palg-westbank-lib-2022-06-03-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Palästinensische Frauen sind in den meisten Berufen unterrepräsentiert und mit Diskriminierung bei der Beschäftigung konfrontiert, obwohl sie gleichen Zugang zu Universitäten haben. Sie sind zudem vom Gesetz her von Berufen ausgeschlossen, welche als „gefährlich“ gelten (FH 28.2.2022). Ein großer Teil von Frauen ist in traditionellen Frauenberufen tätig, d.h. im Bildungswesen (34,7 %), im Sektor Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei (20,5 %) oder im Gesundheitsbereich (9,4 %). Trotz guter Ausbildung haben sie eher niedrigere Positionen inne und sie erhalten nur 70,7% des Durchschnittslohns ihrer männlichen Kollegen. Mit nur 15,4% im Vergleich zu 66,6% bei den Männern im 3. Quartal 2020 gehört die Erwerbstätigkeitsquote bei den Frauen zu den niedrigsten weltweit (GIZ 2020c). Einem Präsidialdekret von Präsident Abbas zufolge ist aktuell das legale Heiratsalter für beide Parteien 18 Jahre, und beide Parteien müssen die Heirat wollen. Richter können bei Minderjährigen im Fall des “besten Interesses für beide Parteien” eine Ausnahme bewilligen. Mit Stand Ende Oktober 2021 hatte der Chefrichter des Scharia-Gerichts 400 Ausnahmen bei 2000 Anträgen genehmigt – in einigen Fällen mit unzureichenden Begründungen für eine Ausnahme (USDOS 12.4.2022). Einer Studie von 2020 zufolge waren 11.4% der Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren im Westjordanland bereits im Alter von unter 18 Jahren verheiratet (UNICEF 20.12.2021). Frauen genießen eine formelle politische Gleichstellung nach den Gesetzen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), und sie haben bei den Wahlen im Jahr 2006 Sitze im Legislativrat (PLC) gewonnen. An Versammlungen der Zivilgesellschaft zu politischen Themen nehmen Frauen aktiv teil, auch wenn die Politik der PA von Männern dominiert bleibt. Quoten für die Legislativ- und Lokalwahlen führen zu einem Frauenanteil von etwa 20 Prozent auf Kandidatenlisten und bei den gewählten Personen – auch jüngst bei den Lokalwahlen im Dezember 2021 (FH 28.2.2022). Vergewaltigung ist nach dem Gesetz der PA illegal, aber die gesetzliche Definition bezieht sich nicht auf Vergewaltigung in der Ehe. Die Strafe bei Verurteilung wegen Vergewaltigung beträgt fünf bis 15 Jahre Haft. Die Palästinensische Autonomiebehörde hob 2018 ein Gesetz auf, das einen Vergewaltiger von der strafrechtlichen Verantwortung befreite, wenn er sein Opfer heiratete. Die Palästinensische Autonomiebehörde setzt die Gesetze zu Vergewaltigung im Westjordanland nicht wirksam durch. Häusliche Gewalt ist laut Gesetz der PA nicht explizit verboten. Die Gesetze wurden in Fällen von häuslicher Gewalt von der PA nicht effektiv durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Vergewaltigung und häusliche Gewalt werden selten gemeldet und bleiben traditionell straffrei, weil die Behörden mutmaßlich zögern, solche Fälle zu verfolgen (FH 28.2.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 36 von 52

Im Jahr 2019 begann die Palästinensische Autonomiebehörde mit der Ausarbeitung eines Gesetzes, das ein Mindestalter für die Eheschließung [Anm.: aktuell durch ein Präsidialdekret geregelt – siehe oben.] festlegt, härtere Strafen für Personen vorsieht, die häusliche Gewalt ausüben, und den Schutz für Überlebende häuslicher Gewalt verbessert (FH 28.2.2022). Aktuell gibt es kein umfassendes Gesetz gegen häusliche Gewalt. Der Entwurf für ein Familienschutzgesetz geht Frauenrechtsgruppen zufolge nicht weit genug bei der Prävention von Misshandlungen und beim Schutz der Überlebenden (HRW 13.1.2022). In den letzten Jahren kam es zu einem Anstieg der Zahl getöteter Frauen, was im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie durch den Anstieg häuslicher Gewalt während der Lockdowns verstärkt wurde. WCLAC dokumentierte 37 Fälle im Jahr 2020 für die Westbank und Gaza im Vergleich zu 21 Fällen im Jahr 2019. In den Jahren 2016 bis 2018 waren es insgesamt 76 Morde in beiden Gebieten gewesen (Al-Muntada 5.2022). Human Rights Watch berichtet ebenfalls von einem Anstieg häuslicher Gewalt, nennt aber als Gesamtzahl getöteter Frauen fünf Gewaltopfer in den palästinensischen Gebieten im Jahr 2021 (HRW 13.1.2022). Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert eine Klarstellung bezüglich der Strafrechtsverfolgung extralegaler Morde einschließlich der „Ehrenmorde“ gegen Frauen, der verhängten Strafen gegen die Täter, die Kompensationen für die betroffenen Personen, sowie allgemein zu den ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - Al-Muntada (Autor), The Civil Commission for the Independence of Judiciary (Istiqlal) (Autor), WCLAC - Women's Centre for Legal Aid and Counselling (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (5.2022): NGO Parallel Report to the Initial Report of the State of Palestine; Submitted to the Committee on Civil and Political Rights; In accordance to Article (40) of the UN International Covenant on Civil and Political Rights, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48538_E.pdf, Zugriff 31.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza S trip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020c) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Gesellschaft, https://web.archive.org/web/20210514041258/https://www.liportal.de/palaestinensische-gebiete/ gesellschaft/, Zugriff 23.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 24.5.2022 - UNICEF – UN Children's Fund (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (20.12.2021): Children in the State of Palestine: Child development data from the 2019/2020 multiple indicator cluster survey (MICS), .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 37 von 52

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Children%20in%20the%20State%20of%20P alestine.pdf, Zugriff 2.6.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on- human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - WCLAC/DCAF - Women’s Centre for Legal Aid and Counselling (WCLAC), The Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) (5.2012): Palestinian Women and Personal Status Law, https://www.dcaf.ch/sites/default/files/publications/documents/Policy_Brief_Perso_Status_EN_Fin al.pdf, Zugriff 23.5.2022 17.2. Kinder - Gewalt Amnesty International weist darauf hin, dass auch viele Kinder von ungesetzlichen Tötungen, absichtlichen Verletzungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und anderen Misshandlungen inklusive kollektiver Bestrafung betroffen sind, und verlangt von den israelischen Behörden, dies zu unterbinden (AI 11.5.2022). Anm.: Siehe dazu auch besonders das Kapitel „Sicherheitslage“ und zu Minderjährigen in Haft das Kapitel „Rechtsschutz / Justizwesen“. Das palästinensische Strafgesetz erlaubt die körperliche Bestrafung von Kindern durch ihre Eltern, was eine weitverbreitete Praxis bleibt (HRW 13.1.2022). Anm.: Zu häuslicher Gewalt und Kinderheiraten siehe Kapitel „Frauen“. - Bildung Israelische Beschränkungen der Bewegungsfreiheit [siehe auch Kapitel „Bewegungsfreiheit“] wirkten sich negativ auf akademische Einrichtungen und den Zugang zu Bildung für PalästinenserInnen aus. Seit 2017 sind insgesamt 62 palästinensische Schulen im Gebiet C Abrissanordnungen oder Baustopps [Anm.: durch Israel] ausgesetzt (USDOS 12.4.2022). Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF dokumentierte im Jahr 2020 85 Vorfälle von „Einmischung in Bildung“ durch israelische Kräfte in der Westbank, davon beinhalteten 26% das Abfeuern von Waffen nahe oder in Schulen. Im Jahr 2021 beläuft sich die vorläufige Zahl von Vorfällen auf etwa 100 (USDOS 12.4.2022). Schulen in der Westbank sind auch manchmal Ziel von israelischen Razzien (FH 28.2.2022). 96,9% der Kinder (Gaza und Westjordanland) im Grundschulalter gehen zur Schule, wobei der Anteil von Buben mit 95,4% unter dem Anteil der Mädchen (98.4%) liegt. 2,8% der Kinder gehen nicht zur Schule – auch hier ist der Anteil der Buben mit 4,3% höher als bei Mädchen (1,3%). Unter den Sieben- bis Vierzehnjährigen in der Westbank erreichen 57,6% Lesekompetenz (literacy – reading level). Insgesamt (Gaza und Westbank) schneiden Kinder aus ländlichen Gebieten mit 67,6% besser ab als Kinder aus Flüchtlingslagern mit 58,4% [Anm.: UNRWA und seine Schulen werden im UNICEF-Bericht nicht namentlich erwähnt] . Kinder aus Flüchtlingsfamilien erreichen zu .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 38 von 52

