sier-lib-2025-03-04-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden. 2. Politische Lage Das politische Klima Sierra Leones ist durch weitgehend gewaltfreie Spannungen zwischen der Regierungspartei Sierra Leone People‘s Party (SLPP) und der Oppositionspartei All People's Congress (APC) gekennzeichnet (AA 23.1.2025). Seit mehr als 60 Jahren wird das Land von den beiden Parteien dominiert, die sich abwechselnd an der Macht befinden. Zwar haben in den letzten 15 Jahren neue politische Gruppierungen an den Wahlen teilgenommen, ihr Einfluss bleibt jedoch gering (KAS 10.7.2023). Seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2002 finden regelmäßig Mehrparteienwahlen statt. Demonstranten und Oppositionsparteien haben mit Polizeigewalt und Versammlungseinschränkungen zu kämpfen (FH 25.4.2024). Im Jahr 2018 gewann Julius Maada Bio von der SLPP die Präsidentschaftswahlen, die von einer hohen Wahlbeteiligung geprägt waren, obwohl es Vorwürfe der Einschüchterung von Wählern gab (BS 2024). Am 24. Juni 2023 gewann Bio erneut die Präsidentschaftswahlen, obwohl Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, die die Integrität der Ergebnisse in Frage stellten (BS 2024; vgl. USDOS 23.4.2024, AI 24.4.2024). Kontroversen um eine mangelnde Transparenz beim Auszählungsprozess (FH 25.4.2024; vgl. AI 24.4.2024) und die damit verbundene umstrittene Glaubwürdigkeit der Wahlen hat die Legitimität des Amtsinhabers in einigen Teilen der Bevölkerung untergraben (FH 25.4.2024). Es gab Berichte über Drohungen gegen und Einschüchterungsversuche von angeblichen Anhängern der Regierungspartei bei einigen Kundgebungen der oppositionellen APC (USDOS 23.4.2024). Nach einer Zuspitzung im Kontext der Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen im Juni 2023 hat sich die innenpolitische Lage seit Juli 2024 jedoch merklich entspannt (AA 23.1.2025). Neben dem Präsidentenamt standen auch 493 Sitze für Kommunalvertreter und 135 Sitze für Parlamentarier zur Wahl (KAS 10.7.2023). Traditionelle Häuptlinge und religiöse Führer üben Einfluss auf die Wähler aus, ebenso wie zunehmend prominente Aktivisten in den sozialen Medien. Lokale Eliten der beiden großen Parteien kontrollieren die Auswahl der Parlamentskandidaten (FH 25.4.2024). Im Vorfeld der Wahlen beklagten Oppositionsführer und zivilgesellschaftliche Organisationen, dass die Polizei routinemäßig Genehmigungen von präsidentenkritischen Protesten verweigert (USDOS 23.4.2024; vgl. BS 2024). Ferner reagierte die Polizei 2023 auch mit unverhältnismäßiger Gewalt auf Proteste und setzte Tränengas und Gummigeschosse ein, um Kundgebungen während der Wahlperiode gewaltsam aufzulösen (FH 25.4.2024). Am 21. Juni 2023 ging die Polizei mit übermäßiger Gewalt gegen mehr als 100 Menschen vor dem Hauptquartier der Oppositionspartei .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 5 von 29

All People's Congress (APC) in Freetown vor, die gegen angebliche Unregelmäßigkeiten im Wahlprozess protestiert haben (AI 24.4.2024; vgl. FH 25.4.2024). Am 13. Juni 2023 wurden in Freetown mindestens acht Demonstranten wegen einer "rechtswidrigen Demonstration zur Störung des öffentlichen Friedens" festgenommen. Sie forderten die Offenlegung der Daten der Wählerregistrierung und den Rücktritt des obersten Wahlleiters (AI 24.4.2024). Das APC- Hauptquartier in Freetown wurde am 25. Juni von Sicherheitskräften umstellt, die mit scharfer Munition und Tränengas in das Gebäude feuerten, in dem sich APC-Anhänger zu einer Pressekonferenz nach der Wahl versammelt hatten, auf der Kamara angeblich die Prognosen über seine Niederlage zurückweisen wollte (FH 25.4.2024; AI 24.4.2024). Eine andere Quelle berichtet, dass es bei den Kundgebungen der Opposition vor den Wahlen im Juni 2023 in einigen Fällen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei sowie zwischen Anhängern der Opposition und der SLPP gekommen ist (FH 25.4.2024). Medienberichten zufolge wurde bei dem Vorfall eine Frau schwer verletzt (FH 25.4.2024). Ein Demonstrant starb angeblich an einer Schusswunde, für die die Polizei die Verantwortung bestritt. Sechsundsechzig Demonstranten wurden anschließend verhaftet (AI 24.4.2024). Die EU- Wahlbeobachtungsgruppe berichtete, dass die Behörden über die verfassungsmäßigen Grenzen hinaus während der Wahlen im Juni und der anschließenden Proteste willkürliche Verhaftungen und Festnahmen von Anhänger der APC durchführten (USDOS 23.4.2024). Der gewählte Präsident und das Parlament bestimmen in der Regel die Politik der Regierung, aber mehr Macht hat die Exekutive. Der Präsident wird vom Volk für bis zu zwei fünfjährige Amtszeiten gewählt (FH 25.4.2024). Für die Präsidentschaftswahl traten dreizehn Kandidaten an, doch das Rennen wurde zwischen Amtsinhaber Julius Maada Bio (SLPP), der seine Wiederwahl für eine zweite und letzte fünfjährige Amtszeit gemäß der Verfassung von Sierra Leone anstrebte, und dem ehemaligen Außenminister Dr. Samura Kamara (APC), ausgetragen (KAS 10.7.2023). Laut offiziellen Ergebnissen erhielt Präsident Bio 56,2 % der Stimmen und konnte so einen Sieg in der ersten Runde erringen und eine Stichwahl vermeiden. Die APC lehnte die offiziellen Wahlergebnisse ab und beschuldigte die Regierungspartei, die Abstimmung manipuliert zu haben. Bio wurde wenige Stunden nach der Bestätigung seines Sieges durch die Wahlkommission vereidigt (FH 25.4.2024). Der Oberste Gerichtshof hatte Ende Jänner 2023 die Entscheidung der Wahlkommission gebilligt, bei den Parlamentswahlen das Verhältniswahlrecht einzuführen (KAS 10.7.2023). Die Parlamentswahlen finden zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen alle fünf Jahre statt. Sowohl internationale als auch einheimische Wahlbeobachter äußerten Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Wahlergebnisse (FH 25.4.2024). Das Einkammerparlament besteht aus 135 Abgeordneten, die vom Volk nach dem Verhältniswahlrecht auf Distriktebene gewählt werden. Vierzehn zusätzliche Sitze sind für indirekt .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 6 von 29

gewählte Paramount Chiefs aus den 14 Provinzdistrikten (außer Freetown) reserviert. Nur die SLPP und die APC sind im Parlament vertreten, nachdem 2022 eine Eintrittshürde von 11,9 % eingeführt wurde, die die Chancen kleinerer Parteien und unabhängiger Kandidaten auf einen Sitz verringert hat (FH 25.4.2024). Auch bei den Parlaments- und Kommunalwahlen gewann die SLPP von Präsident Bio 60 % der 135 Sitze und ist damit mit 81 Sitzen vertreten. Der APC gewann 54 Sitze, d.h. 40 %, und verlor seine parlamentarische Mehrheit. Die SLPP konnte im Distrikt Kono und im oppositionellen Kernland im Norden und Westen, insbesondere in der Hauptstadt Freetown, zulegen. Der APC behielt jedoch mit 51 % der Stimmen die Kontrolle über das wichtige Bürgermeisteramt von Freetown (KAS 10.7.2023). Mitte Juni 2023 verhafteten die Behörden 35 APC-Anhänger, die an einem Protest gegen die Wahlkommission teilgenommen hatten, am Vorabend der Wahlen vom 24. Juni wurden sie ohne Anklageerhebung wieder freigelassen (USDOS 23.4.2024). Nach den Wahlen hielten Anhänger der Opposition Kundgebungen ab, um gegen die Wahlkommission zu protestieren und die Glaubwürdigkeit der Wahlergebnisse in Frage zu stellen (FH 25.4.2024). Die APC lehnte die Wahlergebnisse ab, boykottierte zunächst die Regierungsinstitutionen und weigerte sich aus Protest, ihre Parlamentssitze einzunehmen, um gegen die, nach Ansicht der Partei, gefälschten Wahlen zu protestieren (FH 25.4.2024). Der Streit endete nach Abschluss eines international vermittelten Abkommens im Oktober, das unter anderem die