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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
(BS 19.3.2024). Dem stimmte der Global Organized Crime Index zu, wonach Justizbeamte nicht über eine angemessene Ausbildung verfügten und Mitglieder der regierenden Ba’ath- Partei sein mussten (GITOC 2023). Auch das deutsche Auswärtige Amt berichtete, dass die Unabhängigkeit syrischer Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichte unverändert nicht gewährleistet war, diese wurden im Gegenteil vom Regime für politische Zwecke missbraucht. Vor allem vor Strafgerichten war eine effektive Verteidigung in Fällen mit politischem Hintergrund praktisch nicht möglich. Immer wieder wurden falsche Geständnisse durch Folter und Drohungen durch die Anklage erpresst und seitens der Gerichte weitestgehend vorbehaltlos akzeptiert (AA 2.2.2024). Richter in Syrien konnten durch den Präsidenten und die Exekutivbehörden bedroht werden. Der Justizminister konnte den Staatsanwalt anweisen, rechtliche Schritte gegen einen Richter einzuleiten. Weil der Staatsanwalt durch den Justizminister ernannt wurde und diesem auch zu berichten hatte, gab es keinen Rechtsschutz oder Immunität für Richter. Gerichtsprozesse gegen angeklagte Richter wurden im Geheimen abgehalten (STJ 2.2.2024). Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass das Rechtssystem bekannt war für Sammel entscheidungen, Korruption und den Mangel an ordentlichen Gerichtsverfahren. Angeklagte wurden in ihrer Abwesenheit verurteilt, ohne angehört zu werden. Manche Gefangene und ihre Familien berichteten, dass sie nichts über die Beschuldigungen gegen sie wussten (USDOS 22.4.2024). Vertrauliche Quellen, die durch das niederländische Außenministerium befragt wur den, gaben zudem an, dass je höher die Bestechung war, die eine Person zahlte und je besser diese Person vernetzt war, umso eher bekam sie recht (MBZ 8.2023). Spezial- und Ausnahme-Gerichte Nachdem im Jahr 1963 der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, wurden in den letzten Jahr zehnten mehrere Spezialgerichte eingerichtet. Diese waren weder dem Obersten Justizrat un terstellt noch unabhängig. Darunter fielen die Ausnahme-Militärgerichte, Militärfeldgerichte, das Oberste Staatssicherheitsgericht und das Anti-Terrorgericht (STJ 2.2.2024). Spezialgerichte wa ren länger bestehende Gerichte, wie Militärgerichte, und Ausnahme-Gerichte waren temporäre Gerichte, wie Terrorgerichte (STJ 5.1.2022). Seit ihrer Einführung wurden Ausnahme-Gerichte benützt, um die Syrische Gesellschaft einzuschüchtern und zu unterdrücken, ein Verstoß ge gen den Zweck des Justizwesens, die Rechte, Freiheiten und Demokratie zu schützen. Diese Gerichte setzten sich entweder aus Armeeoffizieren zusammen, wie im Falle von Militärischen Feldgerichten, die nicht zwingend eine rechlichte Ausbildung erhalten hatten oder aus Richtern, die vom Präsidenten ausgewählt wurden, wie im Falle von dem Anti-Terrorgericht (STJ 2.2.2024). Der Nichtregierungsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge wurden An ti-Terrorgerichte von den Sicherheitsdiensten kontrolliert (SNHR 31.1.2022). Anti-Terrorgerichte waren also vielmehr Teil der Exekutive bzw. waren dieser untergeordnet(STJ 2.2.2024). Dem Gesetz zufolge mussten Ausnahme-Gerichte, wie das Anti-Terror-Gericht, das Militärgericht und die Militärfeldgerichte nicht den Regeln und Verfahren der Gesetzgebung, während der Anklage und dem Prozess, wie es für Gerichte normalerweise galt, folgen (STJ/AHR/WCDP 3.6.2024; vgl. USDOS 22.4.2024). Dementsprechend hatte ein Beschuldigter nicht mehr das Recht, einen Anwalt zu bestimmen oder das Recht auf einen öffentlichen Prozess (STJ/AHR/ WCDP 3.6.2024). Gegen die Regierung gerichtete Vergehen wurden aus der Zuständigkeit der 85

