2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-tuerkei-version-10-d827
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Journalist Tolga Şardan wegen des Verdachts der Verbreitung von Desinformationen festge nommen. Der Journalist hatte in einem Artikel über mögliche Korruption in der Justiz berichtet. Dabei bezog er sich u. a. auf einen Bericht des Geheimdienstes MİT (Duvar 6.11.2023). Ge richte und der Oberste Radio- und Fernsehrat (RTÜK) blockierten regelmäßig den Zugang zu Presseberichten über Korruptionsvorwürfe (USDOS 22.4.2024, S.59). Verbreitung und Ausmaß von Korruption Trotz eines strengen Rechtsrahmens berichten internationale und inländische Beobachter, dass Korruption im öffentlichen und privaten Sektor der Türkei weit verbreitet ist und sich in den letzten Jahren verschlimmert hat (DFAT 16.5.2025, S. 9; vgl. FH 26.2.2025, C2), auch auf den höchsten Ebenen der Regierung (FH 26.2.2025, C2). Sichtbar wurde die weitverbreitete Korruption angesichts des Erdbebens im Februar 2023 (EP 13.9.2023, Pt.3). Darüber hinaus sind die Finanzierung der politischen Parteien, die Justiz und die öffentliche Verwaltung, die Gemeinden, die Landverwaltung, die Raumordnung und das Bauwesen weiterhin anfällig für Korruption (EC 30.10.2024, S. 28). Obwohl der Umfang der informellen Wirtschaft in den letzten Jahren zurückgegangen ist, macht sie immer noch einen erheblichen Teil der Wirtschaftstätigkeit aus. Die Regierung hat die Um setzung ihres Aktionsplans zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft (2023-2025) fortgesetzt, aber das Fehlen von Leistungsindikatoren erschwert die Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung (EC 30.10.2024, S. 46). Anderen Quellen zufolge soll die Schattenwirtschaft in den letzten Jahren enorm expandiert sein. Der Anstieg der illegalen Einnahmen stammt nicht nur aus dem Untergrundsektor wie Prostitution, Drogenhandel und Kraftstoffschmuggel, sondern auch aus der Einflussnahme durch Bestechung bei öffentlichen Ausschreibungen und Schmier geldzahlungen ausländischer Unternehmen, die in der Türkei Geschäfte machen wollen. Nach dem Putschversuch im Jahr 2016 ist der Fluss illegaler Gelder um einen weiteren Aspekt erwei tert worden. Im Rahmen der politischen Säuberungsaktionen wurden Unternehmen, die sich im Besitz von Gülenisten befanden, beschlagnahmt und dann verkauft, meist an Freunde der regierenden AKP. Wie sich später herausstellte, zahlten viele Geschäftsleute, denen Verbindun gen zu den Gülenisten nachgesagt wurden, hohe Bestechungsgelder, um einer Untersuchung oder einem Prozess zu entgehen (AlMon 21.5.2021). Transparency International reihte die Türkei im Korruptionswahrnehmungsindex 2024 wie 2023 mit einem Punktewert von 34 von 100 (bester Wert) auf Platz 107 (2023: 115) von 180 unter suchten Ländern und Territorien ein. Den besten Wert in der vergangenen Dekade erreichte das Land 2013 mit 50 von 100 Punkten (TI 11.2.2025; vgl. TI 30.1.2024). World Justice Project verlieh der Türkei für das Jahr 2024 einen Skalenwert von 0,45 (1 = statistischer Bestwert), welcher unter dem globalen Durchschnittswert von 0,51 lag, wodurch das Land auf Rang 78 von 142 Ländern rangierte (WJP 10.2024). 113

Quellen ■ AlMon - Al Monitor (21.5.2021): Erdogan in hot spot as Turks question ’mafiazation’ of politics, https://www.al-monitor.com/originals/2021/05/erdogan-hot-spot-turks-question-mafiazation-politics , Zugriff 2.10.2023 ■ BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 29.9.2023 ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.5.2025): DFAT Country Information Report; Türkiye, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 21.5.2025 ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 6.12.2023 ■ Duvar - Duvar (6.11.2023): Journalist Şardan released from jail five days after his arrest over reporting on judicial corruption, https://www.duvarenglish.com/journalist-sardan-released-from-jail-five-day s-after-his-arrest-over-reporting-on-judicial-corruption-news-63274 , Zugriff 18.3.2025 ■ EC - Europäische Kommission (30.10.2024): Türkiye 2024 Report [SWD(2024) 696 final], ht tps://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/document/download/8010c4db-6ef8-4c85-aa06- 814408921c89_en?filename=Türkiye Report 2024.pdf, Zugriff 5.11.2024 ■ EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https:// neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023 ■ EP - Europäisches Parlament (13.9.2023): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. September 2023 zu