2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-tuerkei-version-10-d827
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
nach Einberechnung der dämpfend wirkenden Sozialtransfers 0,413. 2014 lag er noch bei 0,391 (TUIK 27.12.2024). [Anm.: In Österreich betrug laut Momentum Institut der Gini-Koeffizient nach Steuern und staatlichen Transferleistungen 2020 0,28]. Zu den bekannten Auswirkungen hoher Inflation gehört, dass die Schere zwischen niedrigen und hohen Einkommen weiter auseinandergeht. Von 2014 bis 2023 ist der Anteil der niedrigsten vier Einkommensgruppen (80 %) am Gesamteinkommen gesunken, während der Anteil der höchsten Einkommensgruppe von 45,9 auf 49,8 % gestiegen ist. Das bedeutet, dass die obersten 20 % fast die Hälfte des verfügbaren Einkommens besitzen. Während Haushalte in der niedrigsten Einkommensgruppe mehr als 36 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aufwenden müssen, beträgt dieser Anteil in der höchsten Einkommensgruppe nur gut 14 %. Das bedeutet, dass die niedrigste Einkommensgruppe mit 78 % überdurchschnittlich von der Inflation betroffen ist. Betrachtet man den Zeitraum von zehn Jahren, so ist der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in der niedrigsten Einkommensgruppe von 28,8 % in 2014 auf 36,6 % in 2023 angestiegen (FES 11.7.2024). Die Armutsgrenze in der Türkei lag Ende Dezember 2024 laut Daten des Türkischen Gewerk schaftsbundes (Türk-İş) bei 68.675 Lira (rund 1.875 Euro) (Dezember 2023: 47.000 Lira/ damals rund 1.400 Euro). Allerdings erhöhten sich die Mindestausgaben einer vierköpfigen Familie in nerhalb der letzten zwölf Monate um 46 %. - Die Armutsgrenze gibt an, wie viel Geld eine vierköpfige Familie benötigt, um sich ausreichend und gesund zu ernähren, und deckt auch die Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Kleidung, Miete, Strom, Wasser, Verkehr, Bildung und Gesundheit ab. - Die Hungerschwelle, die den Mindestbetrag angibt, der erforderlich ist, um eine vierköpfige Familie im Monat vor dem Hungertod zu bewahren, lag Ende 2024 bei knapp 21.000 Lira bzw. circa 575 Euro (Ende Dezember 2023: 14.431 Lira bzw. rund 440 Euro) (Duvar 1.1.2025; vgl. Duvar 3.1.2024). Um die Kaufkraft zu stärken, hob die Regierung den gesetzlichen Mindestlohn zum 1.1.2025 von 17.000 Lira (465 Euro) um 30 % auf 22.104 Lira (607 Euro) an (Tagesschau 3.1.2025; vgl. MLSS/ CSGB 24.12.2024). Während die Befürworter der Maßnahme argumentieren, dass es sich um den höchsten Mindestlohn der letzten Jahre handelt, mit einer Erhöhung um 30 %, weisen Kritiker darauf hin, dass er deutlich unter der jährlichen Inflationsrate für 2024 von 44 % lag. - Steigende Mietkosten unterstreichen die Unzulänglichkeiten des neuen Mindestlohns, zumal 42 % der Türken nur den Mindestlohn verdienen. In Istanbul liegt die durchschnittliche Monatsmiete bei 709 Dollar, in Ankara bei 567 Dollar - beide Zahlen liegen über oder nahe dem Mindestlohn (MEE 27.12.2024). Die Istanbuler Planungsagentur (IPA), die der Istanbuler Stadtverwaltung angegliedert ist, hat die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine vierköpfige Familie in der Megastadt im Juli 2024 auf 66.550 Lira (1.982 US-$) berechnet. Das war fast das Vierfache des Mindestlohns (17.002 Lira). Die Steigerungsrate der letzten zwölf Monate lag somit bei 71,4 % (Duvar 6.8.2024). Die Lohneinkommen, die durch Mindestlohnsteigerungen (30 % im Jahr 2025) und eine starke Arbeitsmarktentwicklung angekurbelt werden, dürften weiterhin die wichtigste Triebkraft für die Armutsbekämpfung sein. Angesichts der hohen Gesamtarbeitslosigkeit und der informellen 337

