2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-tuerkei-version-10-d827
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
die Polizei zehn Demonstranten vor dem RTÜK-Büro fest, die gegen die Entscheidung der türki schen Fernseh- und Rundfunkbehörde protestierten, im Fernsehen einen öffentlichen Aufruf zu senden, in dem die Bürger aufgefordert wurden, am Sonntag an einer Anti-LGBT-Kundgebung in Istanbul teilzunehmen (BIRN 13.9.2023; vgl. Duvar 13.9.2023, BAMF 18.9.2023). Umgekehrt schritt die Polizei nicht ein, als im Juni 2023 von der Anwaltskammer Izmir veranstaltetes Früh stück im Rahmen der Pride-Woche von einer aus LGBTIQ-feindlichen Aktivisten bestehenden Gegendemonstration angegriffen wurde. Diese Gegendemonstration bestand u. a. aus Anhän gern der nationalistischen Vatan Partisi (VP), der Jugendorganisation Türkiye Gençlik Birliği (TGB), der Grauen Wölfe und der AKP-Jugend (BAMF 4.11.2024a, S. 8). Der Rückzug der Türkei aus der Istanbuler Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde u. a. mit dem Vorwurf verbunden, die Kon vention sei zum Schutze der Rechte sexueller Minderheiten missbraucht worden. Die Kommu nikationsdirektion der Präsidentschaftskanzlei erklärte, dass die Konvention von einer Gruppe von Menschen gekapert wurde, die versuchen, Homosexualität zu normalisieren - was mit den sozialen und familiären Werten der Türkei unvereinbar sei. Daher die Entscheidung, sich zu rückzuziehen (PRT-DC 22.3.2021). In Großstädten (Istanbul, Izmir, Ankara) und an der Südküste ist es in bestimmten Teilberei chen möglich, Homosexualität zu zeigen. Darüber hinaus, etwa in ländlichen Gebieten, ist sie gesellschaftlich nicht akzeptiert. Bei Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung werden Ho mosexuelle, vor allem aber Transsexuelle, häufig von ihrem sozialen und beruflichen Umfeld ausgegrenzt oder belästigt und nicht selten Opfer von Gewalt und Diskriminierung (AA 20.5.2024, S. 15; vgl. BAMF 4.11.2024a, S. 10). Die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen bleibt in der türkischen Gesellschaft gering. In einer im Juli und August 2022 durchgeführten Um frage gaben 36,6 % der Befragten an, dass Homosexualität eine Perversion sei, die vom Staat verboten werden sollte. 33,5 % bezeichneten Homosexualität als eine Krankheit, die behandelt werden soll. 72,3 % der Befragten sehen Homosexuelle als schädlich für die Gesellschaft an. 17,6 % gaben an, dass Homosexualität respektiert werden soll. Während zwei Drittel aller Be fragten Homosexualität nicht für einen natürlichen Zustand hielten, lag dieser Wert bei jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren bei 56,7 % (ÖB Ankara 4.2025, S.52). Opfer homophober Gewalt wenden sich in der Regel nicht an die Polizei, und wenn sie es doch tun, werden sie in vielen Fällen von der Polizei nicht angemessen behandelt oder geschützt. Betroffene erklärten auch, dass nicht jeder Staatsanwalt bereit sei, homophobe Gewalttäter zu verfolgen. Angehöri ge sexueller Minderheiten hätten überdies kein Vertrauen in ein ordnungsgemäßes Verfahren (MBZ 2.3.2022, S. 60). In Einzelfällen kommt es auch zu „ Ehrenmorden“ im Zusammenhang mit Homosexualität (AA 20.5.2024, S. 15). NGOs beziffern sie im niedrigen dreistelligen Bereich jährlich (AA 28.7.2022, S. 14). Die Türkei ist zudem einer der Staaten mit der höchsten Rate an Morden an Trans genderpersonen. So wurden zwischen 2008 und 2024 68 Transgenderpersonen ermordet (ÖB Ankara 4.2025, S.52). Auch 2024 kam es zu Übergriffen auf Mitglieder sexueller Minderhei ten, insbesondere Transgenderfrauen, gegen die es auch Attacken mit Todesfolge gab. - In Alsancak wurde eine Transfrau auf der Straße von einer Gruppe von Männern angegriffen, ohne 307

