2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-syrien-version-12-73ab
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
■ Sky News - Sky News (31.1.2025): ..ايﺭوس „ ةئيه ريرحت “ماشلﺍ نلعت ّلح اهسفن [Syrien. „ Hayat Tahrir al-Sham kündigt Auflösung an], https://www.skynewsarabia.com/middle-east/1773185-ييه-ايﺭوس ٔ-نلعت-ماشلﺍ-ريرحت-ﺓ لح ّ-اهسفن Zugriff 31.1.2025 ■ SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (11.3.2025): مغﺭ ﺀودهلﺍ يبسنلﺍ ﺕايلمعلاب ةيماقتنالﺍ يف لحاسلﺍ ..هلابجو 44 ﺓﺭزجم ةيفئاط ﺡﺍﺭ اهتيحض 1093 نطﺍوم نوﺩ ﻉﺩﺍﺭ - دصرملﺍ يﺭوسلﺍ قوقحل ناسنإلﺍ [Trotz einer relativen Flaute bei den Repressalien in der Sahelzone und in den Bergen 44 sektiererische Massaker, bei de nen 1.093 Zivilisten getötet wurden, unkontrolliert], https://www.syriahr.com/-ﺕايلمعلاب-يبسنلﺍ-ﺀودهلﺍ-مغﺭ ماقتنالﺍ 752704, Zugriff 12.3.2025 ■ SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (2.2.2025): يف لظ عضولﺍ ينمألﺍ ..ﺭوهدتملﺍ فواخم نم ﺓﺩوع ايﺭوس ىلﺇ دهع“ „ملظم - دصرملﺍ يﺭوسلﺍ قوقحل ناسنإلﺍ [In Anbetracht der sich verschlechternden Sicherheitslage Befürchtung einer Rückkehr Syriens in eine ’dunkle Ära’], https://www.syriahr.com/-ينمألﺍ-عضولﺍ-لظ-يف ﻉ-نم-فواخم-ﺭوهدتملﺍ 747788, Zugriff 3.2.2025 ■ SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (4.1.2025): يف ةلمحلﺍ ةينمألﺍ ةلصﺍوتملﺍ يف اهموي ..ثلاثلﺍ فيقوت وحن 130 صخش مهتيبلاغ نم نييركسعلﺍ يف ماظنلﺍ قباسلﺍ يف ييح ﺀﺍرهزلﺍ يﺩﺍوو بهذلﺍ صمحب [Am dritten Tag der laufenden Sicherheitskampagne: Etwa 130 Personen, die meisten von ihnen ehemalige Regimesoldaten, in den Vierteln al-Zahraa und Wadi al-Dahab in Homs verhaftet], https://www.syriahr.com/مألﺍ-ةلمحلﺍ-يف ـ- ـنـ -ـوي-يف-ةلصﺍوتملﺍ-ةي 743923, Zugriff 14.1.2025 ■ SYRDiplQ1 - Diplomatische Quelle eines europäischen Staates in Syrien - 01 (5.2.2025): Bericht einer diplomatischen Quelle eines europäischen Staates [erhalten per Mail] ■ TNA - New Arab, The (2.1.2025a): Uncertainty looms for female judges in post-Assad Syria, https: //www.newarab.com/features/uncertainty-looms-female-judges-post-assad-syria , Zugriff 3.1.2025 ■ VOA - Voice of America (2.1.2025): Syrian security forces search for pro-Assad militants in Homs, state media say, https://www.voanews.com/a/syrian-security-forces-search-for-pro-assad-militants -in-homs-state-media-say/7921841.html , Zugriff 3.1.2025 5.1 Rechtsschutz und Justizwesen in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch do minierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) Letzte Änderung 2025-05-08 13:20 [Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage im von den Kurden dominierten Gebieten und der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAAN ES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen da zu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen] Obwohl die syrische Regierung die Kontrolle über die Mehrheit der Gebiete in Nord-Ost-Syrien verloren hat, behielt Damaskus während des gesamten Konfliktes eine administrative Präsenz dort und führte weiterhin Schulen, Gerichte und Standesämter. Parallel dazu etablierte aber auch die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) ab 2013 ihr eigenes Netzwerk öffentlicher Verwaltung, erließ Gesetze und Erlässe und öffnete eigene Gerichte. Diese Überschneidungen in der Rechtsordnung gerieten schnell außer Kontrolle, weil die Bevölkerung entweder bei dem einen oder dem anderen Gericht ihre Fälle einreichten oder 80

bei beiden gleichzeitig, um sich für das bessere Urteil zu entscheiden. Das führte teilweise zu sich widersprechenden Gerichtsurteilen (SYD 30.1.2023). Das Justizwesen der DAANES ist im Abschnitt 8 (Artikel 114-117) des Gesellschaftsvertrags von 2023 geregelt. Darin ist das Recht auf Anhörung vor Gericht (Artikel 115/2) festgehalten, sowie dass für Frauen ein eigener Justizrat eingerichtet wird (Artikel 115/7). Das Justizsystem besteht aus einem Schlichtungsausschuss, einem Frauenhaus, den Justizbüros und dem Justizrat (Ar tikel 116). Artikel 56 legt fest, dass jede und jeder das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren hat (RIC 14.12.2023). Basierend auf diesem Gesellschaftsvertrag erlässt die DAANES ihre rechtlichen Vorschriften. In Berichten wurde der Gesellschaftsvertrag als eine Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht beschrieben, wobei die Gesetze zu Scheidung, Ehe, Waffenbe sitz und Steuerhinterziehung dem EU-Recht entsprechen, jedoch ohne bestimmte Standards für faire