2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-tuerkei-version-10-d827
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
■ FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Turkey, https://freedomhouse.org/c ountry/turkey/freedom-world/2023, Zugriff 28.4.2023 ■ GfbV - Gesellschaft für bedrohte Völker (o.D.): Aleviten, https://www.gfbv.de/de/informieren/theme n/nahost/voelker/aleviten, Zugriff 10.9.2024 ■ HDN - Hürriyet Daily News (8.8.2022): Special team assigned over cemevi head attack, https: //www.hurriyetdailynews.com/special-team-assigned-over-cemevi-head-attack-175942 , Zugriff 5.12.2023 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (2.2025a): Algemeen ambtsbericht Turkije, https://www.ecoi.net/de/dokument/2122226.html, Zugriff 13.3.2025 ■ MRG - Minority Rights Group (6.2018a): Alevis - Minority Rights Group, https://minorityrights.org/m inorities/alevis, Zugriff 4.12.2023 ■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB An kara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025 ■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (28.12.2023): Asylländerbericht zur Tür kei, Dezember 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102906/TUER_ÖB Bericht_2023_12_28.pdf, Zugriff 8.1.2024 [Login erforderlich] ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (3.2025): United States Commission on International Religious Freedom 2025 Annual Report, https://www.ecoi.net/ en/file/local/2124284/Nigeria 2025 USCIRF Annual Report.pdf, Zugriff 5.6.2025 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (5.2024): United States Commission on International Religious Freedom 2024 Annual Report; USCIRF–Recommen ded for Special Watch List; Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2111600/Turkey.pdf , Zugriff 5.9.2024 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (5.2023): United States Commission on International Religious Freedom 2023 Annual Report; USCIRF–Recommen ded for Special Watchlist: Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2092561/Turkey.pdf , Zugriff 30.11.2023 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (12.2022): Charges for Blasphemy and „ Insulting Religious Values“, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2022-12/ 2022 Turkey Charges for Blasphemy and Insulting Religious Values v2.pdf, Zugriff 29.11.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International Reli gious Freedom: Turkey (Türkiye), https://www.ecoi.net/de/dokument/2111578.html, Zugriff 6.8.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Re ligious Freedom: Turkey (Türkiye), https://www.ecoi.net/de/dokument/2091933.html , Zugriff 28.11.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Reli gious Freedom: Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051585.html, Zugriff 29.11.2023 17.2 Christen und Juden Letzte Änderung 2025-08-06 13:34 Die Türkei schränkt den Anwendungsbereich des Lausanner Vertrages von 1923 auf drei eth nisch-religiöse Minderheitengruppen ein (ÖB Ankara 4.2025, S.30). Zudem greift der Staat stark in die Angelegenheiten der drei nicht-islamischen, sogenannten „ Lausanner“ Religionsgemein schaften ein. Das Innenministerium genehmigt die Wahl des jeweiligen Gemeinschaftsober haupts und beansprucht dabei ein Veto-Recht. Oberhäupter und Klerus (sowie Wahlgremien) der drei „ Lausanner“ Gemeinschaften müssen türkische Staatsangehörige sein. 2011 wurde die Einbürgerungspraxis für die Betroffenen allerdings vereinfacht (BMZ/AA 22.11.2023, S.153). An dere christliche Minderheiten, wie Protestanten, Römisch-Katholische oder Syrisch-Orthodoxe, sind ohne Status (ÖB Ankara 4.2025, S. 31). Neue Vorschriften schränken die Stiftungen religiöser Minderheiten ein. - So müssen Personen, die für das Leitungsgremium einer Minderheitenstiftung kandidieren, schon mindestens sechs 240

