2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-afghanistan-version-12-3379
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Bedeutung hat, sind Dinge wie Alkohol, Glückspiel oder Ehebruch laut Paschtunwali verboten (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Das Paschtunwali umfasst Verhaltensregeln, durch deren Umsetzung die Rechte des Einzelnen in gewisser Weise gesichert werden, z. B. die Achtung des Eigentums anderer, das Verbot der Vergewaltigung, die Bestrafung von Mördern, der Schutz der Dorfbewohner, die finanzielle Hilfe für arme Menschen sowie der Schutz gefährdeter Menschen. Doch gleichzeitig hat ein Teil der bestehenden Gesetze im Rahmen des Paschtunwali negative Auswirkungen und kann die soziale Stabilität bedrohen, wie z. B. Rache, Verbot der Ausbildung von Mädchen, Zwangsehe, Fortbestehen von Feindschaft über lange Zeit und damit einhergehende bewaffnete Auseinan dersetzungen (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Obwohl die ehemalige afghanische Regierung in den zwanzig Jahren vor der Machtübernahme der Taliban 2021 zahlreiche Einrichtungen für den Zugang der Menschen zur Justiz und zu den Justizbehörden geschaffen hat, haben die Menschen aufgrund der unsicheren Lage in einigen Gebieten und der weitverbreiteten Korruption im Justizsystem kein Vertrauenin diese Behörden [Anmerkung: der ehemaligen Regierung] (STDOK/Nassery 4.2024). Vor allem in ländlichen Gebieten lösen Paschtunen Probleme und Streitigkeiten meist mit den Mechanismen des Paschtunwali (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Auch wenn die Umsetzung des Paschtunwali und seiner speziellen Gesetze in den Zentren der Großstädte nachgelassen haben, so bedeutet dies jedoch nicht das völlige Verschwinden des Paschtunwali in diesen Regionen. Zwar sind Paschtunen in ländlicheren Gebieten generell eher gegen die (höhere) Bildung von Mädchen, während die Bewohner von größeren Städten dem eher offen gegenüber stehen. Andere Bereiche des Paschtunwali haben aber nach wie vor große Bedeutung für alle Paschtunen, auch jene die in den städtischen Zentren des Landes leben (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Im Folgenden werden die wichtigsten Teile des Paschtunwali erörtert: Jirga und Maraka Jirgas und Marakas sind Versammlungen zwischen Ältesten der jeweiligen Gemeinschaften und den Konfliktparteien, um Streitigkeiten zu lösen, wobei Marakas eher bei kleineren Differenzen angewandt werden. Marakas werden auch abgehalten, um Freundschaften zu schließen und die Gemeinschaft zu fördern. Eine Jirga hat qualitativ und quantitativ einehöhere Wertigkeit als eine Maraka und wird angewandt, um größere Probleme und Konflikte (wie zum Beispiel Mord, Land- oder Ehestreitigkeiten) zu lösen. So ist die Loya Jirga beispielsweise die größte Jirga des Landes, die auch dafür genutzt wurde, die Verfassung der ehemaligen Regierung zu beschließen. Die Ältesten bzw. die Gelehrten der Gemeinschaft fungieren hierbei als Richter und entscheiden in den einzelnen Fällen, was Tage, aber auch Wochen oder Monate dauern kann (STDOK/VQ AFGH 4.2024: vgl. STDOK 1.7.2016). Ein afghanischer Journalist gab an, dass die Taliban seit ihrer Machtübernahme versuchen, den Jirga-Mechanismus unter die Verwaltung ihrer Regierung zu bekommen, um ethnische Konflik te zu lösen. Die Taliban versuchen hierbei, einen Waffenstillstand zu verhandeln, notfalls mit 101

Gewalt, um im Anschluss durch Gespräche und Vermittlung zwischen den Parteien im Rahmen einer Jirga Frieden zu schließen und den Konflikt beizulegen. So reisten Taliban-Regierungs beamte beispielsweise mehrfach in die Provinzen Khost, Paktia und Paktika, um Streitigkeiten im Rahmen von Jirgas zu lösen (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Bad o Por (Blutpreis) Der Preis, um gewisse Feindschaften und Streitigkeiten zu lösen, nennt sich Bad o Por. Wenn eine Person, oder ein Mitglied einer Familie, die Rechte anderer verletzt oder gegen die Grund sätze des Paschtunwali verstößt, muss sie den Preis bzw. Bad o Por zahlen. Je nach Art und Bedeutung der Streitigkeit kommt es hierbei zur Zahlung eines Geldbetrages, der Ausrichtung eines Festes oder einer Entschuldigung. Bei