Gerichtsverfahren wie das Verbot willkürlicher Inhaftierung, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf Bestellung eines Anwalts zu beinhalten (USDOS 22.4.2024). Die oberste Justizbehörde stellt der Soziale Justizrat von Nord- und Ost-Syrien dar (OSS 4.3.2022). Er ist verantwortlich für die Kontrolle und Überwachung der Einhaltung des Rechtssys tems, die Bereitstellung von Berichten und Gesetzesentwürfen an den Demokratischen Volksrat und die Koordinierung zwischen den regionalen Justizräten (RIC 14.12.2023). Er wird von den Sozialrechtsinstitutionen in den autonomen und zivilen Verwaltungen der Regionen gewählt und besteht aus 13 Mitgliedern sowie einem CO-Vorsitzenden, der ihn leitet. Die Amtszeit der Mit glieder beträgt zwei Jahre. Etwa die Hälfte der Ratsmitglieder sind kurdisch. Allerdings greifen einer Studie des Omran Center for Strategic Studies zufolge PKK-Kader auf der Grundlage von Vetternwirtschaft und Parteiloyalität direkt in den Ernennungsprozess ein und überwachen die Arbeit, die Ausschüsse und die Richtlinien des Sozialen Justizrates, darunter auch dessen Befugnis Richter in den regionalen Justizräten zu ernennen, zu versetzen oder zu entlassen (OSS 4.3.2022). In Artikel 117 des Gesellschaftsvertrags von 2023 wird der Soziale Frauenjustizrat geregelt (RIC 14.12.2023). Er existiert parallel zum Sozialen Justizrat. Dieses Gremium beaufsichtigt alle Frau en, die in Justizeinrichtungen in den autonomen und zivilen Verwaltungseinrichtungen arbeiten, ist mit der Koordination zwischen den Unterräten für soziale Gerechtigkeit für Frauen betraut und kann sich zu Gesetzen, die Frauen betreffen äußern. Der Soziale Frauenjustizrat besteht aus 21 Mitgliedern. Die Studie des Omran Centers for Strategic Studies zeigt auf, dass Frauen aus den Kadern der PKK direkt die Arbeit dieses Gremiums überwachen und in die Richtlinien und Ernennungen basierend auf parteipolitischen Erwägungen eingreifen (OSS 4.3.2022). Frauenhäuser (Mala Jin) sind soziale Einrichtungen, die Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit schaffen und Probleme in Bezug auf Frauen und Familien lösen sollen, in Zusammenarbeit mit den relevanten Fraueneinrichtungen (RIC 14.12.2023). Frauenhäuser befinden sich in jeder Ortschaft, Stadt und jedem Dorf in allen Regionen. Auch die Frauenhäuser werden gemäß einer Studie des Omran Center for Strategic Studies von weiblichen PKK-Kadern kontrolliert (OSS 4.3.2022). 81

Die Aufgaben der Schlichtungsausschüsse sind das Lösen von Streit und Konflikten mit dem Ziel Frieden und Harmonie zu schaffen (RIC 14.12.2023). Zu ihren Zuständigkeiten gehören zivil- und strafrechtliche Streitereien. Bevor Zivilklagen in den Justizbüros verhandelt werden, werden sie von den Schlichtungsausschüssen geprüft (OSS 4.3.2022). Schlichtungsausschüsse werden überall in den Gemeinden und Regionen eingerichtet, wo dies erforderlich ist und durch direkte Wahlen oder Konsens bestimmt. Die Mitglieder sind Freiwillige (RIC 14.12.2023). Gemäß der vom Omran Center for Strategic Studies durchgeführten Studie mischen aber auch bei der Wahl der Mitglieder in den Schlichtungssausschüssen PKK-Kader mit (OSS 4.3.2022). Justizbüros sind gemäß Artikel 116/2 des Gesellschaftsvertrags von 2023 Justizorgane, be stehend aus Staatsanwaltschaft, Justizbehörde, Berufungsbehörde und Exekutivbehörde, die sich in den Regionen selbst organisieren. Ihre Mitglieder werden vom Justizrat vorgeschlagen und nach Zustimmung der Volksräte in den Regionen gewählt. In den Städten werden diese Justizbüros je nach Bedarf eingerichtet (RIC 14.12.2023). Unter ihre Zuständigkeit fallen alle zi vil-, handelsrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Streitigkeiten, unabhängig von den Streitparteien. Die Zuständigkeiten sind unter den vier Ausschüssen aufgeteilt. Auch die Justizbüros werden laut Omran Center for Strategic Studies von einem PKK-Kader kontrolliert, der ebenfalls in die Ernennungsprozesse eingreift (OSS 4.3.2022). Aus den genannten Haupträten gingen mehrere Soziale Justizräte und Soziale Frauenjustizräte (Unterräte) hervor. Sie repräsentieren die oberste Justizbehörde in der jeweiligen Region. Jeder Unterrat besteht aus einem Justizinspektionsausschuss, Anklageausschuss, Umsetzungsaus schuss, Administrations- und Finanzausschuss und Schlichtungsausschuss (OSS 4.3.2022). Die regionalen Justizräte organisieren und kontrollieren die Justizeinrichtungen in den