2025-09-08-coi-cms-laenderinformationen-pakistan-version-8-9527
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
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Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische Bei den von der Staatendokumentation bereitgestellten Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische handelt es sich um Arbeitszusammenfassungen. Anderes als bei den automati schen Übersetzungen (siehe unten) werden diese einer eigenen Überprüfung unterzogen. Die Staatendokumentation ist bemüht, dass die jeweiligen deutsch- und englischsprachigen Versionen (so vorhanden) zum selben Zeitpunkt veröffentlicht werden. Jedoch kann es, aufgrund der umfangreichen Qualitätssicherung vorkommen, dass sich das Datum der Veröffentlichung der beiden Versionen geringfügig unterscheidet. Es sei darauf verwiesen, dass trotz eines möglichen geringfügig unterschiedlichen Veröffentlichungsdatums, der Inhalt der deutsch- und englischsprachigen Version derselbe ist. Automatische Übersetzungen Bei der automatischen Übersetzung handelt es sich um eine maschinelle Übersetzung einer Län derinformation mittels einer Übersetzungssoftware, in eine vom Nutzer festgelegte Zielsprache. Diese Übersetzung wird, da vom Nutzer direkt generiert, weder im Hinblick auf Grammatik und Rechtschreibung noch auf Sinnerhaltung kontrolliert und soll lediglich dazu dienen, einen Ein druck über den Inhalt des Originaldokuments bzw. der verwendenten Quellen zu erlangen. Die Staatendokumentation übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der maschinellen Über setzung. Sollte das Produkt vom Nutzer für eine weitere Verwendung herangezogen werden, insbesondere für eine behördliche Entscheidung, so wird dringend empfohlen die Übersetzung durch einen professionellen Übersetzer kontrollieren bzw. durchführen zu lassen. Qualitätssicherung der maschinellen Übersetzung von DeepL Die Übersetzung, welche nicht als „ automatische Übersetzung“ ausgewiesen wird, wurde von einer/einem professionellen Übersetzer/in qualitätsgesichert. Etwaige in der Übersetzung ent stehende Unstimmigkeiten oder Differenzen sind nicht bindend und haben keine rechtliche Wirkung für Compliance- oder Durchsetzungszwecke. Sollten Fragen zur Richtigkeit der quali tätsgesicherten Übersetzung entstehen, nehmen sie bitte Kontakt mit der Staatendokumentation des BFA unter BFA-Staatendokumentation@bmi.gv.at auf. III

Inhalt 1 Länderspezifische Anmerkungen 1 2 Politische Lage 1 3 Sicherheitslage 10 3.1 Belutschistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.2 Khyber Pakhtunkhwa (inklusive Tribal Districts - ehemalige FATA) . . . . . . . 36 3.3 Punjab und Islamabad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.4 Sindh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.5 Kaschmir: Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kaschmir . . . . . . . . . . . . . 58 4 Rechtsschutz, Justizwesen 60 4.1 Militär- und Anti-Terrorismusgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2 Informelle Rechtsprechung und islamisch geprägte Rechtsnormen . . . . . . . 67 4.3 Rechtliche und politische Transformation in den KP Tribal Districts (ehemalige FATA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4.4 Politischer und rechtlicher Aufbau Gilgit-Baltistan und Azad Jammu Kaschmir . 