Monate in einem bestimmten Gebiet gewohnt haben, unabhängig davon, ob dort überhaupt andere Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft leben. Z. B. haben die griechisch-orthodoxen Gemeinden zum Teil nur wenige Wähler und erreichen nicht die Vorgaben der neuen Wahl ordnung. Damit können sie kein eigenes Leitungsgremium einsetzen und müssen ihre Stiftung notgedrungen aufgeben. Assyrische und jüdische Gemeinden stehen vor demselben Problem, weil ihre Stiftungen nicht am gleichen Ort wie die Gemeinden angesiedelt sind. Die fehlenden Ausbildungsstätten für Priester sind ein weiteres großes Problem aller christlichen Glaubens gemeinschaften in der Türkei (ACN 2023). Diese Entwicklungen verursachen bei Angehörigen der christlichen Minderheiten ein Gefühl permanenter Unsicherheit und der Bedrohung. Sie verstärken zudem die Befürchtung, dass der Raum für christliche Religionsgemeinschaften in der Türkei weiter schrumpft (Christen machen weniger als 1 % der Bevölkerung aus) (ÖB Ankara 4.2025, S.36). Nicht-sunnitische Personen haben in der Praxis erschwerten Zugang zu einer Laufbahn im öffentlichen Dienst (BMZ/AA 22.11.2023, S.153). Der Zugang zu Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, dem Sicherheitsapparat des Staates und den Ordnungskräften wird Christen verwehrt, ebenso wie Beförderungen in der Armee. Generell haben Christen nur begrenzten Zugang zu ei ner Anstellung im öffentlichen Dienst; und in der privaten Wirtschaft erfahren sie Diskriminierung, insbesondere wenn Arbeitgeber Verbindungen zur Regierung unterhalten. Die Religionszuge hörigkeit wird auf den neuen Ausweisen zwar nicht mehr sichtbar angezeigt, sie wird aber weiterhin auf dem Chip in der Karte registriert. Somit ist es ein Leichtes, christliche Bewerber zu diskriminieren (OpD 1.2024, S. 7, 39). Nach einem Beschluss des türkischen Hochschulrates von 1990 sind nur Kinder aus christlichen und jüdischen Familien vom islamischen Religionsunterricht befreit. Das Recht auf Befreiung kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Religionszugehörigkeit im Bevöl kerungsregister offengelegt wird. Die Angabe hierzu ist somit obligatorisch. Die wesentlichen Grundsätze und Praktiken des Christentums und des Judentums sind zwar im Lehrbuch der 11. Klasse weitgehend enthalten, doch beruhen diese, nicht zuletzt infolge einer Interpretation aus islamischer Sicht, nach Ansicht von christlichen und jüdischen Theologen auf Ungenau igkeiten und sind mit den grundlegenden Lehren des Christentums und des Judentums nicht vereinbar (NHC-FBI 19.4.2022, S. 56f). Es kommt immer noch zu Vandalenakten gegen religiöse Stätten. Obwohl viele Angriffe auf Friedhöfe in der Türkei offenbar das Werk nicht-staatlicher Akteure sind, ist auch die türkische Regierung in die Zerstörung von Grabstätten religiöser Minderheiten verwickelt. Darüber hinaus gelingt es den Behörden oft nicht, nicht-staatliche Akteure, die für diese Taten verantwortlich sind, zu fassen oder strafrechtlich zu verfolgen, wodurch ein Klima der Straflosigkeit entsteht. Ebenso versäumt es die türkische Regierung häufig, Bauprojekte zu stoppen, die Friedhöfe bedrohen (USCIRF 12.2021, S. 2f.). [Anm.: zum Punkt Konversion, siehe Kapitel Religionsfreiheit und religiöse Minderheiten.] Christen 241

Es gibt etwa 165.000 Christen verschiedener Konfessionen, darunter vor allem armenisch-apos tolische Orthodoxe, syrisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen und Protestanten (diese Zahlen schließen russische und ukrainische Orthodoxe aus, die seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 Berichten zufolge in großer Zahl in die Türkei gezogen sind). Kleinere christliche Gemeinschaften sind griechisch-orthodoxe Christen, Zeugen Jehovas, armenisch-katholische Christen und chaldäische Christen (DFAT 16.5.2025, S. 15). Die zunehmende Islamisierung des Landes unter Präsident Erdoğan hat für christliche Gläu bige eine Reihe von Einschränkungen und Formen struktureller Diskriminierung bewirkt, die verschiedene Gruppen auf unterschiedliche Weise betreffen. Der überwiegende Teil der christli chen Gemeinden befinden sich in den Städten an der Westküste, wo eine moderate, säkularere Atmosphäre herrscht, während die Mehrheitsgesellschaft im eher konservativ, islamisch gepräg ten Landesinneren Christen sowie christlichen Konvertiten feindseliger gegenübersteht. Dem höchsten Druck sind christliche Gruppen im Südosten der Türkei ausgesetzt, wo sie seit Jahr zehnten Opfer des Konflikts zwischen der Armee und kurdisch-nationalistischen Gruppen sind (BAMF 4.11.2024c, S. 3). Der in der Gesellschaft sehr stark ausgeprägte religiöse Nationalismus übt einen großen Druck auf die Christen aus. Nationalismus und Islam sind in der Türkei untrennbar miteinander verbun den. Wer kein Muslim oder sogar Konvertit ist, beziehungsweise wer einen von der Mehrheitsre ligion abweichenden Glauben offen zum Ausdruck bringt, wird nicht als loyaler Türke angesehen. Das gilt sowohl für Konvertiten mit muslimischem Hintergrund als