dass die Polizei oder Passanten eingegriffen hätten. Die Öffentlichkeit hinterfragte die man gelnde Polizeipräsenz und die Tatsache, dass die Angreifer trotz ihrer Festnahme kurz nach der Einvernahme wieder freigelassen wurden. Im Juli 2024 erlitt in Izmir eine Transfrau bei ei nem Messerangriff in ihrem Haus fast 50 Stichwunden (KAOS-GL 16.7.2024; vgl. ILGA 2.2025). Der Täter wurde wegen versuchten vorsätzlichen Mordes verhaftet. Im November wurde eine Transfrau in Samsun angegriffen und ihres Schmucks beraubt. Der Angreifer rechtfertigte seine Tat damit, dass das Opfer seine Männlichkeit verspottet habe – eine Verteidigung, die oft als Entschuldigung für Gewalt gegen LGBTI-Personen angeführt wird (ILGA 2.2025). Eine Gruppe von Personen griff Transgender-Frauen an, als diese Mitte April 2024 in İzmir einem Mann Erste Hilfe leisteten, der einen epileptischen Anfall hatte. Eine Transgender-Frau wurde angegriffen und laut Eigenaussagen ihrer Brieftasche und ihres Telefons beraubt. Anschließend begann die Gruppe, die Wohnungen von Transgender-Frauen mit Steinen zu bewerfen, wie Aufnahmen von Sicherheitskameras zeigten (Duvar 12.4.2024). „ Sexuelle Orientierung und Identität“ sind nicht im Katalog der Hassverbrechen gelistet. Deshalb können LGBTI-Personen bei Diskriminierungen oder Hassverbrechen ihre Rechte nur schwer geltend machen. In Gerichtsverfahren werden die Diskriminierungen entweder bagatellisiert oder die Intentionen der Täter relativiert. Gegen Angehörige sexueller Minderheiten gerichtete Hass reden werden als Ausdruck der freien Meinungsäußerung angesehen (ÖB Ankara 4.2025, S.52). Bereits am 23.5.2018 entschied das türkische Verfassungsgericht in diesem Zusammenhang, dass die Titulierung von Angehörigen sexueller Minderheiten in den Medien als Perverse nicht als Hassrede angesehen werden kann, da dies unter die Meinungsfreiheit fällt (ILGA 26.2.2019). Transgender-Personen Ihre Sichtbarkeit als Gruppe bedeutete, dass Transgender-Personen Diskriminierung, Ausgren zung und Aggression ausgesetzt sind. So sehen sich Transgender-Personen beispielsweise beim Zugang zum Arbeitsmarkt mit Hindernissen konfrontiert, und insbesondere Transfrauen sehen sich gezwungen, illegale Sexarbeit zu verrichten (MBZ 2.2025a, S. 89). Transgender-Per sonen haben oft Schwierigkeiten, Zugang zum Wohnungsmarkt und zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Transgender-Personen haben einen gesetzlichen Anspruch darauf, sich an die Be hörden zu wenden, um Schutz zu erhalten. In der Praxis melden Transgender-Personen jedoch nur selten transphobische Vorfälle der Polizei, vor allem weil die Polizei selbst im Ruf steht, gegenüber der Transgender-Gemeinschaft voreingenommen zu sein (MBZ 31.8.2023). Laut der Transaktivistin Gök Akyel spiegelt die Situation, mit der die Trans-Community konfrontiert ist, die LGBTI-plus-Phobie in der Gesellschaft wider: Trans-Personen und andere LGBTI-plus-Personen gehören zu den marginalisierten Minderheitengruppen, deren Rechte auf Leben, Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit und Wohnraum verletzt werden. Sie sind aufgrund der wirtschafts politischen Folgen von Hass Armut und Marginalisierung ausgesetzt (Bianet 10.7.2024). Im März 2024 ließ die Polizei auf Anordnung eines Distriktgouverneurs die Häuser von Transfrauen in der Bayram-Straße im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu versiegeln. Die Bayram-Straße ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Zufluchtsort für Transfrauen, und durch die Versiegelung wurden viele Transpersonen obdachlos (ILGA 2.2025). Anfang Juni 2022 zeigte sich auch das Euro päische Parlament (EP) u. a. tief besorgt „ im Zusammenhang mit körperlichen Angriffen und 308

