs und umherfliegende Schrapnelle bei israelischen Luftangriffen, wie auch bei Einsätzen israelischer Sicherheitskräfte bei Protesten entlang des Grenzzauns zu Todesopfern und Verletzten unter palästinensischen Kindern (DCIP o.D.; vgl. UNSC 6.5.2021). Von bewaffneten Gruppierungen aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium abgeschossene Raketen verursachen auch Opfer im Gazastreifen (AI 2022b; vgl. UNSC 6.5.2021): Nach Angaben der palästinensischen Menschenrechtsorganisation al-Mezan forderten im Mai 2021 aus Gaza abgefeuerte Raketen im Gazastreifen mindestens 20 Tote, darunter ein Sechs- und ein Vierzehnjähriger, wie auch 80 Verletzte (AI 2022b). Insgesamt wurden während der Kämpfe im Mai 2021 im Gazastreifen neben 194 erwachsenen Palästinensern 66 Kinder getötet (HRW 13.1.2022). Durch den bewaffneten Konflikt wurde eine große Zahl palästinensischer Kinder im Westjordanland und im Gazastreifen vertrieben (USDOS 12.4.2022). Quellen: - AI – Amnesty International (2022b): Palestine (State of) 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/palestine-state-of/report- palestine-state-of/, Zugriff 23.5.2022 - al-Bayoumi, Nadia/Diab, Riyad/Abu Hamad, Bassam (10.2021): Knowledge, Attitudes, and Practices among Men in the Gaza Strip Related to Sexual and Reproductive Health and Rights and Child-rearing, https://healthclusteropt.org/admin/file_manager/uploads/files/shares/Documents/ 616be3a6aad7f.pdf, Zugriff 24.5.2022 - DCIP – Defence for Children International Palestine (o.D.): Fatalities & Injuries, https://www.dci-palestine.org/fatalities_injuries, Zugriff 24.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 32 von 50

- HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - UNSC – United Nations Security Council (6.5.2021): Children and Armed Conflict, https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2021/437&Lang=E&Area=UNDOC, Zugriff 23.5.2022 - USDOL – United States Department of Labor (29.9.2021): 2020 Findings on the Worst Forms of Child Labor, https://www.dol.gov/agencies/ilab/resources/reports/child-labor/west- bank-and-gaza-strip, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - Xinhua (16.8.2021): New school year starts in Palestinian territories after months of school closure, http://www.xinhuanet.com/english/2021-08/16/c_1310130759.htm, Zugriff 31.5.2022 11.3. Homosexuelle Die palästinensische Gesellschaft ist in vielfacher Hinsicht konservativ und traditionell eingestellt und steht Homosexualität grundsätzlich ablehnend gegenüber. Die negativen Reaktionen gehen von sozialer Ausgrenzung bis hin zu körperlicher Gewalt. Palästinensische politische Organisationen vermeiden das Thema LGBTI-Rechte. Dennoch gibt es Organisationen, die versuchen, die Situation für LGBTI in Palästina zu verbessern, u.a. durch rechtliche Beratung und psychologische Unterstützung (GIZ 11.2020c). Im Gazastreifen ist immer noch die Verordnung 74 des Strafgesetzbuches aus britischer Mandatszeit von 1936 in Kraft. Abschnitt 152(2) des Gesetzes sieht für sexuelle Akte zwischen Männern eine Haftstrafe von bis zu 10 Jahren vor (GIZ 11.2020c; FH 28.2.2022). Das in Gaza geltende Rechtssystem bietet gefährdeten Gruppen wie LGBT+-Personen, nur wenig Schutz vor Belästigung und Diskriminierung (FH 28.2.2022). Gleichgeschlechtliche Ehen und eingetragene Partnerschaften sind rechtlich nicht anerkannt und offen werden solche Beziehungen nicht gelebt (GIZ 11.2020c). Homosexualität ist im Westjordanland und im Gazastreifen weiterhin ein soziales und religiöses Tabuthema (AA 24.5.2022). Quellen: - AA – Auswärtiges Amt (24.5.2022): Palästinensische Gebiete: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/palaestinensischegebiete- node/palaestinensischegebietesicherheit/203674, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020c) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Gesellschaft, https://web.archive.org/web/20210514041258/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/gesellschaft/, Zugriff 23.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 33 von 50