größeren Streitigkeiten werden jedoch auch um strittene Handlungen wie das „ Verschenken“ von Frauen an die Gegenseite angewandt, um den Konflikt beizulegen (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Vor allem Streitigkeiten, die die Ehre (der Familie) betreffen, sind sehr heikel. Dazu gehören beispielsweise das unerlaubte Fortlaufen eines Mädchens von zu Hause oder vorehelicher Geschlechtsverkehr. So erklärt ein paschtunischer Stammesältester, dass, wenn ein Mann mit einer Frau unerlaubt flieht, er zwei Möglichkeiten hat: Entweder er kehrt nie wieder zurück oder er zahlt Bad o Por. Hier muss im Rahmen einer Jirga entschieden werden, dass die Frau zu ihm gehört, und er muss den Vater des Mädchens auszahlen. Dann kann er der Ehemann der Frau werden. Die Frau hingegen wird aus ihrer Familie ausgestoßen und ihr wird auch das Erbrecht entzogen (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Als die Taliban die Macht in Afghanistan übernahmen, wurde mittels speziellem Erlass die Zwangsverheiratung von Frauen (STDOK/VQ AFGH 4.2024; vgl. Independent 19.1.2024) und die Abgabe von Mädchen für Bad o Por verboten. Die Taliban fügten hinzu, dass Stämme, die sich nicht an diesen Erlass hielten, mit schweren Strafen belegt würden (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Die Zwangsverheiratung von Mädchen zur Beilegung von Feindseligkeiten ist unter den Paschtunen in den Provinzen jedoch immer noch weit verbreitet (STDOK/VQ AFGH 4.2024; vgl. AA 26.6.2023, AI 7.8.2023). Badal (Vergeltung, Blutfehden) und Nanawatai (Abbitte leisten) Badal, bedeutet in Paschto „ Vergeltung“ und soll die Gerechtigkeit wiederherstellen oder an den Übeltätern Rache nehmen (STDOK 1.7.2016). Die Feindschaft zwischen Familien und Stämmen beginnt manchmal mit sehr kleinen Vorfällen und entwickelt sich schließlich zu einer großen Feindschaft. Zu diesen Fällen gehören beispielsweise verbale Auseinandersetzungen um Land, Spannungen um die Stammesführung oder körperliche Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen zweier Stämme (STDOK/VQ AFGH 4.2024), die nach und nach größer und größer werden und Jahre oder auch Generationen andauern können (STDOK/VQ AFGH 4.2024; vgl. STDOK 1.7.2016). So führt ein paschtunischer Ältester aus, dass die Strafe für Mord der Tod ist, und dass sich daraus eine Feindschaft entwickeln kann, der Dutzende andere Menschen 102

zum Opfer fallen können. Feindseligkeiten können durch Jirgas (oder im Falle „ kleiner“ Strei tigkeiten durch Marakas) beendet werden und es kommt, wie bereits ausgeführt, weiterhin zur „ Schenkung“ von Frauen, um Feindseligkeiten zu beenden (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Eine längere Blutfehde kann jedoch auch durch Versöhnung, genannt Nanawatai (Abbitte leisten) vermieden werden. Hinter Nanawatai steht der Gedanke, dass sich jemand seinem Gegner vollständig unterwirft und ausliefert, ihn um Verzeihung bittet und um den Erlass des Badal, das von ihm eingefordert werden soll. Wer Abbitte leistet, muss dann um jeden Preis geschützt werden. Außerdem muss Flüchtigen vor der Justiz Zuflucht gewährt werden, bis die Lage nach dem Paschtunwali entschieden ist. Nanawatai wird jedoch in Fällen von Namoos (Bewahrung der Keuschheit der Frauen) abgelehnt oder wenn jemand anderer als der Ehemann einer Frau beischlief (STDOK 1.7.2016). Gastfreundschaft (Mailmastia oder Melmastiya) und Schutz (Panah) Die paschtunische Kultur betrachtet den Gast als eine ehrenwerte und wichtige Person und be zeichnet ihn sogar als einen Freund Gottes. Mailmastia bedeutet allen Besuchern Gastfreund schaft und tief empfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Die Paschtunen haben großen Respekt vor ihren Gästen und bemühen sich sehr, sie glücklich und zufrieden zu machen. In der paschtunwalischen Kultur wird dem Gast ein gutes Essen zubereitet, eine Unterkunft geboten und er darf nicht belästigt werden. Gast freundschaft spielt eine besondere Rolle, wenn es darum geht, Feindschaften zu überwinden, Freundschaften zu schließen und Stammesherausforderungen zu meistern. Mit einem Fest oder einer Bewirtung wollen die Familien ihre wirtschaftliche Stärke und ihr familiäres Können unter Beweis