Hassverbrechen, die sich vorrangig gegen Transgender-Personen richten“ (EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21). Polizeiliche Schikanen gegen transgender Sexarbeiter sind weit verbreitet, obschon Sexarbeit nicht illegal ist, oft um Bestechungsgelder zu lukrieren. Artikel 29 des Strafgesetzbuches sieht die Milderung von Strafen, einschließlich Körperverletzung oder Mord, vor, wenn der Angeklagte durch eine „ ungerechte Handlung“ provoziert wurde. Menschenrechtsgruppen behaupten, dass Richter routinemäßig Artikel 29 zur Milderung von Urteilen im Falle der Ermordung von Ange hörigen sexueller Minderheiten herangezogen haben (DFAT 16.5.2025, S. 30f.; vgl., USDOS 22.4.2024, S. 74f.). Die Berufungsgerichte haben diese Urteile teilweise mit der Begründung der „ unmoralische Natur“ des Opfers bestätigt (USDOS 22.4.2024, S. 74f.). Die Türkei gehört zu den Ländern mit den höchsten Mordraten an Transgender-Personen (EC 6.10.2020, S. 40). Der Zugang zu geschlechtsangleichenden Operationen sowie zu Gesundheits- und Sozial diensten war für Trans-Personen nach wie vor beschwerlich und problematisch (EC 8.11.2023, S. 42). Angehörige sexueller Minderheiten unter den Flüchtlingen UN-Organisationen berichten von Asylsuchenden und sog. „ bedingten Flüchtlingen“, die einer sexuellen Minderheit angehören, vor allem aus dem Iran, Afghanistan und Irak. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen werden diese Flüchtlinge aufgrund ihres Status als Angehörige einer sexuellen Minderheit sowohl von den Behörden als auch von der lokalen Bevölkerung diskriminiert und angefeindet. Vielen widerfuhr geschlechtsbasierte Gewalt. Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung bleibt auch bei dieser Personengruppe ein großes Problem, insbesondere für transgender Personen (USDOS 22.4.2024, S.48f.). Verwaltungssanktionen und Abschiebungen von LGBTI+-Flüchtlingen haben laut ILGA 2022 zugenommen. Angehörige sexueller Minderheiten, die internationalen Schutz beantragen, wur den von der regionalen Migrationsbehörde in Städte abgeschoben, in denen Phobie gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten stärker verbreitet ist (ILGA 20.2.2023). Während ihres fünf monatigen Aufenthalts in einem Abschiebezentrum wurden die Grundrechte einer Transfrau ver letzt. Sie wurde in einem Einzelzimmer festgehalten, konnte keine Gemeinschaftsräume nutzen, hatte keinen Zugang zu HIV-Medikamenten und war diskriminierendem Verhalten ausgesetzt. Nach ihrer Entlassung wurden ihre Ausweispapiere und ihre Krankenversicherung annulliert, sodass sie bis zu ihrer Abschiebung keinen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten hatte. In Adana wurde der HIV-Status einer geflüchteten Transfrau ohne ihre Erlaubnis in den sozialen Medien offengelegt, sodass sie massiver Hassrede ausgesetzt wurde (ILGA 2.2025). NGO-Länder-Ranking Die NGO ILGA verortete die Türkei wie 2022 (ILGA 2022) auch 2023 an vorletzter Stelle (vor Aserbaidschan) von 49 europäischen Ländern hinsichtlich der Rechte sexueller Minderheiten. Bei einem theoretischen Bestwert von 100 % erreichte die Türkei lediglich 4 % [Österreich: Platz 19 mit 50,1 %] (ILGA 2023). 309