Beschäftigung könnten jedoch Personen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, nicht vom Wachstum profitieren. Gezielte und flexible Sozialschutzprogramme sind laut Weltbank erforderlich, um diese Gruppe vor den Auswirkungen der hohen Inflation zu schützen (WB 24.4.2025). Die Krise bedeutet für viele Türken Schwierigkeiten zu haben, sich Lebensmittel im eigenen Land leisten zu können. Der normale Bürger kann sich inzwischen Milch- und Fleischprodukte nicht mehr leisten: Diese werden nicht mehr für jeden zu haben sein, so Semsi Bayraktar, Prä sident des Türkischen Verbandes der Landwirtschaftskammer. Die Türkei befand sich 2023 mit 69 % an fünfter Stelle auf der Liste der globalen Lebensmittel-Inflation (DW 13.4.2023). Bülent Mumay, Türkei-Kolumnist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beschreibt die Lage Anfang 2025 folgendermaßen: „ […] Wohnungsmieten stiegen 2024 um 52 %. Die Preise für Möbel haben sich in den letzten fünf Jahren um 555 % verteuert, für große und kleine Haushaltsgeräte gar um 615 %. Für junge Leute ist aus ökonomischen Gründen bereits die Fortsetzung ihres Studiums schwierig geworden, geschweige denn die Gründung einer Familie. Innerhalb der letzten fünf Jahre brachen rund 325.000 Studenten ihr Studium ab, um stattdessen zum Familieneinkom men beizutragen. Doch wer sich für Arbeit statt Studium entscheidet, ist zum Mindestlohn von rund 600 Euro verdammt – wie mindestens die Hälfte aller Erwerbstätigen im Land. 90 % der Erwerbstätigen in der Türkei verdienen unter 1200 Euro im Monat. Diese Situation führt dazu, dass sich die Armut im Land weiter ausbreitet. Rund 40 % der Menschen können sich rotes oder weißes Fleisch oder Fisch nicht einmal mehr jeden zweiten Tag leisten. 15 % können ihre Heizkosten nicht mehr aufbringen. 12 % waren im letzten Monat außerstande, ihre Miete zu zahlen. 60 % können abgenutztes Mobiliar nicht ersetzen, 31 % nicht einmal ein undichtes Dach reparieren lassen. Und eine Woche Urlaub im Jahr bleibt für 58 % unerschwinglich […]“ (FAZ/ Mumay B. 3.1.2025). Die staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen betrugen 2023 lediglich 10,1% des BIP. In vie len Fällen sorgen großfamiliäre Strukturen für die Sicherung der Grundversorgung (ÖB Ankara 4.2025, S.57). In Zeiten wirtschaftlicher Not wird die Großfamilie zur wichtigsten Auffangstation. Gerade die Angehörigen der ärmeren Schichten, die zuletzt aus ihren Dörfern in die Großstäd te zogen, reaktivieren nun ihre Beziehungen in ihren Herkunftsdörfern. In den dreimonatigen Sommerferien kehren sie in ihre Dörfer zurück, wo zumeist ein Teil der Familie eine kleine Subsistenzwirtschaft aufrechterhalten hat (Standard 25.7.2022). NGOs, die Bedürftigen helfen, finden sich vereinzelt nur in Großstädten (ÖB Ankara 4.2025, S. 57). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Unterkünfte im unteren Preissegment sind Mangelware. Die Zahl der Obdachlosen steigt durch Flüchtlinge, In flation und zuletzt durch das Erdbeben. Bis auf einige gemeinnützige Einrichtungen mit wenigen Plätzen gibt es keine staatlichen Obdachlosenunterkünfte (AA 20.5.2024, S. 21). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file 338

/local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_ der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich] ■ Duvar - Duvar (1.1.2025): Turkey’s hunger threshold surpasses 21,000 liras in December, https://ww w.duvarenglish.com/turkeys-hunger-threshold-surpasses-21000-liras-in-december-news-65473 , Zugriff 16.1.2025 ■ Duvar - Duvar (6.8.2024): Cost of living for one family in Istanbul rises by 71 pct annually, https://ww w.duvarenglish.com/cost-of-living-for-one-family-in-istanbul-rises-by-71-pct-annually-news-64773 , Zugriff 16.1.2025 ■ Duvar - Duvar (24.6.2024): Some 56 pct of young people in Turkey want to live abroad if given opportunity, https://www.duvarenglish.com/some-56-pct-of-young-people-in-turkey-want-to-live-a