stellen. Wenn der Gast mit dem Essen, der Gastfreundschaft und der Unterstützung des Gastgebers zufrieden ist, ist der Gastgeber ebenso stolz und zufrieden (STDOK/VQ AFGH 4.2024; vgl. STDOK 1.7.2016). Die Paschtunen legen besonderen Wert auf Schutz und Sicherheit. Bei den Paschtunen ist es verboten, jemandem zu schaden, der bei einer Familie oder einem Stamm Zuflucht gesucht hat. Nachdem sie jemandem Zuflucht gewährt haben, halten die Paschtunen kleine Marakas ab, um über das Schicksal der Person zu entscheiden. Es sollte jedoch klargestellt werden, dass die Aufnahme einer Person, die ein Verbrechen wie Mord begangen hat, von den paschtunischen Stämmen nicht akzeptiert wird und dazu führt, dass der Asylsuchende nach einer kurzen Jirga wieder aus dem Stamm verstoßen wird (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Anmerkung: Ausführliche Informationen zu Paschtunen und dem Paschtunwali können dem Themenbericht der Staatendokumentation: Pashtuns and the Pashtunwali und dem dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden. Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ec oi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich] 103

■ AI - Amnesty International (7.8.2023): Zukunft auf Null gesetzt, https://www.amnesty.de/informieren /amnesty-journal/deutschland-exil-afghanistan-frauenrechtlerin-bildung-soraya-sobhrang-zukunft -auf-null-gesetzt , Zugriff 1.9.2023 ■ Independent - Independent, The (19.1.2024): Afghan activists document forced marriages as Taliban chief says women have better rights under them, https://www.independent.co.uk/asia/south-asi a/taliban-afghanistan-women-forced-marriages-hibatullah-akhundzada-b2481426.html , Zugriff 15.3.2024 ■ MRG - Minority Rights Group (5.2.2021a): Pashtuns, https://minorityrights.org/minorities/pashtuns, Zugriff 19.12.2022 ■ STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (7.2016): Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_14700577 16_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 19.12.2022 ■ STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (1.7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/loc al/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 23.1.2023 ■ STDOK/Nassery - Nassery, Idris (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (4.2024): Themenbericht der Staatendokumentation: Afghan legal system under the Taliban, https://www.ecoi.net/en/document/2106982.html, Zugriff 10.4.2024 ■ STDOK/VQ AFGH - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Öster reich], Journalist aus Afghanistan [Vertrauliche Quelle 1] (4.2024): Themenbericht der Staatendoku mentation: Pashtuns and the Pashtunwali, https://www.ecoi.net/en/document/2106990.html, Zugriff 10.4.2024 19.2 Tadschiken Letzte Änderung 2024-03-28 12:44 Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan. Sie machen etwa 27 bis 30 % der afghanischen Bevölkerung aus (MRG 5.2.2021b; vgl. AA 26.6.2023). Sie üben einen bedeutenden politischen Einfluss in Afghanistan aus und stellen den Großteil der afghanischen Elite, die über ein beträchtliches Vermögen innerhalb der Gemeinschaft verfügt. Während sie in der vor-sowjetischen Ära hauptsächlich in den Städten, in und um Kabul und in der bergigen Region Badakhshan im Nordosten siedelten, leben sie heute in verschiede nen Gebieten im ganzen Land, allerdings hauptsächlich im Norden, Nordosten und Westen Afghanistans (MRG 5.2.2021b). Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stam mesorganisation (MRG 5.2.2021b). Heute werden unter dem Terminus tājik - „Tadschike“ - fast alle Dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammen gefasst (STDOK 7.2016). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ec oi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich] ■ MRG - Minority Rights Group (5.2.2021b): Tajiks, https://minorityrights.org/minorities/tajiks, Zugriff 19.12.2022 ■ STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (7.2016): Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_14700577 16_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 19.12.2022 104