12. Bewegungsfreiheit Innerhalb des Gazastreifens: In dem Bemühen, die Verbreitung von COVID-19 zu bekämpfen, setzte die Hamas gelegentlich Beschränkungen der Bewegungsfreiheit im Gazastreifen durch (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Der Druck, sich der Auslegung der islamischen Normen durch die Hamas anzupassen, schränkte im Allgemeinen die Bewegungsfreiheit von Frauen ein, die oft in Gruppen reisen mussten, wenn sie bestimmte öffentliche Bereiche wie den Strand besuchten. Vereinzelt wurde berichtet, dass Sicherheitsbeamte von Männern den Nachweis verlangten, dass es sich bei einer Frau, die sie an einem öffentlichen Ort begleitete, um ihre Ehefrau handelte (USDOS 12.4.2022). Ein- und Ausreise aus dem Gazastreifen: Die Bewegungsfreiheit der Bewohner des Gazastreifens ist stark eingeschränkt, die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren weiter erschwert. Sowohl Israel als auch Ägypten überwachen die Grenzgebiete streng, und die Hamas verhängt ihre eigenen Beschränkungen (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Kurzfristige und unangekündigte Totalsperrungen des Gazastreifens sind jederzeit möglich (BMEIA 24.5.2022). Im Februar 2021 erließen die Hamas-Behörden neue Beschränkungen, die es männlichen Vormunden erlauben, die örtlichen Behörden zu ersuchen, unverheiratete Frauen an der Ausreise aus dem Gazastreifen zu hindern, wenn eine solche Reise „absoluten Schaden “ verursachen würde (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Die Hamas setzte im Gazastreifen gelegentlich Bewegungsbeschränkungen für Palästinenser durch, die versuchten, den Gazastreifen über die Grenzübergänge Erez nach Israel und Rafah nach Ägypten zu verlassen. Sie verlangte Ausreisegenehmigungen von Palästinensern, die den Gazastreifen über den israelischen Grenzübergang Erez verlassen wollten. Sie hinderte einige Palästinenser an der Ausreise aus dem Gazastreifen, wobei sie sich auf den Zweck ihrer Reise berief oder die Zahlung von Steuern und Geldbußen erzwingen wollte (USDOS 12.4.2022). Palästinenser, die nach Gaza zurückkehren, werden regelmäßig von der Hamas über ihre Aktivitäten in Israel, im Westjordanland und im Ausland verhört (USDOS 12.4.2022). Palästina verfügt über keinerlei Souveränitätsrechte, was die Einreise und den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern betrifft. Allein zuständig für die Erteilung von Visa ist der Staat Israel (GIZ 11.2020d). Aber die Hamas schränkte dennoch die Einreise von Ausländern in den Gazastreifen ein, es sei denn, eine anerkannte örtliche Einrichtung beantragte die Einreise vor der Ankunft. Die Hamas hat mehreren internationalen Journalisten die Einreise verweigert, weil es keine lokalen Agenturen oder Personen gab, die in ihrem Namen Genehmigungen beantragten (USDOS 12.4.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 34 von 50

Israelische Beamte verhängten aufgrund von Sicherheits- und Wirtschaftsbedenken Beschränkungen für den Material-, Waren- und Personenverkehr in und aus dem Gazastreifen, wobei auch NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch, sowie die Vereinten Nationen, berichteten, dass ihre Mitarbeiter von den Einschränkungen betroffen waren und keine Genehmigungen erhielten. Die israelische Regierung erklärte, dass alle Anträge auf Ausreise aus dem Gazastreifen von Fall zu Fall unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten geprüft werden, die sich aus der de facto-Kontrolle der Hamas über den Gazastreifen ergeben (USDOS 12.4.2022). Israel hält eine starke Sicherheitspräsenz an den Land- und Seegrenzen des Gazastreifens aufrecht und hindert Personen auch mit scharfer Munition daran, die Pufferzonen in der Nähe dieser Grenzen zu betreten (FH 28.2.2022). Im September 2021 hat Israel eine Lockerung der Auflagen für das palästinensische Küstengebiet angekündigt. So wurde die Fischereizone vor dem palästinensischen Gazastreifen auf 15 Seemeilen (knapp 28 Kilometer) ausgeweitet, der Warenübergang Kerem Schalom in das blockierte Gebiet wieder vollständig geöffnet, und Israel will die Zahl der