Einstellung jeglicher juristischen Verfolgung im Zusammenhang mit der Wahl vorsah (TAZ 26.11.2023; vgl. FH 25.4.2024), und um die Zusammenarbeit zwischen den politischen Parteien zu fördern und den Prozess der Reform des Wahlsystems einzuleiten (BS 2024). Im Rahmen des am 18.10.2023 unterzeichneten Abkommens zur nationalen Einheit legte die APC eine Liste der Personen vor, die wegen angeblicher Wahlverstöße oder anderer Proteste festgenommen oder inhaftiert worden sind und von der Regierung freigelassen werden sollten (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 23.4.2024) Im November 2023 gaben Beamte bekannt, dass sie einen „Putschversuch“ verhindert und mehr als ein Dutzend Militärs und einen Zivilisten nach Angriffen auf Kasernen und Gefängnisse in Freetown festgenommen hätten. Die Ermittlungen zu dem mutmaßlichen Putschversuch haben Berichten zufolge zu erhöhten politischen Spannungen geführt. Im Dezember 2023 lud die Polizei den ehemaligen Präsidenten Ernest Bai Koroma zu einer Befragung im Zusammenhang mit dem Vorfall vor. Koroma verurteilte die Angriffe und erklärte sich bereit, bei den Ermittlungen zu kooperieren. Die Ermittlungen dauerten Ende des Jahres noch an (FH 25.4.2024). Quellen: - AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.1.2025): Sierra Leone: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/sierraleone-node/ sierraleonesicherheit-203500, Zugriff 19.2.2025 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 7 von 29

- AI - Amnesty International (24.4.2024): Der Zustand der Menschenrechte der Welt; Sierra Leone 2023, https://www.ecoi.net/de/document/2107963.html, Zugriff 20.2.2024 - BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105886/country_report_2024_SLE.pdf, Zugriff 27.11.2024 - FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024, https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 - KAS - Konrad Andenauer Stiftung (10.7.2023): Die Wahlen in Sierra Leone vor dem Hintergrund geopolitischer Instabilität, Zugriff 4.3.2025 - TAZ - die Tageszeitung (26.11.2023): Putschangst in Sierra LeoneKämpfe in der Hauptstadt Freetown, https://taz.de/Putschangst-in-Sierra-Leone/ ! , Zugriff 4.3.2025 - USDOS - US Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices, Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/2107719.html, Zugriff 19.2.2025 3. Sicherheitslage Es kann zu Demonstrationen oder großen Menschenansammlungen (BMEIA 18.2.2025) und gewaltsamen Ausschreitungen kommen, teilweise mit Todesfolge, da Berichten zufolge auch scharfe Munition eingesetzt werden kann (EDA 31.5.2024). Am 26.11.2023 kam es nach Überfällen auf ein Waffenlager des Militärs und diverse Haftanstalten zu Kämpfen in Freetown. Die Lage hat sich mittlerweile beruhigt, jedoch bleibt die politische, wirtschaftliche und soziale Situation angespannt (EDA 31.5.2024). Bei dem mutmaßlichen Putschversuch im November 2023 wurden etwa 20 Menschen bei Angriffen auf Militärkasernen und Gefängnisse getötet, bevor sie von staatlichen Sicherheitskräften gestoppt wurden. Mehr als ein Dutzend Militärangehörige und ein Zivilist wurden verhaftet. Mehrere Personen, nach denen im Zusammenhang mit den Anschlägen gefahndet wird, sind Berichten zufolge weiterhin auf der Flucht, und da die Angreifer ein Waffenlager ins Visier genommen haben, besteht weiterhin die Sorge, dass die Gefahr der Instabilität bestehen bleibt (FH 25.4.2024; vgl. AI 24.4.2024). Es besteht das Risiko von Terroranschlägen (EDA 31.5.2024). Angesichts der unsicheren Lage in anderen Regionen Westafrikas kann auch für Sierra Leone ein „Spill-Over“-Effekt bzw. ein Anschlagspotential gegenüber westlichen Einrichtungen und Staatsangehörigen nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 18.2.2025). Das österreichische Außenministerium bewertet das Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten zu Liberia mit Stufe 3 von 6, im Rest des Landes mit Stufe 2 (BMEIA 18.2.2025). Quellen: - AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.1.2025): Sierra Leone: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/sierraleone-node/ sierraleonesicherheit-203500, Zugriff 19.2.2025 - BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (18.2.2025): Sierra Leone (Republik Sierra Leone), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/sierra-leone, Zugriff 19.2.2025 - EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (31.5.2024): Reisehinweise für Sierra Leone, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und- reisehinweise/sierra-leone/reisehinweise-fuersierraleone.html, Zugriff 19.2.2025 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 8 von 29

- FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024 https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 4. Rechtsschutz / Justizwesen Obwohl die Verfassung und das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsehen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024), sind die Gerichte anfällig für Eingriffe der Exekutive (FH 25.4.2024). Das Gesetz sieht für alle Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren vor, doch wird dieses Recht nicht immer durchgesetzt bzw. wird es in der Praxis manchmal eingeschränkt. Die begrenzte Anzahl von Staatsanwälten, Richtern und Anwälten führt zu langen Verfahrensverzögerungen. Aufgrund schwerfälliger Gerichtsverfahren und hohen Gerichtsgebühren ist der Zugang zur Justiz für die meisten Bürger eingeschränkt (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024). Häufig haben Angeklagte, die sich keinen Anwalt leisten können, vor dem Prozess keinen Zugang zu Rechtsbeistand (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024). Die auf öffentliche Kosten tätigen Anwälte sind überlastet. Die Angeklagten werden nicht immer rechtzeitig oder ausführlich über die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert und verfügen im Allgemeinen nicht über angemessene Möglichkeiten, ihre Verteidigung vorzubereiten. Die Berufungsverfahren verzögern sich übermäßig und dauern manchmal mehr als zwei Jahre (USDOS 23.4.2024). Das Fehlen klarer Verfahren für die Ernennung und Entlassung von Richtern macht die Verfahren anfällig für Missbrauch. Korruption in der Justiz, niedrige Gehälter und unzureichende Ressourcen untergraben außerdem die richterliche Autonomie. Die APC hat sich dafür entschieden, das Wahlergebnis von 2023 nicht vor Gericht anzufechten, da sie der Meinung waren, dass die Institution politisch vereinnahmt ist, und haben den Obersten Richter zum Rücktritt aufgefordert. Unabhängig davon wurde der Oberste Richter im Dezember 2023 auf unbestimmte Zeit beurlaubt und im selben Monat wurde er kommissarisch ersetzt (FH 25.4.2024). Die Justizbehörden haben 2023 die Zahl an Gerichtsverhandlungen in Justizvollzugsanstalten erhöht, um den erheblichen Rückstau an nicht zugewiesenen Fällen abzubauen und dadurch die Gefängnisse zu entlasten und die Dauer der Untersuchungshaft zu verkürzen (AI 24.4.2024; vgl. FH 25.4.2024). Am 28. August 2023 startete die Justiz ihre dritte "Woche für den Zugang zum Recht durch die Justiz". Im Auftrag des Obersten Richters bearbeitete ein Team von 23 Richtern innerhalb von zwei Wochen 802 Fälle von Sexualdelikten, Diebstahl, Einbruch und Mord im Schnellverfahren, um das Strafmaß [Anm,: überlange Untersuchungshaft] zu verringern und die Gefängnisse und Haftanstalten zu entlasten (USDOS 23.4.2024). Neben dem formellen Gerichtssystem üben lokale Häuptlingsgerichte mit Laienrichtern das Gewohnheitsrecht aus, vor allem in ländlichen Gebieten. Die Chiefs in den Dörfern unterhalten ihre eigene Polizei und ihre eigenen Gerichte, um das lokale Gewohnheitsrecht durchzusetzen. Die Polizei und die Gerichte der Häuptlinge haben die Befugnis, Personen zu verhaften, vor Gericht zu stellen und zu inhaftieren. Nach Angaben des Human Rights Commission of Sierra Leone .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 9 von 29