Regio nen. Ihre Mitglieder und Co-Vorsitzenden werden durch die Justizeinrichtungen in den Regionen gewählt. Der Ernennung der CO-Vorsitzenden muss durch den Volksrat zugestimmt werden. Eine faire und demokratische Repräsentation der Bevölkerung, Gruppierungen und sozialen Bereiche ist gesetzlich festgeschrieben (RIC 14.12.2023). Die Dauer der Mitgliedschaft beträgt zwei Jahre. Für eine Nominierung müssen die Mitglieder mindestens drei Jahre in einer Jus tizeinrichtung tätig gewesen sein, mit Ausnahme der Mitglieder des Schlichtungsausschusses (OSS 4.3.2022). Der Studie des Omran Centers for Strategic Studies zufolge unterliegen auch die regionalen Justizräte der Autorität von PKK-Kadern, die als ”Justizkader“ bezeichnet werden. Zumeist handelt es sich dabei um nicht-syrische Kurden (aus der Türkei oder Iran) und lokalen Kadern. Sie sind Richtern, Anwälten und sogar den Klägern unter Pseudonymen bekannt und überwachen die Richtlinien und Ausschüsse und greifen in den Prozess der Ernennung ein (OSS 4.3.2022). Der Soziale Justizrat etablierte zwei Anti-Terror-Gerichte unter dem Namen „ People’s Defense Courts“ (Volksverteidigungsgerichte). Das eine befindet sich in Qamishli, das andere in Kobane (NPA 13.6.2023). Amnesty International zufolge wurde auch ein solches Gericht in Afrin etabliert, welches aber nach der Besetzung durch die Türkei und die mit ihr affiliierten Gruppierungen im Jahr 2018 nicht mehr im Einsatz ist (AI 2024). Als Basis für die Errichtung dieser People’s Defense Courts dient das Anti-Terror-Gesetz von 2014 (OSS 4.3.2022). Diese Gerichte verfolgen vorwiegend Mitglieder des Islamischen Staates (IS), aber auch Angehörige der pro-türkischen 82

Milizen, der Hay’at Tahrir ash-Sham [ehem. An-Nusra Front Anm.] und Spione für die Türkei, die Kurdische Regionalregierung im Irak oder die syrische Regierung (NPA 13.6.2023). Die Gerichte stehen unter Kritik, den Angeklagten das Recht auf Verteidigung zu verweigern (OSS 4.3.2022). Auch die kurdische Nachrichtenseite North Press Agency schreibt, dass IS-Mitglieder zwar das Recht auf einen Anwalt, in der Praxis aber selten Zugang dazu hätten (NPA 13.6.2023). Amnesty International wirft der DAANES im Zusammenhang mit der Anti-Terror-Gesetzgebung zudem vor, dass sie sich auf Beweise, die durch Folter oder unmenschliche Behandlung erhalten wurden, verlassen würden, keinen Rechtsbeistand zur Verfügung stellen würden und dass das Recht auf Berufung wirkungslos wäre (AI 2024). Unzufriedenheit mit den Gerichten, Korruption und Beeinflussung führte dazu, dass 2021 kurdi sche, jesidische, arabische und assyrische Stämme eigene Gerichte in der Provinz al-Hasakah wieder einführten. Dort kann bei Streitereien zwischen Clans und in Fällen von Raub, Rache und Plünderung vorgesprochen werden (BS 19.3.2024). Als der Bürgerkrieg in Syrien zur geografischen und politischen Zersplitterung des Landes führte, kam es zu einer weiteren Fragmentierung des Familienrechts, insbesondere in den kurdischen Provinzen im Norden. Da diese kurdischen Regionen de facto autonom sind, hat ihre Zivilverwal tung schnell umfassende Reformen des Familienrechtssystems in Kraft gesetzt, das zuvor unter der Zentralregierung vorherrschte. In dem Bestreben, den Einfluss der Religion auf Familienan gelegenheiten zu verringern, begannen die kurdischen Behörden bereits 2013, standesamtliche Ehen anzuerkennen. Was als lokale Praxis in der nordöstlichen Stadt Qamishli begann, hat sich inzwischen in den mehrheitlich kurdischen Provinzen Syriens verbreitet. Diese Entwicklung stellt eine bedeutende Veränderung dar, da sie die traditionellen religiösen Familienrechtssys teme umgeht und eine säkulare Alternative bietet, die dem Wunsch der Kurden nach größerer Autonomie entspricht (LSE 15.1.2025). Am 17.7.2024 erließ die DAANES eine Amnestie für Straftaten im Zusammenhang mit Terro rismus. Das Amnestiegesetz gilt speziell für Syrer, die „ terroristische“ Verbrechen gegen die Sicherheit der DAANES und der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) begangen haben, wie das Strafrecht und das Anti-Terrorgesetz vorsehen, gab ein Beamter der DAANES an. Von der Amnestie ausgeschlossen sind Emire, Anführer terroristischer Gruppen und Beteiligte an Bombenanschlägen und Feindseligkeiten gegen die SDF sowie Verbrechen, die zum Tod eines Menschen führen (NPA 17.7.2024). Quellen ■ AI - Amnesty International (2024): AFTERMATH - INJUSTICE, TORTURE AND DEATH IN DETEN TION IN NORTH-EAST SYRIA, https://www.ecoi.net/en/file/local/2107362/MDE2477522024ENGL ISH.pdf, Zugriff 24.6.2024 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file /local/2105866/country_report_2024_SYR.pdf, Zugriff 3.5.2024 ■ LSE - London School of Econonomics and Political Science (15.1.2025): Between religious diversity and national unity: The role of family law in Syrias transitional justice journey, https://blogs.lse.ac.u k/religionglobalsociety/2025/01/between-religious-diversity-and-national-unity-the-role-of-family-l aw-in-syrias-transitional-justice-journey , Zugriff 7.2.2025 83