dem Bericht 2022 der Kommission über die Türkei (2022/2205(INI), https: //www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0320_DE.pdf , Zugriff 14.11.2024 ■ FATF - Financial Action Task Force (28.6.2024): Jurisdictions under Increased Monitoring - June 2024, https://www.fatf-gafi.org/en/publications/High-risk-and-other-monitored-jurisdictions/increas ed-monitoring-june-2024.html , Zugriff 22.1.2025 ■ FH - Freedom House (26.2.2025): Freedom in the World 2025 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do kument/2125459.html, Zugriff 20.5.2025 ■ GAN - GAN Integrety (5.11.2020): Turkey country risk report, https://www.ganintegrity.com/country -profiles/turkey/, Zugriff 29.9.2023 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (2.3.2022): General Country of Origin In formation Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2078792/general-country-of-origin-infor mation-report-turkey-march-2022.pdf , Zugriff 2.10.2023 ■ OECD - Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (10.4.2025): OECD Eco nomic Surveys: Türkiye 2025, https://www.oecd.org/content/dam/oecd/en/publications/reports/2025 /04/oecd-economic-surveys-turkiye-2025_fa62886d/d01c660f-en.pdf , Zugriff 10.6.2025 ■ OECD - Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (16.3.2024): Anti-Cor ruption and Integrity Outlook 2024 Country Notes: Turkiye, https://www.oecd.org/content/dam/oecd/ en/publications/reports/2024/03/anti-corruption-and-integrity-outlook-2024-country-notes_7f250aa 9/turkiye_c3c908bd/72714d5f-en.pdf, Zugriff 10.6.2025 ■ REU - Reuters (28.6.2024): Turkey removed from FATF money laundering grey list in boost to standing, https://www.reuters.com/world/middle-east/simsek-indicates-that-turkey-removed-fatf-w atchdogs-grey-list-2024-06-28 , Zugriff 22.1.2025 [Login erforderlich] ■ TI - Transparency International (11.2.2025): Corruption Perceptions Index 2024 - Türkiye, https: //www.transparency.org/en/countries/türkiye, Zugriff 11.2.2025 [Login erforderlich] ■ TI - Transparency International (30.1.2024): 2023 Corruption Perceptions Index: Explore the results, https://www.transparency.org/en/cpi/2023/index/tur, Zugriff 30.1.2024 ■ TM - Turkish Minute (17.1.2025): Billions in illicit funds flow into Turkey due to corruption and lax oversight, experts warn - Turkish Minute, https://www.turkishminute.com/2025/01/17/billions-in-illicit -funds-flow-into-turkey-due-to-corruption-and-lax-oversight-experts-warn01 , Zugriff 22.1.2025 ■ UNHRCOM - United Nations Human Rights Committee (28.11.2024): Concluding observations on the second periodic report of Türkiye [CCPR/C/TUR/CO/2, https://www.ecoi.net/en/file/local/21203 09/g2420766.pdf, Zugriff 24.1.2025 114

■ USDOS - United States Department of State [USA] (17.7.2024): 2024 Investment Climate State ments: Turkey, https://www.state.gov/reports/2024-investment-climate-statements/turkey , Zugriff 13.1.2025 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): Country Report on Human Rights Practices 2023 – Turkey (Türkiye), https://www.state.gov/wp-content/uploads/2024/02/528267_TU ̈RKIYE-2023-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 23.4.2024 [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 – Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 2.10.2023 ■ WJP - World Justice Project (10.2024): WJP Rule of Law Index 2024, https://worldjusticeproject.or g/rule-of-law-index/country/2024/Türkiye , Zugriff 21.1.2025 8 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Letzte Änderung 2025-08-06 12:55 Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Dienstleistungen in der Türkei. Nach den letzten verfügbaren Daten vom 1.3.2025 gibt es 101.126 registrierte zivilgesellschaftliche Organisationen und 6.094 Stiftungen, die neben vielen informellen Organisationen, wie Plattformen, Initiativen und Gruppen, tätig sind. Ihre Arbeitsbe reiche konzentrieren sich hauptsächlich auf gesellschaftliche Solidarität, soziale Dienstleistun gen, Bildung, Gesundheit und Religion (ICNL 25.3.2025). Bis 2004, als in der Türkei ein neues Vereinsgesetz erlassen wurde, war die Autonomie der türkischen zivilgesellschaftlichen Organisationen eingeschränkt. Das neue Vereinsgesetz wur de sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von der EU positiv aufgenommen. In der Folge verabschiedete die Türkei 2008 auch ein Gesetz über Stiftungen, das die rechtlichen Rahmenbe dingungen weiter verbesserte. Dennoch gibt es nach wie vor rechtliche Unzulänglichkeiten und Einschränkungen. Am 1.10.2018 wurde die Verordnung