ordentlichen Zivilgerichte ausgenommen und besonderen Anti-Terrorgerichten unterworfen, die außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig waren (ÖB Damaskus 2023). Militärische Judikatur Die militärische Judikatur in Syrien war außergewöhnlich, weil die Richter dem Verteidigungsmi nister unterstellt waren und militärischen Regulierungen folgten. Die Militärgerichte fällten ihre Urteile nicht nur über Militärpersonen, sondern auch über Zivilisten, wobei die Gerichte selbst entschieden, was in ihre Zuständigkeit fällt (STJ 2.2.2024). Am 3.9.2023 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 32 das Legislaturdekret 109 vom 17.8.1968 außer Kraft gesetzt und damit die Militärfeldgerichte (SNHR 3.6.2024).Omran Strategic Studies ging davon aus, dass sich die Situation trotzdem nicht wesentlich verbessert, weil einerseits die Sicherheitsbehörden weiterhin die Oberhand über die Feststellung und Einstufung von Straftaten haben und andererseits noch immer das Problem, dass in Militärgerichten über Zivilisten geurteilt wird, weiterbesteht (OSS 10.10.2023). Anti-Terror-Judikatur Das Justizwesen in den Gebieten unter der Kontrolle der Regierung war in den letzten Jah ren einigen Veränderungen unterlegen. Obwohl es institutionell abgegrenzt war, war es nie unabhängig. Die laut Bertelsmann Stiftung schlimmste Veränderung war die Einführung von Anti-Terror-Gerichten (Counter Terrorism Court - CTC) (BS 19.3.2024). Syriens Terrorgesetz gebung definierte Terrorismus sehr weit gefasst und erlaubte der Regierung fast jede Tat als terroristischen Angriff zu deklarieren (HRW 18.7.2024). Laut Bertelsmann Stiftung war sie poli tisch motiviert und wurde als Druckmittel gegen Andersdenkende und Oppositionelle, welche das Regime oft als „Terroristen“ bezeichnete, eingesetzt. Jede Art von ziviler Handlung in Be zug auf „Terroristen“, wie etwa die Bereitstellung von medizinischer Behandlung, Unterschlupf oder Unterstützung von oppositionellen Kämpfern wurde von der Regierung kriminalisiert (BS 19.3.2024). Richter des CTC wurden per Dekret durch den Präsidenten ernannt (STJ/AHR/ WCDP 3.6.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://www.ecoi.net/de/dokument/21043 40.html, Zugriff 26.2.2024 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file /local/2105866/country_report_2024_SYR.pdf, Zugriff 3.5.2024 ■ FH - Freedom House (2023): Syria: Freedom in the World 2023 Country Report, https://freedomh ouse.org/country/syria/freedom-world/2023, Zugriff 25.6.2024 ■ GITOC - Global Initiative Against Transnational Organized Crime (2023): Global Organized Crime Index - Syria 2023, https://ocindex.net/assets/downloads/2023/english/ocindex_profile_syria_2023 .pdf, Zugriff 2.8.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (18.7.2024): Syria: Mass Unlawful Asset Freezes, https://www.hrw.or g/news/2024/07/18/syria-mass-unlawful-asset-freezes , Zugriff 1.8.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (8.2023): General Country of Origin Inform ation Report - August 2023, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/ 86

2023/08/07/general-country-of-origin-information-report-syria-august-2023/General Country of Ori gin Information Report Syria August 2023.pdf, Zugriff 5.7.2024 ■ ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (2023): Asylländerbericht 2023 - Syrien ■ OSS - Omran Center for Strategic Studies (10.10.2023): Military Field Court: Nullification and a No Change Approach, https://omranstudies.org/index.php/publications/articles/military-field-court-nullifi cation-and-a-no-change-approach-202310061150.html , Zugriff 26.6.2024 ■ SeG - Syrian E-Government [Syrien] (24.2.2012): Syrian Constitution, https://egov.sy/page/en/137/ 0/Constitution.html, Zugriff 25.6.2024 ■ SNHR - Syrian Network for Human Rights (3.6.2024): SNHR Report for the UN Human Rights Committee 141 Session, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBodyExternal/DownloadDraf t.aspx?key=YT9VK9E6jAj6S4CPg6EyUoNF6jqA79AijK6BXw/MgaKBA3DMUzN0xvGGS4JikqUZ8 zibRMibJY9Dviylc8E3lg==, Zugriff 25.6.2024 ■ SNHR - Syrian Network for Human Rights (31.1.2022): The Most Notable Hay’at Tahrir al Sham Violations since the Establishments of Jabhat al Nusra to Date, https://snhr.org/wp-content/pdf/engli sh/The_Most_Notable_Hayat_Tahrir_al_Sham_Violations_Since_the_Establishment_of_Jabhat_al _Nusra_to_Date_1_en.pdf, Zugriff 8.8.2024 ■ STJ - Syrians for Truth and Justice (2.2.2024): Syria: The Interference of the Executive Branch in the Judiciary and its Impact on Safeguarding Democracy, https://stj-sy.org/en/syria-the-interfere nce-of-the-executive-branch-in-the-judiciary-and-its-impact-on-safeguarding-democracy , Zugriff 21.6.2024 ■ STJ - Syrians for Truth and Justice (5.1.2022): Governance and Judicial Systems in the Syrian Constitution - Syrians for Truth and Justice, https://stj-sy.org/en/governance-and-judicial-systems-i n-the-syrian-constitution , Zugriff 21.6.2024 ■ STJ/AHR/WCDP - Syrians for Truth and Justice, Advocates for Human Rights, The, World Coalition against the Deaht Penalty (3.6.2024): Input to the Human Rights Committee Regarding Syria’s Com pliance with the ICCPR, https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBodyExternal/DownloadDraft. aspx?key=YT9VK9E6jAj6S4CPg6EyUnlmE/bpQ2 a2w9FdQr2eP2OD4O5vSl1O2hnBD3mdX7GtO GjQ4S7O/NSravpyZtstQ==, Zugriff 26.6.