(HRCSL) und von NGOs in Bo, Kenema und Port Loko sind die traditionellen Gerichtsverfahren im Allgemeinen fair, aber es gibt glaubwürdige Hinweise darauf, dass viele Fälle durch Korruption beeinflusst werden, da die als Richter fungierenden Oberhäupter regelmäßig Bestechungsgelder annehmen und wohlhabendere Angeklagte bevorzugen. Der Campaign for Human Rights and Development International (CHRDI) zufolge ist Korruption in der Militärjustiz weniger verbreitet als in der zivilen Strafjustiz (USDOS 23.4.2024). Die District Human Rights Monitoring Groups (DHRMGs) der Polizei berichten, dass die traditionellen Behörden Straftaten anklagen, die nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, und bei der Verhängung von Strafen die Rechte von Personen verletzen. Ferner werden laut Angaben der DHRMG die Gesetze zur Gleichstellung der Geschlechter uneinheitlich angewandt, und viele traditionelle Gerichte ignorieren die Rechte von Frauen in Bezug auf Familienrecht und Erbschaft. Jugendlichen werden im traditionellen Rechtssystem nur wenige Rechte zugestanden (USDOS 23.4.2024). Quellen: - AI - Amnesty International (24.4.2024): Der Zustand der Menschenrechte der Welt; Sierra Leone 2023, https://www.ecoi.net/de/document/2107963.html, Zugriff 20.2.2024 - FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024 https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 - USDOS - US Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices, Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/2107719.html, Zugriff 19.2.2025 5. Sicherheitsbehörden Die Polizei von Sierra Leone (SLP) ist in erster Linie für die Strafverfolgung und Verbrechensaufklärung im ganzen Land zuständig (SLP 2022). Sie untersteht dem Ministerium für innere Angelegenheiten (CIA 12.2.2025). Die Polizisten der SLP sind schlecht bezahlt und kaum ausgebildet und werden nur selten für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen, selbst wenn sie gewaltsam vorgehen (FH 25.4.2024). Vor allem innerhalb der SLP stellt Straflosigkeit ein ernstes Problem dar (USDOS 23.4.2024). Die Regierung hat einige Schritte unternommen, um Beamte, die an möglichen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, ausfindig zu machen und zu bestrafen, aber die Straffreiheit besteht weiterhin (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024). Quellen: - CIA - Central Intelligence Agency [USA] (12.2.2025): The World Factbook, Sierra Leone, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/sierra-leone/, Zugriff 20.2.2025 - FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024 https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 - SLP - Sierra Leone Police [Sierra Leone] (2022): Sierra Leone Police, http://www.police.gov.sl/, Zugriff 25.2.2025 - USDOS - US Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/2107719.html, Zugriff 19.2.2025 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 10 von 29