über Vereinigungen geändert, wodurch Vereinigungen verpflichtet sind, öffentliche Einrichtungen über ihre Mitglieder zu informieren. Vor dieser Änderung wurden nur der Vor- und Nachname des Vorstandsvorsitzenden der Vereini gung und statistische Informationen, wie die Anzahl der Mitglieder als natürliche und juristische Personen und ihr Geschlecht, verlangt. Darüber hinaus wurde am 26.3.2020 das Vereinsgesetz geändert. Damit wurden die Vereine verpflichtet, der örtlichen Behörde innerhalb von 30 Tagen den Status von Personen mitzuteilen, die als Mitglieder in den Verein aufgenommen wurden oder aus dem Verein ausgetreten sind, sowie deren personenbezogenen Daten. Diese Rege lung verstößt nach Ansicht von ICNL gegen die von der Verfassung geschützten Grundrechte und -freiheiten und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten und steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der EMRK und des ICCPR [International Covenant on Civil and Political Rights - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte] (ICNL 25.3.2025) sowie den Leitlinien der OSZE bzw. des Europarats zur Vereinigungsfreiheit (EC 8.11.2023, S.5, 17; vgl. ICNL 24.6.2023). Die Organisationen der Zivilgesellschaft (CSO) arbeiten in einem schwierigen Umfeld, in dem ihr Handlungsspielraum schrumpft und sie zahlreichen Zwängen ausgesetzt sind, darunter dem ständigen Druck der Behörden. Trotzdem verschafft sich die Zivilgesellschaft weiterhin Gehör und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, indem sie in verschiedenen Bereichen 115

entscheidende Beiträge leistete. Einige CSO sind nach wie vor besorgt über die übermäßige Zahl der vom Innenministerium durchgeführten Prüfungen und Inspektionen. CSO, insbesondere solche, die sich mit Frauen, LGBTIQ-Personen und Menschenrechten befassen, werden unter Druck gesetzt, unter anderem durch den systematischen Einsatz von Gerichtsverfahren, auch aufgrund der weit gefassten Definition von Terrorismus (EC 30.10.2024, S. 4, 20, 38). Die vormalige Menschenrechtskommissarin des Europrates, Dunja Mijatović, stellte bereits 2020 fest, dass der Rechtsrahmen für die Arbeit der NGOs streng, komplex und über viele Gesetze verstreut ist und dass er mehrere Fragen zur Vereinbarkeit mit den einschlägigen europäischen Normen aufwirft (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7). Zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere regierungskritische Menschenrechtsorga nisationen und demokratiefördernde NGOs, werden nach wie vor an den Rand gedrängt und weder bei der Formulierung noch bei der Umsetzung politischer Maßnahmen in Konsultations prozesse seitens der Regierung einbezogen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind weit davon entfernt, die autoritäre Regierung der Türkei zur Rechenschaft zu ziehen. Die Exe kutive setzt verschiedene Mittel ein, um die Zivilgesellschaft zu unterdrücken und den Raum für zivilgesellschaftliche Kritik zu begrenzen. Zu diesen Mitteln gehören die Änderung des gesetzli chen Rahmens, die Kriminalisierung von Aktivitäten, die Einschüchterung und Stigmatisierung von Aktivisten, die Verwendung einer aggressiven Rhetorik durch hohe Regierungsbeamte und das wiederholte Verbot von Demonstrationen. - Generell ist die Kultur der Zivilgesellschaft nach wie vor schwach, und die Autokratisierung der Türkei nach dem gescheiterten Putsch von 2016 hat zivilgesellschaftliche Organisationen aus der politischen Szene der Türkei verdrängt (BS 19.3.2024, S. 17, 39). Das Europäische Parlament bedauerte in seiner Entschließung zur Türkei vom September 2023, „ dass die türkische Regierung mit einem Arsenal von Gesetzen, darunter das Gesetz über die sozialen Medien von 2020, das Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäsche von 2021 und das Gesetz zur Bekämpfung von Desinformation von 2022, ein komplexes Geflecht von Rechtsvorschriften geschaffen hat, das als Instrument genutzt wird, um […] Organisationen der Zivilgesellschaft […] systematisch zu kontrollieren und mundtot zu machen“ (EP 13.9.2023, Pt. 9). Menschenrechtsverteidiger, etwa der türkischen „ Menschenrechtsvereinigung“ (İHD), sowie zi vilgesellschaftliche Akteure werden in der Türkei seit Langem von Regierungsvertretern und regierungsnahen Medien als Verfechter ausländischer Interessen porträtiert, welche eine Bedro hung für die nationale Sicherheit darstellen und/oder die Ziele „ terroristischer Organisationen“ fördern (FIDH/OMCT/İHD/HRA 5.2021, S. 11). Seit 2016 hat die Regierung mehr als 1.500 Stif tungen und Vereine geschlossen. Leiter der verbleibenden NGOs werden schikaniert, verhaftet und strafrechtlich verfolgt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2020 unterwirft die NGOs jährlichen Prü fungen und gibt dem Innenministerium die Befugnis, Treuhänder für die Vorstände von NGOs zu ernennen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird (FH 26.2.2025, E2; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 41). 2021 fror die Regierung das Vermögen von 770 NGOs mit der Begründung der Ter rorismusfinanzierung ein. Organisationen, die sich für die Rechte von Angehörigen sexueller 116

