2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-syrien-version-12-73ab
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
des Völkerrechts an, verpflichteten sich, an die Menschenrechtsgesetze gebunden zu sein, und schafften die Todesstrafe ab (AI 2024). Quellen ■ AI - Amnesty International (2024): AFTERMATH - INJUSTICE, TORTURE AND DEATH IN DETEN TION IN NORTH-EAST SYRIA, https://www.ecoi.net/en/file/local/2107362/MDE2477522024ENGL ISH.pdf, Zugriff 24.6.2024 [Login erforderlich] ■ RIC - Rojava Information Center (14.12.2023): AANES Social Contract, 2023 Edition, https://rojava informationcenter.org/2023/12/aanes-social-contract-2023-edition , Zugriff 24.6.2024 11.2 Todesstrafe (Stand August 2024) Letzte Änderung 2025-05-08 14:40 Gebiete unter der Kontrolle der Regierung (Stand August 2024) In Syrien gehörte die Todesstrafe gemäß Allgemeinem Strafgesetzbuch Nr. 148 von 1949 (ge ändert durch Gesetzesdekret Nr. 1 von 2011) zu den normalen Bestrafungen, neben der le benslangen Zwangsarbeit, lebenslangen Haft, temporären Zwangsarbeit und der temporären Haft (Artikel 37). Ein Todesurteil durfte nur nach Anhörung der Stellungnahme des Begnadi gungsausschusses und der Zustimmung des Staatspräsidenten vollstreckt werden. Die zum Tode verurteilte Person wurde im Gefängnisgebäude oder an einem anderen im Urteilsvollstre ckungsdekret bezeichneten Ort gehängt (Artikel 43). Unter anderem konnten folgende Straftaten mit dem Tode geahndet werden: das Tragen einer Waffe in den Reihen des Feindes gegen Syri en (Artikel 263), die Verschwörung mit dem Feind bzw. die Kontaktaufnahme mit dem Feind zur Unterstützung seiner Streitkräfte (Artikel 265), Beschädigung militärischer Güter mit Todesfolge oder während eines Krieges oder in Erwartung des Ausbruchs eines Krieges (Artikel 266), der Angriff durch die Bewaffnung von Syrern oder durch den Aufruf zum Töten oder Plündern mit dem Ziel einen Bürgerkrieg oder sektiererischen Krieg anzuzetteln (Artikel 298), Terroranschlag mit Todesfolge oder mit Sabotage an öffentlichen Gebäuden, Transport- und Kommunikations mitteln (Artikel 305), vorsätzlicher Mord (Artikel 535), Brandstiftung mit Todesfolge (Artikel 577) (PoS 1.1.1949). Die Todesstrafe war ebenfalls im Gesetz 19 von 2012, dem Anti-Terrorgesetz verankert. Gemäß Artikel 5 stand die Todesstrafe auf den Besitz, die Herstellung, das Stehlen, Schmuggeln oder Unterschlagen von Waffen oder Munition mit der Absicht diese für eine terroristische Handlung zu verwenden und mit der Tat der Tod oder die Handlungsunfähigkeit einer Person hervorging. Wer der Regierung mit einer terroristischen Handlung drohte, die mit der Entführung eines öffent lichen oder privaten Luft-, See- oder Landtransportmittels, der Beschlagnahme von Eigentum jeglicher Art oder der Beschlagnahmung militärischer Gegenstände oder die Entführung einer Person einherging und die Person dabei zu Schaden kam, wurde ebenfalls mit dem Tod bestraft (Artikel 6) (PoS 2.7.2012). Des Weiteren war die Todesstrafe auch nach dem Gesetzesdekret 61 von 1950 Strafgesetz buch und Militärverfahren verankert. Sie wurde beispielsweise über Soldaten verhängt, die zum Feind überlaufen (Artikel 102), für die Flucht vor dem Feind durch eine Verschwörung und für 190