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innerhalb der Türkei einzuschränken. Die Provinz-Gouverneure können zum Beispiel Per sonen, die verdächtigt werden, die öffentliche Ordnung behindern oder stören zu wollen, den Zutritt oder das Verlassen bestimmter Orte in ihren Provinzen für eine Dauer von bis zu 15 Ta gen verbieten (ÖB Ankara 4.2025, S.9; vgl. USDOS 22.4.2024 S. 42), obschon die Verfassung vorschreibt, dass nur Richter die Bewegungsfreiheit von Bürgern limitieren können, und auch nur in Verbindung mit einer strafrechtlichen Untersuchung bzw. Verfolgung (USDOS 22.4.2024 S. 42). Bei der Einreise in die Türkei besteht allgemeine Personenkontrolle. Türkische Staatsangehö rige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Bei Einreise wird überprüft, ob ein Ein trag im Fahndungsregister besteht oder Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig sind. An Grenzübergängen können Handy, Tablet, Laptop usw. von Reisenden ausgelesen werden, um insbesondere regierungskritische Beiträge, Kommentare auf Facebook, WhatsApp, Instagram etc. festzustellen, die wiederum in Maßnahmen wie z. B. Vernehmung, Festnahme, Strafanzeige usw. münden können. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen. Die illegale Ein- und Ausreise ist strafbar. Die Ausrei sekontrollen an türkischen Grenzübergängen sind in der Regel streng. Ein- und Ausreisedaten werden genauestens erfasst und die Reisenden in den entsprechenden Fahndungssystemen überprüft (AA 20.5.2024, S. 24f.). Es ist gängige Praxis, dass Richter ein Ausreiseverbot gegen Personen verhängen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, oder gegen Personen, die auf Bewährung entlassen wurden. Eine Person muss also nicht angeklagt oder verurteilt werden, um ein Ausreiseverbot zu erhalten (MBZ 18.3.2021, S. 27f.; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 14f.). Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, inwieweit eine Person, die das negative Interesse der türkischen Behörden auf sich gezogen hat, das Land legal verlassen kann, oder eben nicht, während ein Strafverfahren noch anhängig ist. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an (MBZ 2.3.2022, S. 27). Dennoch bestätigten Quellen des niederländischen Außenministeriums, dass in den meisten Fällen mit politischer Dimension, die im Kontext des Strafrechts als „Terrorfälle“ gelten, ein Ausreisever bot verhängt wird. In Fällen mit politischem Kontext sind insbesondere kurdische Aktivisten und (angebliche) Gülenisten betroffen. Die Häufigkeit von Ausreiseverboten in Fällen mit einer politischen Dimension gilt als „ weit verbreitet“ und „ systematisch“. Jedoch gibt es Fälle von un auffälligen politischen Aktivisten, gegen die kein Ausreiseverbot verhängt wurde (MBZ 2.2025a, S. 37). Mitunter wird sogar gegen Parlamentarier ein Ausreiseverbot verhängt. - So wurde im März 2022 auf richterliches Geheiß dem HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu die Ausreise untersagt und sein Reisepass im Rahmen der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen eingezogen (Duvar 10.3.2022). Ende Dezember 2022 wurde, ebenfalls gegen einen HDP-Parlamentarier, eine Reisesperre verhängt. Zeynel Özen, der zudem schwedischer Staatsbürger und Mitglied des Harmonisierungsausschusses der Europäischen Union ist, wurde auf Anweisung des Innen ministers am Flughafen Istanbul ohne Begründung die Ausreise verweigert (Medya 26.12.2022; 313