49,3% das Niveau, im Vergleich zu 55,2% bei Kindern, die nicht aus Flüchtlingsfamilien stammen. 64,4% der Kinder aus den wohlhabendsten Haushalten erreichen Lesekompetenz im Vergleich zu 39,6% aus den ärmsten Haushalten. Die Sekundarstufe wird von 74,5% der Kinder besucht. Im Fall der Westbank liegt der Anteil an Burschen, die nicht zur Schule gehen, bei 29,8%, während er bei Mädchen 11,6% ausmacht. Der Grund hierfür scheint wirtschaftlicher Natur zu sein (UNICEF 20.12.2021). - Zugang zu einer Geburtsurkunde und Registrierung, bzw. Stigmatisierung unehelicher Kinder Die Autonomiebehörde registriert palästinensische Kinder, die in den besetzten Gebieten geboren wurden, und Israel verlangt, dass die PA diese Informationen an die Ziviladministration Israels übermittelt. Die PA darf nicht die Staatsbürgerschaft feststellen (USDOS 12.4.2022). Im Allgemeinen sind die palästinensischen BewohnerInnen staatenlos (UNHRC 21.3.2022) [Anm.: Informationen zu den wenigen Ausnahmen bezüglich Staatenlosigkeit werden aufgrund der Komplexität und individueller Faktoren auf Anfrage zur Verfügung gestellt.] Heiratsurkunden sind eine Vorbedingung für die Ausstellung einer Geburtsurkunde. Uneheliche Kinder dürfen nicht einen Namen der Eltern tragen, sondern erhalten fiktive Namen wie im Artikel 22 des Zivilstatusgesetzes Nr. 2 von 1999 vorgesehen. Das stigmatisiert diese Kinder. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq dokumentierte Fälle, bei denen das Recht der Kinder auf Registrierung und den Erhalt eines Namens unmittelbar nach der Geburt verletzt wurde. In einem Fall war die Registrierung – und damit die Geburtsurkunde – vom PA- Innenministerium mit der Begründung verweigert worden, dass der Heiratsvertrag illegal sei. Die Mutter war nämlich als Muslimin und der Vater als Christ registriert, obgleich die Mutter vor der Heirat konvertiert war, und die Heirat in einer Kirche stattgefunden hatte. Das Innenministerium schlug eine Registrierung des Kindes als unehelich vor, was von den Eltern abgelehnt wurde. Das Kind ist bis heute unregistriert, und beim zweiten Kind verzichteten die Eltern aufgrund des psychischen Schadens vom ersten Versuch auf einen Registrierungsantrag (Al-Haq 2.5.2022). Gemäß den Osloer Abkommen verwaltet die PA das palästinensische Bevölkerungsregister, obwohl Statusänderungen im Register der Zustimmung der israelischen Regierung bedürfen. Die israelische Regierung hat seit 2000 keine Änderungen des Registers mehr vorgenommen. Es existierte bis August 2021 kein Verfahren mehr für ausländische Ehepartner oder im Ausland geborene Kinder von Palästinensern, um einen dauerhaften Aufenthaltsstatus im Westjordanland zu erhalten. Dann wurde das Stellen von 5.000 Anträgen von Israel erlaubt (USDOS 12.4.2022). Aufgrunddessen, dass Israel das palästinensische Familienregister genehmigt, blieben viele palästinensische Kinder und junge Erwachsene, besonders bei Geburt im Ausland, ohne legalen Status in dem Gebiet, in dem sie den Großteil oder ihr ganzes Leben verbracht hatten (USDOS 12.4.2022). Familienzusammenführungen werden allein von den israelischen Behörden kontrolliert (DIS 5.2019). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 39 von 52