die Flucht ins Ausland des Anführers der Verschwörung (Artikel 103), über Soldaten, die sich weigerten, dem Befehl zum Angriff auf den Feind oder die Rebellen Folge zu leisten (Artikel 112), über Soldaten, die vor dem Feind zu Ungehorsam, in dem Sinne, dass mindestens zwei Solda ten auf Waffengewalt zurückgriffen und sich dem Aufruf ihrer Vorgesetzten widersetzten, sich aufzulösen und zum Regime zurückzukehren, anstifteten oder diesen selbst begingen (Arti kel 113), über jede Person (auch nicht Militär), die in einem Operationsgebiet einer militärischen Kampftruppe Gewalt gegen einen verwundeten oder kranken Soldaten anwandten, mit dem Ziel diesen zu entwaffnen (Artikel 132), für die vorsätzliche Beschädigung, Zerstörung oder das vorsätzliche Niederbrennen von unbeweglichen militärischen Gütern oder Gütern, die der Landesverteidigung dienten oder von Gebäuden, Konstruktionen, Lagerhäusern, Wasserkanä len, Eisenbahnlinien, Telegrafen- und Telefonleitungen und -stationen, Luftfahrtzentren, Schiffen, Booten (Artikel 137), über Soldaten, die ihre Stellung vor dem Feind aufgaben (Artikel 144), über jeden syrischen Soldaten oder jeden im Dienste Syriens stehenden Soldaten, der die Waffen gegen Syrien erhob (Artikel 154), über jeden Soldaten, der dem Feind oder im Interesse des Feindes die Soldaten unter seinem Kommando oder in der ihm anvertrauten Position oder die Waffen, Munition oder Vorräte der Armee oder Karten von Militärstandorten, Fabriken, Häfen, und Docks, oder das Passwort oder Geheimnis militärischer Aktionen, Kampagnen und Ver handlungen übergab, über jeden Soldaten, der den Feind kontaktierte, um dessen Operationen zu erleichtern (Artikel 155). Todesurteile im Rahmen dieses Gesetzes wurden an den Präsi denten der Republik weitergeleitet (Artikel 89) und ratifiziert. Die Vollstreckung erfolgte mittels Erschießung (Artikel 90) an einem Ort, den der Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte auswählt (PoS 13.3.1950). Am 3.9.2023 wurde Gesetzesdekret Nr. 23 von 2023 erlassen, welches das Gesetzesdekret 109 von 17. August 1968 außer Kraft setzte und damit auch die bis dahin bestehenden Militärischen Feldgerichte auflöste. Laut dem Syrischen Netzwerk für Menschenrechte (Syrian Netzwork for Human Rights - SNHR) wurden von März 2011 bis August 2023 insgesamt 14.843 Todesurteile durch Militärische Feldgerichte in Syrien ausgesprochen, davon wurden 6.971 zu lebenslangen Haftstrafen bzw. lebenslangen Haftstrafen mit schwerer Arbeit umgewandelt. 7.872 dieser To desurteile wurden vollstreckt, darunter 114 Kinder, 26 Frauen und 2.021 Militärpersonen (SNHR 12.9.2023). Regelmäßig vom Regime verkündete Amnestien (so zuletzt Legislativdekret 7/2022) verrin gerten ausgesprochene Todesurteile zum Teil auf lebenslange harte Strafarbeit oder stellten eine Freilassung in Aussicht. In der Rechtspraxis kamen die Amnestien aufgrund großzügig ausgelegter Ausnahmetatbestände und prozeduralen Hindernissen jedoch nur in Einzelfällen zur Anwendung, dabei oftmals infolge der Zahlung hoher Bestechungsgelder an Amtsträger im Justiz- und Sicherheitswesen (AA 2.2.2024). Dem deutschen Auswärtigen Amt zufolge war eine quantitative Bewertung von verhängten Todesurteilen bzw. deren Vollstreckung nicht möglich, da seit Beginn des bewaffneten Konflikts keine offiziellen Zahlen zu vollstreckten Todesurteilen mehr veröffentlicht wurden. Erschwert wurd die Erfassung von vollstreckten Todesurteilen durch Tötungen und Hinrichtungen von Inhaftierten ohne Anklage oder Urteil. Die vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (VN) 191