19.3 Hazara Letzte Änderung 2025-01-31 16:37 Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 15 % der afghanischen Bevölkerung aus (AA 26.6.2023; vgl. BAMF 5.2022). Die Mehrheit der Hazara lebt im Hazarajat (oder „ Land der Hazara“) (MRG 5.1.2022; vgl. EB o.D., BAMF 5.2022), das im zerklüfteten zentralen Bergland Afghanistans liegt und eine Fläche von etwa 50.000 Quadratkilometern umfasst. Die Region erstreckt sich auf die Provinzen Bamyan und Daikundi sowie mehrere angrenzende Distrikte in den Provinzen Ghazni, Uruzgan, (Maidan) Wardak, Parwan, Baghlan, Samangan und Sar-e Pul. Es gibt auch sunnitische Hazara-Gemeinschaften in den Provinzen Badghis, Ghor, Kunduz, Baghlan, Panjsher und anderen Gebieten im Nordosten Afghanistans (MRG 5.1.2022). Eth nische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (JP o.D.; vgl. BAMF 5.2022), auch bekannt als Jaafari-Schiiten (USDOS 15.5.2023). Eine Minderheit der Hazara ist ismailitisch (USDOS 15.5.2023; vgl. MRG 5.1.2022). Ismailitische Hazara leben in den Provinzen Parwan, Baghlan und Bamyan. Darüber hinaus sind sowohl schiitische als auch sunnitische Hazara in erheblicher Zahl in mehreren städtischen Zentren Afghanistans vertreten, darunter Kabul, Mazar-e Sharif und Herat (MRG 5.1.2022). Die Taliban haben insbesondere den überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen Hazara, die während des ersten Taliban-Regimes benachteiligt und teilweise verfolgt wurden, Zusicherungen gemacht (AA 26.6.2023). Dennoch berichtete AI (Amnesty International) bereits im Juli 2021 über die Tötung von neun Angehörigen der Hazara in der Provinz Ghazni, nachdem die Taliban dort die Kontrolle übernommen hatten (AI 19.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021a), und im August 2021 sollen nach Angaben der NGO in der Provinz Daikundi 13 Angehörige der Hazara-Minderheit, darunter ein 17-jähriges Mädchen, von den Taliban getötet worden sein (AI 5.10.2021; vgl. BBC 5.10.2021). Es gibt weiters Berichte, dass Angehörige der Taliban beschuldigt werden, Zwangsumsiedlun gen, vor allem unter Angehörigen der schiitischen Hazara, vorzunehmen, um das Land unter ihren eigenen Anhängern aufzuteilen. Die Quellen verweisen auf Vertreibungen in Daikundi, Uruzgan, Kandahar, Helmand und Balkh (HRW 22.10.2021). In der Provinz Daikundi sollen im September 2021 ca. 400 Hazara-Familien gewaltsam von ihrem Land vertrieben worden sein. Laut Erkenntnissen der UN konnten die meisten mittlerweile wieder zurückkehren (AA 26.6.2023). In Helmand und Balkh wurden Anfang Oktober „ Hunderte von Hazara-Familien“, und in 14 Dörfern in Daikundi und Uruzgan im September mindestens 2.800 Hazara-Bewohner vertrieben (HRW 22.10.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a). Nach Einschätzung von HRW beruht die Diskriminierung von Hazara bei illegaler Landnahme v. a. auf lokalen Konflikten, wird aber von der Taliban-Führung toleriert. Es gibt darüber hinaus weitere Berichte über lokale Diskrimi nierung, u. a. durch Enteignungen und besondere Besteuerung, die von der Taliban-Regierung mindestens geduldet wird (AA 26.6.2023). So kam es auch im Frühjahr 2022 dazu, dass Hazara ihre Häuser nach Streitigkeiten mit Nomaden verlassen mussten (AAN 11.1.2023). Am 2.9.2023 wurde berichtet, dass die Taliban Hazara in der Provinz Maidan Wardak befohlen haben, Kutschis eine Entschädigung für den Verlust ihres Viehs zu zahlen. Berichten zufolge 105

ist der Viehbestand der Kutschis vor einigen Jahren in dem Gebiet verschwunden. Auch hier wurde den Taliban Voreingenommenheit vorgeworfen (KaN 2.9.2023). Auch sind Hazara weiterhin besonders gefährdet, Opfer von Anschlägen des Islamischen Staats Khorasan Provinz (ISKP) zu werden (AA 26.6.2023: vgl. HRW 25.10.2021). So kam es auch im Jahr 2022 zu Angriffen des ISKP, welche auf Hazara abgezielt haben (AA 20.7.2022; vgl. UNGA 14.9.2022, HRW 12.1.2023). Beispielsweise wurden bei einem Anschlag auf eine schiitische Moschee in Mazar-e Sharif im April 2022 mindestens 31 Menschen getötet (UNGA 15.6.2022; vgl. PAN 23.4.2022). Am 24.1.2022 wurden bei einem ISKP-Anschlag im Hazara-Viertel Haji Abbas in Herat sieben Menschen getötet und zehn Weitere verletzt (8am 24.1.2022; vgl. REU 23.1.2022). Ebenso in Herat kam es am 1.4.2022 im Hazara-Viertel Jebrail zu einem Bombenanschlag, bei dem 12 junge Männer