vgl. Duvar 26.12.2022). Vor dem Hintergrund des Gazakrieges wurde im Oktober 2023 15 Par lamentariern der pro-kurdischen Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker - HEDEP [mit abgeänderter Abkürzung inzwischen DEM-Partei als Vorgängerin der HDP bzw. der Grünen Linkspartei] trotz parlamentarischer Immunität die Ausreise verweigert (Duvar 20.10.2023). Im Juni 2024 zogen die Behörden die Pässe von neun Ko-Bürgermeistern aus Gemeinden mit kurdischer Mehrheit ein, darunter die Bürgermeisterin von Diyarbakır Serra Bucak, ohne dass ein Gerichtsbeschluss vorlag. Das Innenministerium verteidigte den Schritt mit dem Hin weis auf die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung (Medya 24.6.2024; vgl. Rudaw 24.6.2024). Im Februar 2025 untersagte ein Istanbuler Gericht zwei leitenden Funktionären des Wirtschaftsverbands TUSIAD im Rahmen einer Untersuchung ihrer Äußerungen zur Demokratie, die Erdogan als Untergrabung der Regierung bezeichnet hatte, die Ausreise ins Ausland. Auf der Generalversammlung der Organisation hatten TUSIAD-Präsident Orhan Turan und Omer Aras, der Vorsitzende der türkischen Bankensparte der QNB, das harte Vorgehen der Regierung gegen Oppositionelle und Journalisten kritisiert (REU 20.2.2025). Drei Monate später wurde die Ausreisesperre aufgehoben. Das Verfahren lief hingegen weiter, wobei der Staatsanwalt bis zu fünf Jahren Haft forderte (HDN 20.5.2025; vgl. Bianet 22.5.2025). Das Recht zur Ausreise wiederum darf durch eine richterliche Entscheidung im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung oder Verfolgung eingeschränkt werden. Die Strafrichter machen von den Einschränkungsmöglichkeiten großzügig Gebrauch. Es ist gang und gäbe, dass insbeson dere Personen mit Auslandsbezug, welche sich nicht in Untersuchungshaft befinden, mit einer parallel zum Ermittlungsverfahren unter Umständen mehrere Jahre dauernden Ausreisesperre belegt werden. Hunderte EU-Bürger, darunter viele Österreicher, sind von dieser Maßnahme ebenso betroffen wie Tausende türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in einem EU-Mitglied staat. Umgekehrt wird über nicht türkische Staatsangehörige, die mit der türkischen Strafjustiz in Kontakt gekommen sind oder deren Aktivitäten außerhalb der Türkei als negativ wahrgenommen wurden, eine Einreisesperre verhängt (ÖB Ankara 4.2025, S. 14f.). Das deutsche Auswärtige Amt, antwortend auf eine parlamentarische Anfrage, gab im Juni 2022 an, dass 104 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit an der Ausreise gehindert wurden. 55 hätten sich wegen „Terror“-Vorwürfen in Haft befunden, und gegen 49 weitere wäre eine Ausreisesperre verhängt worden (FR 11.6.2022). Mindestens 65 deutsche Staatsbürger konnten mit Stand November 2023 die Türkei aufgrund von Ausreisesperren nicht verlassen, die Hälfte wegen Terrorvorwürfen (Zeit Online 16.11.2023). Mitunter wird ein Ausreiseverbot ausgesprochen, ohne dass die betreffende Person davon weiß. In diesem Fall erfährt sie es erst bei der Passkontrolle zum Zeitpunkt der Ausreise, woraufhin höchstwahrscheinlich ein Verhör folgt. So wie z. B. Strafverfahren und Strafen werden auch Aus reiseverbote im sog. Allgemeinen Informationssammlungssystem (Genel Bilgi Toplama Sistemi - GBT) erfasst. Die Justizbehörden und der Sicherheitsapparat, einschließlich Polizei und Gen darmerie, haben Zugriff auf das GBT. Wenn ein Zollbeamter am Flughafen die Identitätsnummer der betreffenden Person in das GBT eingibt, wird ersichtlich, dass das Gericht ein Ausreiseverbot verhängt hat. Unklar ist hingegen, ob ein Ausreiseverbot auch im sog. Nationalen Justizinforma tionssystem (Ulusal Yargi Ağı Bilişim Sistemi - UYAP) und im e-Devlet (e-Government-Portal) 314