eingerichtete internationale unabhängige Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic - COI) dokumentierte im Sonderbericht zur Haftsituation in Syrien sowie in späteren Berichten eine hohe Zahl von Fällen solcher außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 2.2.2024; vgl. ÖB Damaskus 2023). Auch Amnesty International stellte fest, dass in Syrien im Jahr 2023 Menschen exekutiert wurden, aber keine genauen Zahlen vorliegen (AI 5.2024). Gebiete unter der Kontrolle der Opposition, Terrorgruppierungen etc. Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) Die Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) vollzog der COI zufolge ebenfalls Todesurteile. Schuldsprü che mit Todesurteil betrafen dort auch Taten, die im Syrischen Recht der Regierung nicht unter Todesstrafe standen, wie etwa Prostitution, Vergewaltigung und Ehebruch (UNGA 14.8.2023). In einem Fall wurde auch von der Erschießung wegen Hexerei berichtet. Die HTS führt glaub würdigen Berichten zufolge Hinrichtungen in Schnellverfahren und im Geheimen durch (UNGA 9.2.2024). Die Nichtregierungsorganisation Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) be richtete, dass HTS eigenen Angaben zufolge die Todesstrafe gegen diejenigen verhängte, die für schuldig befunden wurden, für eine Partei zu arbeiten, die sie als feindselig erachtete, die nachweislich an Tötungen und Bombenanschlägen in den von ihr kontrollierten Gebieten be teiligt war. Gerichtsverhandlungen wurden aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten (SOHR 23.4.2024). Hinrichtungen durch die HTS wurden der COI zufolge auch ohne vorheri ges Urteil durch ein reguläres Gericht durchgeführt. Schuldsprüche wurden üblicherweise auf Grundlage von nicht kodifizierten Rechtsgrundsätzen getroffen, die angeblich auf der Scharia basierten (UNHRC 12.7.2023). Medienberichten zufolge soll die HTS auch außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt haben. Die Gefangenen wurden zu Tode gesteinigt, durch ein Er schießungskommando erschossen oder geschlachtet, je nachdem, was ihnen angelastet wurde. In letzter Zeit erfolgten die Hinrichtungen vermehrt im Geheimen in der Wildnis, in Gefängnis höfen oder anderweitig außer Sichtweite. Nur in seltenen Fällen wurden die Leichname den Familien übergeben (NPA 20.4.2023). Gerichte unter der Kontrolle der HTS verurteilten auch Frauen und Kinder zum Tode (UNHRC 12.7.2023). Gebiete unter Kontrolle der türkeinahen Syrian National Army (SNA) Quellen berichten von der Verurteilung von drei Personen im Jänner 2024 durch ein Militärgericht in der Stadt al-Ra’i, welche unter Kontrolle von der Türkei nahestehenden Gruppierungen lag. Die Personen sollen kurdische Newroz-Feiernde getötet haben (SOHR 18.1.2024). Einem weiteren Zeitungsartikel zufolge wurden im Mai 2024 drei Personen durch ein Gericht der Türkei-nahen Opposition zum Tod durch Erhängen verurteilt. Die drei wurden beschuldigt, vor zwei Jahren einen Menschenrechtsaktivisten und seine schwangere Frau in der Provinz Aleppo getötet zu haben. (NPA 23.5.2024). 192

Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://www.ecoi.net/de/dokument/21043 40.html, Zugriff 26.2.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (5.2024): Death Sentences and Executions 2023, https://www.ecoi.net/e n/file/local/2110112/ACT5079522024ENGLISH.pdf, Zugriff 11.9.2024 ■ NPA - North Press Agency (23.5.2024): له ذفنتس ةضﺭاعملﺍ مكح مﺍدعﺇ هتﺭدصﺃ يف فيﺭ ؟