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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Die Unterstützung wiederholte sich auch angesichts der Präsidenten- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2023. - Bei den Parlamentswahlen 2023 zogen vier Abgeordnete der Hüda-Par über die Liste der AKP ins türkische Parlament ein. Möglich war das durch einen umfangreichen Deal mit Präsident Erdoğan. Für die vier sicheren Listenplätze erhielt dieser die Unterstützung der Hüda-Par bei den gleichzeitig stattfindenden Präsidentschaftswahlen (FR 19.5.2023; vgl. Duvar 9.6.2023). Die Hüda-Par gilt beispielsweise nicht nur als Gegnerin der Istanbuler Konvention, sondern generell der Frauenemanzipation. Die Frau ist für Hüda-Par in erster Linie Mutter. Die Partei möchte zudem außereheliche Beziehungen verbieten (FR 19.5.2023). Mit dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober 2023 stellte sich die Hüda-Par als Unterstützerin der HAMAS heraus, die in der EU, den USA und anderen Ländern, nicht jedoch in der Türkei, als Terror organisation gilt. So empfing die Parlamentsfraktion der Hüda-Par bereits am 11.10.2023 eine Delegation der HAMAS im türkischen Parlament. Şehzade Demir, Abgeordneter der Hüda-Par, warf bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, Israel nicht nur Kriegsverbrechen vor, sondern erklärte, dass „ das zionistische Regime der gesamten islamischen Gemeinschaft und unseren heiligen Werten den Krieg erklärt“ hätte (Duvar 12.10.2023). Zudem begrüßte Demir den HA MAS-Angriff vom 7.10.2023 und nannte Israel eine Terrororganisation, zu der alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen beendet werden sollten (FR 12.10.2023). Das Verhältnis zwischen der HDP bzw. der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Hüda-Par ist feindselig. Im Oktober 2014 kam es während der Kobanê-Proteste letztmalig zu Gewalttä tigkeiten zwischen PKK-Sympathisanten und Anhängern der Hüda-Par, wobei Dutzende von Menschen getötet wurden (MBZ 31.10.2019; vgl. AI 7.7.2015, S. 5). Religiöse und weltanschauliche Orientierung In religiöser Hinsicht sind die Kurden in der Türkei nicht einheitlich. Nach einer Schätzung sind siebzig Prozent der Kurden Sunniten, die restlichen dreißig Prozent sind Aleviten und Jesiden [eine verschwindend geringe Zahl] (MBZ 31.8.2023, S. 48; vgl. MRG 2.2024). Die sunnitische Mehrheit unter den Kurden gehört allerdings in der Regel der Shafi’i-Schule an und nicht der Hanafi-Schule wie die meisten ethnischen Türken. Die türkischen Religionsbehörden betrachten beide Schulen als gleichwertig, und Anhänger der Shafi’i-Schule werden aus religiösen Gründen nicht unterschiedlich behandelt (DFAT 16.5.2025, S. 12). Laut einer Studie des Kurdish Studies Center vom Dezember 2023 definieren sich Kurden als fromme Muslime und Libertäre (özgür lükçülük). Je niedriger das Alter, desto libertärer, und je höher das Alter, desto stärker ist die muslimisch-religiöse Identität. Der Frieden zwischen der Religion und liberalen (liberären) Wer ten zeichnet die kurdische Identität aus. 53,5 % der Kurden (Mehrfachantworten waren möglich) sahen sich als Muslime und weitere 24,8 % als religiös, während 28,1 % sich als libertär bzw. werteliberal sahen. 11,9 % definierten sich als konservativ, 11,5 % als sozialistisch, 9,9 % als kurdisch-nationalistisch, 9,2 % als Demokraten, 8,4 % als Verteidiger der kurdischen Rechte und 8,0 % als Sozialdemokraten, nebst weiteren Kategorien (KSC 12.2023, S. 7). Allgemeine Einschätzungen zur Lage der Kurden Die „ Kurdish Language Rights Monitoring and Reporting Platform“ verzeichnete in ihrem Jah resbericht für 2024 zu „ systematischen Verstößen gegen die kurdische Sprache und Kultur“ 109 255

Vorfälle - im Bereich von Kunst und Kultur: 27, im öffentlichen Raum: 53, im Bereich der Medien: 11 und in den Gefängnissen: 18. - Zu den Verstößen im Bereich von Kunst und Kultur zählten die Absage oder das Verbot von Theaterstücken, Konzerten und kulturellen Veranstaltungen in Kurdisch durch Gouvernements oder Gemeinden; die Schließung von Social-Media-Konten von Schauspielern, Sängern und Schriftstellern; die Festnahme oder Inhaftierung von Mitgliedern von Musikgruppen bzw. Musikern; Ermittlungen und rechtliche Schritte gegen Kulturschaffen de. Zu den Rechtsverletzungen im öffentlichen Raum zählten Restriktionen hinsichtlich der Verwendung des Kurdischen im Parlament und die Entfernung von öffentlichen Schildern und Aufschriften in Kurdisch. 