getötet und 25 weitere verletzt wurden (8am 6.4.2022; vgl. TN 24.1.2023). Mindestens 26 junge Hazara wurden bei zwei Angriffen auf Bildungseinrichtungen in Kabul am 19.4.2022 getötet (8am 20.10.2022; vgl. AN 19.4.2022). Acht Menschen wurden im August in Kabul getötet, als eine Bombe in der Nähe einer schiitischen Moschee explodierte (VOA 5.8.2022; vgl. REU 5.8.2022). Am 13.10.2023 kam es zum Freitagsgebet in der schiitischen Imam-Zaman-Moschee in der Hauptstadt Pul-e Khumri in Baghlan zu einer Explosion (Afintl 13.10.2023; vgl. RFE/ RL 14.10.2023). Berichten zufolge sollen bis zu 30 Personen getötet worden sein (BAMF 31.12.2023). Der ISKP bekannte sich zu der Tat (BAMF 31.12.2023; vgl. RFE/RL 14.10.2023). In einem mehrheitlich von Hazara bewohnten Viertel in Herat (BAMF 31.12.2023) wurden am 1.12.2023 bei einem Angriff unbekannter bewaffneter Personen mindestens sechs Menschen, darunter zwei Geistliche, getötet und drei weitere verwundet (KP 1.12.2023; vgl. PAN 1.12.2023). Berichten zufolge wurden in den letzten anderthalb Monaten mindestens vier Hazara-Kleriker oder religiöse Führer in Herat getötet (KP 1.12.2023). Zwischen Oktober 2023 und Jänner 2024 kam es zu einer Reihe von IED (Improvised Explosive Devices)-Angriffen im vornehmlich von Hazara besiedelten Distrikt Dasht-e Barchi, für die der ISKP die Verantwortung übernahm. So wurden am 26.10.2023 bei einem Angriff auf einen Sportklub mindestens vier Menschen getötet (FR24 27.10.2023; vgl. VOA 28.10.2023). Bei einem Angriff auf einen Minibus am 7.11.2023 wurden mindestens sieben Menschen getötet und etwa 20 verwundet (UNAMA 22.1.2024; vgl. TN 7.11.2023). Am 6.1.2024 kam es zu einer weiteren Explosion eines Minibusses (VOA 6.1.2024; vgl. RFE/RL 7.1.2024). Die Angaben zu den Opferzahlen schwanken, jedoch wurden nach Angaben von UNAMA mindestens 25 Menschen getötet oder verwundet (RFE/RL 7.1.2024; vgl. AP 7.1.2024). Quellen ■ 8am - Hasht-e Sobh (20.10.2022): Ethnic Cleansing: Hazaras in Afghanistan Are on the Verge of Extinction, https://8am.media/eng/ethnic-cleansing-hazaras-in-afghanistan-on-the-verge-of-extinct ion, Zugriff 24.1.2023 ■ 8am - Hasht-e Sobh (6.4.2022): The Death Toll of Explosion in Jibraiel Townhship, Anjil District, Herat Rises to Five, https://8am.media/eng/the-death-toll-of-explosion-in-jibraiel-townhship-anjil-distric t-herat-rises-to-five , Zugriff 24.1.2023 106

■ 8am - Hasht-e Sobh (24.1.2022): ISKP Claims Responsibility for a Deadly Attack in Herat, https: //8am.media/eng/iskp-claims-responsibility-for-a-deadly-attack-in-herat/ , Zugriff 22.12.2022 ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ec oi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich] ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.7.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: 20.06.2022), https://www.ecoi.net/de/doku ment/2076733.html, Zugriff 14.12.2022 [Login erforderlich] ■ AAN - Afghanistan Analysts Network (11.1.2023): Conflict Management or Retribution? How the Taleban deal with land disputes between Kuchis and local communities, https://www.ecoi.net/en/do cument/2085566.html, Zugriff 18.1.2023 ■ Afintl - Afghanistan International (13.10.2023): Explosion Rocks Shia Mosque In Baghlan, https: //www.afintl.com/en/202310139901, Zugriff 31.1.2024 ■ AI - Amnesty International (5.10.2021): Afghanistan: Angehörige der Hazara von Taliban getötet, darunter ein 17-jähriges Mädchen, https://www.amnesty.at/news-events/afghanistan-angehoerige -der-hazara-von-taliban-getoetet-darunter-ein-17-jaehriges-maedchen/ , Zugriff 22.12.2022 ■ AI - Amnesty International (19.8.2021): Afghanistan: Taliban responsible for brutal massacre of Hazara men - new investigation, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2021/08/afghanistan-talib an-responsible-for-brutal-massacre-of-hazara-men-new-investigation/ , Zugriff 22.12.2022 ■ AN - Arab News (19.4.2022): At least 6 dead after explosions hit Kabul schools, https://www.arabne ws.com/node/2066081/world, Zugriff 24.1.2023 ■ AP - Associated Press (7.1.2024): Islamic State group claims responsibility for a minibus explosion in Afghan capital that killed 5, https://apnews.com/article/islamic-state-claims-kabul-minibus-explo