بلح [Wird die Opposition ein Todesurteil vollstrecken, das sie im Umland von Aleppo erteilt hat?], https://npasyria.com/186550, Zugriff 18.6.2024 ■ NPA - North Press Agency (20.4.2023): HTS executes 19 people in Syrias Idlib since early 2023, https://npasyria.com/en/96731, Zugriff 5.7.2024 ■ ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (2023): Asylländerbericht 2023 - Syrien ■ PoS - Parliament of Syria [Syrien] (2.7.2012): نوناقلﺍ 19 ماعل 2012 نوناق ةحفاكم ﺏاهﺭإلﺍ [Gesetz 19 von 2012 - Anti-Terrorgesetz], http://www.parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=55151&cat=4306, Zugriff 21.6.2024 ■ PoS - Parliament of Syria [Syrien] (13.3.1950): موسرملﺍ يعيرشتلﺍ 61 ماعل 1950 نوناق ﺕابوقعلﺍ لوصﺃو ﺕامكاحملﺍ ةيركسعلﺍ [Gesetzesdekret 61 von 1950 - Strafgesetzbuch und Militärverfahren], http://www.parliament .gov.sy/arabic/index.php?node=5585&cat=11811, Zugriff 21.6.2024 ■ PoS - Parliament of Syria [Syrien] (1.1.1949): نوناق ﺕابوقعلﺍ ماعلﺍ 148 ماعل 1949 لّدعملﺍ ــب موسرملﺍ يعيرشتلﺍ 1 ماعل 2011) [Allgemeines Strafgesetzbuch Nr. 148 von 1949 (geändert durch Gesetzesdekret Nr. 1 von 2011)], http://www.parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=55151&cat=12278, Zugriff 18.6.2024 ■ SNHR - Syrian Network for Human Rights (12.9.2023): Todesstrafe - Militärfeldgerichte, https://snhr .org/wp-content/pdf/english/R230904E.pdf, Zugriff 18.6.2024 ■ SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (23.4.2024): ىلع ىطخ ماظن ..دسألﺍ ةئيه ريرحت ماشلﺍ ذفنت ةبوقع مﺍدعإلﺍ قحب 13 ًاصخش نم نييندملﺍ نييركسعلﺍو ذنم علطم ماعلﺍ [In den Fußstapfen des Assad-Regimes - Hay’at Tahrir ash-Sham führt die Todesstrafe gegen 13 Zivil- und Militärpersonen aus seit Jahresbeginn], https://www.syriahr.com/-------/711390/ , Zugriff 7.6.2024 ■ SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (18.1.2024): ةمكحملﺍ ةيركسعلﺍ يف ةنيدم يعﺍرلﺍ ﺭدصت ًامكح ًايلكش قحب ةلتق ﺓﺭزجم ﺯوﺭون يوﺫو اياحضلﺍ نوبلاطي ةلﺍدعلاب [Das Militärgericht in der Stadt Al-Ra’i fällt ein „ formelles“ Urteil gegen die Mörder des „ Newroz-Massakers“, und die Familien der Opfer fordern Gerechtigkeit], https://www.syriahr.com/-----/699247 , Zugriff 25.6.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (9.2.2024): Report of the Independent International Com mission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/ hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session55/A_HRC_55_64_EN.pdf, Zugriff 26.6.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (14.8.2023): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, https://www.ecoi.net/en/file/local/2097210/G23 15549.pdf, Zugriff 24.6.2024 [Login erforderlich] ■ UNHRC - United Nations Human Rights Council (12.7.2023): “No End in Sight”: Torture and ill- treatment in the Syrian Arab Republic 2020-2023* - Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (A/HRC/53/CRP.5), https://www.ohchr.org/sites/default/files/document s/hrbodies/hrcouncil/coisyria/A-HRC-53-CRP5-Syria-Torture.pdf , Zugriff 15.7.2024 12 Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad- Regimes (seit 8.12.2024) Letzte Änderung 2025-05-08 22:36 [Im Folgenden wird der aktuelle Informationsstand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugäng lichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorge hensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den 193

in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Wei tere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.] Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheit lich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenminis teriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehr heit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025). Auf folgender Karte von France 24 ist die ethnische und religiöse Zusammensetzung Syriens dargestellt: 194