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-pract ices/syria/, Zugriff 3.5.2024 5.3 Gebiete unter der Kontrolle der Oppositionsgruppierungen (Stand August 2024) Letzte Änderung 2025-05-08 14:12 In den Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes war die Lage von Justiz und Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen unter schiedlich (AA 2.2.2024). In den von der Opposition gehaltenen Gebieten wurden zum Teil Sharia-Gerichte eingerichtet, die nun die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzen. Die Praxis und der Charakter dieser Gerichte variieren ebenso stark, wie die Art des angewandten Rechts, je nachdem welche bewaffnete is lamistische Gruppierung das Terrain hält. Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterschied sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden konnten (ÖB Damaskus 2023). Extremistische Gruppen hatten in ihren Gebieten religiöse Gerichte eingerichtet, die für angebliche religiöse Vergehen von Zivilisten harte Strafen verhängten. Der allgemeine Zusam menbruch staatlicher Autorität und die Ausbreitung von Milizen in weiten Teilen des Landes führ ten zu willkürlichen Verhaftungen, Schnelljustiz und außergerichtlichen Strafen auf allen Seiten des Bürgerkriegst (FH 2024). Nicht staatliche Akteure hielten sich oft nicht an die Garantien für faire Verfahren. In den von der Opposition kontrollierten Gebieten variierten die Rechtsverfahren der rechtlichen Rechenschaftspflicht je nach Ort und der nicht staatlichen bewaffneten Gruppe, 87

die die Kontrolle ausübte, wenn lokale Regierungsstrukturen diese Verantwortung übernahmen. Nichtregierungsorganisationen berichteten, dass Zivilisten diese Prozesse durchführten und sich dabei in manchen Fällen an die gewohnten Scharia-Gesetzte hielten und in anderen an die nationalen Gesetze. Manche Verurteilungen durch oppositionelle Scharia-Gerichte endeten in öffentlichen Hinrichtungen ohne Berufungsprozess (USDOS 22.4.2024). Gebiete unter der Kontrolle der Ha’yat Tahrir ash-Sham (HTS) In Idlib übernahmen quasi-staatliche Strukturen der sogenannten Heilsregierung (Syrische Heils regierung - Syrian Salvation Government - SSG) der Terrororganisation Ha’yat Tahrir ash-Sham (HTS) Verwaltungsaufgaben (AA 2.2.2024). Die SSG hatte ein Justizministerium eingerichtet, das aus sechs Hauptabteilungen bestand. Die zivile bzw. allgemeine Justiz, die Verwaltungsjus tiz und die Militärjustiz waren dem Justizministerium angegliedert. Die Sicherheitsjustiz, die Jus tiz von Organisationen und Verbänden und die Interne Justiz waren nicht beim Justizministerium angegliedert. In diesem Justizsystem gab es viele Behörden, die fast vollständig voneinander getrennt waren Die Zivile bzw. allgemeine Justiz befasste sich mit Fällen des Personen- und Zivilstandsrechts und mit Straftaten, die von Zivilisten begangen wurden. Es gab fünf Gerichte der allgemeinen Justiz. Richter waren in der Regel Geistliche oder Scheichs. Die Verfahren in diesen Gerichten waren nicht kostenlos (SNHR 31.1.2022). Es gab viele örtliche Gerichte, die über das gesamte Gebiet verteilt waren, und diese stellten den häufigsten Kontaktpunkt der Zivilbevölkerung mit dem Justizsystem dar. Offiziell unterstanden diese Gerichte dem Justizmi nisterium, das in bestimmten Fällen eingreifen konnte. Laut örtlichen Quellen schienen diese Gerichte ihre Arbeit jedoch regelmäßig an Stammesnetzwerke auszulagern (OFPRA 27.4.2023). Die Verwaltungsjustiz war auf Streitigkeiten zwischen den Ministerien der SSG oder in Streit fällen mit einer Verwaltungsbehörde spezialisiert. Es gab dafür nur ein einziges Gericht in Idlib. Die Militärjustiz fokussierte auf