auch für Christen, die meist einer nationalen Minderheit, beispielsweise Griechen, Syriakische Christen [Anm.: Aramäer und Assyrer] oder Armenier (OpD 1.2024, S. 6, 33; vgl. EC 30.10.2024, S.35) Aleviten oder Juden angehören (EC 30.10.2024, S.35). Bedrohungen und auch Gewalt gegen Angehörige christlicher Minderheiten finden, wenn auch nicht in verbreitetem Ausmaß, so doch regelmäßig statt. Nach wie vor werden auch Pries ter, Ordensleute, Kirchen und Klöster der in der Türkei verbliebenen christlichen Minderheiten drangsaliert oder bedroht (ÖB Ankara 4.2025, S.33f.). Nebst dem Terroranschlag auf die Ma rienkirche in Istanbul durch den IS-Khorasan Provinz im Jänner 2024 mit einem Todesopfer - siehe: Sicherheitslage / Terroristische Gruppierungen: sog. IS – Islamischer Staat (alias Daesh) / Islamischer Staat – Provinz Khorasan (ISKP) - eröffnete ein Bewaffneter in der Silvesternacht 2024 das Feuer auf das Gebäude eines Vereins, der mit der Kurtuluş-Kirche im Istanbuler Stadtteil Çekmeköy verbunden ist, und rief dabei offenbar Slogans, die auf religiöse Intoleranz hindeuten. Laut Medienberichten schrie er: „ Wir werden nicht zulassen, dass ihr unsere musli mische Jugend einer Gehirnwäsche unterzieht! Ihr Ungläubigen werdet besiegt und in die Hölle getrieben werden!“ Dem Verein widerfuhren schon zuvor ähnliche Übergriffe (SCF 2.1.2025; vgl. Haberler 1.1.2025). Nebst Übergriffen nicht-staatlicher Akteure werden auch Übergriffe und Verhaftungen von Religionsvertretern und Übergriffe gegen Einrichtungen vermeldet. Mitunter werden Verletzungen von Besitzrechten im Zuge von Bauprojekten offiziell geduldet (ÖB Ankara 30.11.2021, S. 25; vgl. USCIRF 4.2020). So wurde der Bau eines Geschäftskomplexes auf dem Areal eines armenisch-katholischen Friedhofs in Ankara ungeachtet von Protesten auch der dortigen Architektenkammer gestattet (ÖB Ankara 30.11.2021, S. 25). Positive Entwicklungen 242

waren die Einweihung der syrisch-orthodoxen Kirche Mor Ephrem am 8.10.2023 in Istanbul, des ersten Kirchenneubaus seit Gründung der Republik Türkei 1923, die Renovierung und Weihe der armenisch-orthodoxen Kirche Üç Horan am 29.8.2021 in Malatya (ÖB Ankara 4.2025, S. 36; vgl. USCIRF 5.2024, S. 71) und die Ankündigung der Reparatur der vom Erdbeben beschä digten griechisch-orthodoxen St. Georg-Kirche in Antakya (USCIRF 5.2024, S. 71) sowie die beginnende Renovierung der armenischen Kirche Surp Sarkis in Diyarbakır im Frühjahr 2024 (USCIRF 3.2025, S. 66; vgl. AnA 30.5.2024). Es kommt weiterhin zu Hassverbrechen und Hassreden gegen Christen und Juden (EC 8.11.2023, S. 33; vgl. EC 30.10.2024, S. 35). Antisemitische und antichristliche Ressentiments gehören nicht nur in der (regierungsnahen) Boulevardpresse und in sozialen Medien zum Standardrepertoire. Auch hochrangige Politiker und Politikerinnen bis in die Staatsspitze und die Führung der Opposition greifen in ihren öffentlichen Äußerungen gelegentlich auf antisemiti sche bzw. antiarmenische Verschwörungstheorien zurück (BMZ/AA 22.11.2023, S. 154). Im Mai 2021 beispielsweise verwendete der türkische Präsident Erdğan in einer Fernsehansprache ebenfalls antisemitische Formulierungen (USCIRF 4.2022, S. 62). Die COVID-19-Pandemie hatte zusätzlich zu einer Zunahme von Antisemitismus und antisemitischer Rhetorik in der Türkei geführt. Im März 2021 wurde das Tor der historischen Kasturya-Synagoge in Istanbul in Brand gesetzt (USCIRF 12.2021, S. 4) und Mitte Juli 2022 verwüsteten unbekannte Täter jüdische Gräber auf dem Hasköy-Friedhof in Beyoğlu, Istanbul. Nach Angaben der Stiftung des Oberrabbinats der Türkei wurden bei dem Anschlag sechsunddreißig Grabsteine beschädigt (Bianet 15.7.2022). Die Behörden gehen in letzter Zeit verstärkt gegen evangelikale Prediger und deren Familien vor. Seit 2019 mussten über 200 Prediger und ihre Angehörigen die Türkei verlassen (Stand: Au gust 2022). Während immer wieder ausländische Protestanten des Landes verwiesen werden, werden in den meisten Fällen die Aufenthaltstitel der Betroffenen selbst nach jahrzehntelan gem Aufenthalt im Land nicht mehr verlängert. Anderen wird die Wiedereinreise nach einem Auslandsaufenthalt verwehrt. Der Vorwurf lautet, dass sie als Missionare die öffentliche Sicher heit gefährden würden. Die Begründung, missionarische Tätigkeiten würden eine Gefahr der öffentlichen Sicherheit darstellen, wird auch vom Verfassungsgericht bestätigt. Grundlage sind in vielen Fällen Berichte