■ NPA - North Press Agency (17.7.2024): AANES grants general amnesty for terrorism-related offenses, https://npasyria.com/en/115426, Zugriff 31.7.2024 ■ NPA - North Press Agency (13.6.2023): AANES trials for foreign ISIS members what is to be expec ted?, https://npasyria.com/en/99485, Zugriff 11.7.2024 ■ OSS - Omran Center for Strategic Studies (4.3.2022): The Autonomous Administration: A Judicial Approach to Understanding the Model and Experience, https://omranstudies.org/index.php/publicati ons/books/the-autonomous-administration-a-judicial-approach-to-understanding-the-model-and-e xperience.html, Zugriff 9.7.2024 ■ RIC - Rojava Information Center (14.12.2023): AANES Social Contract, 2023 Edition, https://rojava informationcenter.org/2023/12/aanes-social-contract-2023-edition , Zugriff 24.6.2024 ■ SYD - Syria Direct (30.1.2023): Northeastern Syria marks two years of legal paralysis as de facto authorities struggle to issue new land registry, https://syriadirect.org/northeastern-syria-marks-t wo-years-of-legal-paralysis-as-de-facto-authorities-struggle-to-issue-new-land-registry , Zugriff 9.7.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-pract ices/syria/, Zugriff 3.5.2024 5.2 Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes (Stand August 2024) Letzte Änderung 2025-05-08 14:03 In der Syrischen Verfassung von 2012 war verankert, dass die Syrische Arabisch Republik ei ne Demokratie (Artikel 1), die durch Wahlen gekennzeichnet ist (Artikel 8). In der Verfassung wurden auch Grundrechte festgehalten, wie z. B. das Recht auf Freiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 33), das Recht auf Ausübung des Wahlrechts (Artikel 34), das Recht auf Arbeit und fairen Lohn (Artikel 40), das Recht auf Glaubens- und Meinungsfreiheit (Artikel 42) sowie Pressefreiheit (Artikel 43) und das Recht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 44 und 45). Die Rechtsstaatlichkeit war in den Artikeln 50-53 verankert und im Titel III unter den Kapiteln 1-3 war das Prinzip der Gewaltenteilung geregelt (SeG 24.2.2012). Dieses wurde allerdings unter graben durch die dominierende Macht der Exekutive, allen voran des Präsidenten, zusammen mit der fast kompletten Macht und Immunität der Sicherheitsdienste (STJ 2.2.2024). So wurde der Oberste Justizrat in Artikel 133 der syrischen Verfassung dem Präsidenten unterstellt (SeG 24.2.2012), wodurch der Präsident zugleich an der Spitze sowohl der Exekutive als auch der Le gislative stand (STJ 2.2.2024). Richter wurden durch diesen Obersten Justizrat ernannt, versetzt und entlassen (BS 19.3.2024), auch die Mitglieder des Obersten Verfassungsgerichts wurden durch den Präsidenten per Dekret ernannt (Artikel 141) (SeG 24.2.2012). Richter und Staatsan wälte mussten grundsätzlich der Ba’ath Partei angehören und waren praktisch der politischen Führung verpflichtet (FH 2023). Obwohl die syrische Verfassung dem Thema Rechtsstaatlichkeit ein gesamtes Kapitel widmete, Gesetze durchaus im Einklang mit internationalen Erfordernis sen standen und Syrien Vertragspartei einer Reihe internationaler Übereinkommen war, konnte das Justizsystem in Syrien insgesamt nicht als unabhängig und transparent angesehen wer den und stand unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Die Rechtsstaatlichkeit war schwach ausgeprägt, wenn nicht gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergra ben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten mitunter willkürlich und ohne strafrechtliche Konsequenzen sowie ohne jegliche zivile Kontrolle operieren konnten (ÖB Damaskus 2023). Die Bertelsmann Stiftung schrieb in ihrem Bericht über das syrische Justizwesen von einem stark korrupten System, das Anweisungen von der Regierung und den Sicherheitsdiensten bekommt 84