Minderheiten, Frauen und ethnischen oder religiösen Minderheiten einsetzen, werden häufig mit zivil- oder strafrechtlichen Verfahren überzogen (FH 26.2.2025, E2). Im kurdisch geprägten Südosten des Landes sind die Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen durch vermehrt ausgeübten Druck staatlicher Stellen noch wesentlich stärker eingeschränkt als im Rest des Landes (AA 20.5.2024, S. 6). Menschenrechtsorganisationen, beispielsweise solche, die sich für Frauen- und Kinderrechte einsetzen, werden gegenüber regierungsnahen Organisationen benachteiligt. Zahlreiche NGOs mit Schwerpunkt auf Menschenrechten berichten, dass sie nicht in den Genuss öffentlicher Förderungen kommen. Sie sehen sich auch bürokratischen Hürden bei der Spendensammlung und der Finanzierung durch EU-Gelder ausgesetzt. Weitere Probleme ergeben sich auch aus der nebulösen Rechtslage betreffend die Errichtung und Tätigkeit von NGOs (ÖB Ankara 4.2025, S.44). Laut Menschenrechtskommissarin des Europarates sind diese NGOs gezwungen, sich weitgehend auf das Fund-Raising zu stützen, da öffentliche Mittel offenbar ausschließlich an NGOs vergeben werden, die dieselben Werte wie die Regierung vertreten und die offizielle Politik nicht kritisieren, und zwar in einer intransparenten Weise (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7). Laut offiziellen Zahlen waren mit Stand Februar 2025 von allen eingetragenen Vereinigungen nur 1,13% (1.552 Vereinigungen) in den Bereichen Menschenrechte und Anwaltschaft aktiv (ICNL 25.3.2025). Menschenrechtsorganisationen können gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch wie alle Vereine nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das In nenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet (AA 20.5.2024, S. 5). Vor allem Organisationen, die sich für die Wahrung von Rech ten einsetzen, werden immer wieder überprüft, kontrolliert und mit Geldstrafen belegt, während einige ihrer Mitglieder systematisch mit juristischen Mitteln verfolgt werden. Infolgedessen ha ben einige Organisationen erhebliche Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu halten, einschließlich derjenigen, die in ihren Vorständen sitzen (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7). Allgemein fehlen transparente und objektive Kriterien und Verfahren in Bezug auf die öffentliche Finanzierung, die Konsultation von und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie für deren Inspektion und Überprüfung (CoE-CommDH 19.2.2020). Am 27.12.2020 wurde ein Gesetz - Gesetz über die Verhinderung der Finanzierung der Ver breitung von Massenvernichtungswaffen - verabschiedet, das angeblich der Bekämpfung der Terrorfinanzierung dienen soll (AP 27.12.2020; vgl. DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Das Gesetz Nr. 7262 war offiziell geschaffen worden, um konkreten Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) nachzukommen, einer internationalen Organisation zum Monitoring von Geldwäsche und Terrorfinanzierung, deren Mitglied die Türkei ist (FNS 17.5.2022). - Die FATF gab ursprünglich Empfehlungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und der Geldwäsche ab und wies auf die potenziellen Risiken im Zusammenhang mit gemeinnützigen Organisationen hin. Ihre Empfehlung Nr. 8 sah eine unabhängige, risikobasierte Bewertung von gemeinnützigen Organisationen vor, um zu verhindern, dass ihre legitimen Aktivitäten ins Visier genommen, unterbrochen oder bestraft werden. Nach diesem Gesetz gelten jedoch alle 117