Einreisegenehmigungen für Geschäftsleute aus dem Gazastreifen von 5.000 auf 7.000 erhöhen (Spiegel 1.9.2021). Korruption und Bestechung an den Grenzübergängen sind weit verbreitet (FH 28.2.2022). Reise von/nach Israel und die Westbank: Israel hat weitreichende Beschränkungen des Personen- und Warenverkehrs in und aus dem Gazastreifen verhängt, wobei Israels Abriegelungspolitik laut Human Rights Watch von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht auf einer individuellen Bewertung des Sicherheitsrisikos einer Person basiert (HRW 13.1.2022). Israel verweigert den Einwohnern des Gazastreifens oft aus Sicherheitsgründen die Erlaubnis, das Gebiet zu verlassen, und erlaubt nur bestimmten Patienten aus medizinischen Gründen sowie anderen Personen die Ausreise. Universitätsstudenten haben Schwierigkeiten, die notwendigen Genehmigungen zu erhalten, um das Gebiet zu verlassen und im Ausland zu studieren (FH 28.2.2022). Ansuchen auf eine Umsiedlung in die Westbank werden normalerweise abgelehnt (Hamoked/B’Tselem 1.2014). Der Gaza-Streifen ist seit Juni 2007 für den allgemeinen Personenverkehr von und nach Israel fast vollständig abgeriegelt. Der einzige Personenübergang zwischen Israel und dem Gaza-Streifen, Erez, ist zurzeit insbesondere für humanitäre Fälle und internationale Organisationen geöffnet (AA 24.5.2022). Die Einreise nach Israel aus dem Gazastreifen via Erez-Checkpoint ist nur möglich, wenn die Ausreise aus Israel .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 35 von 50

nach Gaza ebenso dort erfolgte. Personen, die nach Gaza über Rafah (Ägypten) einreisen, müssen wieder über Rafah ausreisen (BMEIA 24.5.2022). Im Jahr 2021 verließen insgesamt 90.421 Menschen den Gazastreifen via Erez Richtung I srael, rund 87.000 reisten über diesen Weg nach Gaza ein. In den ersten vier Monaten des Jahres 2022 reisten rund 114.000 Menschen via Erez aus Gaza aus und rund 113.000 reisten ein. Die Zahl der Grenzübertritte lag zwischen Jänner und April 2022 deutlich höher als in den meisten anderen Monaten seit 2008 (OCHA o.D.b). Mit Stand April 2022 hat Israel rund 12.000 Ausreiseerlaubnisse zu Arbeitszwecken für Bewohner des Gazastreifens nach Israel ausgestellt. Als Ende April 2022 Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert wurden, hat Israel den Grenzübergang Erez zwei Tage lang für Arbeiter und Händler gesperrt (Gisha 26.4.2022), im Mai 2022 folgte eine weitere Grenzschließung (Gisha 11.5.2022). Tausende von Familien im Gazastreifen haben Verwandte, die im Westjordanland oder innerhalb der Green Line [Anm.: im Staat Israel] leben. Jedoch gibt es laut der israelischen NGO Gisha (Legal Center for Freedom of Movement) Hindernisse und Beschränkungen für die Erteilung von Genehmigungen zum Besuch von Verwandten im Gazastreifen oder außerhalb. Anträge können nur gestellt werden, um einen Verwandten ersten Grades (ein Elternteil, Geschwister, Kind oder Ehepartner) bei Heirat, kritischer Krankheit oder Todesfall zu besuchen (Gisha 18.11.2021). Nach Angaben von Gisha verweigerten die israelischen Behörden einige Ausreiseanträge von Einwohnern des Gazastreifens mit der Begründung, die Antragsteller seien „Verwandte ersten Grades von Hamas-Aktivisten“ (USDOS 12.4.2022). Die israelischen Behörden lehnten palästinensische Anträge auf Reisegenehmigungen für den Erez-Übergang unter Anführung von Sicherheitsbedenken häufig ab oder reagierten nicht auf sie, auch nicht für Patienten auf der Suche nach medizinischer Versorgung, die im Gazastreifen nicht verfügbar war (USDOS 12.4.2022). Von den mehr als 15.000 Anträgen auf Erteilung einer Patientengenehmigung aus dem Gazastreifen im Jahr 2021 wurden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 37 % verzögert oder abgelehnt. Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete z.B im April 2022 von dem Fall einer Patientin im Kleinkindalter, die verstarb, während sich die Genehmigung zur Ausreise für eine lebenserhaltende Operation verzögerte (Haaretz 14.4.2022). Ein Teenager aus Gaza brach im März 2022 sterbend im PA-Gesundheitsministerium in Ramallah zusammen, weil er zu spät die Genehmigung für eine Behandlung in der Westbank erhalten, und die PA die Kosten für die Behandlung trotz vorheriger Garantie nicht übernommen hatte (BBC 27.3.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 36 von 50