(BS 19.3.2024). Dem stimmte der Global Organized Crime Index zu, wonach Justizbeamte nicht über eine angemessene Ausbildung verfügten und Mitglieder der regierenden Ba’ath- Partei sein mussten (GITOC 2023). Auch das deutsche Auswärtige Amt berichtete, dass die Unabhängigkeit syrischer Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichte unverändert nicht gewährleistet war, diese wurden im Gegenteil vom Regime für politische Zwecke missbraucht. Vor allem vor Strafgerichten war eine effektive Verteidigung in Fällen mit politischem Hintergrund praktisch nicht möglich. Immer wieder wurden falsche Geständnisse durch Folter und Drohungen durch die Anklage erpresst und seitens der Gerichte weitestgehend vorbehaltlos akzeptiert (AA 2.2.2024). Richter in Syrien konnten durch den Präsidenten und die Exekutivbehörden bedroht werden. Der Justizminister konnte den Staatsanwalt anweisen, rechtliche Schritte gegen einen Richter einzuleiten. Weil der Staatsanwalt durch den Justizminister ernannt wurde und diesem auch zu berichten hatte, gab es keinen Rechtsschutz oder Immunität für Richter. Gerichtsprozesse gegen angeklagte Richter wurden im Geheimen abgehalten (STJ 2.2.2024). Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass das Rechtssystem bekannt war für Sammel entscheidungen, Korruption und den Mangel an ordentlichen Gerichtsverfahren. Angeklagte wurden in ihrer Abwesenheit verurteilt, ohne angehört zu werden. Manche Gefangene und ihre Familien berichteten, dass sie nichts über die Beschuldigungen gegen sie wussten (USDOS 22.4.2024). Vertrauliche Quellen, die durch das niederländische Außenministerium befragt wur den, gaben zudem an, dass je höher die Bestechung war, die eine Person zahlte und je besser diese Person vernetzt war, umso eher bekam sie recht (MBZ 8.2023). Spezial- und Ausnahme-Gerichte Nachdem im Jahr 1963 der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, wurden in den letzten Jahr zehnten mehrere Spezialgerichte eingerichtet. Diese waren weder dem Obersten Justizrat un terstellt noch unabhängig. Darunter fielen die Ausnahme-Militärgerichte, Militärfeldgerichte, das Oberste Staatssicherheitsgericht und das Anti-Terrorgericht (STJ 2.2.2024). Spezialgerichte wa ren länger bestehende Gerichte, wie Militärgerichte, und Ausnahme-Gerichte waren temporäre Gerichte, wie Terrorgerichte (STJ 5.1.2022). Seit ihrer Einführung wurden Ausnahme-Gerichte benützt, um die Syrische Gesellschaft einzuschüchtern und zu unterdrücken, ein Verstoß ge gen den Zweck des Justizwesens, die Rechte, Freiheiten und Demokratie zu schützen. Diese Gerichte setzten sich entweder aus Armeeoffizieren zusammen, wie im Falle von Militärischen Feldgerichten, die nicht zwingend eine rechlichte Ausbildung erhalten hatten oder aus Richtern, die vom Präsidenten ausgewählt wurden, wie im Falle von dem Anti-Terrorgericht (STJ 2.2.2024). Der Nichtregierungsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge wurden An ti-Terrorgerichte von den Sicherheitsdiensten kontrolliert (SNHR 31.1.2022). Anti-Terrorgerichte waren also vielmehr Teil der Exekutive bzw. waren dieser untergeordnet(STJ 2.2.2024). Dem Gesetz zufolge mussten Ausnahme-Gerichte, wie das Anti-Terror-Gericht, das Militärgericht und die Militärfeldgerichte nicht den Regeln und Verfahren der Gesetzgebung, während der Anklage und dem Prozess, wie es für Gerichte normalerweise galt, folgen (STJ/AHR/WCDP 3.6.2024; vgl. USDOS 22.4.2024). Dementsprechend hatte ein Beschuldigter nicht mehr das Recht, einen Anwalt zu bestimmen oder das Recht auf einen öffentlichen Prozess (STJ/AHR/ WCDP 3.6.2024). Gegen die Regierung gerichtete Vergehen wurden aus der Zuständigkeit der 85

ordentlichen Zivilgerichte ausgenommen und besonderen Anti-Terrorgerichten unterworfen, die außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig waren (ÖB Damaskus 2023). Militärische Judikatur Die militärische Judikatur in Syrien war außergewöhnlich, weil die Richter dem Verteidigungsmi nister unterstellt waren und militärischen Regulierungen folgten. Die Militärgerichte fällten ihre Urteile nicht nur über Militärpersonen, sondern auch über Zivilisten, wobei die Gerichte selbst entschieden, was in ihre Zuständigkeit fällt (STJ 2.2.2024). Am 3.9.2023 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 32 das Legislaturdekret 109 vom 17.8.1968 außer Kraft gesetzt und damit die Militärfeldgerichte (SNHR 3.6.2024).Omran Strategic Studies ging davon aus, dass sich die Situation