militärische Angelegenheiten, wie Schlachten und Gefechte und überschnitt sich mit der Sicherheitsjustiz bei der Verfolgung von Mitgliedern der Oppositions fraktionen. Die Nichtregierungsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) doku mentierte zwei Militärgerichte. Die Sicherheitsjustiz galt als die einflussreichste und autoritärste der Justizbehörden von HTS und unterstand dem Sicherheitsapparat. Die Sicherheitsjustiz um fasste keine erkennbaren Gerichte, sondern Sicherheitszentren mit sowohl geheimen als auch nicht-geheimen Haftzentren. Die Arbeit der Sicherheitszentren war in Kategorien unterteilt, die sich beispielsweise auf die Verfolgung von Agenten des Syrischen Regimes, auf organisierte Kriminalität, auf Personen, die mit der US-Koalition in Verbindung standen oder auf Angehörige des Islamischen Staates spezialisierten. Die Gesamtanzahl der Sicherheitszentren wurde auf 112 geschätzt. Die Justizbehörde für Organisationen und Vereine war auf die Verfolgung von Mitgliedern zivilgesellschaftlicher Organisationen spezialisiert und hatte ihren Sitz in der Nä he des Grenzübergangs Bab al-Hawa. Die Interne Justiz war eine Sondereinrichtung, die sich mit der Lösung von HTS-internen Konflikten befasste. Sie wurde direkt von HTS-Anführer Abu Mohammad al-Joulani geleitet. Diese Einrichtung verfügte über geheime Gefängnisse (SNHR 31.1.2022). Die Sicherheitstribunale, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Justizministe riums fielen, schienen die eigentliche Justizmacht von HTS zu sein. Diese Tribunale befanden sich in etwa hundert „ Sicherheitszentren“, die als Haftanstalten dienten und dem „Allgemeinen 88

Sicherheitsapparat“ unterstellt waren, der Polizeieinheit, die von HTS kontrolliert wurde. Die verschiedenen Abteilungen dieser Institution waren für die Bearbeitung von Fällen Organisierter Kriminalität und von Fällen zuständig, in denen Personen beschuldigt wurden, das Regime oder rivalisierende Oppositionsgruppen, den Islamischen Staat oder die Vereinigten Staaten zu unterstützen (OFPRA 27.4.2023). Kurdischen Medienberichten zufolge gab es 25 Gefängnisse in Idlib und Umgebung, die zur HTS gehören. 20 davon wurden von ihrem Sicherheitsapparat geführt. Als Folge von Protesten etablierte die SSG der HTS ein „ Zweites Sicherheitsgericht“ in Idlib für die Rechtssprechung über Sicherheitsstraftaten (SOHR 30.6.2024; vgl. Enab 30.3.2024), sobald der Oberste Justizrat Regulierungen für die Arbeit dieses Gerichts erlassen hatte (SOHR 30.6.2024). Entscheidungen der Justizbehörden wurden nicht auf Grundlage spezifischer und bekannter Gerichtsurteile und Vorschriften getroffen, sondern stützten sich hauptsächlich auf ministerielle Rundschreiben, das waren Anweisungen, die als Rechtskodex für die Gerichte gelten. Da es kein formelles Gesetz gab, das die Verfahren für die Arbeit der Gerichte regelte, kam die Pro zessordnung einer solchen Gesetzgebung am nächsten, während die Gerichte in zwei Instanzen arbeiteten, wobei einige wenige in drei Instanzen arbeiteten. Für die Allgemeine Justiz waren das islamische Recht, einige syrische Gesetze und Rundschreiben des Justizministeriums die Rechtsgrundlage (SNHR 31.1.2022). Auch eine kurdische Medienorganisation berichteten, dass Aktivisten zufolge die Judikatur der HTS nicht auf Gesetzen basierte (NPA 20.4.2023). SNHR berichtete, dass es zu wenige Richter und Anwälte für die hohe Menge an zu erledigender Arbeit gab. In vielen Bereichen griff die HTS daher auf loyal zu ihr stehende Studierende der Religions- oder Rechtswissenschaften zurück, wodurch die Unabhängigkeit und Effizienz der Justiz nicht gegeben war (SNHR 31.1.2022). Menschenrechtsgruppierungen und Medienorgani sationen berichteten, dass die HTS denen, die sie verhaftet hatte, die Möglichkeit verwehrte, die Rechtsgrundlage oder den ungerechten Charakter ihrer Haft im Scharia-Justizsystem anzufech ten. HTS ließ Geständnisse, die unter Folter erhalten wurden, zu und richtete als Oppositionelle wahrgenommene und ihre Familien hin oder lies diese verschwinden (USDOS 22.4.2024). Gebiete unter der Kontrolle von der Türkei nahestehenden Gruppierungen - Syrian Na tional Army (SNA) Die Syrian National Army (SNA) umfasste mehrere Gruppierungen, die jeweils die Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet ausübten, wo sie auch die zivile Struktur verwalteten. Oft waren also auch diese Gruppierungen für das Justizsystem verantwortlich (MBZ 8.2023). Ein Ge richtssystem, Gefängnisse und Haftanstalten wurden von der Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) betrieben, ebenfalls mit erheblicher türkischer Beteiligung (UNHRC 12.7.2023). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums gab an, dass es dort einen hohen Grad an Straffreiheit gab, weil die lokalen Anführer auch die Judikatur bestimmten (MBZ 8.2023). Der Nichtregierungsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) zufolge bestimmte auch die Türkische Regierung über rechtliche Angelegenheiten, wo die von ihr unterstützten Gruppierungen operierten (STJ 1.11.2023). 89

Im Februar 2018 richtete das Verteidigungsministerium der syrischen Übergangsregierung (Sy rian Interim Gouvernment - SIG) ein Militärjustizsystem ein, das Verstöße innerhalb der SNA- Gruppierungen, insbesondere die Misshandlung von Zivilisten und mögliche Kriegsverbrechen durch die SNA und ihre Verbündeten, ahnden sollte. Diese Initiative, die während der Operation Euphrates Shield ins Leben gerufen wurde, führte Militärgerichte und Militärpolizei in von der Türkei besetzten Gebieten ein und erweiterte die Gerichtsbarkeit später auf Afrin und Tell Abyad, als die territoriale Kontrolle der Türkei zunahm (HSC 6.5.2024). Die Militärpolizei galt als Exe kutive der Militärgerichte, die eingesetzt wurden, um sowohl Mitglieder der SNA-Fraktionen als auch vermeintliche Aufständische vor Gericht zu stellen. Die Militärpolizeiabteilung bestand aus einem Hauptquartier, Zweigstellen in den Regionen und Unterabteilungen in den verschiedenen Städten unter der Kontrolle der SNA. Sie betrieb Gefängnisse, darunter in den Städten al-Bab, Afrin und Ra’s al-’Ayn, und Dutzende von Haftanstalten in den türkisch besetzten Gebieten. Vie le SNA-Fraktionen betrieben auch ihre eigenen inoffiziellen Haftanstalten in kleineren Städten und Dörfern unter ihrer Kontrolle, trotz der Versuche der syrischen Übergangsregierung, diese Praxis zu unterbinden (HRW 29.2.2024). Viele Richter an den Militärgerichten waren ehemalige SNA-Funktionäre oder hatten SNA-Ver bindungen zu aktuellen Funktionären. Sie wurden oft in Abstimmung mit türkischen Geheim diensten ernannt (HSC 6.5.2024; vgl. HRW 29.2.2024), was ihren großen Interessenkonflikt aufzeigte und die Vertrauenswürdigkeit des neuen Systems bewusst beeinträchtigte (HSC 6.5.2024). Obwohl auch zivile Gerichte eingerichtet wurden, waren es oft die Militärgerichte, die Häftlinge, die willkürlich durch verschiedene Fraktionen gemeinsam mit der Militärpolizei verhaftet und eingesperrt wurden, vor Gericht stellten unter der Anschuldigung, dass sie kur dischen bewaffneten Gruppierungen, der syrischen Regierung oder dem Islamischen Staat angehörten oder Verbindungen zu den genannten unterhielten. Diesen Militärgerichten fehlte es an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Sie folgten oft nicht einem ordentlichen Verfahren, mit Richtern, die militärischen Kommandos unterlagen und Befehlen von oben (HRW 29.2.2024). Darüber hinaus wurde Häftlingen, die diesem System unterworfen sind, während ihrer gesam ten Haft routinemäßig Rechtsbeistand verweigert, wobei erzwungene Geständnisse oft den Eckpfeiler der Strafverfolgung bilden (HSC 6.5.2024; vgl. HRW 29.2.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Ende Oktober 2023), https://www.ecoi.net/de/dokument/21043 40.html, Zugriff 26.2.2024 [Login erforderlich] ■ Enab - Enab Baladi (30.3.2024): Salvation Govt establishes security court in Idlib, https://english.en abbaladi.net/archives/2024/03/salvation-govt-establishes-security-court-in-idlib , Zugriff 5.7.2024 ■ FH - Freedom House (2024): Syria: Freedom in the World 2024 Country Report, https://freedomh ouse.org/country/syria/freedom-world/2024, Zugriff 3.5.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (29.2.2024): “Everything is by the Power of the Weapon” - Abuses and Impunity in Turkish-Occupied Northern Syria, https://www.hrw.org/report/2024/02/29/everything-p ower-weapon/abuses-and-impunity-turkish-occupied-northern-syria , Zugriff 15.5.2024 ■ HSC - Human Security Center (6.5.2024): The Militarization and Exploitation of Northern Syria, http://www.hscentre.org/uncategorized/militarization-exploitation-northern-syria , Zugriff 25.6.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (8.2023): General Country of Origin Inform ation Report - August 2023, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/ 90