Quelle 3: FR24 26.12.2024a Obwohl die Zahlen nicht überprüft werden können, wird geschätzt, dass weit über 500.000 Menschen getötet wurden und über zwölf Millionen innerhalb Syriens oder ins Ausland vertrieben wurden, darunter Alawiten, Christen (einschließlich Armenier und Assyrer), Drusen, Ismailiten, Kurden, Turkmenen, Zwölfer-Schiiten, Jesiden und andere. Al-Assads zynische Mobilisierung von Ängsten innerhalb der Gemeinschaft vor dem Hintergrund des wachsenden Einflusses extremistischer Elemente innerhalb der syrischen Oppositionskräfte führte zu einer zunehmend konfessionell geprägten Landschaft – beschleunigt durch die Vertreibung von Minderheiten durch militante Gruppen in Gebieten, die unter ihrer Kontrolle standen. Infolgedessen hat sich die Demografie des Landes neu geordnet, wobei sich die religiösen Minderheiten in den von der Regierung kontrollierten Gebieten in Zentral- und Südsyrien konzentrieren, während die Bevölkerung im Norden nun größtenteils sunnitisch ist (MRG 1.2025). 195

Tatsächlich kam es bei dem rasanten Vormarsch auf Damaskus Berichten zufolge nicht zu Racheakten oder Gewalttaten. In seiner ersten Rede in Damaskus trat ash-Shara’ ebenfalls mäßigend auf und mahnte den Übergang vom Kampf zum Aufbau der Institutionen an (Ro sa Lux 17.12.2024). Insbesondere Alawiten und Christen sind besorgt, dass die Zukunft des neuen Syriens für ihre Gemeinschaften, von denen viele die Revolution im Jahr 2011 und den anschließenden 13-jährigen Bürgerkrieg ablehnten, nicht tolerant sein könnte (Independent 12.12.2024). Von Anfang an zeigten die neuen Behörden bewusst die Absicht, eine Abkehr von den spaltenden Praktiken ihrer Vorgänger zu signalisieren. In Aleppo nahm Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) Kontakt zu prominenten christlichen Führern und Geistlichen verschiedener Konfessionen auf, um die angespannten Beziehungen zu verbessern und ein Gefühl der Si cherheit zu fördern. Diese Treffen waren nicht oberflächlich, sondern beinhalteten Diskussionen über konkrete Missstände, wie die Ungerechtigkeiten, mit denen Christen in Jisr ash-Shughur ein Jahr zuvor konfrontiert waren. Einige dieser Missstände wurden inzwischen angegangen, hauptsächlich durch Rechenschaftspflicht und die Rückgabe von Eigentum an die rechtmäßigen Eigentümer. Dies ist ein beispielloser Schritt, der das Verständnis der Führung für die Notwen digkeit von Inklusion unterstreicht, wenn auch sorgfältig gesteuert (AC 20.12.2024). Anderen Berichten zufolge gab es durchaus gewaltsame Übergriffe, Morde und andere Racheakte von HTS-Kämpfern gegen Andersgläubige (National 6.1.2025). Einem libanesischen Zeitungsbe richt zufolge, der Betroffene zitiert, sollen vor allem Nachbarn und Bekannte Racheakte an Andersgläubigen verübt haben. Viele Angehörige verschiedener religiöser Minderheiten sind in den Libanon geflohen (Nahar 1.1.2025). Ash-Shara’ hat Befehle erlassen, Kreuze an Kirchen zu lassen und Weihnachtsdekoration zu schützen und die schiitischen Schreine zu respektieren sowie Bars und Lokale in Ruhe zu las sen, in denen Frauen und Männer miteinander tanzten. Das ist anders als in Idlib, wo solcher vermeintlicher Verderbtheit Schuldige, getötet, bekehrt oder vertrieben und ihre Räumlichkeiten, einschließlich Kirchen, geschlossen würden (Economist 14.1.2025). HTS-Beamte haben um fangreiche Kontaktkampagnen mit Vertretern aller religiösen Glaubensgemeinschaften gestartet, und die christlichen und drusischen Gemeinschaften in ganz Westsyrien scheinen überwiegend in Frieden zu leben. Nur in den alawitischen Gemeinden hat die Jagd nach Kriminellen zu wiederholten Verstößen gegen Zivilisten geführt. Diese werden als Einzelfälle deklariert (MEI 21.1.2025). Als christliche Führer von Problemen berichteten - wie