des türkischen Geheimdienstes MİT. Diese können jedoch auch bei Gericht nicht eingesehen werden, sodass unklar ist, worauf sich die Vorwürfe stützen (ÖB An kara 4.2025, S. 34; vgl. AlMon 23.3.2022). Die Protestanten hatten weiterhin Probleme mit der offiziellen Anerkennung ihrer Gotteshäuser (EC 8.11.2023, S. 33). Juden In der Türkei leben schätzungsweise 16.000 bis 17.000 Juden. Die Besorgnis über Antisemitis mus in der Türkei hat zugenommen, insbesondere nach den Terroranschlägen der Hamas vom 7.10.2023 und dem darauf folgenden Krieg zwischen Israel und der Hamas. Zu den Vorfällen im Jahr 2023 gehörten beispielsweise ein Taxifahrer, der sich weigerte, jüdische Fahrgäste zu befördern, ein Buchhändler, der ein Schild mit der Aufschrift „ Keine Juden erlaubt“ in seinem Schaufenster aufhängte, und die Verwüstung der Etz Hayim-Synagoge in Izmir (DFAT 16.5.2025, 243

S. 17; vgl. Algemeiner 27.10.2023). Am 17.10.2023 griff die regierungsnahe islamistische Tages zeitung Yeni Akit die jüdischen Türken mit der Schlagzeile „ Deportiert die zionistischen Diener aus der Staatsbürgerschaft“ auf ihrer Titelseite an. Yeni Akit behauptete, jüdische Türken seien „ von Natur aus Bürger Israels“ und warf ihnen vor, in den jüdischen Staat zu reisen, um sich an dessen Kriegsbemühungen zu beteiligen. Am folgenden Tag titelte die regierungsnahe Tages zeitung Yeni Şafak auf ihrer Titelseite: „ Dieser Terrorstaat muss zerstört werden“ (Algemeiner 27.10.2023). Die türkisch-jüdische Gemeinde hat ihre Besorgnis über antisemitische Äußerun gen in den Medien und von hochrangigen Regierungsvertretern zum Ausdruck gebracht (DFAT 16.5.2025, S. 17). Während jüdische Gemeinden in Istanbul und Ankara ihre Dankbarkeit für den Polizeischutz bei ihren Gottesdiensten zum Ausdruck brachten, haben die hetzerischen Äußerungen politischer Führer über Israel, darunter auch Verfälschungen des Holocaust, an historische antisemitische Narrative angeknüpft und zu einer Stimmung in der Bevölkerung gegen Juden beigetragen (USCIRF 3.2025, S. 67). Prangerte Staatspräsident Erdoğan den Antisemitismus als „ Verbrechen gegen die Mensch lichkeit“ vor US-amerikanischen Juden am selben Tag seines Treffens mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu an (Haaretz 21.9.2023), so änderte sich das ab dem 7.10.2023 radikal. - Erdoğan hat seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem darauffolgenden Gaza-Krieg mehrfach für Irritationen und Empörung gesorgt. Erdogan rügte den israelischen „ Faschismus“ und zweifelte Existenzrecht des Staates Israel offen an, den er wörtlich auch als Terrorstaat titulierte, der in Gaza einen Genozid verübe (MM 17.11.2023; vgl. AnA 22.11.2023). Mit der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hamas erlebt die Türkei einen beunruhigenden Anstieg antisemitischer Äußerungen, die vor allem durch die Medienberichterstattung und den politischen Diskurs verschärft werden, die u. a. Adolf Hitler und die Nazi-Ideologie verherrlichen (DW 26.10.2023; vgl. FAZ 26.10.2023, USCIRF 5.2024, S. 70). Die jüdische Gemeinde in der Türkei hat angesichts des anhaltenden Konflikts zwischen Israel und der Hamas ihre Besorgnis über den zunehmenden Antisemitismus zum Ausdruck gebracht. Karel Valansi, Kolumnist u. a. für die türkisch-jüdische Zeitung Şalom, erklärte gegenüber der Deutschen Welle, dass Juden in der Türkei zunehmend mit der israelischen Politik in Verbindung gebracht werden. In der Wahrnehmung, so Valansi, werden Juden völlig aus der Position von Bürgern der Türkei entfernt und zu Botschaftern und zum verlängerten Arm Israels gemacht, und die Wut gegen diesen Staat richtet sich dann gegen türkische Juden (DW 26.10.2023). Um kein Aufsehen zu erregen, hat die türkisch-jüdische Gemeinschaft beispielsweise das jüdische Chanukka-Fest seit dem 7.10.2023 nicht mehr öffentlich gefeiert (MBZ 2.2025a, S. 73). Quellen ■ ACN - Kirche in Not (2023): Türkei Report 2023, https://acninternational.org/religiousfreedomreport/ de/berichte/land/2023/turkei, Zugriff 6.12.2024 244