trotzdem nicht wesentlich verbessert, weil einerseits die Sicherheitsbehörden weiterhin die Oberhand über die Feststellung und Einstufung von Straftaten haben und andererseits noch immer das Problem, dass in Militärgerichten über Zivilisten geurteilt wird, weiterbesteht (OSS 10.10.2023). Anti-Terror-Judikatur Das Justizwesen in den Gebieten unter der Kontrolle der Regierung war in den letzten Jah ren einigen Veränderungen unterlegen. Obwohl es institutionell abgegrenzt war, war es nie unabhängig. Die laut Bertelsmann Stiftung schlimmste Veränderung war die Einführung von Anti-Terror-Gerichten (Counter Terrorism Court - CTC) (BS 19.3.2024). Syriens Terrorgesetz gebung definierte Terrorismus sehr weit gefasst und erlaubte der Regierung fast jede Tat als terroristischen Angriff zu deklarieren (HRW 18.7.2024). Laut Bertelsmann Stiftung war sie poli tisch motiviert und wurde als Druckmittel gegen Andersdenkende und Oppositionelle, welche das Regime oft als „Terroristen“ bezeichnete, eingesetzt. Jede Art von ziviler Handlung in Be zug auf „Terroristen“, wie etwa die Bereitstellung von medizinischer Behandlung, Unterschlupf oder Unterstützung von oppositionellen Kämpfern wurde von der Regierung kriminalisiert (BS 19.3.2024). Richter des CTC wurden per Dekret durch den Präsidenten ernannt (STJ/AHR/ WCDP 3.6.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://www.ecoi.net/de/dokument/21043 40.html, Zugriff 26.2.2024 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file /local/2105866/country_report_2024_SYR.pdf, Zugriff 3.5.2024 ■ FH - Freedom House (2023): Syria: Freedom in the World 2023 Country Report, https://freedomh ouse.org/country/syria/freedom-world/2023, Zugriff 25.6.2024 ■ GITOC - Global Initiative Against Transnational Organized Crime (2023): Global Organized Crime Index - Syria 2023, https://ocindex.net/assets/downloads/2023/english/ocindex_profile_syria_2023 .pdf, Zugriff 2.8.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (18.7.2024): Syria: Mass Unlawful Asset Freezes, https://www.hrw.or g/news/2024/07/18/syria-mass-unlawful-asset-freezes , Zugriff 1.8.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (8.2023): General Country of Origin Inform ation Report - August 2023, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/ 86

2023/08/07/general-country-of-origin-information-report-syria-august-2023/General Country of Ori gin Information Report Syria August 2023.pdf, Zugriff 5.7.2024 ■ ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (2023): Asylländerbericht 2023 - Syrien ■ OSS - Omran Center for Strategic Studies (10.10.2023): Military Field Court: Nullification and a No Change Approach, https://omranstudies.org/index.php/publications/articles/military-field-court-nullifi cation-and-a-no-change-approach-202310061150.html , Zugriff 26.6.2024 ■ SeG - Syrian E-Government [Syrien] (24.2.2012): Syrian Constitution, https://egov.sy/page/en/137/ 0/Constitution.html, Zugriff 25.6.2024 ■ SNHR - Syrian Network for Human Rights (3.6.2024): SNHR Report for the UN Human Rights Committee 141 Session, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBodyExternal/DownloadDraf t.aspx?key=YT9VK9E6jAj6S4CPg6EyUoNF6jqA79AijK6BXw/MgaKBA3DMUzN0xvGGS4JikqUZ8 zibRMibJY9Dviylc8E3lg==, Zugriff 25.6.2024 ■ SNHR - Syrian Network for Human Rights (31.1.2022): The Most Notable Hay’at Tahrir al Sham Violations since the Establishments of Jabhat al Nusra to Date, https://snhr.org/wp-content/pdf/engli sh/The_Most_Notable_Hayat_Tahrir_al_Sham_Violations_Since_the_Establishment_of_Jabhat_al _Nusra_to_Date_1_en.pdf, Zugriff 8.8.2024 ■ STJ - Syrians for Truth and Justice (2.2.2024): Syria: The Interference of the Executive Branch in the Judiciary and its Impact on Safeguarding Democracy, https://stj-sy.org/en/syria-the-interfere nce-of-the-executive-branch-in-the-judiciary-and-its-impact-on-safeguarding-democracy , Zugriff 21.6.2024 ■ STJ - Syrians for Truth and Justice (5.1.2022): Governance and Judicial Systems in the Syrian Constitution - Syrians for Truth and Justice, https://stj-sy.org/en/governance-and-judicial-systems-i n-the-syrian-constitution , Zugriff 21.6.2024 ■ STJ/AHR/WCDP - Syrians for Truth and Justice, Advocates for Human Rights, The, World Coalition against the Deaht Penalty (3.6.2024): Input to the Human Rights Committee Regarding Syria’s Com pliance with the ICCPR, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBodyExternal/DownloadDraft. aspx?key=YT9VK9E6jAj6S4CPg6EyUnlmE/bpQ2 a2w9FdQr2eP2OD4O5vSl1O2hnBD3mdX7GtO GjQ4S7O/NSravpyZtstQ==, Zugriff 26.6.