375 Personen wurden verhaftet, davon 47 Personen aufgrund des Vortragens kurdischer Lieder oder Tänze bei Hochzeiten. Es kam zu Entlassungen von Arbeit nehmern, weil sie Kurdisch gesprochen hatten, z. B. am Flughafen Bodrum und Istanbul. Zu den Diskriminierungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit zählten laut Bericht die Re duzierung der Stellen für kurdischsprachige Lehrer auf zehn, die Verweigerung medizinischer Untersuchungen für Patienten, die kein Türkisch sprachen, sowie der anhaltende Druck auf Einrichtungen, die kurdischsprachigen Unterricht anbieten, sowie Verhaftung oder Kündigung von Lehrern. Angeführt wird als Hassverbrechen auch die Ermordung eines irakischen Bürgers aus der Kurdistan Region Irak in Istanbul, weil dieser in der Öffentlichkeit Kurdisch sprach. Zu den Verstößen im Feld der Medien zählten Internet- und Rundfunkzensur, z. B. Zugangsbe schränkungen zu den kurdischen Konten der Zeitung Xwebûn, der Agentur Mezopotamya und Jinnews; die Schließung von Social-Media-Konten und das Verbot von 120 kurdischen Büchern und Presseartikeln. In den Gefängnissen kam es zu Einschränkungen der Kommunikation: das Verbot für Gefangene, mit ihren Familien Kurdisch zu sprechen, und die Beschlagnahmung ihrer Briefe; die Unterbrechung von Telefongesprächen. Es gab Fälle von Strafen und Disziplinar maßnahmen. Dazu gehörten die Verhängung von Einzelhaft für Gefangene, die auf Kurdisch sangen; Disziplinarverfahren wegen auf Kurdisch verfasster Gedichte sowie das Aushändigen von kurdischen Büchern gegen ein Übersetzungshonorar oder die schlichte Beschlagnahme von Büchern, die ins Kurdische übersetzt wurden (KurdLRMRP 2.2025, S. 4-6). Das Europäische Parlament (EP) zeigte sich auch 2023 „ besonders besorgt über das anhaltende harte Vorgehen gegen kurdische Politiker, Journalisten, Rechtsanwälte und Künstler, einschließ lich Massenverhaftungen vor den Wahlen [2023] sowie über das laufende Verbotsverfahren gegen die Demokratische Partei der Völker“ (EP 13.9.2023, Pt. 13, 16). In einer Entschließung vom Mai 2025 bedauerte das Europäische Parlament erneut „ die anhaltende politische Unter drückung, Schikanierung durch die Justiz und Beschneidung der kulturellen und sprachlichen Rechte der kurdischen Bürger“ (EP 7.5.2025, Pt. 28). Laut EP ist insbesondere die anhaltende Benachteiligung kurdischer Frauen besorgniserregend, die zusätzlich durch Vorurteile aufgrund ihrer ethnischen und sprachlichen Identität verstärkt wird, wodurch sie in der Wahrnehmung ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rechte noch stärker eingeschränkt werden (EP 19.5.2021, S. 17, Pt. 44). Laut Europäischer Kommission dauern Hassverbrechen und Hassreden gegen Kurden an (EC 30.10.2024, S.21). Kurdische Zivilgesellschaft 256

Es gab mehrere Angriffe gegen ethnische Kurden, die nach Ansicht von Menschenrechtsor ganisationen rassistisch motiviert waren. Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien sind weiterhin bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einge schränkt (USDOS 22.4.2024, S. 69). Hunderte von kurdischen zivilgesellschaftlichen Organi sationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 und 2017 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 20.3.2023, S. 85). Kurdischsprachige Medien und Einrichtungen für kulturelle Rechte bleiben seit 2016 geschlossen (EC 30.10.2024, S. 21). Im April 2021 hob das Verfassungsgericht jedoch eine Bestimmung des Notstandsdekrets auf, das die Grundlage für die Schließung von Medien mit der Begründung bildete, dass Letztere eine „ Bedrohung für die nationale Sicherheit“ darstellten (2016). Das Verfassungsgericht hob auch eine Bestimmung auf, die den Weg für die Beschlagnahmung des Eigentums der geschlosse nen Medien ebnete. Allerdings wurde das Urteil des Verfassungsgerichts (mit Stand November 2023) nicht umgesetzt (EC 8.11.2023, S. 18f.; vgl. CCRT 8.4.2021). Auswirkungen des bewaffneten Konfliktes mit der Kurdischen Arbeiterpartei - PKK Der Konflikt mit der PKK wird seitens der Regierung zur Rechtfertigung diskriminierender Maß nahmen gegen kurdische Bürgerinnen und Bürger herangezogen, darunter das Verbot kurdi scher Feste. Gegen kurdische Schulen und kulturelle Organisationen, von denen viele während der Friedensgespräche eröffnet wurden, wird seit 2015 ermittelt oder sie wurden geschlos sen. Die Behörden nehmen regelmäßig Massenverhaftungen in kurdisch dominierten Provinzen vor und beschuldigen die Verhafteten, die PKK zu unterstützen. Im September 2024 führten die Behörden eine Razzia bei einer Reihe kurdischer Organisationen und Kultureinrichtungen durch (FH 26.2.2025, F4). 