6. Folter und unmenschliche Behandlung Das Gesetz verbietet solche Praktiken, und anders als im Jahr 2022 gab es 2023 keine glaubwürdigen Berichte darüber, dass Regierungsbeamte solche Praktiken anwenden (USDOS 23.4.2024). Nach anderen Angaben ist die Misshandlung von Gefangenen weit verbreitet (BS 2024). Zivilisten können Misshandlungen bei der Abteilung für Beschwerden, Disziplinarmaßnahmen und interne Ermittlungen der Polizei oder beim Unabhängigen Beschwerdeausschuss der Polizei melden, doch sind die Kapazitäten und die Wirksamkeit dieser Stellen sehr begrenzt (FH 25.4.2024). Es gibt immer wieder Vorwürfe, dass Sicherheitskräfte willkürliche Verhaftungen und außergerichtliche Tötungen vornehmen (FH 25.4.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Bei dem mutmaßlichen Putschversuch im November 2023 wurden etwa 20 Menschen bei Angriffen auf Militärkasernen und Gefängnisse getötet, bevor sie von staatlichen Sicherheitskräften gestoppt worden sind (FH 25.4.2024). Im Feber 2023 forderte die NGO AdvocAid ein Ende der Gewalt durch Strafverfolgungsbeamte. Ein Polizeibeamter stand wegen der Vergewaltigung eines Mädchens in einer Polizeistation vor Gericht (AI 24.4.2024). Am 25.6.2023, dem Tag nach den Wahlen vom 24.6. tötete die Polizei in der Parteizentrale der Oppositionspartei All People's Congress (APC) in Freetown Berichten zufolge einen Freiwilligen der Partei. Am 26.6. wurden vier weitere APC-Anhänger in der Stadt Masiaka von der Polizei getötet. Während der Proteste am 11.9.2023 tötete die Polizei Berichten zufolge zwei weitere Personen. Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (Human Rights Commission of Sierra Leone, HRCSL) hat das Independent Police Complaint Board, einen zivilen Aufsichtsmechanismus, aufgefordert, diese Tötungen durch die Sicherheitskräfte zu untersuchen und der SLP Empfehlungen zur Strafverfolgung zu geben (USDOS 23.4.2024). Quellen: - AI - Amnesty International (24.4.2024): Der Zustand der Menschenrechte der Welt; Sierra Leone 2023, https://www.ecoi.net/de/document/2107963.html, Zugriff 20.2.2024 - BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105886/country_report_2024_SLE.pdf, Zugriff 27.11.2024 - FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024 https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 - USDOS - US Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices, Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/2107719.html, Zugriff 19.2.2025 7. Korruption Korruption ist nach wie vor allgegenwärtig (FH 25.4.2024). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, die Regierung setzt das Gesetz nicht wirksam durch. Es gibt zahlreiche Berichte über Korruption in der Regierung (USDOS 23.4.2024). Es gibt Gesetze, Strategien und Institutionen zur Korruptionsbekämpfung (BS 2024). Die Regierung hat in den letzten Jahren einige Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung erzielt. Die Anti- .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 11 von 29

Korruptionskommission untersucht und verfolgt Korruptionsfälle (USDOS 23.4.2024). In den letzten Jahren haben sich die Bemühungen der Antikorruptionskommission (ACC) weitgehend auf die Wiedererlangung gestohlener Gelder und nicht auf Verurteilungen konzentriert, und Korruption ist nach wie vor weit verbreitet (FH 25.4.2024). Die ACC hat ihren Tätigkeitsbereich ausgeweitet und eine eigene Spezialeinheit, die Scorpion Squad geschaffen, die Milliarden von Leones von korrupten Beamten zurückfordert, regelmäßig Berichte veröffentlicht und Öffentlichkeitsarbeit betreibt (BS 2024). Einige Beobachter werfen der Kommission vor, Oppositionspolitiker ins Visier zu nehmen, während sie glaubwürdigen Korruptionsvorwürfen gegen die regierende SLPP, einschließlich der dem Präsidenten nahestehenden Personen, nicht nachgeht (USDOS 23.4.2024). Die ACC hat es mehrfach verabsäumt, hochrangige Beamte anzuklagen, und sich stattdessen auf untergeordnete Beamte konzentriert und Ermittlungen durchgeführt, die - angesichts des massiven Ausmaßes der Korruption - zu kurz gedacht waren. Während der vorherigen APC-Regierung wurde der Anti-Korruptions-Kommission vorgeworfen, sie sei parteiisch zugunsten der APC (BS 2024). Ein im Dezember 2023 veröffentlichter offizieller Rechnungsprüfungsbericht für das Haushaltsjahr 2022 wies auf Mängel bei der Verhinderung des Missbrauchs