aufscheint und somit dem Betroffenen bzw. seinem Anwalt zugänglich und offenkundig wäre. Die Polizei und die Gendarmerie können eine Person auch auf andere Weise daran hindern, das Land legal zu verlassen, indem sie in der internen Datenbank, genannt PolNet, ohne Wissen eines Richters einschlägige Anmerkungen zur betreffenden Person einfügen. Solche Notizen können den Zoll darauf aufmerksam machen, dass die betreffende Person das Land nicht ver lassen darf. Auf diese Weise kann eine Person an einem Flughafen angehalten werden, ohne dass ein Ausreiseverbot im GBT registriert wird (MBZ 18.3.2021, S. 27f). Die Regierung beschränkt weiterhin Auslandsreisen von Bürgern, die unter Terrorverdacht ste hen oder denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Das gilt auch für deren Familienangehörige. Medienschaffende, Men schenrechtsverteidiger und andere, die mit politisch motivierten Anklagen konfrontiert sind. Sie werden oft unter „ gerichtliche Kontrolle“ gestellt, bis das Ergebnis ihres Prozesses vorliegt. Dies beinhaltet häufig ein Verbot, das Land zu verlassen. Die Behörden hindern auch einige türkische Doppel-Staatsbürger aufgrund eines Terrorismusverdachts daran, das Land zu verlassen, was dazu führt, dass manche das Land illegal verlassen. Ausgangssperren, die von den lokalen Behörden als Reaktion auf die militärischen Operationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhängt wurden, und die militärische Operation des Landes in Nordsyrien schränkten die Bewegungsfreiheit ebenfalls ein (USDOS 22.4.2024, S. 42f.). Urteile des Verfassungsgerichtes im Sinne der Bewegungsfreiheit Das türkische Verfassungsgericht hob Ende Juli 2019 eine umstrittene Verordnung auf, die nach dem Putschversuch eingeführt worden war und mit der die türkischen Behörden auch die Pässe von Ehepartnern von Verdächtigen für ungültig erklären konnten, auch wenn keinerlei Anschuldigungen oder Beweise für eine Straftat vorlagen. Die Praxis war auf breite Kritik ge stoßen und als Beispiel für eine kollektive Bestrafung und Verletzung der Bewegungsfreiheit angeführt worden (TM 26.7.2019). Das Verfassungsgericht entschied überdies Ende Jänner 2022, dass die massenhafte Annullierung der Pässe von Staatsbediensteten nach dem geschei terten Putschversuch 2016 rechtswidrig war. Das Gericht stellte fest, dass einige Regelungen des Notstandsdekrets Nr. 7086 vom 6.2.2018 verfassungswidrig sind, unter anderem mit der Begründung, wonach die Vorschriften, die vorsehen, dass die Pässe der aus dem öffentlichen Dienst Entlassenen eingezogen werden, die Reisefreiheit des Einzelnen über das Maß hinaus einschränken, welches die Situation des Notstandes erfordern würde. Überdies wurde dem Verfassungsgericht nach das durch die Verfassung garantierte Recht der Unschuldsvermutung verletzt (Duvar 29.1.2022). Im Frühjahr 2024 erklärte das Verfassungsgericht, dass das gegen die Menschenrechtsaktivistin Nurcan Kaya verhängte internationale Reiseverbot ihre Meinungsfreiheit verletze. Nurcan Kaya wurde am Istanbuler Flughafen im Oktober 2019 festgenommen, als sie versuchte, an einer Sitzung der Vereinten Nationen teilzunehmen. Kaya wurde im Rahmen einer Untersuchung in haftiert unter der Anschuldigung „ Hass und Feindschaft unter den Menschen zu schüren“, nach dem sie 2014 in einem Tweet geschrieben hatte: „ Nicht nur die Kurden, sondern alle in Kobanê 315