dem Auftauchen einiger isla mistischer Prediger, die versuchten, Christen in der Altstadt von Damaskus zu bekehren - habe die neue Regierung schnell gehandelt, um die Ruhe wiederherzustellen (Arabi21 3.2.2025). Ash-Shara’ hat erklärt, dass weder die Kurden noch die Drusen unter dem Vorwand der Angst vor der islamischen Mehrheit Syriens auf Autonomie hinarbeiten dürfen. Er verlangt von ihnen, sich in der neuen Ordnung einzugliedern und ihre Waffen niederzulegen. Die Kurden sollen keine unabhängigen oder individuellen Beziehungen zu ausländischen Akteuren unterhalten (Akhbar 31.12.2024). Laut Beobachtern hat Iran nach dem Sturz des Regimes eine groß angelegte Desinformati onskampagne gestartet, die primär darauf abzielt, religiöse Konflikte in Syrien zu schüren und damit die fragile Lage in dem Land zu destabilisieren. Dabei werden in den sozialen Netzwerken 196

massenhaft falsche oder irreführende Berichte von Gewalttaten gegen Schiiten, Alawiten und Christen verbreitet, die angeblich von Kämpfern der islamistischen Miliz Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) verübt wurden. Dass es tatsächlich iranische Akteure sind, die diese Berichte streuen, lässt sich in den wenigsten Fällen nachweisen. Doch die schiere Anzahl von Postings lässt darauf schließen, dass es sich um eine organisierte Kampagne handelt (NZZ 8.1.2025). Auch Enab Baladi berichtet von irreführenden Videos, die in sozialen Medien verbreitet werden, um Zwietracht zu säen und die Sicherheitslage zu gefährden (Enab 10.1.2025). Obwohl der Rebellenführer mit dem Versprechen angetreten ist, das gesamte syrische Volk zu vertreten, sitzt in der Interimsregierung weder ein Alawit noch ein Schiit, noch ein Druse oder ein Christ (NZZ 24.1.2025). Zudem gab es in den Wochen nach dem Umsturz immer wieder Berichte von Übergriffen gegen diese Minderheiten (ORF 27.1.2025). In einem Interview mit dem Economist versprach ash-Shara’, dass nach Ablauf einer dreimonatigen Frist, Anfang März, eine breitere und vielfältigere Regierung etabliert werde, an der alle Teile der Gesellschaft teilhaben werden. Das Auswahlverfahren wird auf Kompetenz und nicht auf ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit basieren (Economist 3.2.2025). Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). [Weiterführende Informationen zu Übergriffen etc. auf ethnische oder religiöse Minderheiten finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Religiöse Minderheiten Christen Syrien war ein wichtiges kulturelles Zentrum für das Christentum, mit Dutzenden von Kirchen und Klöstern. Vor 2011 lebten 2,2 Millionen Christen (ca. 10 % der syrischen Bevölkerung) in Syrien (BBC 12.12.2024). Viele haben al-Assad unterstützt oder sind aus Angst vor islamistischen Auf ständischen geflohen (AP 15.12.2024a). Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Open Doors schätzt, dass nur noch 3 %, also etwa 638.000, übrig geblieben sind (BBC 12.12.2024). Der Patriarch der syrischen orthodoxen Kirche schätzt, dass noch ca. 500.000 Christen im Land leben (OrthoPatSYR 22.9.2024). Die meisten Christen leben noch in den Städten Damaskus, Aleppo, Homs, Hama, Latakia und den umliegenden Gebieten sowie in der Provinz al-Hasaka im Nordosten des Landes. Sie sind auf mehrere Konfessionen verteilt, darunter orthodoxe, ka tholische und protestantische (BBC 12.12.2024). Die Christen in Syrien werden oft beschuldigt, das frühere Regime unterstützt zu haben. Tatsächlich betrachteten viele von ihnen al-Assad als das kleinere Übel, nachdem radikale islamistische Gruppen in der bewaffneten Revolte die Oberhand gewonnen hatten. Aber es gab auch viele Christen, die sich dem Aufstand anschlos sen und später getötet oder ins Exil gezwungen wurden (Spectator 2.2.2025). Christen konnten sich aufgrund ihrer Präsenz in städtischen Zentren, in denen schwere Kämpfe stattfanden, und in den vom Islamischen Staat (IS) überrannten Regionen im Nordosten des Landes weniger 197