■ Algemeiner - Algemeiner, The (27.10.2023): Jews Not Allowed: Nazi-Style Sign at Istanbul Store Signals Rising Antisemitism in Turkey - Algemeiner.com, https://www.algemeiner.com/2023/10/27/ jews-not-allowed-nazi-style-sign-istanbul-store-signals-rising-antisemitism-turkey , Zugriff 5.6.2025 ■ AlMon - Al Monitor (23.3.2022): Wave of expulsions shakes Turkey’s tiny Protestant community, https://www.al-monitor.com/originals/2022/03/wave-expulsions-shakes-turkeys-tiny-protestant-c ommunity, Zugriff 14.12.2023 ■ AnA - Anadolu Agency (30.5.2024): Renovation to begin at 500-year-old Armenian church in south eastern Türkiye, https://www.aa.com.tr/en/culture/renovation-to-begin-at-500-year-old-armenian-c hurch-in-southeastern-turkiye/3235709 , Zugriff 12.6.2025 ■ AnA - Anadolu Agency (22.11.2023): Israel’s ’occupier terrorism’ in Gaza are crimes against humanity, constitute ’genocide,’ says Turkish President Erdogan, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/israel s-occupier-terrorism-in-gaza-are-crimes-against-humanity-constitute-genocide-says-turkish-presi dent-erdogan/3061601, Zugriff 14.12.2023 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (4.11.2024c): Länderkurzinformation: Türkei - Religiöse und ethnische Minderheiten, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderkurzinformationen/2024/laenderkurzinfo-tuerkei-10-24-religion. pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 21.11.2024 ■ Bianet - Bianet (15.7.2022): Jewish cemetery in İstanbul vandalized, https://bianet.org/english/relig ion/264534-jewish-cemetery-in-istanbul-vandalized , Zugriff 13.12.2023 ■ BMZ/AA - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland], Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2023): Dritter Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit (Berichtszeitraum 2020 bis 2022), https://religionsfreiheit.bmz.de/resourc e/blob/190798/dritter-religions-und-weltanschauungsfreiheitsbericht.pdf , Zugriff 24.11.2023 ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.5.2025): DFAT Country Information Report; Türkiye, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 21.5.2025 ■ DW - Deutsche Welle (26.10.2023): Antisemitism rises in Turkey during Israel-Hamas war, https: //www.dw.com/en/turkey-sees-rise-in-antisemitism-during-israel-hamas-war/a-67212781 , Zugriff 14.12.2023 ■ EC - Europäische Kommission (30.10.2024): Türkiye 2024 Report [SWD(2024) 696 final], ht tps://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/document/download/8010c4db-6ef8-4c85-aa06- 814408921c89_en?filename=Türkiye Report 2024.pdf, Zugriff 5.11.2024 ■ EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https:// neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023 ■ FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.10.2023): [Mumay, Bülent] Recep Erdogans Türkei und der Antisemitismus: Einblicke aus Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/brief-aus-istanbul/ recep-erdo-ans-tuerkei-und-der-antisemitismus-einblicke-aus-istanbul-19267494-p3.html , Zugriff 14.12.2023 ■ Haaretz - Haaretz (21.9.2023): Turkish President Erdogan denounced antisemitism as ’crime against humanity’ to U.S. Jews, https://www.haaretz.com/middle-east-news/2023-09-21/ty-article/.premiu m/turkish-president-erdogan-denounced-antisemitism-as-crime-against-humanity-to-u-s-jews/00 00018a-b7e3-d383-a3da-fffb7c220000?lts=1702548116574 , Zugriff 14.12.2023 [kostenpflichtig, Login erforderlich] ■ Haberler - Haberler (1.1.2025): Armed attack on a church in Istanbul on New Year’s Eve., https: //en.haberler.com/armed-attack-on-a-church-in-istanbul-on-new-year-s-2034433 , Zugriff 15.1.2025 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (2.2025a): Algemeen ambtsbericht Turkije, https://www.ecoi.net/de/dokument/2122226.html, Zugriff 13.3.2025 ■ MM - Münchner Merkur (17.11.2023): Erdogans sechs erschreckendste Aussagen zum Krieg in Israel – Was setzt Scholz entgegen?, https://www.merkur.de/politik/erdogan-israel-scholz-antisemit ismus-hamas-freiheitskaempfer-einordnung-besuch-92681004.html , Zugriff 14.12.2023 ■ NHC-FBI - Norwegian Helsinki Committee’s Freedom of Belief Initiative (19.4.2022): An Appeal to Move Forward from Aspirations to Actions - Monitoring Report on the Right to Freedom of Religion or Belief in Turkey, https://inancozgurlugugirisimi.org/wp-content/uploads/2022/04/iog-monitoring-r eport-on-forb-2022-en.pdf , Zugriff 29.11.2023 ■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB An kara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025 245