gemeinnützigen Organisationen, einschließlich Menschenrechtsorganisationen, als risikobe haftet und werden daher unverhältnismäßigen Maßnahmen unterworfen, die einer Schikane gleichkommen (OMCT 8.2022). - Das Gesetz erlaubt dem Innenministerium, NGOs ohne Ge richtsbeschluss jährlich zu inspizieren und Mitglieder von Vereinen zu ersetzen, wenn gegen sie wegen Terrorismus ermittelt wird. Per Gerichtsbeschluss können Aktivitäten eines Vereins sus pendiert und der Zugang zu Online-Spendenaktionen, so keine Genehmigung vorliegt, gesperrt werden (AP 27.12.2020; vgl. DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Nach Ansicht der Venedig-Kom mission des Europarates sind diese Maßnahmen zusammen mit den verschärften Prüfungen von NGOs (Art. 19 des Vereinsgesetzes) und der abschreckenden Wirkung erhöhter Haftstra fen und hoher Verwaltungsstrafen für die Verletzung von Prüfungspflichten sowie der Aussicht auf die Absetzung von NGO-Direktoren und Vorstandsmitgliedern unverhältnismäßig und be einträchtigen unmittelbar Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (CoE-VC 6.7.2021, S. 19f.). Das Gesetz Nr. 7262 erlaubt eine vorübergehende Stilllegung der Vereinsaktivitäten oder Suspen dierung von Vereinsmitgliedern durch das Innenministerium. Hierfür reicht bereits die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts auf Drogendelikte, Geldwäsche oder Terrorismus aus (AA 20.5.2024, S. 6). Das Gesetz Nr. 7262 gibt überdies den Gouverneuren die Befugnis, Treuhänder für NGOs zu ernennen, die Inspektionen zivilgesellschaftlicher Organisationen zu verschärfen und Führungskräfte zivilgesellschaftlicher Organisationen auf der Grundlage einer unklaren Definition von Terrorismus zu entlassen (EMR 5.2024). Die durch das Gesetz Nr. 7262 eingeführten Maßnahmen und das vorherrschende politische Klima in der Türkei haben eine abschreckende Wirkung auf zivilgesellschaftliche Organisatio nen. Dies hat viele NGOs dazu veranlasst, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, die sich negativ auf ihre Fundraising-Aktivitäten und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit ande ren Organisationen, insbesondere internationalen Institutionen und Gebern, ausgewirkt haben. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben überdies Schwierigkeiten, Vorstandsmitglieder zu finden, da diese mögliche negative Auswirkungen und das Risiko einer strafrechtlichen Verfol gung fürchten (ICNL 25.3.2025). Die Menschenrechtskommissarin des Europarates bedauerte, dass das Gesetz trotz der Schlussfolgerungen der Venedig-Kommission des Europarates über seine Unvereinbarkeit mit internationalen Menschenrechtsstandards in Kraft bleibt und weiter umgesetzt wird. Dieses Gesetz stellt zusammen mit der Umsetzung anderer Rechtsvorschriften, die die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen regeln, weiterhin eine ernsthafte Herausfor derung für deren Arbeit dar (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7). Im April 2024 hob das Verfassungsgericht allerdings einige Bestimmungen des Gesetzes Nr. 7262 über die Verhinderung der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaf fen auf, die sich auf die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung beziehen, insbesondere diejenigen, die dem Innenministerium weitreichende Befugnisse über zivilge sellschaftliche Organisationen einräumten, deren Führungskräfte wegen Verstößen gegen die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verfolgt werden (EC 30.10.2024, S. 60). Das Verfassungsgericht bezeichnete die von ihm annullierten Passagen des Gesetzes als dem Vereinigungsrecht zuwiderlaufend (TM 3.4.2024). 118

Das Gesetz über die Sammlung von Spendengeldern (Gesetz Nr. 2860) stellt weiterhin hohe Anforderungen an die Genehmigungen, was die Fundraising-Aktivitäten von NGOs ent mutigt. Dazu gehören die vorherige Anmeldung für jede Fundraising-Aktivität und langwierige Genehmigungsverfahren (EC 12.10.2022, S. 17). Das Innenministerium und die Provinz-Gou verneure sind außerdem befugt, die Spendensammlungen der NGOs zu überwachen, und Strafen für nicht genehmigte Kampagnen zu verhängen (EC 19.10.2021, S. 36). Dem Innen minister und den Provinzgouverneuren werden weitreichende Kompetenzen bei der Kontrolle von NGOs eingeräumt. Der Innenminister kann durch Verwaltungsentscheidung ohne vorher gehende Gerichtsverfahren die Tätigkeiten von NGOs suspendieren sowie Vereinsorgane ihrer Funktion entheben und durch Treuhänder ersetzen, wenn der Verdacht bestimmter Verbrechen vorliegt. Weitere Kompetenzen kommen dem Innenminister und den Gouverneuren bei der Überwachung der Finanzmittelbeschaffung sowie der Verhängung von Strafen für unerlaubte Spendenaktionen zu (ÖB Ankara 4.2025, S.44). Darüber hinaus werden alle Vereinigungen und Stiftungen verpflichtet, das Ministerium über Spenden aus dem Ausland zu informieren. Nach der Verabschiedung des Gesetzes sahen sich viele NGOs mit