Kinder von palästinensischen Eltern dürfen einen palästinensischen Personalausweis, ausgestellt von der Zivilverwaltung, erhalten, wenn sie in der Westbank oder Gaza geboren, und einen Elternteil mit palästinensischem Personalausweis haben. Sowohl das PA-Innenministerium wie auch die israelische Ziviladministration spielen eine Rolle bei der Bestimmung, ob eine derartige Karte einer Person zusteht (USDOS 12.4.2022). Anm.: Aufgrund der Komplexität von Dokumentenbelangen werden weitere Informationen bezüglich des Zugangs zu Dokumenten auf Anfrage zur Verfügung gestellt. - Kinderarbeit Die Palästinensische Autonomiebehörde hat Gesetze und Verordnungen zu Kinderarbeit erlassen. Der Rechtsrahmen im Westjordanland weist jedoch Lücken auf, die einen angemessenen Schutz der Kinder vor den schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich des Kinderhandels, verhindern (USDOL 29.9.2021). Im ersten Quartal 2020 waren drei Prozent der Kinder im Westjordanland im Alter von 10 bis 17 Jahren beschäftigt. Für das Jahr 2021 meldete das PA-Arbeitsministerium 14 Todesfälle bei arbeitenden Kindern in der Westbank und Gaza (USDOS 12.4.2022). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - AI – Amnesty International (11.5.2022): Israel/OPT: Continuing patterns of unlawful killings and other crimes further entrench apartheid [MDE 15/5589/2022], https://www.ecoi.net/en/file/local/2072791/MDE1555892022ENGLISH.pdf, Zugriff 2.6.2022 - DIS – Danish Immigration Service (5.2019): Palestinians Access and Residency for Palestinians in the West Bank, the Gaza Strip and East Jerusalem, Report based on interviews conducted from 31 March to 4 April 2019 in Jerusalem, Ramallah and Tel Aviv, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011580/palestinians_access_and_residency_+g_wb_ej_may_2 019.pdf, Zugriff 12.5.2020 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - UNHRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (21.3.2022): Report of the Special Rapporteur on the situation of Human Rights in the Palestinian territories occupied since 1967 [A/HRC/49/87], https://www.ecoi.net/en/file/local/2071255/A_HRC_49_87_AdvanceUneditedVersion.docx, Zugriff 2.6.2022 - UNICEF – UN Children's Fund (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (20.12.2021): Children in the State of Palestine: Child development data from the 2019/2020 multiple indicator cluster survey (MICS), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Children%20in%20the%20State%20of%20P alestine.pdf, Zugriff 2.6.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 40 von 52

- USDOL – US Department of Labor [USA] (29.9.2021): 2020 Findings on the Worst Forms of Child Labor: West Bank and Gaza Strip, https://www.ecoi.net/de/dokument/2061993.html, Zugriff 24.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 20.5.2022 17.3. Homosexuelle Die palästinensische Gesellschaft ist in vielfacher Hinsicht konservativ und traditionell eingestellt und steht Homosexualität grundsätzlich ablehnend gegenüber. Die negativen Reaktionen gehen von sozialer Ausgrenzung bis hin zu körperlicher Gewalt. Palästinensische politische Organisationen vermeiden das Thema LGBTI-Rechte. Dennoch gibt es Organisationen, die versuchen, die Situation für LGBTI in Palästina zu verbessern, u.a. durch rechtliche Beratung und psychologische Unterstützung und vereinzelt Personen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen (GIZ 11.2020c). Im Westjordanland wurde gleichgeschlechtlicher Sex 1951 entkriminalisiert und ist dies bis heute. Es gibt es keine Gesetze, die LGBTQI*-Personen gegen Diskriminierung oder Belästigung schützen (GIZ 11.2020c). Es gab während des Jahres Beispiele für Gewalt, Kriminalisierung oder Schikanen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechteridentität manchmal auch verübt durch PA-Sicherheitskräfte und Nachbarn (USDOS 12.4.2022). Gleichgeschlechtliche Ehen und eingetragene Partnerschaften sind rechtlich nicht anerkannt und offen werden solche Beziehungen nicht gelebt (GIZ 11.2020c). Homosexualität ist im Westjordanland weiterhin ein soziales und religiöses Tabuthema (AA 24.5.2022). Quellen: - AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.5.2022): Palästinensische Gebiete: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/palaestinensischegebiete-node/ palaestinensischegebietesicherheit/203674, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020c) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Gesellschaft, https://web.archive.org/web/20210514041258/https://www.liportal.de/palaestinensische-gebiete/ gesellschaft/, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 20.5.2022 18. Bewegungsfreiheit Israel schränkt die Bewegungsfreiheit von PalästinenserInnen in den besetzten palästinensischen Gebieten, zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen, nach Israel und ins Ausland ein. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 41 von 52