2024 setzte sich auch die Verhaftung von Personen fort. Am 16.1.2024 nahm die Polizei beispielsweise bei mehreren Razzien in 28 Provinzen insgesamt 165 Personen fest, darunter Mitglieder der pro-kurdischen Partei für Demokratie und Gleichheit (DEM-Partei), wegen mutmaßlicher Verbindungen zu terroristischen Organisationen. Das Innenministerium erklärte, die Festgenommenen seien wegen mutmaßlicher Unterstützung der PKK oder wegen der Verbreitung von PKK-Propaganda in den sozialen Medien festgenommen worden. Unter den Festgenommenen waren mehrere Mitglieder der sog. Peace Mothers, eine Gruppe von Aktivistinnen, die sich für eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen dem Staat und der PKK einsetzt, sowie Mitglieder der Jugend- und Frauennetzwerke der DEM-Partei (BAMF 30.6.2024, S. 1). Für weiterführende Informationen siehe Kapitel bzw. Unterkapitel: Sicherheitslage , Sicher heitslage / Terroristische Gruppierungen: PKK – Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition. Die sehr weit gefasste Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus und die zunehmenden Einschränkungen der Rechte von Journalisten, politischen Gegnern, Anwaltskammern und Men schenrechtsverteidigern, die sich mit der kurdischen Frage befassen, geben laut Europäischer Kommission wiederholt Anlass zur Sorge (EC 30.10.2024, S. 21). Bekundungen zur Unterstüt zung der Bevölkerung von Kobanê sowie Begriffe wie: Kurden, Kurdistan, Guerilla, Widerstand, Märtyrer sind Gegenstand umfangreicher Verfahren (Pro Asyl 9.2024, S. 99f.). 257

Kurdische Journalisten sind in unverhältnismäßiger Weise betroffen. Im Juli 2024 wurden bei einem Prozess in Ankara gegen elf kurdische Journalisten acht von ihnen wegen „ Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu jeweils sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis ver urteilt. In Diyarbakır wurde der Prozess gegen 20 kurdische Journalisten und Medienmitarbeiter wegen der gleichen Vorwürfe fortgesetzt (HRW 16.1.2025; vgl. ÖB Ankara 28.12.2023, S. 36). Laut eigenen Angaben werden kurdische Journalisten schlicht wegen ihrer Berichte über die sich verschlimmernde Menschenrechtslage in den Kurdengebieten angeklagt (BIRN 8.12.2023). Die meisten der Journalisten, die sich in Untersuchungshaft befinden, sind kurdischer Herkunft. In den Strafverfahren würden, laut Quellen von Pro Asyl, angeklagte kurdische Journalisten von vornherein als Mitglieder einer Organisation wahrgenommen und so behandelt. Dementspre chend sei die Haltung der Richter in diesen Verfahren von Anfang an viel härter, was sich auch in einer besonders aggressiven Sprachwahl der Staatsanwälte in ihren Plädoyers zeige (Pro Asyl 9.2024, S. 40). Vom Vorwurf der Terrorismusunterstützung sind nebst pro-kurdischen politischen Parteien [siehe hierzu das Unterkapitel Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition] auch Vertreter kurdischer NGOs und Vereine betroffen. - So hat ein Gericht in Diyarbakır Narin Gezgör, ein Gründungsmitglied der „ Rosa Frauenvereinigung“, einer kurdischen Frauenrechtsgruppe, im September 2023 wegen Terrorismus zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Zu den gegen Gezgör vorgebrachten Beweisen gehörten ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung sowie ihre Medieninterviews und anonyme Zeugenaussagen, die sie belasteten (SCF 11.9.2023; vgl. ANF 11.9.2023). Zur Verfolgung kurdischer Journalisten siehe auch das Kapitel: Meinungs- und Pressefreiheit / Internet Veranstaltungen oder Demonstrationen mit Bezug zur Kurden-Problematik und Proteste gegen die Ernennung von Treuhändern (anstelle gewählter kurdischer Bürgermeister) werden unter dem Vorwand der Sicherheitslage verboten (EC 19.10.2021, S. 36f). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südost-Türkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug in den sozialen Medien kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 20.5.2024, S. 8f.). Festnahmen von kurdi schen Aktivisten und Aktivistinnen geschehen regelmäßig anlässlich der Demonstrationen bzw. Feierlichkeiten zum Internationalen Frauentag (WKI 22.3.2022), am 1. Mai (WKI 3.5.2022) oder routinemäßig zum kurdischen Neujahrsfest Newroz (Duvar 20.3.2023). Am 19.3.2023 feierten Tausende Menschen in Istanbul das kurdische Neujahrsfest. Teilnehmer forderten in Sprech chören die Freilassung des ehemaligen HDP-Kovorsitzenden Demirtaş. Die Behörden nahmen mehr als zweihundert Personen fest. Sie hätten „ illegale Transparente“ getragen und „ illegale Parolen“ gerufen. Bei dem Feiern in Istanbul am 18.3.2024 wurden 70 Personen festgenommen, von denen laut Behörden drei ein Plakat des inhaftierten PKK Anführers Öcalan hochgehalten haben sollen (ÖB Ankara 4.2025, S. 40). Gewaltsame Übergriffe und behördliches Vorgehen 258

Es kommt immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen, denen manche eine anti-kurdische Dimen sion zuschreiben (MBZ 2.2025a, S.57; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 2). Auch in den Jahren 2023 und 2024 berichteten Medien immer wieder von Maßnahmen und Gewaltakten gegen Men schen, die im öffentlichen Raum Kurdisch sprachen oder als Kurden wahrgenommen wurden (ÖB Ankara 4.2025, S. 39). Beispiele 2024: Ein kurdischer Betreiber eines Cafés in Diyarbakır wurde Ende Mai 2024 ver haftet, nachdem er anlässlich des Tages der kurdischen Sprache (15. Mai) angekündigt hatte, seine Kunden künftig ausschließlich auf Kurdisch zu bedienen. Die Behörden werfen dem Gas tronomen vor, durch sein Vorhaben terroristische Propaganda zu betreiben, ein diesbezügliches Strafverfahren wurde eingeleitet. Zuvor war der Cafébesitzer bereits in den sozialen Medien angefeindet worden (BAMF 3.6.2024, vgl. BIRN 30.5.2024). Im Sommer 2024 wurden an mehreren Orten Hochzeitsgäste, die kurdische Lieder sangen und kurdische Tänze tanzten von der Polizei verhaftet bzw. wurde Anklage wegen „ Verbreitung von Terrorismuspropaganda“ erhoben. Dieses Verbrechen kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis be straft werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte schon zuvor entschieden, dass das Singen von Volksliedern oder das Vortragen von Gedichten, das Rufen allgemeiner Slogans, auch bei öffentlichen Versammlungen, oder der Verweis auf den 40-jährigen Aufstand der bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen das türkische Militär rechtlich erlaubte Meinungsäußerungen darstellen. Denn der Inhalt der Lieder und Slogans auf den Hochzeitsfei ern und anderswo ruft weder zur Gewalt auf noch stellt er eine unmittelbare Gefahr für Personen dar, die eine strafrechtliche Verfolgung rechtfertigen könnte (HRW 15.8.2024). - Mehr als 30 Verhaftungen erfolgten im Juli in den Provinzen Istanbul, Aydın, Mersin, Ağrı, Siirt, Batman und Hakkâri. So wurden am 27.7.2024 Presseberichten zufolge insgesamt elf Personen verhaf tet, die in Istanbul bei verschiedenen Hochzeiten laut eines Istanbuler Gerichts „ Propaganda für terroristische Organisationen“ betrieben haben sollen. In Hakkâri kam es am 28.7.2024 zu Razzien während Hochzeitsfeierlichkeiten, da auf jenen kurdische Lieder gespielt und dazu getanzt worden sei. Berichten zufolge sollen bei den Razzien eine nicht näher bekannte An zahl an Musikern und Hochzeitsgästen ebenfalls unter dem Vorwurf der „ Propaganda für eine terroristische Organisation“ festgenommen worden sein. Am 5.8.2024 wurden fünf Personen festgenommen, da sie auf einer Hochzeit in der Provinz Osmaniye kurdischsprachige Lieder gesungen, den kurdischen Volkstanz „ Halay“ aufgeführt und die Hochzeitsfahrzeuge mit gelben und roten Luftschlangen geschmückt haben sollen. Unter den Festgenommenen waren auch die beiden Ko-Vorsitzenden der Partei für Gleichheit und Demokratie (DEM) des Bezirks Os maniye (BAMF 12.8.2024, S. 7; vgl. Bianet 30.7.2024, MLSA 1.8.2024). Am 10.8.2024 führte die Istanbuler Polizei eine Razzia bei einer Hochzeit im Stadtteil Esenyurt durch, bei der acht Personen festgenommen wurden, darunter die Gastgeber der Hochzeit und Musiker. Die Razzia wurde Berichten zufolge durch das Abspielen „ politischer Lieder“ ausgelöst. Fünf der acht Per sonen, die wegen „ Propaganda für eine terroristische Organisation“ angeklagt waren, wurden nach ihrer Aussage auf dem Polizeirevier Kıraç wieder freigelassen. Drei Musiker, die nach ihrer Aussage an die Staatsanwaltschaft verwiesen wurden, wurden mit dem Antrag auf Freilassung 259