sion-8e99f158da8d0f53835c5592d74433e0, Zugriff 20.2.2024 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.12.2023): Briefing Notes Zu sammenfassung: Afghanistan - Juli bis Dezember 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nod es/29188455, Zugriff 22.1.2024 [Login erforderlich] ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2022): Lage der Hazaras in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2074186.html, Zugriff 24.1.2023 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (5.10.2021): Afghanistan: Taliban unlawfully killed 13 ethnic Hazara people, Amnesty says, https://www.bbc.com/news/world-asia-58807734, Zugriff 24.1.2023 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (20.8.2021a): Afghanistan: Taliban ’tortured and massacred’ men from Hazara minority, https://www.bbc.com/news/world-asia-58277463, Zugriff 7.9.2021 ■ EB - Encyclopaedia Britannica (o.D.): Hazara - Definition, Culture, History, Population, https://www. britannica.com/topic/Hazara, Zugriff 24.1.2023 ■ FR24 - France 24 (27.10.2023): Islamic State jihadist group claims deadly blast in Kabul sports club, https://www.france24.com/en/asia-pacific/20231027-islamic-state-jihadist-group-claims-deadly-bla st-in-kabul, Zugriff 31.1.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/e n/document/2085369.html, Zugriff 18.1.2023 ■ HRW - Human Rights Watch (25.10.2021): Afghanistan: Surge in Islamic State Attacks on Shia, https://www.hrw.org/node/380231/printable/print, Zugriff 24.1.2023 ■ HRW - Human Rights Watch (22.10.2021): Afghanistan: Taliban Forcibly Evict Minority Shia, https: //www.hrw.org/news/2021/10/22/afghanistan-taliban-forcibly-evict-minority-shia , Zugriff 24.1.2023 ■ JP - Joshua Projekt (o.D.): Hazara in Afghanistan Profile, https://joshuaproject.net/people_groups/ print/12076/AF, Zugriff 24.1.2023 ■ KaN - Kabul Now (2.9.2023): Taliban orders Hazaras to pay penalty to Kuchis for lost livestock – KabulNow, https://kabulnow.com/2023/09/taliban-orders-hazaras-to-pay-penalty-to-kuchis-for-los t-livestock, Zugriff 21.2.2024 ■ KP - Khaama Press (1.12.2023): 6 killed, 3 injured in attack on clerics in Herat, Afghanistan, https: //www.khaama.com/6-killed-3-injured-in-attack-on-clerics-in-herat-afghanistan , Zugriff 7.2.2024 ■ MRG - Minority Rights Group (5.1.2022): Hazaras, https://minorityrights.org/minorities/hazaras , Zugriff 19.12.2022 ■ PAN - Pajhwok Afghan News (1.12.2023): Clerics among 6 killed in Herat attack, https://pajhwok.co m/2023/12/01/women-and-clerics-among-six-people-were-killed-in-herat-city , Zugriff 7.2.2024 ■ PAN - Pajhwok Afghan News (23.4.2022): Last week deadliest since regime change last year, https: //pajhwok.com/2022/04/23/last-week-deadliest-since-regime-change-last-year/ , Zugriff 20.12.2022 107

■ REU - Reuters (5.8.2022): Blast in Kabul, Afghanistan kills 8; Islamic State claims responsibility, https: //www.reuters.com/world/asia-pacific/blast-hits-afghanistans-capital-kabul-official-2022-08-05 , Zugriff 17.1.2023 ■ REU - Reuters (23.1.2022): Islamic State claims responsibility for attack in Herat, Afghanistan, https://www.reuters.com/world/asia-pacific/islamic-state-claims-responsibility-attack-heart-afghani stan-2022-01-23/ , Zugriff 20.12.2022 ■ RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.1.2024): Islamic State Claims Responsibility For Deadly Minibus Blast In Kabul, https://www.rferl.org/a/afghanistan-kabul-bus-attack-islamic-state/3 2764607.html, Zugriff 20.2.2024 ■ RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (14.10.2023): Islamic State Claims Responsibility For Deadly Suicide Bombing At Mosque In Afghanistan, https://www.rferl.org/a/afghanistan-shiite-mos que-bombing-islamic-state-responsibility/32637481.html , Zugriff 31.1.2024 ■ TN - Tolonews (7.11.2023): 7 People Killed, 20 Wounded in Blast in Kabul, https://tolonews.com/ afghanistan-185928#:~:text=At least seven people were,have arrived in the area., Zugriff 20.2.2024 ■ TN - Tolonews (24.1.2023): Four Civilians Killed in Two Explosions in Herat, https://tolonews.com/a fghanistan-177387, Zugriff 24.1.2023 ■ UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (22.1.2024): Human rights situation in Afghanistan: October - December 2023 Update, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/e nglish_hr_update_22jan_2024.pdf, Zugriff 20.2.