gut aus dem Konflikt heraushalten. In von der Opposition kontrollierten Gebieten verbargen Christen ihre religiöse Identität und kleideten sich muslimisch, um nicht aufzufallen. Die Angst vor extremistischen Gruppen war ein zentraler Faktor für die Auswanderung von Christen aus Syrien (MRG 1.2025). Ash-Shara’ selbst, sagte, dass die Übergangsregierung gute Kontakte zu Christen und Dru sen unterhalten würde, die mit ihnen gemeinsam gegen die Syrische Arabische Armee (Syrian Arab Army - SAA) gekämpft hatten (MEMRI 16.12.2024). Christliche Autoritäten sagten am 16.12.2024 in einem Interview, dass sie bisher, abgesehen von den medialen Versprechungen der HTS, wenig in der Umsetzung beobachten konnten. Bisher hatten sie nur mit einem Mili tärkommandanten gesprochen, sonst mit keinem offiziellen Vertreter der Interimsregierung bzw. der führenden Gruppierungen (AAA 16.12.2024). Am 31.12.2024 traf sich ash-Shara’ schließ lich mit hochrangigen christlichen katholischen, orthodoxen und anglikanischen Geistlichen in Damaskus (AJ 31.12.2024a; vgl. Croix 2.1.2025). Dabei sicherte er den Christen zu, dass sie unbehelligt im Land bleiben und ihre Religion frei ausüben können (VN 2.1.2025). Christen, die bereits unter der HTS-Regierung gelebt haben, geben an, dass sie zu Beginn der Herrschaft der Gruppierung diskriminiert wurden, beispielsweise durch Beschlagnahmung ihres Eigentums und durch Verbote ihre religiösen Rituale zu praktizieren. Erst in den letzten zwei Jahren vor al-Assads Sturz hat die HTS sich geändert und der christlichen Gemeinschaft mehr Freiheiten gegeben (BBC 18.12.2024). Die Zusicherung der neuen Regierung, die Religionsfreiheit zu respektieren, betrachten viele Christen mit Skepsis, wobei regional große Unterschiede bestehen. Aus manchen syrischen Regionen werden vereinzelte Einschränkungen der Religionsfreiheit für Christen durch Isla misten gemeldet. In einigen Orten hätten radikale Gruppen zum Beispiel getrennte Sitzplätze für Frauen und Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln oder die Pflicht zur Verschleierung für Frauen durchsetzen können. Den Erfolg dieser Maßnahmen führen die Beobachter bisher noch auf das Fehlen einer einheitlichen Verwaltung nach dem Machtwechsel zurück (ACN 3.2.2025). Nach dem Sturz von al-Assad schossen unbekannte Bewaffnete auf die griechisch-orthodoxe Erzdiözese in Hama und versuchten Kultstätten zu zerstören (SOHR 19.12.2024; vgl. SNHR 19.12.2024). Kurz vor Weihnachten wurde ein Christbaum in einer mehrheitlich von Christen bewohnten Stadt in Zentralsyrien von maskierten Männern angezündet. Es kam zu Protesten in mehreren Landesteilen. Die HTS gab bekannt, dass ausländische Kämpfer wegen des Vorfalls festgenommen worden seien und versicherte, dass der Baum wiederhergestellt werden würde (BBC 24.12.2024). Die HTS hat versucht in den von ihr kontrollierten Gebieten ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber bestimmten Minderheiten, insbesondere Christen, zu zeigen, im Vergleich zu der mit al-Qaida verbundenen Gruppierung, aus der sie hervorgegangen ist. Seit der Machtübernahme in Damaskus und weiten Teilen Syriens im Dezember 2024 hat die Gruppe im Allgemeinen Zurückhaltung bei der Behandlung christlicher und schiitischer bzw. alawitischer Denkmäler und Gemeinden gezeigt (FR24 13.12.2024). [Weitere Informationen über den Um gang mit Minderheiten, wie Christen, finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechts lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] 198