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-pract ices/syria/, Zugriff 3.5.2024 5.3 Gebiete unter der Kontrolle der Oppositionsgruppierungen (Stand August 2024) Letzte Änderung 2025-05-08 14:12 In den Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes war die Lage von Justiz und Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen unter schiedlich (AA 2.2.2024). In den von der Opposition gehaltenen Gebieten wurden zum Teil Sharia-Gerichte eingerichtet, die nun die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzen. Die Praxis und der Charakter dieser Gerichte variieren ebenso stark, wie die Art des angewandten Rechts, je nachdem welche bewaffnete is lamistische Gruppierung das Terrain hält. Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterschied sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden konnten (ÖB Damaskus 2023). Extremistische Gruppen hatten in ihren Gebieten religiöse Gerichte eingerichtet, die für angebliche religiöse Vergehen von Zivilisten harte Strafen verhängten. Der allgemeine Zusam menbruch staatlicher Autorität und die Ausbreitung von Milizen in weiten Teilen des Landes führ ten zu willkürlichen Verhaftungen, Schnelljustiz und außergerichtlichen Strafen auf allen Seiten des Bürgerkriegst (FH 2024). Nicht staatliche Akteure hielten sich oft nicht an die Garantien für faire Verfahren. In den von der Opposition kontrollierten Gebieten variierten die Rechtsverfahren der rechtlichen Rechenschaftspflicht je nach Ort und der nicht staatlichen bewaffneten Gruppe, 87

die die Kontrolle ausübte, wenn lokale Regierungsstrukturen diese Verantwortung übernahmen. Nichtregierungsorganisationen berichteten, dass Zivilisten diese Prozesse durchführten und sich dabei in manchen Fällen an die gewohnten Scharia-Gesetzte hielten und in anderen an die nationalen Gesetze. Manche Verurteilungen durch oppositionelle Scharia-Gerichte endeten in öffentlichen Hinrichtungen ohne Berufungsprozess (USDOS 22.4.2024). Gebiete unter der Kontrolle der Ha’yat Tahrir ash-Sham (HTS) In Idlib übernahmen quasi-staatliche Strukturen der sogenannten Heilsregierung (Syrische Heils regierung - Syrian Salvation Government - SSG) der Terrororganisation Ha’yat Tahrir ash-Sham (HTS) Verwaltungsaufgaben (AA 2.2.2024). Die SSG hatte ein Justizministerium eingerichtet, das aus sechs Hauptabteilungen bestand. Die zivile bzw. allgemeine Justiz, die Verwaltungsjus tiz und die Militärjustiz waren dem Justizministerium angegliedert. Die Sicherheitsjustiz, die Jus tiz von Organisationen und Verbänden und die Interne Justiz waren nicht beim Justizministerium angegliedert. In diesem Justizsystem gab es viele Behörden, die fast vollständig voneinander getrennt waren Die Zivile bzw. allgemeine Justiz befasste sich mit Fällen des Personen- und Zivilstandsrechts und mit Straftaten, die von Zivilisten begangen wurden. Es gab fünf Gerichte der allgemeinen Justiz. Richter waren in der Regel Geistliche oder Scheichs. Die Verfahren in diesen Gerichten waren nicht kostenlos (SNHR 31.1.2022). Es gab viele örtliche Gerichte, die über das gesamte Gebiet verteilt waren, und diese stellten den häufigsten Kontaktpunkt der Zivilbevölkerung mit dem Justizsystem dar. Offiziell unterstanden diese Gerichte dem Justizmi nisterium, das in bestimmten Fällen eingreifen konnte. Laut örtlichen Quellen schienen diese Gerichte ihre Arbeit jedoch regelmäßig an Stammesnetzwerke auszulagern (OFPRA 27.4.2023). Die Verwaltungsjustiz war auf Streitigkeiten zwischen den Ministerien der SSG oder in Streit fällen mit einer Verwaltungsbehörde spezialisiert. Es gab dafür nur ein einziges Gericht in Idlib. Die Militärjustiz fokussierte auf militärische Angelegenheiten, wie Schlachten und Gefechte und überschnitt sich mit der Sicherheitsjustiz bei der Verfolgung von Mitgliedern der Oppositions fraktionen. Die Nichtregierungsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) doku mentierte zwei Militärgerichte. Die Sicherheitsjustiz galt als die einflussreichste und autoritärste der Justizbehörden von HTS und unterstand dem Sicherheitsapparat. Die Sicherheitsjustiz um fasste keine erkennbaren Gerichte, sondern Sicherheitszentren mit sowohl geheimen als auch nicht-geheimen Haftzentren. Die Arbeit der Sicherheitszentren war in Kategorien unterteilt, die sich