auf Bewährung an das Gericht verwiesen, welches die Musiker in Folge auf Bewährung frei ließ (Mezopotamya 12.8.2024; vgl. Bianet 12.8.2024). Und auch Ende Oktober 2024 wurde laut Medienberichten eine kurdische Familie, diesmal von türkischen Nationalisten, angegriffen, nachdem sie bei einer Hochzeit im türkischen Bezirk Çanakkale kurdische Musik gespielt hatte (SCF 28.10.2024; vgl. Medya 28.10.2024). [Anmerkung: Für Beispiele vor dem Jahr 2024 siehe vormalige Versionen der Länderinforma tionen Türkei!] Stellung der kurdischen Sprache im Bildungssystem Der Gebrauch des Kurdischen ist stark rückläufig, insbesondere unter der kurdischen Jugend, auch wenn es kein offizielles Verbot gibt. Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist seit Anfang der 2000er-Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt. Die türkische Verfassung erkennt allerdings nur Türkisch als Amtssprache des Landes an. Somit genießt das Kurdische keinen rechtlichen Schutz (MBZ 2.2025a, S. 55; vgl. AA 20.5.2024, S. 10), so auch nicht als Unterrichts sprache (ÖB Ankara 4.2025, S.40). Unterricht in kurdischer Sprache ist an öffentlichen Schulen seit 2012 im Ausmaß von zwei Stunden ab einer Schülerzahl von zehn (Duvar 5.12.2024; vgl. AA 20.5.2024) und an privaten Einrichtungen seit 2014 möglich (als Wahlpflichtfach). Der Unterricht wird in der Praxis aufgrund faktischer Barrieren aber oftmals nicht angeboten (AA 20.5.2024). Mit Stand Dezember 2024 gab es diese Möglichkeit jedoch nur in 13 Städten. Umfragen zeigen, dass es an Lehrkräften für den Kurdisch-Unterricht mangelt. In anderen Fällen wussten die Eltern nicht, dass ihr Kind Kurdischunterricht nehmen durfte. - 2020 wussten einer Umfrage zufolge nur 30 % der kurdischen Eltern, dass es die Möglichkeit zu Kurdischunterricht gibt. - Die Eltern trauten sich oft nicht zu fragen. In letzterem Fall befürchteten sie, mit der PKK in Verbindung gebracht zu werden (Duvar 5.12.2024; vgl. MBZ 2.2025a, S. 57). Kinder mit kur discher Muttersprache können Kurdisch im staatlichen Schulsystem nicht als Hauptsprache erlernen. Nur 18 % der kurdischen Bevölkerung beherrschen ihre Muttersprache in Wort und Schrift, wobei die Kurdischkenntnisse vor allem in den Großstädten zurückgehen (ÖB Anka ra 4.2025, S.40; vgl. ÖB Ankara 28.12.2023, S.36). Optionale Kurse in Kurdisch werden an öffentlichen staatlichen Schulen weiterhin angeboten, ebenso wie Universitätsprogramme in Kurdisch (Kurmanci und Zazaki). Nur wenige politische Parteien haben muttersprachlichen Un terricht ausdrücklich in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Die erweiterten Befugnisse der Gouverneure und die willkürliche Zensur wirken sich weiterhin negativ auf Kunst und Kultur aus, und eine Reihe von Kunst- und Kulturgruppen in kurdischer Sprache wurden von den Treu händern entlassen (EC 8.11.2023; S. 44; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S.40). Unzählige Konzerte, Festivals und kulturelle Veranstaltungen wurden von den Gouvernements und Gemeinden mit der Begründung „ Sicherheit und öffentliche Ordnung“ verboten. Kurdische Kultur- und Sprach institutionen, Medien und zahlreiche Kunsträume blieben größtenteils geschlossen, wie schon seit dem Putschversuch 2016 (EC 30.10.2024; S.35). In diesem Zusammenhang problematisch ist die geringe Zahl an Kurdisch-Lehrern sowie deren Verteilung, oft nicht in den Gebieten, in denen sie benötigt werden. Zu hören ist auch von administrativen Problemen an den Schu len. Zudem wurden staatliche Subventionen für Minderheitenschulen wesentlich gekürzt (ÖB Ankara 4.2025, S.40f.). 2024 führte die Entscheidung des Bildungsministeriums, von 20.000 260

neuen Lehrerstellen nur zehn Stellen für Kurdischlehrer (sechs Lehrer für den Kurmanci-Dialekt und vier für Zazaki) zu vergeben, zu heftigen Reaktionen von Politikern und Organisationen der Zivilgesellschaft, die argumentieren, dass dadurch das Recht der Kurden auf Bildung in ihrer Muttersprache untergraben wird (SCF 9.5.2024; vgl. VOA 9.5.2024). Laut einem kürzlich vom Kurdish Studies Center veröffentlichten Bericht sprechen 30 % der Kurden Kurdisch auf einem fortgeschrittenen Niveau und 31 % auf einem mittleren Niveau. Für zwei von fünf Personen spielt die Sprache in ihrem Leben fast keine Rolle. Es besteht auch eine starke Korrelation zwischen der Stärke der kurdischen Identität und dem Niveau der kurdischen Sprachkenntnisse. Während bei denjenigen mit einer sehr starken kurdischen Identität der Anteil