2023/08/07/general-country-of-origin-information-report-syria-august-2023/General Country of Ori gin Information Report Syria August 2023.pdf, Zugriff 5.7.2024 ■ NPA - North Press Agency (20.4.2023): HTS executes 19 people in Syrias Idlib since early 2023, https://npasyria.com/en/96731, Zugriff 5.7.2024 ■ ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (2023): Asylländerbericht 2023 - Syrien ■ OFPRA - Amt zum Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen [Frankreich] (27.4.2023): Syria: The Situation in the Idlib Governorate since 2016, https://www.ofpra.gouv.fr/libraries/pdf.js/web/viewer. html?file=/sites/default/files/ofpra_flora/2304_syr_situation_in_idlib_governorate_eng.pdf , Zugriff 15.5.2024 ■ SNHR - Syrian Network for Human Rights (31.1.2022): The Most Notable Hay’at Tahrir al Sham Violations since the Establishments of Jabhat al Nusra to Date, https://snhr.org/wp-content/pdf/engli sh/The_Most_Notable_Hayat_Tahrir_al_Sham_Violations_Since_the_Establishment_of_Jabhat_al _Nusra_to_Date_1_en.pdf, Zugriff 8.8.2024 ■ SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (30.6.2024): To investigate security crimes Salvation Government establishes new criminal court in Idlib, https://www.syriahr.com/en/337574 , Zugriff 5.7.2024 ■ STJ - Syrians for Truth and Justice (1.11.2023): Syria: The SIG Fringes on Freedom of Speech and Suffocates Detractors - Syrians for Truth and Justice, https://stj-sy.org/en/syria-the-sig-fringes-on-f reedom-of-speech-and-suffocates-detractors , Zugriff 5.7.2024 ■ UNHRC - United Nations Human Rights Council (12.7.2023): “No End in Sight”: Torture and ill- treatment in the Syrian Arab Republic 2020-2023* - Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (A/HRC/53/CRP.5), https://www.ohchr.org/sites/default/files/document s/hrbodies/hrcouncil/coisyria/A-HRC-53-CRP5-Syria-Torture.pdf , Zugriff 15.7.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-pract ices/syria/, Zugriff 3.5.2024 6 Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Letzte Änderung 2025-05-08 22:36 [Die Lage bezüglich Sicherheitsbehörden befindet sich derzeit im Umbruch. Teilweise liegen nicht ausreichend Informationen zu bestimmten Aspekten vor (wie z. B. Struktur, Aufbau, Aus rüstung etc.). Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugäng lichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehens weise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformationen entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Wei tere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.] Seitdem der friedliche Aufstand gegen das Assad-Regime Ende 2011 in den bewaffneten Konflikt überging, bildeten sich bewaffnete Gruppierungen auf fast der gesamten syrischen Landkarte, angefangen bei Offizieren und Soldaten, die vom Regime übergelaufen waren, bis hin zu Grup pierungen, die sich aus lokalen und religiösen Gruppierungen zusammensetzten. Sie standen im Konkurrenzkampf einerseits untereinander und andererseits kämpften sie gegen die Re gimekräfte, die ihnen bis 2018 schwere Verluste zufügten. Danach wurden viele Gruppierungen 91

aufgelöst. Andere übersiedelten unter russischer Schirmherrschaft im Rahmen von Abkom men nach Nordsyrien oder blieben auf der Basisvon „ Versöhnungsabkommen“ unter russischer Schirmherrschaft und Garantien bzw. direkten Abmachungen mit dem Assad-Regime weiter be stehen. Im Zuge der Kampfhandlungen im Spätherbst 2024 schienen die Oppositionskämpfer gut organisiert zu sein und arbeiteten in einem Bündnis unter dem Namen Abteilung für militäri sche Operationen (Department of Military Operations - DMO) zusammen (Asharq 9.12.2024). Für die Großoffensive „Abschreckung der Aggression“, die am 17.11.2024 startete und zum Sturz des Präsidenten al-Assad führte, hatten sich die Rebellen monatelang vorbereitet (NYT 1.12.2024). Im Laufe des vergangenen Jahres entwickelten die Kämpfer eine neue Methode, die sich auf die Verwendung von