lebenden Völker leisten Widerstand.“ Während ihres Prozesses unterlag Kaya einer 1,5-mona tigen gerichtlichen Kontrolle, die ein internationales Reiseverbot und die Beschlagnahme ihres Reisepasses beinhaltete. - Das Verfassungsgericht erkannte an, dass die gerichtlichen Maß nahmen Kayas Fähigkeit zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs beeinträchtigten, und sprach Kaya 13.500 Lira (ca. 390 Euro) als immateriellen Schadenersatz zu. Darüber hinaus kritisierte das Verfassungsgericht die Justiz dafür, dass sie vor der Verhängung des Reiseverbots keine weniger restriktiven Maßnahmen in Betracht gezogen und Berufungen gegen das Verbot aus „ abstrakten Gründen“ abgelehnt hatte (Duvar 7.3.2024; vgl. MLSA 6.3.2024). Im November 2024 erklärte das Verfassungsgericht die Bestimmung im Passgesetz für nichtig, welche die Ausstellung von Reisepässen an Personen untersagte, die vom Innenministerium als ein allgemeines Sicherheitsrisiko angesehen wurden, wenn sie das Land verließen. Das Verfassungsgericht stellte fest, dass die fragliche gesetzliche Einschränkung nicht allgemeiner Natur war, sondern sich vielmehr gegen bestimmte Personen richtete. Es betonte, dass das Recht, das Land zu verlassen, gemäß Artikel 23 der Verfassung nur aufgrund strafrechtlicher Er mittlungen oder Strafverfolgung eingeschränkt werden kann. Das Verfassungsgericht entschied, dass die Entscheidung über diese Angelegenheit durch Verwaltungsbehörden einen Verstoß darstellt. Das Gericht befand, dass die Bestimmung das verfassungsmäßige Recht auf Freizü gigkeit in einer Weise einschränkt, die nicht mit den in der Verfassung dargelegten Gründen für eine Einschränkung vereinbar ist. Folglich erklärte es die Gesetzesklausel für nichtig, die Personen, die vom Innenministerium als Sicherheitsrisiken eingestuft wurden, die Ausstellung von Reisepässen verweigerte (Bianet 21.11.2024; vgl. TM 21.11.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file /local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_ der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich] ■ Bianet - Bianet (22.5.2025): TÜSİAD executives face up to 5 years in prison, https://bianet.org/hab er/tusiad-executives-face-up-to-5-years-in-prison-307609 , Zugriff 10.6.2025 ■ Bianet - Bianet (21.11.2024): Top court rules denying citizens passport unconstitutional, https://bian et.org/haber/top-court-rules-denying-citizens-passport-unconstitutional-302032 , Zugriff 26.11.2024 ■ Duvar - Duvar (7.3.2024): Turkeys top court rules international travel ban violation of freedom of expression, https://www.duvarenglish.com/turkeys-top-court-rules-international-travel-ban-violation -of-freedom-of-expression-news-63958 , Zugriff 16.9.2024 ■ Duvar - Duvar (20.10.2023): 15 MPs, deputy speaker of Turkish Parliament banned from traveling abroad, https://www.duvarenglish.com/15-mps-deputy-speaker-of-turkish-parliament-banned-fro m-traveling-abroad-news-63183 , Zugriff 18.1.2024 ■ Duvar - Duvar (26.12.2022): International travel ban imposed on HDP MP, https://www.duvarengli sh.com/international-travel-ban-imposed-on-hdp-mp-news-61648 , Zugriff 18.1.2024 ■ Duvar - Duvar (10.3.2022): HDP MP Gergerlioğlu files objection against int’l travel ban, seizure of passport, https://www.duvarenglish.com/hdp-mp-omer-faruk-gergerlioglu-files-objection-against-int l-travel-ban-seizure-of-passport-news-60577 , Zugriff 18.1.2024 ■ Duvar - Duvar (29.1.2022): Turkey’s top court rules passport cancellation for sacked civil servants unconstitutional, https://www.duvarenglish.com/turkeys-top-court-rules-passport-cancellation-for-s acked-civil-servants-unconstitutional-news-60256 , Zugriff 18.1.2024 ■ FH - Freedom House (26.2.2025): Freedom in the World 2025 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do kument/2125459.html, Zugriff 20.5.2025 316