beispielsweise auf die Verfolgung von Agenten des Syrischen Regimes, auf organisierte Kriminalität, auf Personen, die mit der US-Koalition in Verbindung standen oder auf Angehörige des Islamischen Staates spezialisierten. Die Gesamtanzahl der Sicherheitszentren wurde auf 112 geschätzt. Die Justizbehörde für Organisationen und Vereine war auf die Verfolgung von Mitgliedern zivilgesellschaftlicher Organisationen spezialisiert und hatte ihren Sitz in der Nä he des Grenzübergangs Bab al-Hawa. Die Interne Justiz war eine Sondereinrichtung, die sich mit der Lösung von HTS-internen Konflikten befasste. Sie wurde direkt von HTS-Anführer Abu Mohammad al-Joulani geleitet. Diese Einrichtung verfügte über geheime Gefängnisse (SNHR 31.1.2022). Die Sicherheitstribunale, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Justizministe riums fielen, schienen die eigentliche Justizmacht von HTS zu sein. Diese Tribunale befanden sich in etwa hundert „ Sicherheitszentren“, die als Haftanstalten dienten und dem „Allgemeinen 88

Sicherheitsapparat“ unterstellt waren, der Polizeieinheit, die von HTS kontrolliert wurde. Die verschiedenen Abteilungen dieser Institution waren für die Bearbeitung von Fällen Organisierter Kriminalität und von Fällen zuständig, in denen Personen beschuldigt wurden, das Regime oder rivalisierende Oppositionsgruppen, den Islamischen Staat oder die Vereinigten Staaten zu unterstützen (OFPRA 27.4.2023). Kurdischen Medienberichten zufolge gab es 25 Gefängnisse in Idlib und Umgebung, die zur HTS gehören. 20 davon wurden von ihrem Sicherheitsapparat geführt. Als Folge von Protesten etablierte die SSG der HTS ein „ Zweites Sicherheitsgericht“ in Idlib für die Rechtssprechung über Sicherheitsstraftaten (SOHR 30.6.2024; vgl. Enab 30.3.2024), sobald der Oberste Justizrat Regulierungen für die Arbeit dieses Gerichts erlassen hatte (SOHR 30.6.2024). Entscheidungen der Justizbehörden wurden nicht auf Grundlage spezifischer und bekannter Gerichtsurteile und Vorschriften getroffen, sondern stützten sich hauptsächlich auf ministerielle Rundschreiben, das waren Anweisungen, die als Rechtskodex für die Gerichte gelten. Da es kein formelles Gesetz gab, das die Verfahren für die Arbeit der Gerichte regelte, kam die Pro zessordnung einer solchen Gesetzgebung am nächsten, während die Gerichte in zwei Instanzen arbeiteten, wobei einige wenige in drei Instanzen arbeiteten. Für die Allgemeine Justiz waren das islamische Recht, einige syrische Gesetze und Rundschreiben des Justizministeriums die Rechtsgrundlage (SNHR 31.1.2022). Auch eine kurdische Medienorganisation berichteten, dass Aktivisten zufolge die Judikatur der HTS nicht auf Gesetzen basierte (NPA 20.4.2023). SNHR berichtete, dass es zu wenige Richter und Anwälte für die hohe Menge an zu erledigender Arbeit gab. In vielen Bereichen griff die HTS daher auf loyal zu ihr stehende Studierende der Religions- oder Rechtswissenschaften zurück, wodurch die Unabhängigkeit und Effizienz der Justiz nicht gegeben war (SNHR 31.1.2022). Menschenrechtsgruppierungen und Medienorgani sationen berichteten, dass die HTS denen, die sie verhaftet hatte, die Möglichkeit verwehrte, die Rechtsgrundlage oder den ungerechten Charakter ihrer Haft im Scharia-Justizsystem anzufech ten. HTS ließ Geständnisse, die unter Folter erhalten wurden, zu und richtete als Oppositionelle wahrgenommene und ihre Familien hin oder lies diese verschwinden (USDOS 22.4.2024). Gebiete unter der Kontrolle von der Türkei nahestehenden Gruppierungen - Syrian Na tional Army (SNA) Die Syrian National Army (SNA) umfasste mehrere Gruppierungen, die jeweils die Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet ausübten, wo sie auch die zivile Struktur verwalteten. Oft waren also auch diese Gruppierungen für das Justizsystem verantwortlich (MBZ 8.2023). Ein Ge richtssystem, Gefängnisse und Haftanstalten wurden von der Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) betrieben, ebenfalls mit erheblicher türkischer Beteiligung (UNHRC 12.7.2023). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums gab an, dass es dort einen hohen Grad an Straffreiheit gab, weil die lokalen Anführer auch die Judikatur bestimmten (MBZ 8.2023). Der Nichtregierungsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) zufolge bestimmte auch die Türkische Regierung über rechtliche Angelegenheiten, wo die von ihr unterstützten Gruppierungen operierten (STJ 1.11.2023). 89