von Finanzmitteln in den Ministerien, Abteilungen und Behörden der Regierung hin (FH 25.4.2024). Auf dem Index von Transparency International befand sich Sierra Leone im Jahr 2024 auf Rang 114 von 180 untersuchten Ländern und fiel um 2 Punkte im Vergleich zum Vorjahr (TI 2024). Quellen: - BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105886/country_report_2024_SLE.pdf, Zugriff 27.11.2024 - FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024 https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 - TI - Transparency International (2024): Corruption Perceptions Index 2024, 2025 https://www.transparency.org/en/countries/sierra-leone, Zugriff 27.2.2025 - USDOS - US Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices, Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/2107719.html, Zugriff 19.2.2025 8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten Eine Vielzahl von nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeitet im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen, um Menschenrechtsbedingungen oder -Fälle zu überwachen oder zu untersuchen und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen haben sich traditionell sowohl vor als auch nach der Unabhängigkeit Sierra Leones wirksam eingebracht und sich während des Bürgerkriegs lautstark für den Frieden eingesetzt. Im Laufe der Jahre wurden sie jedoch mundtot gemacht. Sie sind nicht unabhängig von der Regierung. Aktivisten, die es versuchen, werden inhaftiert (BS 2024). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 12 von 29

Im Jahr 2018 traten strengere Vorschriften in Kraft, die eine jährliche Erneuerung der Registrierung und eine ministerielle Genehmigung für Projekte vorschreiben (FH 25.4.2024). Im Jahr 2020 hat die Regierung den Rahmen für die Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet. Dieser Rahmen sieht den Aufbau von Kapazitäten und die Rechenschaftspflicht der Entwicklungspartner vor. Allerdings haben NGOs Bedenken geäußert, da dieser das Potenzial hat, von der Regierung genutzt zu werden, um NGOs in bestimmte Richtungen zu lenken. Zu den zahlreichen Maßnahmen, die das Rahmenwerk einführt, gehören restriktive Zulassungskriterien, ein kompliziertes Registrierungsverfahren und die Verpflichtung, eine Dienstleistungsvereinbarung mit den zuständigen Regierungsstellen zu unterzeichnen, um sich für die Registrierung zu qualifizieren. Die Dienstleistungsvereinbarung sieht vor, dass NGOs ihre Ziele an den von den Behörden festgelegten nationalen Prioritäten ausrichten müssen. Unter den Organisationen der Zivilgesellschaft besteht die Befürchtung, dass die geltende Politik der Regierung die Möglichkeit zur Kontrolle bietet (BS 2024). Im Oktober 2023 wurde diese von der Regierung fertiggestellt (AI 24.4.2024). Im Juni 2023 gab die National Election Watch (NEW) - ein Zusammenschluss pro-demokratischer zivilgesellschaftlicher Organisationen in Sierra Leone - ihre parallelen Hochrechnungen der Stimmenauszählung für die Wahlen bekannt und berichtete, dass die Ergebnisse erheblich von den von der Regierung vorgelegten abweichen. NEW und ihre Mitglieder wurden daraufhin bedroht, auch vom staatlichen Sicherheitsapparat, was die Behinderung des zivil- gesellschaftlichen Raums verdeutlicht (FH 25.4.2024). Die Regierung, einschließlich der Sicherheitskräfte, reagiert im Allgemeinen auf die Menschenrechtsbedenken, die von Organisationen der Zivilgesellschaft geäußert werden, aber setzt manchmal nur langsam ihre Empfehlungen um (USDOS 23.4.2024). Quellen: - AI - Amnesty International (24.4.2024): Der Zustand der Menschenrechte der Welt; Sierra Leone 2023, https://www.ecoi.net/de/document/2107963.html, Zugriff 20.2.2024 - BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105886/country_report_2024_SLE.pdf, Zugriff 27.11.2024 - FH - Freedom House (25.4.2024): Freedom in the World 2024 - Sierra Leone, 2024 https://www.ecoi.net/en/document/2108067.html, Zugriff 19.2.2025 - USDOS - US Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices, Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/2107719.html, Zugriff 19.2.2025 9. Wehrdienst und Rekrutierungen Es gibt keine Wehrpflicht. Von 18-30 Jahren können sich Männer und Frauen freiwillig für den Militärdienst melden (CIA 12.2.2025). Quellen: .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 13 von 29

- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (12.2.2025): The World Factbook, Sierra Leone, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/sierra-leone/, Zugriff 20.2.2025 10. Allgemeine Menschenrechtslage Die Bürgerrechte sind gesetzlich festgeschrieben, und Sierra Leone hat mit der Ratifizierung wichtiger internationaler Menschenrechtsverträge de jure erhebliche Fortschritte erzielt. Das Land arbeitet mit internationalen Institutionen wie dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, UNICEF und UN Women sowie auf nationaler Ebene mit dem parlamentarischen Menschenrechtsausschuss und dem Nationalen Forum für Menschenrechte zusammen, das als Dachorganisation für zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft dient. Die Regierung hat eine Reihe von Gesetzen zum Schutz der Menschenrechte erlassen (z.B. das Gesetz über die Rechte des Kindes aus dem Jahr 2007, das Gesetz über Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2011, die Änderung des Gesetzes über Sexualdelikte aus dem Jahr 2019). Im Jahr 2020 wurden Strategien wie die Gender Equality and Women's Empowerment Policy und die National Male Involvement Strategy for the Prevention of Sexual and Gender-Based Violence veröffentlicht. Im März 2020 hob die Regierung das Ausbildungsverbot für schwangere Schülerinnen auf (BS 2024). Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehörten 2023 glaubwürdige Berichte über: willkürliche oder rechtswidrige Tötungen; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen oder Inhaftierungen; politische Gefangene oder Häftlinge. Ferner auch erhebliche Beeinträchtigung der friedlichen Versammlungsfreiheit, und schwerwiegende staatliche Korruption. Zudem kommt es zu weit verbreiteter geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich häuslicher und sexueller Gewalt (USDOS 23.4.2024), zu geschlechtsspezifischer Diskriminierung und ausbeuterischen Witwenriten. Kinderarbeit, Früh- und Zwangsheirat und Menschenhandel sind nach wie vor ein ernstes Problem (BS 2024). Es kommt zu Genitalverstümmelung und - beschneidung bei Frauen (USDOS 23.4.2024). Randgruppen, wie Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen, leben meist unter prekären Bedingungen, und die Rechte von sexuellen Minderheiten werden vernachlässigt (BS 2024). Es gibt zudem Gesetze, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellen, auch wenn sie nicht durchgesetzt werden und Straftaten, die mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt gegen sexuelle Minderheiten begangen werden (USDOS 23.4.2024). De facto kommt es auch immer wieder zu Verletzungen der Bürgerrechte (BS 2024). Am 10.8.2022 kam es in Freetown und anderen Teilen des Landes zu Protesten, ausgelöst durch die zunehmende Frustration über den Anstieg der Lebenshaltungskosten. Einige Demonstranten forderten den Rücktritt von Präsident Bio (AI 20.3.2023). Im April 2023 veröffentlichte die Sonderermittlungskommission (SIC) einen Bericht nach ihrer Untersuchung der Tötung von sechs Polizisten und mindestens 27 Demonstranten und Zuschauern während der Proteste im August 2022. Der Bericht beschrieb die Proteste als Aufstand und Versuch, die Regierung zu stürzen. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 14 von 29