Drohnen stützte (Guardian 8.12.2024). Von den ersten Tagen der Offensive an veröffentlichte die von den Rebellen geführte DMO mehrere Videos von Angriffen auf Militärfahrzeuge und Versammlungen von Soldaten des syrischen Regimes mit sogenannten Shaheen-Drohnen, die eine große Effektivität und Genauigkeit beim Treffen der Ziele zeigten. Für diese Drohnen wurden eigens die Shaheen-Bataillone geschaffen (AJ 10.12.2024). Diese Bataillone sind für ihr hohes Maß an Fachwissen und ihre Präzision bekannt. Sie sollen von Offizieren aus Osteuropa ausgebildet worden sein (IndepAr 5.12.2024). Für die Ausbildung soll die Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) sogar eine eigene Drohnenakademie betrieben haben (LF 13.12.2024). Zum ersten Mal in der Geschichte des Syrienkonflikts war die bewaffnete Oppo sition nun in der Lage, den Luftraum zu kontrollieren (IndepAr 5.12.2024). Die verschiedenen Drohnentypen trugen dazu bei, eine Art Gleichgewicht im Luftraum zu erreichen, gemeinsam mit der Tatsache, dass die Russen den Großteil ihres Luftarsenals aus Syrien abgezogen hat ten, weil sie mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt waren (AJ 10.12.2024). Die Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen, greifen Fahrzeuge und gepanzerte Fahrzeuge an, feuern Raketen auf Soldaten ab, oder es sind Selbstmorddrohnen, die sich schnell auf Fahrzeuge und Panzer stürzen und sich sofort mit jedem Objekt, das mit ihnen kollidiert, in die Luft sprengen. Einer War nung Russlands zufolge soll die HTS über mehr als 250 fortschrittlicher Drohnen verfügt haben. Gerüchten zufolge unterhielt die HTS im Nordwesten Syriens eine Fabrik zur Herstellung von Drohnen mit Düsentriebwerken und Sprengbomben gemeinsam mit ausländischer Unterstüt zung (IndepAr 5.12.2024), wie beispielsweise durch uigurische Ingenieure der Turkistan Islamic Party (TIP, die aus Dschihadisten besteht, die aus China stammen und sich im ländlichen La takia und Idlib niedergelassen haben). Sie beaufsichtigen die Herstellung der Drohnen für ein monatliches Gehalt von bis zu 4.000 Dollar (Nahar 29.11.2024). Die Entwicklung dieser Waffen soll in kleinen Werkstätten, untergebracht in Garagen, Häusern, ehemaligen Schulgebäuden, Lagerhäusern und anderen Orten, die schwer zu entdecken sind, passiert sein (LF 13.12.2024). HTS hat eine komplexe Infrastruktur aufgebaut, um den Einsatz von Drohnen zu ermöglichen. Dazu gehört auch der Einsatz von 3-D-Drucktechnologie zur Herstellung von Teilen, die nicht ohne Weiteres aus kommerziellen Quellen bezogen werden können (LF 13.12.2024). Der Interimsregierung unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausrei chendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten (PBS 16.12.2024). Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppie rungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum 92

an Ordnung in den Städten bemühen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Associated Press berichtete am 16.12.2024, dass Polizeikräfte des Assad-Regimes verschwunden sind und an ihre Stelle Po lizeikräfte der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Gouvernements - SSG) - der von der HTS geführten Regierung, die bis zum Sturz al-Assads in Idlib regierte - getreten waren. Sie bearbeiten Fälle von kleineren Diebstählen und Straßenkrawalle (AP 15.12.2024b). Die Polizisten der SSG sollen 4.000 Mann stark sein, wobei die Hälfte davon weiterhin in Idlib ope riere, während die andere Hälfte in Damaskus und anderen Teilen Syriens für Ordnung sorgen. Obwohl manche von ihnen religiöse Symbole tragen, ließen sie andersgläubige Minderheiten weitgehend in Ruhe (AP 15.12.2024b).