Von diesen Einschränkungen sind nur PalästinenserInnen betroffen, nicht aber Israelis und AusländerInnen (B‘tselem 11.11.2017). Israelische Checkpoints, Reisegenehmigungen und andere Restriktionen stellen weiterhin schwerwiegende Einschränkungen für die Bewegungsfreiheit und den Handel sowie für den Zugang von PalästinenserInnen zu Arbeitsstellen, Spitälern und Schulen dar (FH 28.2.2022). Hinzu kommen schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt, geringere Löhne, erschwerter Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen, Folgen für das soziale Leben (Teilnahme an Veranstaltungen, Familienfeiern), und negative Folgen für die journalistische Berichterstattung und die Aktivität von humanitären Organisationen und NGOs, sowie Erschwernissen im Bereich der Gerichtsbarkeit (USDOS 11.3.2020). Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit betreffen auch die Möglichkeiten zur politischen Organisation und Aktivität (FH 2020), sowie den Zugang zu Bildung und kulturellen Aktivitäten (USDOS 12.4.2022). Auch internationale Organisationen sind von den Einschränkungen betroffen. UNRWA berichtete, dass die MitarbeiterInnen des Hauptquartiers im Westjordanland mit Ende November 2021 241 Arbeitstage durch die Bewegungseinschränkungen im Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem verloren hatten (USDOS 12.4.2022). Hinzukamen die COVID-19 Lockdowns 2020 und 2021: Der erste von ihnen machte 96.000 Menschen in den palästinensischen Gebieten und 25.000 PalästinenserInnen mit Arbeitsstellen in Israel im 2. Quartal 2020 arbeitslos. Die Öffnungen und Lockdowns im Jahr 2021 galten als wahrscheinliche Faktoren bei der Unterbrechung von Beschäftigungsverhältnissen (ACAPS 19.10.2021). - Checkpoints innerhalb der Westbank Mit Stand Juni 2020 betrieben die israelischen Behörden fast 600 Checkpoints und andere permanente Hindernisse in der Westbank. Dazu kamen beinahe 1.500 „fliegende“ Kontrollpunkte im Zeitraum 2019 bis März 2020 (HRW 13.1.2022). Einige der Checkpoints werden auch von privaten Sicherheitsfirmen betrieben (USDOS 11.3.2020). Die israelischen Behörden untersagen häufig Reisen zwischen einigen oder allen palästinensischen Städten im Westjordanland und setzen zu diesem Zweck temporäre Checkpoints ein. Zwei große Kontrollpunkte teilen zudem das Westjordanland in drei Teile: Za'atara zwischen Nablus und Ramallah, der zum Teil besetzt ist, und der Container-Checkpoint östlich von Abu Dis, der immer besetzt ist. Der gesamte palästinensische Verkehr zwischen Norden und Süden der Westbank erfolgt aufgrund von Checkpoints und Straßensperren über die Straßen, die von diesen beiden Checkpoints kontrolliert werden (B‘tselem 11.11.2017). Medienberichten zufolge führt die Schließung von wichtigen Kontrollpunkten wie dem Checkpoint Container bei Betlehem und Za'tara zu größeren Störungen im Westjordanland. Im Fall des Checkpoints Container kann bei dessen Schließung ein Drittel der Bevölkerung der Westbank .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 42 von 52