der Kurdisch Sprechenden 50 % erreicht, sprechen nur 7,5 % derjenigen mit einer schwachen kurdischen Identität gut Kurdisch (KSC 12.2023, S. 15). Dieselbe Studie zeigt auf, dass mehr als die Hälfte der Kinder kurdischsprachiger Eltern nicht gut Kurdisch sprechen (MRG 29.4.2024, S. 19). Ab 2016 richtete sich der zunehmende Druck auf die kurdische politische Bewegung direkt gegen diese Sprachkurse und die Vereine, die sie anboten, was zu ihrer Schließung führte. Obwohl sowohl Präsenz- als auch Online-Kurse von neuen Vereinen wie der 2017 gegründeten Mesopotamian Language and Culture Research Association (MED-DER) angeboten werden, stehen diese Einrichtungen unter ständiger staatlicher Überwachung. Die Teilnehmer dieser Kurse laufen Gefahr, als verdächtig eingestuft zu werden, ohne die Möglichkeit zu haben, eine solche Profilerstellung vorherzusehen (MRG 29.4.2024, S. 17). Verwendung des Kurdischen in den Medien, im Kulturbereich und Gefängnissen Seit 2009 gibt es im staatlichen Fernsehen einen Kanal mit einem 24-Stunden-Programm in kurdischer Sprache (ÖB Ankara 4.2025, S. 40; vgl. FES 11.12.2024). Nicht-staatliche kurdische Medien dagegen haben wirtschaftlich wie politisch große Schwierigkeiten (FES 11.12.2024). Insgesamt gibt es acht Fernsehkanäle, die ausschließlich auf Kurdisch ausstrahlen, sowie 27 Radiosender, die entweder ausschließlich auf Kurdisch senden oder kurdische Programme anbieten (ÖB Ankara 4.2025, S. 40). Allerdings wurden mit der Verhängung des Ausnahmezu stands im Jahr 2016 viele Vereine, private Theater, Kunstwerkstätten, Medienunternehmen und ähnliche Einrichtungen, die im Bereich der kurdischen Kultur und Kunst tätig sind, geschlossen (İBV 7.2021, S. 8; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 40), bzw. wurden ihnen Restriktionen hinsichtlich der Verwendung des Kurdischen auferlegt (K24 10.4.2022). Beispiele von Konzertabsagen wegen geplanter Musikstücke in kurdischer Sprache sind ebenso belegt wie das behördliche Vorla den kurdischer Hochzeitssänger zum Verhör, weil sie angeblich „ terroristische Lieder“ sangen (AlMon 10.8.2022; vgl. KurdLRMRP 2.2025, S. 14-18). Auch 2024 wurde im kulturellen Raum die kurdische Sprache beschnitten. Am 16.1.2024 un tersagten die türkischen Behörden eine Theateraufführung in kurdischer Sprache (unter dem Titel „ Qral û Travis“ - „ Der König und Travis“) in der östlichen Stadt Patnos in der Provinz Ağrı. Dabei wurde vom Organisator seitens des Sicherheitsbüros neben dem Plakat und dem Skript des Stücks auch dessen Vorstrafenakte angefordert. Als einzigen Grund gaben die Behörden 261

an, die Aufführung sei „ unangemessen“. Dies sorgte für Verwunderung, da die Aufführung be reits in anderen Teilen der Türkei aufgeführt worden war (Duvar 23.1.2024). Allerdings wurde die Aufführung selbigen Stückes im Februar 2024 in mehreren Städten ebenfalls verhindert. In Istanbul verbot die Bezirksverwaltung Şişli das Stück ohne Angabe von Gründen. Das Publikum wurde daran gehindert, den Saal zu betreten. Die Schauspieler wurden gewaltsam vom Ver anstaltungsort entfernt. Schauspieler und andere, die gegen das Verbot protestierten, wurden festgenommen (KurdLRMRP 2.2025, S. 9). Am 21.2.2024, dem Internationalen Tag der Mutter sprachen, untersagten die Behörden ein Konzert von Kemal Kahraman in kurdischer Sprache in der östlichen Stadt Bingöl. Die Behörden gaben keinen Grund dafür an (Bianet 22.2.2024; vgl. Rudaw 21.2.2024). Im Mai 2024 wurden mehrere Konzerte der kurdischen Sängerin Sasa Serap behördlich abgesagt (KurdLRMRP 2.2025, S. 9). Im September wurden drei Mitglieder der kurdischen Musikgruppe Koma Hevra festgenommen, weil sie in Diyarbakır kurdische Lieder während eines Konzertes, das von der Stadtverwaltung Diyarbakır organisiert wurde, am Dağ kapı Square sangen. Den Mitgliedern wurde vorgeworfen, aufgrund des Inhalts der von ihnen vorgetragenen kurdischen Lieder „ Propaganda für eine Organisation“ zu machen. Nach einer Befragung bei der Anti-Terror-Abteilung der Polizeibehörde von Diyarbakır wurden sie noch am selben Tag wieder freigelassen (MLSA 1.10.2024; vgl. KurdLRMRP 2.2025, S. 10). Im Oktober 2024 entschied das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus, dass der Film Rojbash nicht für den Vertrieb geeignet sei. In diesem Spielfilm spielte eine Gruppe kurdischer Schauspieler mit. In dem Film wurde hauptsächlich die kurdische Sprache