Prüfungen durch das Ministe rium konfrontiert, insbesondere diejenigen, die ausländische Mittel erhalten (EC 19.10.2021, S. 36; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S.44). Das Strafausmaß gegen Gesetzesverstöße wurde dras tisch von einst maximal 700 auf bis zu 200.000 Lira [laut Wechselkurs vom 1.2.2024 rund 6.090 €] erhöht (Independent 27.12.2020). Die Einschätzung, dass es sich beim Gesetz Nr. 7262 in erster Linie um eine Maßnahme zur Einschränkung der Zivilgesellschaft handelt, teilte auch die FATF. Sie setzte die Türkei 2021 auf eine „ graue Liste“ und ermahnte sie, legitim arbeitende zivilgesellschaftliche Organisationen nicht unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorfinan zierung unverhältnismäßig zu beschränken (FNS 17.5.2022). Im Juni 2024 strich die FATF die Türkei von ihrer „ grauen Liste“, weil das Land entsprechende Empfehlungen der FATF weitge hend umgesetzt hatte. Allerdings waren gemeinnützige Organisationen aufgrund des Gesetzes Nr. 7262 weiterhin unverhältnismäßigen Sanktionen und übermäßiger Kontrolle ausgesetzt (AI 29.4.2025). Inzwischen wurde das Gesetz Nr. 7262 um einen Artikel zur Risikoanalyse in Organisationen erweitert. Seit März 2022 erhielten etliche NGOs Briefe vom „ Generaldirektorat für die Be ziehungen mit der Zivilgesellschaft“, die sie zu zusätzlichen Maßnahmen der Selbstkontrolle aufforderten. Die Schreiben gingen an Organisationen, vor allem an jene im Menschenrechts bereich, denen nach unbekannten Kriterien ein „ mittleres“ oder „ hohes Risiko“ zugeschrieben wird. Die NGOs werden gedrängt, innerhalb einer vorgegebenen Frist „ notwendige“ Untersu chungen zu ihren Finanzierungsquellen, ihren Mitarbeitern und ihren institutionellen Partnern durchzuführen, um ihren sog. Risikostatus festzustellen (FNS 17.5.2022). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file /local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_ der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (29.4.2025): Amnesty Report 2024/25: Zur Lage der Menschenrechte weltweit; Türkei 2024, https://www.ecoi.net/de/dokument/2124776.html, Zugriff 20.5.2025 119

■ AP - Associated Press (27.12.2020): Turkish lawmakers pass bill monitoring civil society groups, https://apnews.com/article/turkey-recep-tayyip-erdogan-terrorism-bills-europe-d4e48ebdbba7691 1dc6fb2a94b201ffd, Zugriff 31.10.2023 ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Türkiye, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2105839/country_report_2024_TUR.pdf, Zugriff 26.3.2024 ■ CoE-CommDH - Council of Europe – Commissioner for Human Rights (5.3.2024): Memorandum on freedom of expression and of the media, human rights defenders and civil society in Türkiye, https://rm.coe.int/memorandum-on-freedom-of-expression-and-of-the-media-human-rights-defe/ 1680aebf3d, Zugriff 26.8.2024 ■ CoE-CommDH - Council of Europe – Commissioner for Human Rights (19.2.2020): Report follow ing her visit to Turkey from 1 to 5 July 2019 [CommDH(2020)1], https://www.ecoi.net/en/file/local/ 2024837/CommDH(2020)1 - Report on Turkey_EN.docx.pdf, Zugriff 31.10.2023 ■ CoE-VC - Council of Europe - Venice Commission (6.7.2021): CDL-AD(2021)023cor-e, Turkey - Opinion on the compatibility with international human rights standards of Law no. 7262 on the Prevention of Financing of the Proliferation of Weapons of Mass Destruction recently passed by Turkey’s National Assembly, amending, inter alia, the Law on Associations (No. 2860) , adopted by the Venice Commission at its 127th Plenary Session (hybrid, 2-3 July 2021) [Opinion No.1028/2021], https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdf=CDL-AD(2021)023cor-e&lang= DE, Zugriff 31.10.2023 [Login erforderlich] ■ DW - Deutsche Welle (27.12.2020): Umstrittenes NGO-Gesetz in der Türkei beschlossen, https: //www.dw.com/de/umstrittenes-ngo-gesetz-in-der-türkei-beschlossen/a-56068756 , Zugriff 31.10.2023 ■ EC - Europäische Kommission (30.10.2024): Türkiye 2024 Report [SWD(2024) 696 final], ht tps://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/document/download/8010c4db-6ef8-4c85-aa06- 814408921c89_en?filename=Türkiye Report 2024.pdf, Zugriff 5.11.2024 ■ EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https:// neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023 ■ EC - Europäische Kommission (12.10.2022): Türkiye 2022 Report [SWD (2022) 333 final], ht tps://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/document/download/ccedfba1-0ea4-4220-9f94- ae50c7fd0302_en?filename=Türkiye Report 