■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_ÖB-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 9.1.2024 [Login erforderlich] ■ OpD - Open Doors (1.2024): Turkey: Full Country Dossier, https://www.opendoors.de/sites/default/f iles/country_dossier/turkey_wwl_2024_country_dossier.pdf, Zugriff 12.6.2025 ■ SCF - Stockholm Center for Freedom (2.1.2025): Gunman fires on Christian association in İstanbul - Stockholm Center for Freedom, https://stockholmcf.org/gunman-fires-on-christian-association-in-i stanbul, Zugriff 15.1.2025 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (3.2025): United States Commission on International Religious Freedom 2025 Annual Report, https://www.ecoi.net/ en/file/local/2124284/Nigeria 2025 USCIRF Annual Report.pdf, Zugriff 5.6.2025 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (5.2024): United States Commission on International Religious Freedom 2024 Annual Report; USCIRF–Recommen ded for Special Watch List; Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2111600/Turkey.pdf , Zugriff 5.9.2024 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): Annual Report 2022, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2022-04/2022 USCIRF Annual Report_1.pdf, Zugriff 13.12.2023 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (12.2021): Update: Turkey; Religious Freedom in Turkey in 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069569/2021 Turkey Country Update.pdf, Zugriff 13.12.2023 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF – Recom mended for Special Watch List: Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028978/Turkey.pdf , Zugriff 14.12.2023 17.3 Atheisten, Agnostiker und andere nicht-religiöse Personengruppen Letzte Änderung 2025-08-06 13:32 Eine Umfrage des Konda-Instituts vom Oktober 2024 zeigte, dass seit 2008 der Prozentsatz der Atheisten und Nicht-Gläubigen von 2 % auf 8 % gestiegen ist (TM 30.5.2025). Und 2022 sahen sich laut Konda 12,4 % der Teenager als ungläubig oder gleich als Atheisten (TA 27.9.2024). Zwar haben Atheisten das Recht, ihre Überzeugungen frei zu äußern, und einige tun dies auch aktiv online und in den Medien, doch werden Atheisten häufig von religiösen Türken kritisiert und beschimpft (DFAT 16.5.2025, S. 18). Hasstiraden und Beleidigungen gegen Atheisten und De isten gingen laut Europäischer Kommission auch 2023 weiter (EC 8.11.2023, S. 33). - Atheisten, Agnostiker und Deisten werden am Arbeitsplatz, in der Familie und im Bildungssystem in ihrem Recht auf Gedanken- und Glaubensfreiheit diskriminiert. Wer sich kritisch über Religion oder Glauben im Allgemeinen oder über bestimmte Auslegungen, insbesondere des Islams, äußert, muss mit einer Anzeige rechnen und läuft Gefahr, nach dem türkischen Strafgesetzbuch verfolgt zu werden. Dies geschieht insbesondere nach Artikel 216/3: „ öffentliche Herabsetzung der reli giösen Werte eines Teils der Bevölkerung“. Umgekehrt wird Artikel 216/3 nicht angewandt, um diese Minderheiten vor hasserfüllten oder verleumderischen Äußerungen zu schützen (NHC-FBI 19.4.2022, S. 6; vgl. DFAT 16.5.2025, S. 18). Am 23.10.2020 hielt der Leiter der staatlichen Religionsbehörde (DIYNET), Ali Erbaş, eine Rede anlässlich der Eröffnung einer Moschee in Patnos/Ağrı durch Staatspräsident Erdoğan. Darin richtete Erbaş sich gegen die Ungläubigen und sagte: „ Von Menschen, die nicht an das Leben nach dem Tod glauben, wird alles Böse erwartet“. Die Vereinigung der Atheisten in der 246

Türkei reagierte mit einer Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul wegen offener Beleidigung nicht-gläubiger Bürger (AD 6.12.2020). Unbeeindruckt von der Klage verkündigte Erbaş Ende März 2021: „ Schützen wir unsere Kinder vor anderen Ideologien als dem Islam und verschiedenen Organisationen und Strukturen, die Unglauben, Atheismus, Deismus und Zoroastrismus fördern. Wir würden eine Sünde begehen, wenn wir sie nicht schützen würden“ (Duvar 29.3.2021). Die Türkische Atheismus Vereinigung berichtet, dass der Begriff „Atheist“ als Beleidigung ver wendet oder mit Satanismus oder Terrorismus gleichgesetzt wird. Die potenzielle Diskriminierung am Arbeitsplatz führt dazu, dass sich nicht-religiöse Menschen nicht als solche zu erkennen geben. Im Jahr 2020 reichte die Vereinigung zwei einschlägige Klagen ein, die durch abfällige Äußerungen gegen Atheisten ausgelöst wurden, darunter gegen einen Lehrer, der seinen Schü lern beibrachte, dass „ [A]theismus einen zu einer bösartigen Person macht. Atheismus führt zu Satanismus. Atheismus führt dazu, Tiere zu quälen. Atheismus führt dazu, Selbstmord zu begehen“, und gegen die Zeitung Yeni Akit, die einen Artikel veröffentlichte, indem behauptet wurde, Atheisten