In Damaskus haben sich lokale christliche Freiwillige zum Schutz christlicher Viertel bewaffnet und an Straßenecken aufgestellt (Spectator 2.2.2025). Schiitische Gruppierungen Syrien ist das Hauptzentrum der Nizari-Ismaili-Gemeinschaft im Nahen Osten, die sich selbst als die zweitgrößte schiitische Gruppe nach den Zwölfer Schiiten betrachtet. Die Ismailiten zählen etwa 250.000 Menschen und machen 1 % der Gesamtbevölkerung Syriens aus. Sie leben in der Stadt Salamiya, 30 Kilometer östlich von Hama, und sind auch in einer Reihe von Städten und Dörfern in der Umgebung von Hama vertreten, wie Masyaf, Qadmous und Nahr al-Khawabi (BBC 12.12.2024). Für die Ismailiten von Salamiya verlief der Machtwechsel bemerkenswert reibungslos, da sich die Stadt ohne Gewalt ergab. Diese kooperative Übergabe spiegelt die langjährigen Spannungen zwischen der ismailitischen Gemeinschaft und dem Assad-Regime wider, das sie im Laufe der Jahre an den Rand gedrängt hatte (AC 20.12.2024). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra sagte, dass Schiiten ihre Rechte innerhalb der vom Staat festgelegten Regeln ausüben können. Sie seien „Teil der Mission“ des „ neuen Syriens“ (MEMRI 21.1.2025). Weiters sagte er, dass die schiitischen Gemeinschaften in Syrien – ob in Nubul, Zahra, Sayyida Zainab oder anderen Gebieten – Teil des sozialen Gefüges Syriens sind. Es liege in der syrischen Verantwortung – nicht in der Irans – ihre Rechte zu gewährleisten und sie als syrische Bürger zu schützen (Al Majalla 24.1.2025). Alawiten Der Alawismus ist eine schiitische Sekte des Islam. Das Wort ’Alawi - يولع bedeutet „Anhänger von Ali“, einem Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Nach Angaben von Reuters stellen die Alawiten in Syrien mit 10 % der Gesamtbevölkerung die größte religiöse Minderheit dar. Die Alawiten sind seit dem 12. Jahrhundert n. Chr. in Syrien ansässig und leben vor allem an der Mittelmeerküste, in den Städten Latakia und Tartus (BBC 12.12.2024). Dem Alawismus gehören ca. 2-3 Millionen Syrer an (AlMon 11.1.2025). Die Alawiten wurden erst 1932 offiziell als Muslime anerkannt (TWI 31.12.2024). Der alawitischen Minderheit wird unterstellt, dass sie von Assads Regime unterstützt wurde, weil auch er und seine Familie Alawiten sind (PBS 16.12.2024). Unter al-Assad arbeiteten mehr als 80 % der Alawiten für den Staat, sie stellten den Großteil der Armee und des Geheimdienst offizierskorps, die meisten leitenden Regierungsbeamten und die meisten Führungskräfte in der öffentlichen Industrie. Während des Bürgerkriegs erhielten die Frauen und Kinder getöteter ala witischer Soldaten öffentliche Jobs, um ihre Verluste auszugleichen, wodurch die Zahl derer, die ihren Lebensunterhalt dem Staat und der Familie al-Assad verdankten, noch weiter anstieg (TWI 31.12.2024). Die alawitischen Gemeinschaften besetzten zwar überproportional viele Schlüssel positionen im Regime, gehören aber auch zu den ärmsten in Syrien (Independent 12.12.2024). Abgesehen von den Familienangehörigen al-Assads und seinen Anhängern litt die alawitische Minderheit unter Armut (PBS 16.12.2024). Die Familie al-Assad verließ sich auf die Alawiten, die seit ihrer Machtübernahme im Jahr 1970 viele Führungspositionen im Regime innehatten. In 199