2022.pdf, Zugriff 31.10.2023 ■ EC - Europäische Kommission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en, Zugriff 31.10.2023 ■ EMR - EuroMed Rights (5.2024): Abuse of Counter-Terrorism Legislative Framework to restrict Civic Space: Turkey, https://euromedrights.org/wp-content/uploads/2023/05/Counterterrorism-measure s_Turkey-infosheet.pdf, Zugriff 13.8.2024 ■ EP - Europäisches Parlament (13.9.2023): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. September 2023 zu dem Bericht 2022 der Kommission über die Türkei (2022/2205(INI), https: //www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0320_DE.pdf , Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (26.2.2025): Freedom in the World 2025 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do kument/2125459.html, Zugriff 20.5.2025 ■ FIDH/OMCT/İHD/HRA - International Federation for Human Rights, World Organisation Against Torture, İnsan Hakları Derneği/Human Rights Association (5.2021): TURKEY PART II - Turkey’s Civil Society on the Line: A Shrinking Space for Freedom of Association, https://ihd.org.tr/en/wp-content /uploads/2021/05/OBS-İHD-TURKEY.pdf, Zugriff 31.10.2023 ■ FNS - Friedrich Naumann Stiftung (17.5.2022): Zivilgesellschaft unter Druck, https://www.freiheit.o rg/de/tuerkei/zivilgesellschaft-unter-druck, Zugriff 31.10.2023 ■ ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (25.3.2025): Türkiye, https://www.icnl.org/res ources/civic-freedom-monitor/turkiye, Zugriff 2.4.2025 ■ ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (24.6.2023): Türkiye, https://www.icnl.org/res ources/civic-freedom-monitor/turkiye, Zugriff 17.1.2024 ■ Independent - Independent, The (27.12.2020): Turkish human rights groups face being shut down as Erdogan passes law stifling NGOs, https://www.independent.co.uk/news/world/europe/turkey-o versight-law-ngos-b1779231.html , Zugriff 17.1.2024 ■ NZZ - Neue Zürcher Zeitung (30.12.2020): Neues Gesetz alarmiert türkische Zivilgesellschaft, https: //www.nzz.ch/international/tuerkei-neues-gesetz-alarmiert-die-zivilgesellschaft-ld.1594276 , Zugriff 31.10.2023 120

■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB An kara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025 ■ OMCT - World Organisation Against Torture (8.2022): Briefing Note on Law No. 7262: A further threat to the Freedom of Association in Turkey, https://www.omct.org/site-resources/files/Law-726 2-further-threat-to-the-freedom-of-association_Eng.pdf , Zugriff 1.2.2024 ■ TM - Turkish Minute (3.4.2024): Turkey’s top court annuls interior ministers broad powers over civil society organizations - Turkish Minute, https://www.turkishminute.com/2024/04/03/turkey-top-court -annul-interior-ministers-broad-power-over-civil-society-organizations , Zugriff 13.11.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): Country Report on Human Rights Practices 2023 – Turkey (Türkiye), https://www.state.gov/wp-content/uploads/2024/02/528267_TU ̈RKIYE-2023-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 23.4.2024 [Login erforderlich] 9 Ombudsperson und die Nationale Institution für Menschenrechte und Gleichstellung Letzte Änderung 2025-08-06 12:55 Seit 2012 verfügt die Türkei über das Amt einer Ombudsperson (Kamu Denetçiliği Kurumu/ Ombudsmanlık) mit 200 Mitarbeiter (AA 20.5.2024, S. 6), das lediglich Beschwerden in Bezug auf die öffentliche Verwaltung annimmt und organisatorisch beim türkischen Parlament verortet ist (USDOS 22.4.2024, S.61f.). Die Ombudspersonen werden durch das Parlament gewählt. Gemäß Eigendefinition besteht die Hauptaufgabe des Amtes der Ombudsperson darin, sich für Einzelpersonen gegenüber der Verwaltung einzusetzen sowie die Menschenrechte zu schützen und zu fördern. Infolge der Einführung des Präsidialsystems wurde auch das Gesetz (Nr. 6328) über die Ombudsperson in dem Sinne ergänzt, dass dieses auch die Akte des Präsidenten umfasst. Explizit außerhalb der Zuständigkeit des Organs sind Handlungen, die die Ausübung der gesetzgebenden und justiziellen Gewalt betreffen, sowie die Handlungen der türkischen Streitkräfte, die rein militärischer Natur sind (OIRT o.D.). Trotz des Anstiegs der Fallzahlen blieb die Institution bei politisch heiklen Fragen, welche die Grund- und Menschenrechte betreffen, stumm. Die Ombudsperson behandelt lediglich Be schwerden hinsichtlich des Vorgehens der öffentlichen Verwaltung (EC 8.11.2023, S. 15,29), insbesondere bei Menschenrechtsproblemen und Personalfragen. Entlassungen aufgrund von Notstandsdekreten fallen allerdings