78 5 Sicherheitsbehörden 82 6 Folter und unmenschliche Behandlung 85 7 Korruption 87 8 NGOs und Menschenrechtsaktivisten 89 9 Ombudsperson 90 10 Wehrdienst und Rekrutierungen 91 11 Allgemeine Menschenrechtslage 92 12 Meinungs- und Pressefreiheit 94 13 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition 97 14 Haftbedingungen 101 15 Todesstrafe 103 16 Religionsfreiheit 105 16.1 Muslimische Glaubensrichtungen und interkonfessionelle Gewalt . . . . . . . . 111 16.2 Ahmadis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 16.3 Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 16.4 Konversion und Apostasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 16.5 Blasphemiegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 IV

17 Ethnische Minderheiten 129 17.1 Belutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 17.2 Hazara . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 17.3 Paschtunen, inkl. Pashtun Tahafuz Movement (PTM) . . . . . . . . . . . . . . . 136 18 Relevante Bevölkerungsgruppen 140 18.1 Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 18.2 Betroffene von Blutfehden, Ehrverbrechen und anderen schädlichen traditionellen Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 18.3 Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 18.4 Sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 19 Bewegungsfreiheit 159 19.1 Registrierungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 20 IDPs und Flüchtlinge 163 20.1 IDPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 20.2 Afghanische Flüchtlinge in Pakistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 21 Grundversorgung 177 21.1 Wirtschaft und Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 21.2 Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 21.3 Sozialwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 22 Medizinische Versorgung 191 23 Rückkehr 197 24 Dokumentensicherheit 200 25 Impressum 202 25.1 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 25.2 Hinweis zum Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 25.3 Veröffentlichte Versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 V

1 Länderspezifische Anmerkungen Letzte Änderung 2025-05-30 11:42 In einigen Bereichen dieser Länderinformationen wurde auf das Taliban-Regime in Afghanistan bzw. seine Vertreter Bezug genommen. Dieses „ Islamische Emirat Afghanistan“ wurde mit Stand Mai 2025 von keinem Land der Welt offiziell anerkannt. Es gilt als eine de-facto-Regierung mit de-facto-Ministerien und de-facto-Ministern. Bezugnahmen, auch wenn sie sich auf staatliche Aufgaben (z. B. Botschaft in Pakistan, Grenzsicherung) beziehen, stellen keine Stellungnahme zur Anerkennung der Legitimation dar. Der Konflikt um die Region Kaschmir wird kurz im entsprechenden Kapitel zur Sicherheitslage behandelt. Die Behandlung der von Pakistan kontrollierten Gebiete Kaschmirs stellt eine Be schreibung der de-facto-Situation bzw. de-facto-Administration und keine Stellungnahme zur Grenzsetzung im zwischen Pakistan und Indien umstrittenen Gebiet dar. Pakistan ist mit einem breiten Spektrum an Gewalt konfrontiert, die von unterschiedlichen Arten nicht-staatlicher Gruppen ausgeht. Der Einfachheit folgend werden Gruppen, die Anschläge verüben, Terroristen, Terrorgruppen oder militante Gruppen genannt, ungeachtet ihrer ideologi schen Begründung, die z. B. bei einigen religiös extremistisch, bei anderen inter-konfessionell extremistisch bei anderen separatistisch ist. Zusätzlich rufen verschiedene religiös motivierte Gruppen, mitunter genießen sie auch den Status einer Partei, bei verschiedenen Anlässen zu Gewaltakten z. B. gegen Minderheiten auf. Diese Gruppen bzw. Parteien werden - den Quellen folgend - ebenfalls unter extremistisch subsumiert. 