vertont. Die Behörden gaben keinen konkreten Grund für diese Entscheidung an. Der Filmemacher interpretierte die Entscheidung als eine Maßnahme, um den Gebrauch des Kurdischen einzuschränken (MBZ 2.2025a, S. 56; vgl. MLSA 10.10.2024). Am 22.12.2024 gab YEWKURD, ein Verband kurdischer Verleger, be kannt, dass die Behörden in den drei Wochen zuvor 120 Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und andere Veröffentlichungen in kurdischer Sprache verboten hatten. Einige Bücher befassten sich mit politisch sensiblen Themen, wie dem Verlauf des syrischen Bürgerkriegs in Afrin, einer Re gion, in der viele Kurden leben. Andere Bücher taten dies nicht, wurden aber ebenfalls verboten, wie etwa ein Buch über kurdische Mythologie (MBZ 2.2025a, S. 57; vgl. Duvar 22.12.2024). Die Polizei nahm am 5.3.2025 im Rahmen einer laufenden Untersuchung unter der Leitung der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul vier kurdische Buchautoren fest. Die Behörden gaben deren Beteiligung an der Erstellung von „ Hînker“, einem Lehrbuch in kurdischer Sprache, als Grund für ihre Festnahme an. Das Buch, das erstmals 2008 entwickelt wurde, wird von kurdischen In stitutionen, darunter dem Kurdischen Institut Istanbul, in großem Umfang als Bildungsressource genutzt (Duvar 5.3.2025; vgl. C8 6.3.2025, Medya 6.3.2025). Die Staatsanwaltschaft gab an, dass die Autoren aufgrund des Inhalts des Buches, das „ organisatorische Ideologie“ enthalte, verhaftet wurden. Behauptet wird, dass die PKK das Buch verwendet habe, um ihren Mitgliedern die kurdische Sprache beizubringen (C8 6.3.2025; vgl. Medya 6.3.2025). In einem politisierten Kontext kann die Verwendung des Kurdischen auch in Gefängnissen zu Schwierigkeiten führen. - Gefangene im Typ-T-Gefängnis von Afyon berichteten im März 2024, dass die Gefängnisverwaltung bei denjenigen eingreift, die kurdische Musik hören. In ihrer Er klärung sagten die Gefangenen, dass die Wärter mit den Worten eingegriffen: „ Ihr hört kurdische 262

Lieder, schaltet keine kurdischen Lieder ein“. Die Insassen beschwerten sich und bezeichneten die Vorgangsweise als Angriff auf ihre (kurdische) Sprache. Die Wärter sollen erwidert haben: „ Hört keine kurdischen Lieder und keine kurdischen Nachrichten“. Die Insassen berichteten auch, dass die von ihnen auf Kurdisch verfassten oder erhaltenen Briefe konfisziert wurden, mit der Rechtfertigung, dass es keinen Dolmetscher gebe. Insassen aus dem Hochsicherheits gefängnis Tekirdağ (F-Typ), die sich an die Menschenrechtsvereinigung (İHD) wandten, gaben an, dass sie daran gehindert werden, Bücher zu bekommen, insbesondere auf Kurdisch, dass sie aufgefordert werden, für einen Übersetzer zu bezahlen, der die Bücher übersetzt, und dass ihnen keine Briefe und Schriften in kurdischer Sprache ausgehändigt werden. Auch Hochsicher heitsgefängnis Kırşehir wurde von den Insassen die Bezahlung für die Übersetzung kurdischer Bücher verlangt (KurdLRMRP 2.2025, S. 21). Ein Gefängnis in der türkischen Provinz Şırnak hat im August 2024 ein Verbot des Gebrauchs der kurdischen Sprache bei Telefongesprächen zwischen Insassen und ihren Familien verhängt (SCF 12.8.2024; vgl. TR724 12.8.2024). Fami lien wurden gezwungen, während offener Besuche im Erzincan L-Typ-Gefängnis „ auf Türkisch zu sprechen“ (KurdLRMRP 2.2025, S. 21). Weitere Beispiele aus den Jahren vor 2024 finden sich in den Länderinformationen zur Türkei vor 2025. Amtliche Verwendung des Kurdischen und dessen neuerliche Einschränkung In den letzten Jahren haben die Behörden kurdische Ortsnamen in vielen Dörfern und Stadtvier teln wieder eingeführt, obwohl diese in einigen Fällen inzwischen wieder entfernt wurden (DFAT 16.5.2025, S.12; vgl. MRG 29.4.2024, S. 19). Die vom Staat ernannten Treuhänder im Südosten änderten weiterhin die ursprünglichen (kurdischen) Straßennamen und Namen von Kulturzen tren (EC 30.10.2024; S.35). Im August 2024 sind in der Provinz Diyarbakır auf Anweisung des Gouverneursamtes zum wiederholten Male kurdischsprachige Verkehrsschilder entfernt worden. Das Innenministerium hatte zuvor eine Richtlinie erlassen, wonach alle Verkehrsschilder den von der türkischen Generaldirektion für Autobahnen (KGM) festgelegten Standards entspre chen müssten. Die KGM hatte die Entfernung der kurdischen Verkehrsschilder auf Anweisung des Ministeriums veranlasst, aber die Gemeinden hatten die Schilder zunächst in Van und anschließend in Diyarbakır, Batman und Mardin wieder aufgestellt. Die Schilder seien nun in Diyarbakır ein zweites Mal entfernt worden. Laut dem Vize-Vorsitzenden der Anwaltskammer von Diyarbakır gebe es keine rechtlichen Hindernisse, die Gemeinden daran hindern, öffentliche Dienstleistungen in verschiedenen Sprachen anzubieten und außerdem gebe es seit 15 Jahren Warnschilder auf Kurdisch in Diyarbakır (BAMF 12.8.2024, S. 7f., vgl. Bianet 31.7.2024a, MLSA 1.8.2024). 