nicht in ihren Zuständigkeitsbereich (USDOS 22.4.2024, S.61). Die 2012 gegründete Menschenrechtsinstitution der Türkei (Insan Hakları Kurumu) wurde 2016 durch die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung (Human Rights and Equality Institution of Turkey - HREI; Insan Hakları ve Eşitlik Kurumu - TİHEK) ersetzt. Die Instituti on besteht aus elf Mitgliedern, die vom Staatspräsidenten bestimmt werden. Ihr kommt die Rolle des „ Nationalen Präventionsmechanismus“ (NPM) gemäß OPCAT zu. Menschenrechts organisationen werfen der Institution fehlende Unabhängigkeit vor (AA 20.5.2024, S. 6). Die HREI/TİHEK ergriff beispielsweise keine wirksamen Maßnahmen gegen Misshandlungen und Folter, die von Regierungsmitarbeitern begangen wurden, trotz ihres Auftrages, vorbeugende Maßnahmen gegen Misshandlung und Folter zu ergreifen. Laut Informationen des niederländi schen Außenministeriums erhielten Gefängnisinsassen auf Beschwerden bei der HREI/TİHEK lediglich eine Empfangsbestätigung, ohne dass eine Folgemeldung darauf hinwies, dass der Inhalt der Beschwerde bearbeitet wurde (MBZ 2.3.2022, S. 33). 121

Die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei (HREI alias TİHEK) und die Ombudsperson sind die wichtigsten Menschenrechtsinstitutionen (EC 8.11.2023, S.29f.). Aller dings bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der operativen, strukturellen und finanziellen Unabhängigkeit der beiden Institutionen und der Ernennung ihrer Mitglieder (EC 30.10.2024, S. 30). Die Effizienz der beiden Einrichtungen bleibt eingeschränkt. Die HREI wurde im Oktober 2022 mit einem B-Status bei der Global Alliance for National Human Rights Institutions akkredi tiert (EC 8.11.2023, S.29f.). Das Anti-Folter-Komitee (CAT) der Vereinten Nationen brachte im August 2024 seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass es der HREI an Diversität mangelt, einschließlich einer angemessenen Vertretung der Geschlechter unter den Mitgliedern des Ver waltungsrats, und dass der HREI nicht unabhängig von der Exekutive ist, da alle Mitglieder des Verwaltungsrats, einschließlich des Vorsitzenden, vom Präsidenten ernannt werden. Das CAT war besorgt darüber, dass die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei bei ihrer Arbeit als nationaler Präventionsmechanismus angeblich zurückhaltend war, über Fälle von Folter und Misshandlung zu berichten (CAT 14.8.2024, S. 3). Auch der Menschenrechtsaus schuss der Vereinten Nationen zeigte sich Ende November 2024 wegen Berichten hinsichtlich der mangelnden Unabhängigkeit des HREI von der Exekutive und der fehlenden Vielfalt in Be zug auf die HREI-Mitglieder besorgt und empfahl der Türkei eindrücklich die diesbezüglichen Defizite gemäß den Pariser Grundsätzen zu beheben (UNHRCOM 28.11.2024, S. 2f.) Einige HREI-Mitglieder zeigten in jüngster Vergangenheit sogar eine negative Haltung gegen über den grundlegenden Menschenrechten, einschließlich der Gleichstellung der Geschlechter, der Rechte der Frauen und der Rechte von sexuellen Minderheiten. Zudem sprachen sie sich seinerzeit für den Austritt aus der Istanbul-Konvention aus. All dies widerspricht den erklärten Zielen dieser Institution (EC 19.10.2021, S. 29). Die HREI führt in ihrer Rolle als Nationaler Präventionsmechanismus (NPM) Gefängnisbesuche durch, hat aber keine festen und unabhängigen Kriterien für angekündigte Besuche. Bei einigen Besuchen kam es nur zu Kontakten mit der Verwaltung, nicht aber zu Gesprächen mit Häftlingen. Die HREI hat nicht alle der Gefängnisse besucht, in denen die meisten Menschenrechtsverlet zungen vermutet werden, oder dies geschah mit erheblicher Verzögerung (EC 8.11.2023, S.30). D. h., die von HREI durchgeführten Gefängnisbesuche bleiben unwirksam (EC 30.10.2024, S. 30). Die Empfehlungen befassen sich hauptsächlich mit geringfügigen Problemen und ent halten keine konkreten Aussagen zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Die HREI blieb aufgrund gesetzlicher und struktureller Beschränkungen weitgehend ineffektiv, u. a. dadurch, dass sie Anträge von Organisationen der Zivilgesellschaft nicht akzeptierte und bei Fällen von Folter und Misshandlung übermäßig zurückhaltend war (EC 8.11.2023, S.30). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file /local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_ der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich] ■ CAT - UN Committee Against Torture (14.8.2024): Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, Concluding observations on the fifth periodic 122