2 Politische Lage Letzte Änderung 2025-06-05 08:05 Allgemein Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 18.2.2025). Die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes, die ehemaligen Federally Administered Tribal Areas bzw. Stam mesgebiete unter Bundesverwaltung und Provincially Administered Tribal Areas bzw. Stam mesgebiete unter Provinzverwaltung, wurden nach einer Verfassungsänderung von 2018 in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert und damit die nationalen und verfassungsmäßigen Rechte auf diese Gebiete ausgedehnt (ICG 14.2.2022; vgl. TFT 7.5.2024). Pakistan kontrolliert außerdem die Gebiete Gilgit-Baltistan sowie Azad Jammu und Kaschmir auf der pakistanisch verwalteten Seite von Kaschmir (AA 18.2.2025). Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik (USDOS 20.3.2023). Es werden regel mäßig Wahlen im Wettbewerb eines Mehrparteiensystems abgehalten (FH 5.2024a). Die Na tionalversammlung besteht aus 342 Abgeordneten, die für fünf Jahre gewählt werden. Zehn der Sitze sind für Nicht-Muslime reserviert, 60 für Frauen. Der Senat hat 100 Mitglieder. Der Premierminister wird für fünf Jahre durch die Nationalversammlung gewählt (EB 3.5.2025). Er 1

hält verfassungsmäßig die höchsten Exekutivbefugnisse. Der Präsident hat dagegen eher eine symbolische Funktion und wird ebenfalls für fünf Jahre durch ein Wahlkollegium aus den bei den Häusern des Parlaments und den Provinzversammlungen gewählt (FH 5.2024a; vgl. EB 3.5.2025). Trotz der Existenz formaler demokratischer Institutionen, wie regelmäßiger Wahlen, politischer Parteien und eines Parlaments, übt das mächtige militärische Establishment de facto einen überaus starken Einfluss aus. Der Versuch, diesen Einfluss zu erhalten, hemmt die Entwicklung der demokratischen Institutionen (BS 19.3.2024). Das Militär hält eine überaus hohe Machtfülle in Fragen der Politik und der Staatsführung und spielt die Hauptrolle bei der Gestaltung der pakistanischen Außenpolitik sowie bei Fragen der inneren Sicherheit des Landes. Ihm wird auch immer wieder vorgeworfen, den Wahlprozess zu beeinflussen (BS 19.3.2024; vgl. FH 2023). Ein großer Teil der politischen Entscheidungsfindung des Landes orientiert sich nach wie vor an klientelistischen Diensten für die traditionellen Eliten aus Großgrundbesitz und Industrie mit engen Verbindungen zu den staatlichen Machtzentren. Diese üben auch einen enormen Einfluss im Parlament aus, den sie auch für wirtschaftliche Vorteile nutzen. Ebenso trägt das Zurück greifen des Staates auf den Islam als ideologische Legitimation und als Quelle der nationalen Identität zum Erstarken religiöser politischer Parteien und Bewegungen bei, von denen einige in den letzten Jahren zunehmend extremistischere Orientierungen angenommen haben (BS 19.3.2024). Wahlen 2018 und PTI-Regierung Die Aufdeckung der Übersee-Konten des zu diesem Zeitpunkt amtierenden Premierministers Nawaz Sharif im Zuge der internationalen journalistischen Recherchen der „ Panama Papers“, führte zu einer gerichtlichen Verurteilung und dessen Amtsenthebung (ICIJ 3.4.2023). Bei den folgenden Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premiermi nister (FH 5.2024a). Beobachter dokumentierten konzertierte Anstrengungen von Teilen des militärischen und richterlichen Establishments, die Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) des abgesetzten Premierministers Nawaz Sharif zu behindern (FH 2022a; vgl. BS 25.2.2022, FH 5.2024a). Imran Khan hingegen