abgeschnitten werden. Bei Schließung des Checkpoints Za’atara kann der gesamte Verkehr in und nach Norden der Westbank blockiert werden (USDOS 12.4.2022). An den Checkpoints wurden PalästinenserInnen abgewiesen oder aufgehalten und gedemütigt, während israelische Siedler sich weitgehend ungehindert bewegen dürfen (HRW 13.1.2022). Von Israel verhängte Einschränkungen, mit denen Palästinenser von israelischen Siedlungen ferngehalten werden sollten, zwingen sie zu zeitraubenden Umwegen und schränken ihren Zugang zu ihren eigenen landwirtschaftlichen Flächen ein (HRW 14.1.2020; vgl. FH 2020). Die israelischen Behörden schränkten den palästinensischen Reiseverkehr auf 29 Straßen/Straßenabschnitten im gesamten Westjordanland ein oder untersagten ihn, darunter viele Hauptverkehrsadern. Die israelischen Militärbehörden schränken auch weiterhin den palästinensischen Auto- und Fußverkehr sowie den Zugang zu Wohnungen und Geschäften in der Innenstadt von Hebron - Gebiet H2 - für 22.000 BewohnerInnen ein und verwiesen auf die Notwendigkeit, mehrere hundert israelische Siedler, die im Stadtzentrum wohnen, zu schützen (USDOS 12.4.2022). Die israelischen Sicherheitskräfte verhängten auch vorübergehende Ausgangssperren, aufgrund derer die PalästinenserInnen während Razzien der israelischen Sicherheitskräfte ihre Häuser nicht verlassen durften (USDOS 12.4.2022). - Die Trennbarriere Die Trennmauer, die Israel nach eigenen Angaben aus Sicherheitsgründen gebaut hat, verläuft zu 85 Prozent auf dem Territorium des Westjordanlandes statt entlang der „Grünen Linie“ [Anm.: Waffenstillstandslinie von 1967 zwischen dem Staat Israel und dem Westjordanland] (HRW 13.1.2022). An der weitesten Stelle reicht die Mauer ca. 18 km in das Gebiet der Westbank hinein (USDOS 11.3.2020). Die Barriere besteht aus Mauern, Zäunen und anderen Abtrennungen und ist zu 65 Prozent fertiggestellt. Das illegale Betreten Israels wurde allerdings auch durch die Mauern und Zäune der Trennbarriere nie ganz verunmöglicht und in den letzten Jahren stieg die Zahl der PalästinenserInnen, die illegal auf diese Weise Arbeit in Israel suchten. Die Durchsetzung der Barrierenfunktion auch mittels Schüsse hat sich aktuell mancherorts in eine Duldung der Grenzübertritte gewandelt, um den wirtschaftlichen Druck im Westjordanland durch die Einkünfte der in Israel arbeitenden PalästinenserInnnen zu mildern, und Israel die seit der Pandemie fehlenden billigen Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, auch wenn damit ein großes Sicherheitsrisiko für Israel verbunden ist (Guardian 21.3.2022). Der Trennwall wurde 2004 vom Internationalen Gerichtshof für illegal erklärt und verursacht Not (FH 28.2.2022): Die Trennmauer schneidet viele Palästinenser von ihrem Ackerland ab, und isoliert 11.000 PalästinenserInnen, die auf der westlichen Seite der Mauer leben, aber nicht nach Israel .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 43 von 52

reisen dürfen, und ihr Zugang zu ihrem eigenen Eigentum und zu Dienstleistungen ist wegen der Mauer stark eingeschränkt (HRW 13.1.2022) - Zugangsgenehmigungen für Teile der Westbank und für Israel sowie Schließungen von Übergängen Israel schränkt die Bewegungsfreiheit der Palästinenser durch ein System von Ein- und Ausreisegenehmigungen ein. Je nach Reisegrund gibt es verschiedene Arten von Genehmigungen; das Antragsverfahren kann langwierig sein, und viele Anträge werden abgelehnt (UK Home Office 3.2020; vgl. Gisha o.D.): Die israelischen Behörden verlangten weiterhin, mit wenigen Ausnahmen, von InhaberInnen palästinensischer Personalausweise schwierig zu bekommende, temporäre Genehmigungen für den Zutritt zu Israel und weite Teile der Westbank, einschließlich Ost-Jerusalem. Das Antragsverfahren wird als intransparent und ohne wirkliche Berufungsmöglichkeiten bei den zahlreichen Ablehnungen, die keine Begründung enthalten, kritisiert (HRW 13.1.2022). COGAT, die für palästinensische zivile Angelegenheiten zuständige Einheit des israelischen Verteidigungsministeriums, gibt an, im Dezember 2019 mehr als 50.000 Einreisegenehmigungen für BewohnerInnen des Westjordanlands nach Israel erteilt zu haben (PRI 18.2.2020). Die Übergänge zu den Palästinensischen Gebieten zwischen Israel und dem Westjordanland werden von israelischen Behörden kontrolliert und können ohne vorherige Ankündigung geschlossen werden. Die Schließungen der Übergänge an den jüdischen Feiertagen gelten grundsätzlich nur für Personen, die über eine palästinensische Personenkennziffer verfügen (AA 2.6.2022). Es gibt auch Einschränkungen für Reisen zwischen der Westbank und Jerusalem (USDOS 