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (14.9.2022): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079419/N2259109.pdf, Zugriff 12.1.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (15.6.2022): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074514/N2237309.pdf, Zugriff 4.1.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Reli gious Freedom: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2091855.html, Zugriff 16.5.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022a): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2071122.html, Zugriff 15.12.2022 ■ VOA - Voice of America (6.1.2024): Bomb Hits Minibus in Kabul, Killing 2 Afghan Civilians, https: //www.voanews.com/a/bomb-hits-minibus-in-kabul-killing-2-afghan-civilians/7429329.html , Zugriff 20.2.2024 ■ VOA - Voice of America (28.10.2023): Islamic State Group Claims Deadly Blast in Kabul, https: //www.voanews.com/a/islamic-state-group-claims-deadly-blast-in-kabul-/7330748.html , Zugriff 31.1.2024 ■ VOA - Voice of America (5.8.2022): Islamic State Bombing Kills 8 Afghan Shiite Mourners in Kabul, https://www.voanews.com/a/taliban-bombing-hits-shiite-area-of-kabul/6688865.html , Zugriff 17.1.2023 19.4 Usbeken Letzte Änderung 2025-01-14 15:59 Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans und umfasst etwa 9% der Gesamtbevölkerung (MRG 5.2.2021d; vgl. AA 26.6.2023). Usbeken sind Sunniten und leben vorwiegend im Norden des Landes, wo sie gemeinsam mit den Turkmenen den größten Teil des landwirtschaftlich genutzten Bodens kontrollieren (MRG 5.2.2021d). Sie siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Lashkargah u. a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehun gen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (STDOK 7.2016). 108

Die Usbeken haben Stammesidentitäten, die immer noch weitgehend die Strukturen innerhalb ihrer jeweiligen Gesellschaft bestimmen, was sich sowohl in ihrem sozialen als auch in ihrem politischen Leben widerspiegelt (MRG 5.2.2021d). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ec oi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich] ■ MRG - Minority Rights Group (5.2.2021d): Uzbeks and Turkmens, https://minorityrights.org/minorit ies/uzbeks-and-turkmens, Zugriff 19.12.2022 ■ STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (7.2016): Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_14700577 16_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf , Zugriff 19.12.2022 19.5 Kutschi-Nomaden Letzte Änderung 2025-01-14 15:59 Ethnisch gesehen ist der Großteil der Kutschi (persisch: „ Nomaden“) paschtunisch und stammt vorwiegend aus dem Süden und Osten Afghanistans (MRG 5.2.2021c). Sie sind eher eine so ziale Gruppe, obwohl sie einige Charakteristiken einer eigenen ethnischen Gruppe aufweisen. Während des ersten Taliban-Regimes wurden viele Kutschi in den usbekisch und tadschikisch dominierten Gebieten im Nordwesten des Landes sesshaft. Die größte Kutschi-Population findet sich in der Wüste im Süden des Landes (Registan) (MRG 5.2.2021c). Die rund 2,4 Millionen Kutschi-Nomaden ziehen im Winter traditionell aus Ost- und Zentralafghanistan, um ihre Her den in den Grenzgebieten Pakistans zu weiden (ANPK 19.2.2018; vgl. FAO 30.3.2022). Viele Kutschi leben in informellen Siedlungen am Stadtrand von Kabul (MRG 5.2.2021c). Sie züchten Vieh und verkaufen die Tiere und ihre Nebenprodukte an lokale Gemeinschaften, um ihren Le bensunterhalt zu sichern. Obwohl sie für die Ernährungssicherheit Afghanistans unverzichtbar sind, ist die Mehrheit der Kutschi arm und führt ein schwieriges Leben. COVID-19, Konflikte und politische Umwälzungen haben ihre Lebensgrundlagen stark beeinträchtigt (FAO 30.3.2022). In den vergangenen zwei Jahrzehnten kam es gelegentlich zu Zusammenstößen zwischen Kut schi und sesshaften Hazara-Bauern (RFE/RL 8.4.2021; vgl. NFF 20.12.2021, AAN 11.1.2023, KaN 2.9.2023), wobei jede Seite die andere für die Gewalt verantwortlich machte (RFE/RL 8.4.2021). Die Kutschi beanspruchen Rechte auf die Sommerweiden im Hazarajat, einer his