wurde, Berichten zufolge, damals vom Militär unterstützt (Guar dian 24.5.2023; vgl. SZ 13.6.2023, Guardian/Khokhar 24.5.2023, BS 19.3.2024, FH 5.2024a). Nach Khans Sieg konzentrierte sich die Korruptionsbekämpfung, die er zu seiner politischen Botschaft im Wahlkampf erhoben hatte, auf die vorangegangenen Regierungsparteien Pakistan Peoples Party (PPP) und PML-N bzw. die sie dominierenden Familiendynastien (DIP 9.10.2021; vgl. ICIJ 3.10.2021, BS 19.3.2024). Diese Ermittlungen gegen führende Mitglieder und Parla mentarier der großen Oppositionsparteien und der Unwillen, sie politisch einzubinden, führten zu einer Hemmung der parlamentarischen Arbeit und der Gesetzgebung (DAWN 17.3.2022; vgl. BS 19.3.2024). Die daraus resultierende starke politische Polarisierung erhöhte den Einfluss des militärischen Establishments. Gleichzeitig war die PTI-Regierung auch selbst in der Umsetzung ihrer Politik durch dieselben Hindernisse gehemmt wie frühere Regierungen. Der Großteil der Abgeordneten 2

der PTI setzte sich aus den traditionellen politischen und ökonomischen Eliten zusammen, die als Hemmschuh für Änderungen agieren, welche ihre Interessen gefährden (BS 23.2.2022; vgl. BS 19.3.2024). Im Oktober 2021 wurden so auch Verstrickungen von Mitgliedern bzw. Geldgebern des PTI-Kabinetts, aber auch hoher Militärs, in illegale Geldgeschäfte durch die internationalen Recherchen der „ Pandora Papers“ aufgedeckt (DIP 9.10.2021; vgl. ICIJ 3.10.2021). Misstrauensvotum und folgende politische Krise Khan wurde in einem Misstrauensvotum am 11.4.2022 abgesetzt und der Oppositionsführer Shabaz Sharif, Vorsitzender der PML-N und Bruder von Nawaz Sharif, zum neuen Premierminis ter durch die Nationalversammlung gewählt (Zeit Online 11.4.2022). Ein vorheriges, für 3. April 2022 angesetztes Misstrauensvotum, hatte Khan mit dem Argument, es sei von den USA initiiert und damit die Einflussnahme eines fremden Staates, untersagt (ExT 3.4.2022a). Mit demselben Argument hatte er auch die Auflösung der Nationalversammlung veranlasst sowie Neuwahlen angekündigt (ExT 3.4.2022b; vgl. Zeit Online 3.4.2022). Der Supreme Court erklärte jedoch vier Tage später dieses Vorgehen für verfassungswidrig und ordnete die Wiedereinsetzung der Nationalversammlung mitsamt Misstrauensvotum an (ExT 7.4.2022). Aus Protest zog der Abgesetzte mitsamt seiner Partei aus der Nationalversammlung aus (ExT 14.4.2022) und initiierte eine dauerhafte, landesweite Kampagne von Demonstrationen (DAWN 20.4.2022; vgl. CNN 1.4.2023). Mit der Verlegung der Oppositionsarbeit vom Parlament auf die Straße versuchte Khan vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen und dafür auch das Mili tär zu gewinnen (ICG 27.12.2022). Zu einer ersten Zuspitzung der Lage führte ein Attentat am 3. November 2022, bei dem Khan im Zuge eines „ Marsches nach Islamabad“ angeschos sen wurde (AI 27.3.2022). Khan beschuldigte den Premierminister, den Innenminister und den Geheimdienstchef, Drahtzieher gewesen zu sein (ICG 27.12.2022). Als weitere Entwicklung trugen die politischen Kräfte ihre Kämpfe verstärkt vor die Gerichte (CNN 1.4.2023). Um allgemeine Neuwahlen zu erzwingen, veranlasste die PTI im Jänner 2023 die Auflösung der Parlamente der beiden Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Punjab (AJ 4.4.2023). Gleichzeitig liefen bzw. laufen gegen den ehemaligen Premierminister mehrere Strafverfahren (BAMF 20.3.2023; vgl. CNN 1.4.2023). Ausbrüche von politischen Unruhen 2023 Bereits im März 2023 brachen zwischen seinen Anhängern und