Gemäß NGOs besitzen 40.000 bis 50.000 Personen im Gazastreifen keine Identifikationskarten, die von Israel anerkannt werden. Einige dieser Personen sind im Gazastreifen geboren, aber Israel hat sie nie als Einwohner Gazas anerkannt, andere wiederum waren im Krieg von 1967 aus Gaza geflohen oder hatten Gaza nach 1967 aus verschiedenen Gründen verlassen, und sind später zurückgekehrt. Eine kleine Gruppe ist in Gaza geboren und nie von dort weggegangen und besitzt ausschließlich Identifikationskarten, die von der Hamas ausgestellt wurden. Gemäß den Osloer Abkommen verwaltet die PA das palästinensische Bevölkerungsregister, obwohl Statusänderungen im Register der Zustimmung der israelischen Regierung bedürfen. Die israelische Regierung hat seit dem Jahr 2000 keine Änderungen des Registers mehr vorgenommen (USDOS 12.4.2022). Das Office for the Coordniation of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen berichtete, dass einigen seiner Mitarbeiter die Ausreisegenehmigung aus dem Gazastreifen verweigert wurde, weil OCHA mit der Hamas als de facto-Regierung im Gazastreifen zusammenarbeitete, um die Ein- und Ausreise sowie den Transport von UN-Mitarbeitern zu erleichtern. In anderen Fällen berichtete OCHA, dass seine Mitarbeiter Ausreisegenehmigungen erhielten, die israelischen Behörden ihnen jedoch nach stundenlangem Warten an den Grenzübergängen die Ausreise verweigerten (USDOS 12.4.2022). Reisen von/nach Ägypten: Der Grenzübergang Rafah stellt die hauptsächliche Ausreisemöglichkeit für den Großteil der zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens dar, weil israelische Ausreisegenehmigungen für die beiden anderen, von Israel kontrollierten Grenzübergänge [Anm.: Erez für den Personenverkehr und Kerem Shalom für den Warenverkehr] schwer zu erhalten sind. Im Zuge der COVID-19- Pandemie war der Grenzübergang zeitweise geschlossen (Al-Jazeera 10.2.2021). Der Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten wurde 2021 regelmäßiger geöffnet als 2020, aber die Bedingungen blieben weitgehend unvorhersehbar und restriktiv (FH 28.2.2022). Die von Israel 2007 verschärfte Blockade des Gazastreifens wird inzwischen auch von Ägypten mitgetragen, wobei Ägypten dies, wie auch Israel, mit Sicherheitsinteressen begründet. Beispielsweise im August 2021 war der Grenzübergang nach gewaltsamen Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern für einige Tage geschlossen (Spiegel 26.8.2021). Politische Entwicklungen in Ägypten haben direkte Auswirkungen auf den Gazastreifen, indem die ägyptischen Behörden die Grenze ohne Vorwarnung auf unbestimmte Zeit abriegeln (EDA 8.4.2022). Der Grenzübergang kann nach Angaben der ägyptischen Behörden regulär nur von Palästinensern mit gültigen Ausweispapieren der PA benutzt werden. Für die Ausreise aus dem Gazastreifen bedarf es der Zustimmung der ägyptischen und palästinensischen Grenzbehörden (AA 24.5.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 37 von 50

Hier kann es auch bei erst kürzlich erfolgter Einreise in den Gazastreifen zu Wartezeiten von mehreren Wochen bei der Ausreise kommen (AA 24.5.2022; vgl. Gisha 1.9.2021). Personen, die via Rafah aus Gaza ausreisen wollen, müssen gemäß ägyptischen Vorgaben unter die folgenden Kategorien fallen, außerdem ist eine Vorabregistrierung erforderlich: Einwohner des Gazastreifens mit ausländischem Wohnsitz oder Reisepass, Patienten mit Überweisung zur medizinischen Behandlung in Ägypten und Personen mit Studien-, Arbeits- oder Familienbesuchsvisa für Drittländer. Viele derjenigen, die durch Ägypten reisen möchten, erfüllen diese Kriterien nicht (Gisha 1.9.2021). Die Vereinten Nationen und mehrere internationale NGOs berichteten, dass es für die Palästinenser im Gazastreifen äußerst schwierig war, von der Hamas-Regierung und der ägyptischen Regierung