broad-if-given-opportunity-news-64562 , Zugriff 27.8.2024 ■ Duvar - Duvar (3.1.2024): Turkey’s poverty threshold hits nearly three times of new minimum wage, https://www.duvarenglish.com/turkeys-poverty-threshold-hits-nearly-three-times-of-new-minimum -wage-news-63595 , Zugriff 31.1.2024 ■ DW - Deutsche Welle (13.4.2023): Türkei vor der Wahl: Fleisch für viele Menschen unerschwinglich, https://www.dw.com/de/türkei-vor-der-wahl-fleisch-für-viele-menschen-unerschwinglich/a-6529983 5, Zugriff 10.11.2023 ■ EC - Europäische Kommission (30.10.2024): Türkiye 2024 Report [SWD(2024) 696 final], ht tps://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/document/download/8010c4db-6ef8-4c85-aa06- 814408921c89_en?filename=Türkiye Report 2024.pdf, Zugriff 5.11.2024 ■ EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https:// neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023 ■ FAZ/Mumay B. - Frankfurter Allgemeine Zeitung (Herausgeber), Mumay, Bülent (Autor) (3.1.2025): Brief aus Istanbul von Bülent Mumay: Erdoğans imperiale Ansprüche, https://www.faz.net/aktuell/fe uilleton/kolumnen/brief-aus-istanbul/brief-aus-istanbul-von-buelent-mumay-erdo-ans-imperiale-a nsprueche-110207491.html, Zugriff 16.1.2025 ■ FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (10.2024): Youth Study Southeast Europe 2024 - Independent but concerned: the v oices of young people in Southeast Eur, https://library.fes.de/pdf-files/bueros/wien /21457.pdf, Zugriff 19.5.2025 ■ FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (11.7.2024): AKP UND CHP IM DIALOG, https://turkey.fes.de/de/e/a kp-und-chp-im-dialog.html , Zugriff 21.8.2024 ■ FP - Foreign Policy (27.1.2023): Erdogan’s Turkey Faces a Growing Exodus Ahead of Elections, https://foreignpolicy.com/2023/01/27/turkey-elections-erdogan-exodus-population-migration/ , Zugriff 8.11.2023 ■ GTAI - Germany Trade and Invest (19.2.2025): Wirtschaftswachstum der Türkei verliert an Schwung, https://www.gtai.de/de/trade/tuerkei/wirtschaftsumfeld/wirtschaftswachstum-der-tuerkei-verliert-a n-schwung-247908#toc-anchor--3 , Zugriff 27.3.2025 ■ MEE - Middle East Eye (27.12.2024): ’Condemned to hunger’: Turkey’s below-inflation minimum wage rise sparks anger, https://www.middleeasteye.net/news/turkeys-below-inflation-minimum-w age-angers-millions, Zugriff 9.1.2025 ■ MLSS/CSGB - Minister of Labour and Social Security of the Republic of Türkiye (24.12.2024): The New Minimum Wage to be Applied in 2025 was Determined as 22 Thousand 104 Lira, https://www. csgb.gov.tr/en/news/24-12-2024, Zugriff 9.1.2025 ■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB An kara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025 ■ OSW/Z.Krzyżanowska - Centre for Eastern Studie (Herausgeber), Krzyżanowska, Zuzanna (Autor) (7.8.2024): Turkey: a looming demographic crisis, https://www.osw.waw.pl/en/publikacje/osw-com mentary/2024-08-07/turkey-a-looming-demographic-crisis , Zugriff 19.5.2025 ■ Standard - Standard, Der (25.7.2022): Türkei lernt, mit Inflationsraten jenseits der 100 Prozent zu leben, https://www.derstandard.at/story/2000137723848/tuerkei-lernt-mit-inflationsraten-jenseits-d er-100-prozent-zu-leben?ref=loginwall_articleredirect , Zugriff 9.1.2024 ■ Tagesschau - Tagesschau (3.1.2025): Türkische Inflationsrate sinkt weiter, https://www.tagesschau .de/wirtschaft/weltwirtschaft/inflation-tuerkei-dezember-100.html , Zugriff 9.1.2025 ■ TUIK - Turkish Statistical Institute [Türkei] (20.3.2025): Labour Force Statistics, 2024, https://data.t uik.gov.tr/Bulten/Index?p=Labour-Force-Statistics-2024-54059 , Zugriff 27.3.2025 339