der Polizei schwere gewalttätige Auseinandersetzungen aus, als erstmals versucht wurde, Khan im Zuge eines Strafverfahrens unter dem Vorwurf der Unterschlagung festzunehmen (ExT 14.3.2023; vgl. REU 20.3.2023). Seine Unterstützer verhinderten die Abführung mit Steinen und Brandbomben gegen die Poli zisten (BAMF 20.3.2023; vgl. CNN 15.3.2023). Der Haftbefehl wurde schließlich per Anordnung des Gerichts aus Sicherheitsgründen ausgesetzt (CNN 15.3.2023). Bei Khans selbstständigem Erscheinen vor Gericht in Islamabad kam es erneut zu schweren Zusammenstößen, bei denen auch ein Polizeiposten in Brand geriet (Guardian 18.3.2023; vgl. HRW 21.3.2023). Unter ver schiedenen Vorwürfen in Bezug auf die Gewaltvorfälle, unter anderem Terrorismus, wurden 125 PTI-Anhänger in Lahore und 198 in Islamabad bei Razzien und Hausdurchsuchungen verhaftet 3

(REU 20.3.2023). Human Rights Watch kritisierte die Anwendung der Terrorismus-Paragrafen (HRW 21.3.2023). Die versuchte Verhaftung und Schikanen gegen Khan erhöhten allerdings seine Unterstützung unter der jungen Bevölkerung. Seit dem Misstrauensvotum gelang es ihm, seine Popularität auf ein davor unerreichtes Ausmaß auszubauen (Guardian 24.5.2023). Im Mai 2023 brachen schließlich als Folge der tatsächlichen Verhaftung Khans landesweite Unruhen aus (Guardian 11.5.2023). Khans Partei rief seine Anhänger dazu auf, Pakistan „ still zulegen“ und „ für Khan aufzustehen“ (CBS 9.5.2023). Die Unterstützer Khans gingen dabei so weit, dass sie Militäreinrichtungen u. a. in Peschawar, Lahore und Karatschi angriffen - darunter den Stützpunkt der Air Force in Mianwali (TrI 23.5.2023; vgl. REU 26.6.2023) und das Haupt quartier des Militärs in Rawalpindi (CBS 10.5.2023). Auch Regierungsgebäude und andere staatliche Einrichtungen wurden zum Ziel der Gewaltausbrüche (Guardian/Khokhar 24.5.2023). Über 20 staatliche und militärische Einrichtungen wurden dabei in Brand gesetzt oder beschä digt (India Today o.D.), ebenso wie einrückende Polizeieinsatzfahrzeuge. Truppen der Armee kamen im Punjab, in Islamabad und in Khyber Pakhtunkhwa zur Wahrung der Sicherheit zum Einsatz (Guardian 11.5.2023). Auch diese wurden attackiert (CBS 10.5.2023). Je nach Quelle wurden zwischen fünf (Guardian 11.5.2023) und zehn Personen bei den gewalt tätigen Ausschreitungen getötet (RFE/RL 12.5.2023). Der Supreme Court wiederum erklärte am 12. Mai die Festnahme Khans für unrechtmäßig und verfügte die Entlassung auf Kaution (Guardian 15.5.2023). Den Ausschreitungen ist ein hartes Durchgreifen gefolgt (Siasat 23.5.2023). Das Militär hatte nach den Ausschreitungen angekündigt, alle an den Angriffen auf Militäreinrichtungen Beteilig ten vor Militärgerichte zu stellen (REU 16.5.2023). In der Aufarbeitung der Gewalt fertigte die Polizei anhand von Videos und Social Media-Nachrichten eine Liste von 25.000 als Verantwort liche bezeichneten Personen an (Guardian 19.5.2023). Im Juni berichtete der Innenminister von beinahe 5.000 Verhafteten (REU 6.6.2023). Khan (Profil 5.7.2023) und indische Medien sprachen von 10.000 Verhafteten (India Today o.D.). Die meisten Verhafteten wurden seitdem wieder freigelassen (REU 26.6.2023; vgl. India Today o.D., AJ 26.6.2023). Führungspersonen der PTI wurden reihenweise unter dem Vorwurf verhaftet, die Gewalt or chestriert zu haben (Guardian 19.5.2023), darunter mehrere ehemalige Minister (Guardian 3.6.2023; vgl. AJ 1.6.2023). Selbst wenn verhaftete Parlamentarier bzw. Führungspersonen vor Gericht eine Freilassung auf Kaution erlangten, wurden sie