2013 wurde per Gesetz die Verwendung anderer Sprachen als Türkisch, somit vor allem Kur disch, vor Gericht und in öffentlichen Ämtern und Einrichtungen (Krankenhäusern, Postämtern, Banken, Steuerämtern etc.) ermöglicht (ÖB Ankara 4.2025, S. 41). Trotz einiger Fortschritte stellt das Fehlen von Übersetzungsdiensten für nicht-türkischsprachige Personen im öffent lichen Raum, insbesondere in wichtigen Bereichen wie dem Gesundheits- und Sozialwesen, nach wie vor eine große Herausforderung dar. Darüber hinaus werden trotz des bestehenden 263

Rechtsrahmens keine Übersetzungsdienste vor Gericht angeboten (MRG 29.4.2024, S. 19). 2013 kündigte die türkische Regierung im Rahmen einer Reihe von Reformen ebenfalls an, dass sie das Verbot des kurdischen Alphabets aufheben und kurdische Namen offiziell zulassen würde. Doch ist die Verwendung spezieller kurdischer Buchstaben (X, Q, W, Î, Û, Ê) weiter hin nicht erlaubt, wodurch Kindern nicht der korrekte kurdische Name gegeben werden kann (Duvar 2.2.2022; vgl. MRG 29.4.2024, S. 19). Das Verfassungsgericht sah im diesbezüglichen Verbot durch ein lokales Gericht jedoch keine Verletzung der Rechte der Betroffenen (Duvar 25.4.2022). Siehe auch das Unterkapitel: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / OppositionHaftbeding ungen Verwendung des Begriffes „ Kurdistan“ Obwohl der einstige türkische Staatspräsident Abdullah Gül bei seinem historischen Besuch 2009 im Nachbarland Irak zum ersten Mal öffentlich das Wort „ Kurdistan“ in den Mund nahm, auch wenn er sich auf die irakische autonome Region bezog, galt dies damals als Tabubruch (FAZ 24.3.2009). Laut dem pro-kurdischen Internetportal Bianet lassen sich etliche Beispiele finden, wonach das Wort „ Kurdistan“ in der Türkei je nach der politischen Atmosphäre gesagt oder nicht gesagt werden kann. Das Wort „ Kurdistan“ zu sagen, kann eine Beleidigung sein oder auch nicht. Aber am gefährlichsten ist es immer, wenn Kurden „ Kurdistan“ sagen (Bianet 16.7.2019). - Während auch Erdoğan, damals Regierungschef, den Begriff anlässlich des Be suchs des Präsidenten der Kurdischen Region im Nordirak, Massoud Barzani, in Diyarbakır im Oktober 2013 verwendete (DW 19.11.2013), kam es kaum einen Monat später zu Spannungen im türkischen Parlament, weil in einem Bericht der pro-kurdischen BDP [Vorgängerpartei der HDP] zum Budgetentwurf der Regierung der Begriff „ Kurdistan“ zur Beschreibung der kurdischen Siedlungsgebiete in Ost- und Südostanatolien auftauchte. Die anderen Parteien im Parlament wandten sich gegen die Benutzung des Wortes, das bei türkischen Nationalisten als Ausdruck eines kurdischen Separatismus gilt. Während einer Debatte über den BDP-Bericht gingen Ab geordnete von BDP und ultra-nationalistischen MHP aufeinander los (Standard 10.12.2013). - Nach der parlamentarischen Geschäftsordnung können Abgeordnete wegen der Verwendung des Wortes „ Kurdistan“ oder anderer sensibler Begriffe im Plenum des Parlaments verwarnt oder vorübergehend aus dem Parlament ausgeschlossen werden. Die Behörden wendeten dieses Verfahren nicht einheitlich an (USDOS 22.4.2024, S. 28). 2019 sagte Binali Yıldırım, der AKP-Kandidat für das Amt des Bürgermeisters von İstanbul und ehemaliger Ministerpräsident, auf einer Kundgebung vor den Wahlen „ Kurdistan“, und als er darauf angesprochen wurde, antwortete er, dass das Wort Kurdistan jenes sei, welches Mustafa Kemal Atatürk für die Vertreter verwendet hatte, die während des Unabhängigkeitskampfes vor der Gründung der Republik aus dieser Region kamen. Für die „ Vereinigung der Jugendbewe gung Kurdistans“ in Istanbul hingegen erklärte das Innenministerium, dass die Verwendung des Wortes „ Kurdistan“ ein Verstoß gegen Artikel 14 der Verfassung und Artikel 302 des türkischen Strafgesetzbuches sei. Es dürfe nicht im Namen einer Vereinigung verwendet werden. Es folgte eine Klage gegen den Verein (Bianet 16.7.2019). Und im Oktober 2021 verhaftete die Polizei 264