seien potenzielle Serienmörder (HumInt 28.10.2022). Nicht-religiöse Personen geraten in Konflikt mit den Behörden, wenn sie Religionskritik üben. - Im September 2022 beispielsweise, leiteten die Behörden eine Untersuchung gegen einen Gelehrten und Atheisten ein, der die Existenz bestimmter religiöser Figuren als „ Märchen“ be zeichnete. Eine weitere Person wurde wegen Aufwiegelung angeklagt, nachdem er während des heiligen Monats Ramadan ein Foto von sich und anderen beim Trinken von Alkohol mit der Bildunterschrift „ Möge der Herr es annehmen“ postete (USCIRF 5.2023, S. 67). Ein Bericht über eine Umfrage zur Polarisierung in der Türkei, die von KONDA, einem For schungs- und Beratungsunternehmen in der Türkei 2019 durchgeführt wurde, ergab, dass der Anteil der Atheisten, die der Meinung sind, dass ihre Rechte als Bürger angemessen gewahrt werden, nur bei 7 % lag. 63 % der Atheisten fühlten sich als Bürger zweiter Klasse behandelt, und 69% stimmten der Aussage zu, sich wie ein Ausländer im eigenen Land zu fühlen. Umgekehrt ergab eine Umfrage des Center for American Progress (CAP) und des türkischen Meinungsfor schungsinstituts Metropoll im Oktober 2019, dass 32 % Prozent der Türken Deismus/Atheismus als gefährlicher als religiösen Extremismus betrachteten (IRB 25.11.2021). Atheistische und agnostische Schüler, aber auch Deisten können sich nicht vom obligatorischen (sunnitischen) Religionsunterricht m Fach „ Religiöse Kultur und Ethik“ befreien lassen (MBZ 2.2025a, S. 68; vgl. NHC-FBI 19.4.2022, S. 6, DFAT 16.5.2025, S. 18). In türkischen Grund- und Sekundarschulen ist Religion ein Pflichtfach (MBZ 2.2025a, S. 68) Quellen ■ AD - Ateizm Derneği [Atheismus Vereinigung] (6.12.2020): Criminal Complaint, https://www.ateizm dernegi.org.tr/blog/2020/12/06/criminal-complaint/, Zugriff 8.1.2024 ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.5.2025): DFAT Country Information Report; Türkiye, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 21.5.2025 247

■ Duvar - Duvar (29.3.2021): Children must be protected from ideologies other than Islam: Turkey’s top religious body, https://www.duvarenglish.com/children-must-be-protected-from-ideologies-oth er-than-islam-turkeys-top-religious-body-news-56839 , Zugriff 8.1.2024 ■ EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https:// neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023 ■ HumInt - Humanists International (28.10.2022): Turkey - Freedom of Thought Report, https://fot.hu manists.international/countries/asia-western-asia/turkey, Zugriff 2.12.2024 ■ IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (25.11.2021): Turkey: Treatment of atheists by society and the authorities, particularly in Istanbul; whether socio-religious groups that support the government serve as informants to report the religious practices of citizens (2019–November 2021) [TUR200821.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2071668.html, Zugriff 2.12.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (2.2025a): Algemeen ambtsbericht Turkije, https://www.ecoi.net/de/dokument/2122226.html, Zugriff 13.3.2025 ■ NHC-FBI - Norwegian Helsinki Committee’s Freedom of Belief Initiative (19.4.2022): An Appeal to Move Forward from Aspirations to Actions - Monitoring Report on the Right to Freedom of Religion or Belief in Turkey, https://inancozgurlugugirisimi.org/wp-content/uploads/2022/04/iog-monitoring-r eport-on-forb-2022-en.pdf , Zugriff 29.11.2023 ■ TA - Tagesanzeiger (27.9.2024): Türkei und Religion: Jugend zweifelt immer mehr am Islam, https:// www.tagesanzeiger.ch/tuerkei-und-religion-jugend-zweifelt-immer-mehr-am-islam-557445609401 , Zugriff 13.3.2025 ■ TM - Turkish Minute (30.5.2025): More Turks identify as nonbelievers, fewer as devout, new survey reveals - Turkish Minute, https://www.turkishminute.com/2025/05/30/more-turks-identify-as-nonbeli evers-fewer-as-devout-new-survey-reveals , Zugriff 4.6.2025 ■ USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (5.2023): United States Commission on International Religious Freedom 2023 Annual Report; USCIRF–Recommen ded for Special Watchlist: Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2092561/Turkey.pdf , Zugriff 30.11.2023 18 Ethnische Minderheiten Letzte Änderung 2025-08-06 13:34 Rechtslage und Rechtswirklichkeit Die kemalistische Ideologie sah die Türkei als ein Land mit einer einzigen ethnischen Identität. Die Assimilationspolitik, die die Sprache, Kultur und Identität ethnischer Minderheiten unter drückt, hat seit langem Ressentiments hervorgerufen, insbesondere unter den türkischen Kur den (DFAT 16.5.2025, S. 5). Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei, primär über die Religion definierten, nicht-muslimischen Gruppen, nämlich der Armenisch-Apostolischen und Griechisch-Orthodoxen Christen sowie der Juden (USDOS 22.4.2024, S.67; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 30, 39) sowie der Bulgaren aufgrund des Tür kisch-Bulgarischen Freundschaftsvertrages und der Assyrer aufgrund eines Gerichtsurteils (ÖB Ankara 4.2025, S. 39). Andere nationale oder ethnische Minderheiten wie Jafari [zumeist schiiti sche Aseris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (USDOS 22.4.2024, S.67; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 39). Allerdings wurden in den letzten Jahren Minderheiten in beschränktem Ausmaß kulturelle Rechte eingeräumt (ÖB Ankara 4.2025, S. 39). Dessen ungeachtet bedauerte der Menschrechtsausschuss der Vereinten Nationen Ende November 2024, dass die Türkei als Vertragsstaat des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (International 248

Covenant on Civil and Political Rights - ICCPR) ihren Vorbehalt zu Artikel 27 aufrechterhält und empfiehlt gleichzeitig, diesen Vorbehalt zurückzuziehen. Der Artikel 27 des Paktes garantiert die Rechte der ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten (UNHRCOM 28.11.2024, S. 2). - Staatsangehörige nicht-türkischer Volksgruppenzugehörigkeit sind keinen staatlichen Repres sionen aufgrund ihrer Abstammung unterworfen. Ausweispapiere enthalten keine Aussage zur ethnischen Zugehörigkeit (ÖB Ankara 4.2025, S. 39). Obwohl die Türkei über einige gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Rechte von Minderhei ten verfügt, bieten diese oft keinen umfassenden Schutz und gewährleisten keine Gleichstellung. Es besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Rechtsrahmen zur Verhinderung von Dis kriminierung und zum Schutz von Minderheitenrechten und deren praktischer Umsetzung. Die institutionellen Mechanismen sind ineffektiv. - Trotz der Einrichtung von Institutionen wie der Menschenrechts- und Gleichstellungsinstitution der Türkei (TİHEK) und der Ombudsmann-In stitution (KDK) ist ihre Wirksamkeit bei der Bekämpfung der Diskriminierung von Minderheiten nach wie vor begrenzt, da sie Probleme nur ungern direkt ansprechen. Beide Institutionen sind befugt, im Rahmen ihres Mandats Diskriminierungsbeschwerden von Minderheiten zu bearbei ten. Obwohl es keinen spezifischen Verweis auf „ Minderheit“ als identifizierenden Begriff gibt, können sie sich indirekt mit der Diskriminierung jeder Gruppe aufgrund von Geschlecht, Rasse, Sprache, Religion und ethnischer Zugehörigkeit befassen, wie im Gesetz zur TİHEK festgelegt. Die TİHEK könnte im Rahmen ihres Mandats auch Rechtsverletzungen gegen diese Gruppen überwachen und darüber Bericht erstatten. Bisher hat sie jedoch noch keine proaktiven Maß nahmen in dieser Hinsicht ergriffen. Trotz der Zuständigkeit beider Institutionen ist die Zahl der Anträge im Zusammenhang mit Minderheiten nach wie vor gering, was hauptsächlich auf die offensichtliche Zurückhaltung dieser Institutionen bei der Behandlung des Themas zurückzu führen ist. Zwischen 2018 und 2022 erließ die TİHEK von insgesamt 43 Entscheidungen eine einzige, die sich mit ethnischer Diskriminierung befasste. Diese Entscheidung betraf jedoch nicht in der Türkei lebende Minderheiten, sondern einen Flüchtling (MRG 29.4.2024, S. 3, 11). Demografie Schätzungsweise 70 bis 75 % der Bevölkerung sind ethnische Türken. Etwa 19 % sind Kur den, der Rest setzt sich aus verschiedenen kleinen ethnischen Minderheiten zusammen (DFAT 16.5.2025, S. 5). Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende eth nische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Roma (zwischen 2 und 5 Mio.), Tscherkessen (rund 2 Mio.), Bosniaken (bis zu 2 Mio.), Krim-Tataren (1 Mio.), Araber [ohne Flüchtlinge] (vor dem Syrienkrieg 800.000 bis 1 Mio.), Lasen (zwischen 50.000 und 500.000), Georgier (100.000) sowie Uiguren (rund 50.000) und andere Gruppen in kleiner und schwer zu bestimmender An zahl (AA 20.5.2024, S. 10). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (weniger als 20.000) und Assyrer (25.000) vorwiegend in Istanbul und ein kleinerer Teil hiervon (3.000) im Südosten (MRG 6.2018b). 249