torischen Region in Zentralafghanistan, welche die heutigen Provinzen Bamyan und Daikundi sowie Teile von Maidan Wardak, Ghazni, Uruzgan, Ghor, Sar-e Pul, Samangan und Parwan umfasst, was der Mittelpunkt des Konfliktes ist (AAN 11.1.2023). Solche Spannungen haben sich auch in anderen Teilen Afghanistans zugespitzt, wo die schnell wachsende sesshafte Bevöl kerung, die Nomaden als Eindringlinge betrachtet, die ihr Land und ihre Ressourcen bedrohen (RFE/RL 8.4.2021). So kam es beispielsweise im Sommer 2022 zu Zusammenstößen zwischen Einheimischen und Kutschi in der Provinz Takhar (AAN 11.1.2023). Die Taliban werden bei Landstreitigkeiten von vielen als Unterstützer der Kutschi und somit als Streitpartei und nicht als neutraler Vermittler angesehen (AAN 11.1.2023; vgl. KaN 2.9.2023). 109

So wurden in einem Landkonflikt zwischen Kutschi-Nomaden und der Bevölkerung des Distrikts Nawur, Provinz Ghazni,Anfang August 17 lokale Bewohner festgenom men, wobei den Taliban vorgeworfen wurde, parteiisch mit den Kutschi zu sein (BAMF 31.12.2023; vgl. KaN 1.8.2023). Berichten zufolge wurden die Festgenommenen ge schlagen und gefoltert (KaN 1.8.2023). Am 2.9.2023 wurde berichtet, dass die Taliban Hazara in der Provinz Maidan Wardak befohlen haben, Kutschi eine Entschädigung für den Verlust ihres Viehs zu zahlen. Berichten zufolge ist vor einigen Jahren in dem Gebiet der Viehbestand der Kutschi verschwunden. Auch hier wurde den Taliban Voreinge nommenheit vorgeworfen (KaN 2.9.2023). Quellen ■ AAN - Afghanistan Analysts Network (11.1.2023): Conflict Management or Retribution? How the Taleban deal with land disputes between Kuchis and local communities, https://www.ecoi.net/en/do cument/2085566.html, Zugriff 18.1.2023 ■ ANPK - Arab News Pakistan (19.2.2018): Afghan nomads trapped, hungry as Pakistan blocks access to grazing land, https://www.arabnews.pk/node/1249796/pakistan, Zugriff 19.12.2022 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.12.2023): Briefing Notes Zu sammenfassung: Afghanistan - Juli bis Dezember 2023, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/app/nod es/29188455, Zugriff 22.1.2024 [Login erforderlich] ■ FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (30.3.2022): Afghanistan: FAO supports Kuchi nomadic herding communities in southern Afghanistan with livestock protection packages, https://www.fao.org/emergencies/resources-repository/photo-collection/detail/fao-suppo rts-kuchi-nomadic-herding-communities-in-southern-afghanistan-with-livestock-protection-packa ges/en, Zugriff 19.12.2022 ■ KaN - Kabul Now (2.9.2023): Taliban orders Hazaras to pay penalty to Kuchis for lost livestock – KabulNow, https://kabulnow.com/2023/09/taliban-orders-hazaras-to-pay-penalty-to-kuchis-for-los t-livestock, Zugriff 21.2.2024 ■ KaN - Kabul Now (1.8.2023): Taliban detains 17 residents of Ghazni’s Nahur district over Kuchi dispute, https://kabulnow.com/2023/08/taliban-detains-17-residents-of-ghaznis-nahur-district-ove r-kuchi-dispute, Zugriff 30.1.2024 ■ MRG - Minority Rights Group (5.2.2021c): Kuchis, https://minorityrights.org/minorities/kuchis, Zugriff 19.12.2022 ■ NFF - Netzwerk Fluchtforschung (20.12.2021): Forced Displacement under the Taliban, also a Legacy of the Past (?), https://fluchtforschung.net/blogbeitraege/forced-displacement-under-the-taliban-als o-a-legacy-of-the-past , Zugriff 19.12.2022 ■ RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (8.4.2021): Afghan Nomads Mourn A Vanishing Way Of Life, https://www.rferl.org/a/afghan-nomads-mourn-a-vanishing-way-of-life/31192945.html , Zugriff 19.12.2022 20 Relevante Bevölkerungsgruppen 20.1 Frauen Letzte Änderung 2025-01-30 16:09 Bereits vor Machtübernahme der Taliban war die afghanische Regierung nicht willens oder in der Lage, die Frauenrechte in Afghanistan vollumfänglich umzusetzen, allerdings konnten Mädchen grundsätzlich Bildungseinrichtungen besuchen, Frauen studieren und weitgehend am Berufsleben teilnehmen, wenn auch nicht in allen Landesteilen gleichermaßen (AA 12.7.2024). Es gab eine Reihe von Gesetzen, Institutionen und Systemen, die sich mit den Rechten von Frauen und Mädchen in Afghanistan befassten. So hatte beispielsweise das Ministerium für 110