[Weiterführende Informationen zur Behandlung von Min derheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024) sowie Allgemeine Menschenrechtslage - Entwick lungen seit dem Sturz des al-Assad Regimes (seit 8.12.2024).] Die Kräfte, die Syriens neuem Machthaber zur Verfügung stehen, sind unzureichend. Die 30.000 Mann starke HTS ist nun über das ganze Land verteilt (Economist 5.3.2025). In Damaskus ist in den wichtigsten Bereichen nur Militärpersonal der HTS zu sehen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und versucht, den Verkehr zu regeln – allerdings mit begrenztem Erfolg. Dies ist nicht nur eine Folge der begrenzten Kapazitäten der HTS, die nun an ihre Grenzen stoßen, da sie ein ganzes Land und nicht nur einen Teil einer Provinz verwalten müssen. Es ist auch ein Symptom für den abrupten Zusammenbruch der traditionellen Sicherheitsstrukturen. In den meisten Städten wurden in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes Polizeistationen und Gerichte geschlossen, und Diebstähle – sowohl von Autos als auch von Häusern – nahmen aufgrund des Mangels an neu ausgebildeten Polizisten zu (AGSIW 4.3.2025). Während des Umsturzes am 8.12.2024 wurden die meisten Polizeistationen in Damaskus von Plünderern verwüstet, wobei Ausrüstung und Unterlagen geplündert oder zerstört wurden. Die Polizei gab an, dass die Hälfte der etwa 20 Polizeistationen inzwischen wiedereröffnet wurde, aber sie jeweils nur mit zehn Beamten besetzt sind, die größtenteils aus Idlib kommen. Zuvor waren es 100 bis 150 Mann (REU 23.1.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei regeln Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). HTS hat sich auf ihre eigenen Einheiten und die ihrer engen Verbündeten verlassen, um die vier von Minderheiten dominierten Gouvernements zu sichern. Zu diesen gehören vor allem die Einheiten der Allgemeinen Sicherheit (auch: General Security) des Innenministeriums der ehemaligen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG). Diese Kräfte sind im Wesentlichen schwer bewaffnete Polizisten, die eingesprungen sind, um Unterstützung zu leisten, während neue lokale Polizeikräfte noch aufgebaut werden. Die Abteilung für militäri sche Operationen hat auch Einheiten im ganzen Land eingesetzt, um die überlastete Allgemeine Sicherheit zu unterstützen und weitere Sicherheitslücken zu schließen. DMO-Einheiten führen gezielte Razzien gegen bewaffnete Zellen durch, halfen anfangs bei der Überwachung von Städten und besetzten zeitweise Kontrollpunkte. Ende Dezember 2024 wurden viele Einheiten aus den Küstenstädten abgezogen und auf Kontrollpunkte und Stützpunkte beschränkt, wo sie durch wachsende lokale Polizeikräfte ersetzt wurden. Am problematischsten waren die auslän dischen Kämpfergruppen innerhalb der Eliteeinheit Rote Brigaden [mehr dazu s. unten Anm.] 93

von DMO und HTS, die viele der Razzien der neuen Regierung anführt (MEI 21.1.2025). Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara’ hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen (Economist 5.3.2025). Ash-Shara’ versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024). Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzi gen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden (TNA 3.2.2025). Der Pro zess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-’Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Ar mee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Un terstützung erhalten, zerstritten (AlHurra 12.2.2025). Die HTS verhandelte mit Einheiten der aufgelösten Syrischen Arabischen Armee (SAA) über die Zusammenlegung und Integration in eine neue syrische Armee (ISW 16.12.2024).Der neue syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte für deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Die zwei größten drusischen Fraktionen aus der südlichen syrischen Provinz Suweida haben daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen (AlHadath 7.1.2025). Die richtungsweisende Entscheidung, die bewaffneten Gruppierungen unter einer einzigen na tionalen Armee zusammenzufassen, wurde während eines hochrangigen Treffens in Damaskus formalisiert. Die neu vereinte Truppe wird dem Verteidigungsministerium unterstellt sein und darauf abzielen, die militärische Führung zu zentralisieren und die Ordnung wiederherzustellen. Das Abkommen umfasst nicht alle Fraktionen. Gruppierungen, die in südlichen Regionen wie Dar’aa, Quneitra und Suweida operieren, sowie in at-Tanf stationierte, von den USA ausgebilde te Truppen bleiben außerhalb des Geltungsbereichs. Auch diekurdisch dominierten SDF fallen nicht unter das Abkommen. Pläne für eine umfassendere Integration sollen nach dem Ende der Amtszeit der Übergangsregierung im März umgesetzt werden (TR-Today 8.1.2025). Dem syrischen Verteidigungsminister zufolge waren die bewaffneten Gruppen bereit, sich der neuen 94