11.3.2020), sowohl für MuslimInnen als auch für ChristInnen (USDOS 21.6.2019). Die israelischen Behörden hindern palästinensische MuslimInnen im Westjordanland regelmäßig daran, zum Beten nach Jerusalem zu reisen, und beschränken im Allgemeinen freitags den Zugang für junge Männer zum Tempelberg/Haram al-Sharif (FH 28.2.2022). - Auslandsreisen Im Westjordanland kontrolliert Israel alle Ein- und Ausreisepunkte. Israel überwacht auch alle Auslandsreisen aus der Westbank (B‘Tselem 11.11.2017): BewohnerInnen des Westjordanlands dürfen den internationalen Flughafen Ben Gurion nur in Ausnahmefällen benutzen (DIS 5.2019). PalästinenserInnen müssen für Auslandsreisen den Grenzübergang Allenby Bridge nach Jordanien verwenden (Haaretz 9.3.2022). Sie benötigen für die Einreise nach Jordanien für den Transit keine besondere Koordination oder Visa (DIS 5.2019). Israel verbat jedoch im Jahr 2021 10,594 PalestinenserInnen aus der Westbank eine Auslandsreise mit der Begründung von Sicherheitserwägungen. Oft wird das Reiseverbot .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 44 von 52

„automatisch“ erlassen – z.B. im Fall von in Terrorismus involvierten Verwandten. Viele Betroffene in den letzten Jahren erfuhren erst am Grenzübergang davon und konnten das Westjordanland nicht verlassen. Im Fall von Beschwerden gegen das Ausreiseverbot wurde diesem in fast der Hälfte der Fälle stattgegeben. Im Jahr 2021 waren dies 339 Beschwerden, welche in 49 Prozent der Fälle (143) stattgegeben wurde. Im Jahr 2019 hatte es bei 838 Beschwerden gegen Reiseverbote 352 Aufhebungen gegeben (Haaretz 9.3.2022). UNRWA-„Dokumente“ spielen keinerlei Rolle bei den Entscheidungen der Staaten über die Ein- und Ausreise sowie die vielfältigen Aufenthaltsregelungen. Bei allen Individualentscheidungen zu Ein- und Ausreise sowie Aufenthalt von PalästinenserInnen spielen zeitliche und politische Änderungen und Einflüsse sowie das Profil der AntragstellerInnen und ihrer Familie eine große Rolle, wie diese tatsächlich gehandhabt werden. Selbst das Vorliegen einer Genehmigung gewährleistet nicht unbedingt die tatsächliche Ein- oder Ausreise, bzw. den Aufenthalt. Eine Rückführung kann nur in das Gebiet erfolgen, in welchem der Palästinenser oder die Palästinenserin einen offiziellen Wohnsitz/ein registriertes Aufenhaltsrecht hat (VB 21.5.2019). Die Einreise von PalästinenserInnen, die aus dem Ausland in die Westbank einreisen, hängt von mehreren Bedingungen ab, einschließlich ihres Registrierungsstatus und der Art ihrer Ausweisdokumente. Alle Einreisepunkte werden von Israel kontrolliert. (DIS 5.2019). Die illegale Ausreise aus der Westbank ist strafbar. PalästinenserInnen, die diese Gebiete illegal verlassen haben, werden bei ihrer Rückkehr von den israelischen oder jordanischen Behörden festgenommen und inhaftiert (DIS 5.2019). - Die Palästinensische Autonomiebehörde Das Gesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sieht Bewegungsfreiheit innerhalb der Westbank, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor, und die PA-Regierung respektiert diese Rechte mit einigen Ausnahmen (USDOS 12.4.2022). Anm.: Zu Genehmigungen für medizinische Behandlungen in Ost-Jerusalem und Israel siehe Kaptiel Gesundheitsversorgung Quellen: - AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.6.2022): Palästinensische Gebiete: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/palaestinensischegebiete-node/ palaestinensischegebietesicherheit/203674, Zugriff 2.6.2022 - ACAPS - Assessment Capacities Project (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (19.10.2021): Palestine - Social impacts of the humanitarian situation, 19. Oktober 2021 https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20211019_acaps_thematic_report_palestine _social_impact_analysis.pdf, Zugriff 3.6.2022 - B‘tselem - The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (11.11.2017): Restrictions of Movement, https://www.btselem.org/freedom_of_movement, Zugriff 12.5.2020 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 45 von 52