die Erlaubnis zu erhalten, durch Rafah zu reisen, und dass häufig Schmiergelder an die örtlichen Behörden gezahlt werden mussten (USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2021 reisten insgesamt rund 100.000 Personen via Rafah aus dem Gazastreifen aus und rund 81.000 reisten ein. In den ersten vier Monaten des Jahres 2022 reisten rund 39.000 Personen aus Gaza aus und rund 41.000 reisten ein. Dies sind mehr monatliche Grenzübertritte als in allen anderen Monaten seit 2013 (OCHA o.D.b). Quellen: - AA – Auswärtiges Amt (24.5.2022): Palästinensische Gebiete: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/palaestinensischegebiete- node/palaestinensischegebietesicherheit/203674, Zugriff 24.5.2022 - Al-Jazeera (10.2.2021): Egypt ‘indefinitely’ opens Rafah border crossing with Gaza Strip, https://www.aljazeera.com/news/2021/2/10/egypt-opens-rafah-border-crossing-with- blockaded-gaza-strip, Zugriff 24.5.2022 - BBC – British Broadcasting Corporation News (27.3.2022): The Palestinian cancer centre that can't take patients, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-60829319, Zugriff 31.5.2022 - BMEIA – Bundesministerium für Äußeres (24.5.2022): Palästina, Einreise & Ausreise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/palaestina/, Zugriff 24.5.2022 - EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (8.4.2022): Reisehinweise für das Besetzte Palästinensische Gebiet (dazu gehören das Westjordanland, einschliesslich Ostjerusalem, und der Gazastreifen), https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/besetztes- palaestinensisches-gebiet/reisehinweise-besetztes-palaestinensisches-gebiet.html, Zugriff 24.5.2022FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - Gisha – Legal Center for Freedom of Movement (11.5.2022): More collective punishment: Erez closed “until further notice”, https://gisha.org/en/more-collective-punishment-erez- closed-until-further-notice/, Zugriff 24.5.2022 - Gisha – Legal Center for Freedom of Movement (26.4.2022): Israel blocks exit from Gaza for work in Israel, https://gisha.org/en/israel-blocks-exit-from-gaza-for-work-in-israel/, Zugriff 24.5.2022 - Gisha – Legal Center for Freedom of Movement (18.11.2021): Gaza, near and far, https://gisha.org/en/gaza-near-and-far/, Zugriff 24.5.2022 - Gisha – Legal Center for Freedom of Movement (1.9.2021): Gaza Up Close, https://features.gisha.org/gaza-up-close/, Zugriff 24.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 38 von 50

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020d) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Gesellschaft, https://web.archive.org/web/20210514035400/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/alltag/, Zugriff 24.5.2022 - Haaretz (14.4.2022): Toddler's Death in Gaza Exposes Israel's Arduous Permit System for Life-saving Treatment, https://www.haaretz.com/middle-east-news/toddler-s-death-in-gaza- exposes-israel-s-arduous-permit-system-for-life-saving-care-1.10741724, Zugriff 25.5.2022 - Hamoked/B’Tselem (1.2014): So Near and Yet So Far Implications of Israeli-Imposed Seclusion of Gaza Strip on Palestinians’ Right to Family Life, https://www.btselem.org/download/201401_so_near_and_yet_so_far_eng.pdf, 31.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - OCHA – United Nations Office for the Coordniation of Humanitarian Affairs (o.D.b): Gaza crossings: movement of people and goods, https://www.ochaopt.org/data/crossings, Zugriff 24.5.2022 - Spiegel – Spiegel Online (21.9.2021): Israel verkündet Reihe von Erleichterungen für Gazastreifen, https://www.spiegel.de/ausland/israel-verkuendet-reihe-von-erleichterungen- fuer-gazastreifen-a-19674e18-92ef-4bfb-adc4-291c64cf17f7, Zugriff 25.5.2022 - Spiegel – Spiegel Online (26.8.2021): Israel lockert Gaza-Blockade, auch Ägypten öffnet Grenzübergang, https://www.spiegel.de/ausland/israel-lockert-gaza-blockade-aegypten- oeffnet-rafah-grenzuebergang-a-29d0e8c1-8123-4d62-b5da-2900fa687450, Zugriff 24.