erneut verhaftet. Laut PTI befand sich zeitweise die gesamte Führungsriege in Haft und wurden auch Familien bedroht. Alle Frei gelassenen distanzierten sich von Khan und zogen sich aus der Partei oder ganz aus der Politik zurück (REU 6.6.2023). Indische Quellen sprechen u. a. davon, dass Sympathisanten Khans in der Armee, inklusive Generäle, bei den Stürmungen der Militäreinrichtungen durch die Demonstranten eine Zurück drängung unterlassen (OF 19.5.2023; vgl. Siasat 23.5.2023) oder gar Informationen zur Orientie rung weitergegeben hätten (OF 19.5.2023). Verschiedene Quellen haben berichtet, dass Khan 4

im Militär bis in die höchsten Ränge hinauf Unterstützung genoss (USIP 11.5.2023; vgl. RFE/ RL 12.5.2023, OF 19.5.2023). Nach offiziellen Angaben des Militärs wurden drei hochrangige Angehörige entlassen, gegen 15 - darunter Generalmajore - wurden disziplinäre Maßnahmen ergriffen (AJ 26.6.2023; vgl. REU 26.6.2023). Je nach Quelle wurden 105 (AI 4.2025) oder 103 Zivilisten schlussendlich vor Militärgerich ten angeklagt (AI 4.2025; vgl. HRCP 8.5.2024). Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Anwendung der Militärgerichtsbarkeit auf Zivilisten (AJ 26.6.2023; vgl. REU 26.6.2023). Der Supreme Court wurde diesbezüglich angerufen (DAWN 18.7.2023). Ein erstes Urteil des Supre me Courts, wonach eine Verhandlung von Zivilisten vor einem Militärgericht verfassungswidrig wäre, wurde von einem größeren Gremium desselben Gerichts aufgehoben. Dieser Spruch wur de sowohl in Justizkreisen als auch von Menschenrechtsorganisationen breit kritisiert (HRCP 11.1.2024). Laut Amnesty International wurden von den 105 vor Militärgerichten angeklagten Zivilisten 20 im März 2024 entlassen und im Dezember 2024 die restlichen 85 zu Haftstrafen zwischen zwei und zehn Jahren verurteilt (AI 4.2025). Laut der NGO Human Rights Commission of Pakistan wurden 25 Zivilisten vor Militärgerichten verurteilt (HRCP 30.4.2025). 1.085 Teilnehmer der damaligen Proteste sollen mit Stand Ende 2024 noch in Haft auf den Ausgang ihres Verfahrens vor den zivilen Strafgerichten gewartet haben (AI 4.2025). Wahlen und Proteste 2024 Drei Tage vor dem Ablauf der regulären Legislaturperiode löste Premierminister Shabaz Sharif im August 2023 die Nationalversammlung auf, wodurch verfassungsmäßig 90 Tage für die Wahlen vorgesehen sind (AJ 10.8.2023). Noch im August wurde Imran Khan der Unterschlagung schuldig befunden und in Haft genommen. Nach dem großen Aufruhr vom Mai blieben die diesbezüglichen Proteste auf den Straßen begrenzt (REU 5.8.2023). Die allgemeinen Wahlen wurden für 8. Feber 2024 angesetzt. Das Umfeld der Wahlen war aller dings Berichten zu Folge in einer Weise ausgestaltet, welche die PTI ins Abseits stellte. Imran Khans Nominierung wurde von der Wahlkommission abgelehnt, wie auch die verschiedener anderer PTI-Kandidaten (TIME 17.1.2024; vgl. AJ 12.1.2024, HRCP 11.1.2024, VOA 4.1.2024). Die PTI wurde aufgrund formaler Gründe von der Wahl ausgeschlossen, ihre Kandidaten traten damit als Unabhängige an (Nikkei 6.4.2024). Verhaftungen - wenn auch vorübergehend - und Verhöre von Führungspersonen der PTI hielten an. Berichtet wird auch von der Vernichtung von Antragspapieren oder Entführungen. In der Medienberichterstattung ist Khan mit einer Art Bann belegt (HRCP 11.1.2024; vgl. TIME 17.1.2024). Konträr dazu wurden die gerichtliche Ver urteilung des aus dem Exil zurückgekehrten Nawaz Sharif, ebenso wie dessen lebenslanges Politikverbot aufgehoben, sodass er seine Wahlkampagne eröffnen konnte. Laut Meinungsum fragen konnte Khan allerdings weiterhin auf eine hohe Popularität zählen (TIME 17.1.2024; vgl. AJ 12.1.2024, FH 5.2024a). Ende Jänner 2024, knapp vor der Wahl, wurde Khan nochmals wegen Unterschlagung schuldig gesprochen und mit einem 10-jährigen Politikverbot belegt 5