■ TUIK - Turkish Statistical Institute [Türkei] (27.12.2024): Income Distribution Statistics, 2024 The share of the highest quintile was 48.1% of the total income, https://data.tuik.gov.tr/Bulten/Index?p= Income-Distribution-Statistics-2024-53712 , Zugriff 16.1.2025 ■ WB - Weltbank (24.4.2025): Türkiye: Overview - Economy, https://www.worldbank.org/en/country/t urkey/overview#3, Zugriff 13.5.2025 ■ WKO - Wirtschaftskammer Österreich (3.2025): Außenwirtschaft Wirtschaftsbericht Türkei, https: //www.wko.at/oe/aussenwirtschaft/tuerkei-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 28.3.2025 22.1 Sozialbeihilfen / -versicherung Letzte Änderung 2025-08-06 13:01 Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den För derungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt (AA 20.5.2024, S. 21). Die Hilfe leistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfı) ausge führt, die den Gouverneuren unterstellt sind (AA 14.6.2019). Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können (AA 20.5.2024, S. 21; vgl. ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Fami lie und Sozialpolitik gibt es aber 46 Sozialunterstützungsleistungen, wobei der Anspruch an schwer zu erfüllende Bedingungen gekoppelt ist. - Hierzu zählen (alle mit Stand: April 2025): Sachspenden in Form von Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien; Kindergeld: einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und 300 Lira für das erste, 400 für das zweite, 600 ab dem dritten Kind beträgt; für hilfsbedürftige Familien mit Mehrlingen: Kindergeld für die Dauer von zwölf Monaten über monatlich 400Lira, wenn das pro Kopf Einkommen der Familie 7.368,22Lira nicht übersteigt; finanzielle Unterstützung für Gebärende: sog. „ Stillgeld“ in einmaliger Höhe von 1.238TL (bei geleisteten Sozialversicherungsabgaben durch den Ehe partner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst); Wohnprogramme; Pensionen und Betreuungsgeld für Behinderte und ältere pflegebedürftige Personen: zwischen 3.723,27und 5.584,91Lira je nach Grad der Behinderung. Zudem existiert eine Unterstützung in der Höhe von 10.125,56Lira für Personen, die sich um Schwerbehinderte zu Hause kümmern (Grad der Behinderung von mindestens 50 % sowie Nachweis der Erforderlichkeit von Unterstützung im Alltag). Witwenunterstützung: Unterstützung von monatlich 1.000 Lira für Witwen, in deren Haus halt keine sozialversicherte Person lebt und welche bedürftig sind, aus dem Sozialhilfe- und Solidaritätsfonds der Regierung. Zudem gibt es die Hinterbliebenenpension, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet, maximal 75 % des Bruttomonatsge halts des verstorbenen Ehepartners (ÖB Ankara 4.2025, S. 57f.). Pflegebedürftigkeit ist bis heute im türkischen Sozialversicherungssystem nicht als Risiko an erkannt, und es existiert auch keine einheitliche Definition des Begriffs „ Pflegebedürftigkeit“. Im 340

Endeffekt gibt es kein System, das die Pflegebedürftigen oder ihre pflegenden Familienange hörigen direkt oder indirekt finanziell unterstützt. In der Türkei ist Pflege im eigenen Heim eine weitverbreitete Praxis, wobei es sich selten um eine professionelle Pflege handelt, da sich diese nicht einmal annähernd jeder leisten kann. Ein weiteres, immer mehr bemerkbar werdendes Problem ist der Fachkräftemangel im Pflegebereich. Die einzige Leistung, die seit einigen Jah ren gewährt wird, ist das sog. Pflegegeld, das allerdings nicht mit dem Pflegegeld in Österreich zu vergleichen ist. In der Türkei hat nicht jeder Bedürftige bei Eintritt des Pflegefalles Anspruch auf die Pflegegeldleistung. Im bestehenden System werden geistig oder körperlich behinderten Personen ab dem Behinderungsgrad von über 50 % und unter sehr strengen Auflagen Leis tungen zugesprochen, wobei diese finanziellen Leistungen bei Weitem nicht die anfallenden Kosten decken (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Ver sicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat ge leistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutter schaft bezahlt der unselbstständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2 %; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9 % und der Arbeitgeberanteil auf 11 %. Der Beitrag zur allgemeinen Krankenversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5 % und für die Arbeitgeber 7,5 % (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1 % vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2 %, ergänzt um einen Beitrag des Staates in der Höhe von 1 % des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SSA 9.2018). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file /local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_ der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich] ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_B3richt _über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019), _14.06.2019.pdf, Zugriff 6.11.2022 [Login erforderlich] ■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB An kara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025 ■ ÖSV/Hekimler A. - Österreichische Sozialversicherung (Herausgeber), Hekimler, Alpay (Autor) (14.11.2020): Sozialsystem und Sozialrecht in der Türkei, https://www.sozialversicherung.at/cdscon tent/?contentid=10007.845042&portal=svportal, Zugriff 20.1.2025 ■ SGK - Anstalt für Soziale Sicherheit (Sosyal Güvenlik Kurumu) [Türkei] (2016): Universal Health Insurance, https://web.archive.org/web/20170103191505/http:/www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/ detail/universal_health_ins, Zugriff 6.11.2023 ■ SSA - Social Security Administration [USA] (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey. html, Zugriff 7.11.2023 341

22.2 Arbeitslosenunterstützung Letzte Änderung 2025-08-06 13:01 Die Arbeitslosenversicherung wurde im Jahr 1999 eingeführt und ist als Pflichtversicherung konzipiert. Versichert sind grundsätzlich alle Personen, die einer Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsvertrages nachgehen. Bestimmte Personengruppen sind von der Versicherungs pflicht ausdrücklich ausgenommen, wie z. B. die Beamten und diejenigen, welche selbstständig einem Beruf nachgehen. Generell wird zwischen aktiven und passiven Leistungen unterschie den. Das von der Versicherung gezahlte Arbeitslosengeld stellt eine passiv geleistete Hilfe, eine angebotene Arbeits- und Berufsausbildung dagegen eine aktive Hilfsleistung dar. Im Fall der Arbeitslosigkeit gibt es nur eine finanzielle Unterstützung, die aus der Arbeitslosenversicherung gewährt wird, nämlich das Arbeitslosengeld. Daher wird nach dem zeitlich befristeten Arbeitslo sengeld keine weitere finanzielle Leistung aus der Arbeitslosenversicherung sowie aus weiteren Institutionen erbracht (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Arbeitslosengeld wird maximal zehn Monate lang ausbezahlt, wenn zuvor eine ununterbrochene, angemeldete Beschäftigung von mindestens 120 Tagen bestanden hat und nachgewiesen wer den kann. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem Durchschnittsverdienst der letzten vier Monate und beträgt 40 % des Durchschnittslohns der letzten vier Monate, maximal jedoch 80 % des Bruttomindestlohns. Die Leistungsdauer richtet sich danach, wie viele Tage der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren Beiträge entrichtet hat (İŞKUR o.D.; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S.57). Personen, die 600 Tage lang Zahlungen geleistet haben, haben Anspruch auf 180 Tage Arbeits losengeld. Bei 900 Tagen beträgt der Anspruch 240 Tage, und bei 1.080 Beitragstagen macht der Anspruch 300 Tage aus (IOM 10.2024, S. 2; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S.57, İŞKUR o.D.). Zudem muss der Arbeitnehmer die letzten 120 Tage vor dem Leistungsbezug ununterbrochen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben. Für die Dauer des Leistungsbezugs übernimmt die Arbeitslosenversicherung die Beiträge zur Kranken- und Mutterschutzversicherung (ÖB Ankara 4.2025, S. 57; vgl. ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Das Gesetz schreibt vor, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf Betreiben des Arbeitnehmers aufgelöst oder aufgrund seines Fehlverhaltens gekündigt worden sein darf (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Nach Erhöhung des Mindestlohns im Jänner 2025 beträgt der Mindestarbeitslosenbetrag derzeit 10.323 Lira (ca. 250 EUR), der Maximalbetrag 20.646 Lira (rund 500 EUR) (İŞKUR 2025; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 57, CottGroup 25.12.2024). Quellen ■ CottGroup - CottGroup (25.12.2024): Unemployment Fund Calculation and Amount for 2025 Cot tGroup, https://www.cottgroup.com/en/blog/work-life/item/unemployment-fund-calculation-and-amo unt, Zugriff 9.1.2025 ■ IOM - International Organization for Migration (10.2024): Türkei - Länderinformationsblatt 2024, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2024_Türkiye_DE.pdf, Zugriff 27.3.2025 ■ İŞKUR - Turkish Employment Agency (Türkiye İş Kurumu) [Turkey] (o.D.): Unemployment Benefit, https://www.iskur.gov.tr/en/job-seeker/unemployment-insurance/unemployment-benefit/ , Zugriff 10.1.2024 342

■ İŞKUR - Turkish Employment Agency (Türkiye İş Kurumu) [Turkey] (2025): İşsizlik Ödeneği Miktarı [Höhe des Arbeitslosengeldes], https://www.iskur.gov.tr/is-arayan/issizlik-sigortasi/issizlik-odenegi , Zugriff 18.4.2025 ■ ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB An kara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025 ■ ÖSV/Hekimler A. - Österreichische Sozialversicherung (Herausgeber), Hekimler, Alpay (Autor) (14.11.2020): Sozialsystem und Sozialrecht in der Türkei, https://www.sozialversicherung.at/cdscon tent/?contentid=10007.845042&portal=svportal, Zugriff 20.1.2025 22.3 Pension Letzte Änderung 2025-08-06 13:01 Pensionen gibt es für den öffentlichen und den privaten Sektor. Eigenbeteiligungen werden an die Anstalt für Soziale Sicherheit (SGK) entrichtet, weitere Kosten entstehen nicht. Wenn der oder die Begünstigte die Anforderungen erfüllt, erhält er oder sie eine monatliche Pension entsprechend der Höhe der Prämienzahlung. Personen, die älter als 65 sind, Menschen mit Behinderungen über 18 und Personen mit Verwandten unter 18 Jahren mit Behinderungen, für die sie die gesetzliche Vormundschaft übernehmen, können eine regelmäßige monatliche Zahlung erhalten. Unmittelbare Familienmitglieder von Versicherten, die nach ihrer Pensionie rung verstorben sind und/oder mindestens zehn Jahre gearbeitet haben, haben Anspruch auf Witwen- oder Waisenhilfe. Wenn der/die Verstorbene länger als fünf Jahre gearbeitet hat, haben seine/ihre Kinder unter 18 Jahren, Kinder in der Sekundarschule unter 20 Jahren und Kinder, die unter 25 Jahre alt sind und an einer Hochschule eingeschrieben sind, Anspruch auf Waisenhilfe. Die Voraussetzungen für den Zugang für Rückkehrende sind folgende: Türkische Staatsbürger über 18 Jahre; Expatriates, die ihre Arbeit im Ausland dokumentieren können (einschließlich ein Jahr Arbeitslosigkeit); Ehepartner und Bürger ohne Beruf über 18 Jahren können eine Pension erhalten, wenn sie ihre Prämien für den gesamten oder einen Teil ihres Auslandsaufenthaltes in einer Fremdwährung an SGK, Bağkur [Selbständige] oder Emekli Sandığı [Beamte] gezahlt haben. Um um eine Pension anzusuchen müssen Rückkehrer sich bei der Sozialversicherung SGK anmelden, bei der sie ihre Prämie innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Ankunft gezahlt haben. Aus dem Ausland gezahlte Prämien