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 13. IDPs und Flüchtlinge Im Gazastreifen leben rund 2,1 Millionen Menschen, davon etwa 1,4 Millionen palästinensische Flüchtlinge (UNRWA 5.2021), die vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) betreut werden (GIZ 11.2020c). Acht offizielle palästinensische Flüchtlingslager der UNRWA erstrecken sich über den Gaza-Streifen und weisen eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt auf (UNRWA 5.2021). Auf dem Höhepunkt der Kämpfe im Mai 2021 suchten rund 113.000 Binnenvertriebene in Gaza Schutz in Schulen der UNRWA oder bei Gastfamilien (USDOS 12.4.2022). Rund 8.250 von ihnen waren auch im Oktober 2021 noch binnenvertrieben, vor allem, weil ihre Häuser zerstört oder schwer beschädigt waren (HRW 13.1.2022; USDOS 12.4.2022). Während der Kämpfe zwischen Israel und bewaffneten palästinensischen Gruppen im Jahr 2014 haben laut OCHA mit Stand April 2019 über 12.000 Palästinensern ihr Heim verloren (HRW 14.1.2020). UNRWA beschäftigt über 13.000 Mitarbeiter in über 300 Einrichtungen im gesamten Gazastreifen und bietet registrierten palästinensischen Flüchtlingen Bildung, Gesundheits- und psychiatrische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite und Nothilfe. Die Zahl der Palästina-Flüchtlinge, .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 39 von 50

die von Nahrungsmittelhilfe der UNRWA abhängig sind, ist von weniger als 80.000 Menschen im Jahr 2000 auf fast eine Million gestiegen (UNRWA 5.2021) . Die sozioökonomischen Bedingungen in Gaza haben die Flüchtlinge schwer getroffen. UNRWA berichtete, dass die Ernährungssicherheit weiterhin gefährdet sei. Im März [2020] setzte UNRWA die Verteilung von Nahrungsmitteln in seinen offiziellen Verteilungszentren vorübergehend aus, um eine Ausbreitung von COVID-19 zu vermeiden, begann aber bald darauf mit der Haus-zu-Haus-Lieferung als Alternative (USDOS 12.4.2022). Unter anderem wird UNRWA 2022 in Gaza Lebensmittelhilfe und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten (UNRWA 2022). Mehr als 80 Prozent der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (HRW 13.1.2022). UNRWA und andere humanitäre Organisationen versorgten Binnenvertriebene im Gazastreifen und im Westjordanland, allerdings mit einigen Einschränkungen aufgrund der israelischen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Humanitäre Akteure, darunter UNRWA, das Internationale Rote Kreuz und NGOs, berichteten, dass sie während des Konflikts im Mai 2021 im Gazastreifen Schwierigkeiten hatten, Hilfe zu leisten. Gründe dafür waren unter anderem die Intensität der Bombardierung des Gazastreifens durch das israelische Militär, Schwierigkeiten bei der Koordinierung mit der israelischen Regierung, Beschränkungen des Waren- und Personenverkehrs durch die israelischen Behörden und – in einem bemerkenswerten Fall, in dem Israelis humanitäre Hilfslieferungen über den Kerem-Shalom- Übergang zuließen – ein Mörserangriff der Hamas (USDOS 12.4.2022). Im Herbst 2018 hat US-Präsident Trump die Hilfen für UNRWA eingestellt. Die USA hatten bis dahin 30 Prozent zum UNRWA-Budget beigesteuert, so viel wie kein anderes Land. Es mussten Einsparungen vorgenommen werden (Zeit 8.7.2019; vgl. DW 18.2.2022). Unter Trumps Nachfolger, US-Präsident Biden, wurden die Zahlungen an UNRWA 2021 wieder aufgenommen, jedoch gab UNRWA Anfang 2022 bekannt, dass es immer noch unterfinanziert sei (DW 18.2.2022). Es gibt Andeutungen seitens des UNRWA-Chefs bezüglich einer möglichen Auslagerung von UNRWA-Aufgaben an andere UN-Organisationen angesichts der weiterhin prekären Finanzierungslage der Organisation (EURACTIV 9.5.2022). Im Gazastreifen kooperierten die de facto-Behörden der Hamas im Allgemeinen mit UNRWA und erlaubten dieser, ungehindert zu arbeiten. Nach dem Konflikt im Mai 2021 und einem umstrittenen Interview des UNRWA-Direktors für den Gazastreifen kündigte die Hamas an, nicht länger für seine Sicherheit und die seines Stellvertreters garantieren zu wollen, wodurch die beiden ranghöchsten UNRWA-Vertreter aus dem Amt gedrängt wurden (USDOS 12.4.2022). Quellen: .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 40 von 50