(GeoNews 31.1.2024). Aufgrund dieser Entwicklungen im Vorfeld der Wahlen, aber auch auf grund von Verzögerungen bei der Auszählung, werden Integrität, Fairness und Gewissheit der Wahlen breit angezweifelt (HRCP 30.4.2025). Dennoch blieben die PML-N und PPP weit hinter den Erwartungen zurück. Trotz aller Hindernisse gewannen die als Unabhängige angetretenen Kandidaten der PTI mit 95 die meisten Sitze. Die PML-N gewann nur 75 Sitze, die PPP 54 Sitze. Durch eine erneute Koalition konnten sie aber wieder eine Regierung bilden. Damit wurde Shabaz Sharif am 3. März 2024 erneut zum Premierminister ernannt (Nikkei 6.4.2024; vgl. Guardian 3.3.2024, AJ 3.3.2024). Darüber hinaus konnten die zur PTI gehörenden unabhängigen Kandidaten bei den gleichzeitig abgehaltenen Wahlen zum Provinzparlament in Khyber Pakhtunkhwa mit Abstand gewinnen und dort die Regierung behalten (AN 1.3.2024). Imran Khan verblieb [mit Stand 21. Mai 2025 weiterhin] in Haft. Im weiteren Verlauf des Jahres 2024 fanden immer wieder auch Proteste der PTI statt, die laut Amnesty International einge schränkt und unterdrückt worden sind. Vor, während und nach solchen Protesten sollen demnach insgesamt mehrere Tausend Parteimitglieder verhaftet worden sein (AI 4.2025). Von 24. bis 27. November 2024 gelang es der PTI nochmals, massive Großdemonstrationen für die Freilassung von Imran Khan abzuhalten. In der Nacht auf den 27. November, als der Demonstrationszug trotz Barrikaden die rote Sicherheitszone in Islamabad erreichte, wurden Lichtversorgung und Kommunikation des Stadtteils unterbrochen und die Demonstration aufge löst. Die genauen Abläufe sind unklar (BBC 30.11.2024; vgl. AI 27.11.2024). Den Sicherheits kräften wird u. a. die Verwendung scharfer Munition vorgeworfen (AI 27.11.2024; vgl. HRCP 30.4.2025). Die Behörden weisen auf Schusswaffen unter den Demonstrationsteilnehmern hin (BBC 30.11.2024). Laut PTI sollen 12 Demonstrationsteilnehmer während der Demonstratio nen durch die Sicherheitskräfte getötet worden sein. Den offiziellen Angaben zufolge wurden sechs Personen getötet, darunter drei Ranger und ein Polizist. Die von der PTI geführte Pro vinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa hat für die Familien der getöteten Demonstranten eine Kompensation von 10 Millionen PKR beschlossen (DAWN 6.12.2024). Außenpolitische Eskalation mit Indien Zur außenpolitischen und militärischen Eskalation vom April und Mai 2025 mit Indien siehe Sicherheitslage. Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.2.2025): Pakistan: Politisches Porträt, https://www.auswae rtiges-amt.de/de/service/laender/pakistan-node/politisches-portraet-205010 , Zugriff 23.3.2025 ■ AI - Amnesty International (4.2025): Human rights in Pakistan 2024/25, https://www.amnesty.org/en /location/asia-and-the-pacific/south-asia/pakistan/report-pakistan , Zugriff 3.5.2025 ■ AI - Amnesty International (27.11.2024): Urgent and transparent investigation needed into protest crackdown, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/11/urgent-and-transparent-investigati on-needed-into-deadly-crackdown-on-opposition-protesters/?utm_source=TWITTER-IS&utm_ medium=social&utm_content=15380604669&utm_campaign=Amnesty&utm_term=-Yes , Zugriff 4.5.2025 6