können in die Türkei überwiesen und zum jeweiligen Wechselkurs bei Zeitpunkt der Überweisung in türkischen Lira zurückgezahlt werden. Erforder liche Dokumente umfassen eine beglaubigte Kopie des Personalausweises, Erklärungs- und Verpflichtungsschreiben sowie eine Quittung zur Bestätigung der Zahlung (IOM 10.2024, S. 4). Invalidenpension: Die wichtigste Leistung an Invalide ist die Pension wegen verminderter Erwerbstätigkeit. Bei Gewährung werden die gesundheitsvorsorglichen Maßnahmen sowie Be handlungen von der allgemeinen Krankenversicherung übernommen. Voraussetzungen für eine Pension wegen verminderter Erwerbstätigkeit sind, dass der Versicherte erwerbsunfähig ist und dies durch ein ärztliches Attest festgestellt wird, wobei der Behinderungsgrad mindestens bei 60 % liegen muss. Des Weiteren muss der Versicherte eine bestimmte Versicherungszeit nach weisen, d. h. er muss seit mindestens zehn Jahren versichert sein und für 1.800 Tage Beiträge geleistet haben, wobei auch keine Beitragsschulden vorhanden sein dürfen. Sollte allerdings der Versicherte auf fremde Hilfe angewiesen sein, so ist die Zehnjahresfrist nicht zu beachten (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). 343

Die Höhe der Alterspension (Yaşlılık aylığı) ist der durchschnittliche Monatsverdienst des Versi cherten multipliziert mit dem Rückstellungssatz. Der durchschnittliche Monatsverdienst ist der gesamte Lebensverdienst des Versicherten dividiert durch die Summe der Tage der gezahl ten Beiträge, multipliziert mit 30. Der Rückstellungssatz beträgt 2 % für jede 360-Tage-Bei tragsperiode (aliquot reduziert für Zeiträume von weniger als 360 Tagen), bis zu 90 %. Eine Sonderberechnung gilt, wenn die Erstversicherung vor dem 1.10.2008 erfolgte (SSA 9.2018). Kurz vor dem Jahreswechsel 2022/2023 hat Präsident Erdoğan das Mindestalter für die Pension aufgehoben und damit mehr als zwei Millionen Bürgern die Möglichkeit gegeben, sofort in den Ruhestand zu treten. Bislang galt in der Türkei ein Mindestalter von 60 Jahren für Männer und 58 für Frauen (Zeit Online 29.12.2022). Ab Mitte Jänner 2023 zählt nur noch die gearbeitete Zeit. 7.200 Tage berechtigen dann zum Pensionseintritt. Allerdings arbeiten viele Pensionisten trotzdem weiter, da die Pension nicht zum Leben reicht. Über zwei Mio. Türken würden in den Genuss der neuen Regelung kommen (ARD 2.1.2023). Mit der Veröffentlichung der neuesten Inflationsdaten für 2024 durch das türkische Statistik amt (TÜİK) wurden die Pensionen, ausgenommen jener der Staatsbediensteten, um 15,75 % angehoben. Mit der Anpassung wird die niedrigste Pension um weniger als 2.000 auf 14.468 Lira steigen [knappe 400 Euro]. Etwa 3,7 Millionen Pensionisten hatten vor dieser Erhöhung Pensionen unter 12.500 Lira [rund 340 Euro]. Die niedrigsten Pensionen für Beamte im Ruhe stand steigen von 17.587 auf 19.616 Lira [rund 535 Euro]. Die Hungergrenze für eine vierköpfige Familie lag im Dezember 2024 bei rund 21.000 Lira, während die Armutsgrenze nach Untersu chungen des Türkischen Gewerkschaftsbundes (Türk-İş) bei 68.675 Lira lag. Die niedrigsten Pensionen werden also um 6.532 Lira unter der Hungergrenze sein (Duvar 4.1.2025; vgl. TR- Today 7.1.2025). Bei den Empfängern von Mindestpensionen erfolgt keine automatische Erhöhung mehr. Die Mindestpension setzt sich zusammen aus dem Pensionsanspruch und einer Zuzahlung aus dem Budget, der die Pension dann auf das Niveau der Mindestpension aufstockt. Die gesetzliche Erhöhung der Pension um die Inflation im ersten Halbjahr erhöht dann zwar den Pensionsan spruch, doch weil die Mindestpension nicht gesetzlich angehoben wurde, verringert sich dadurch nur die staatliche Zuzahlung. Aus diesem Grund haben Empfänger von Mindestpensionen im Jahr 2023 keine Erhöhung ihrer Zahlungen erhalten. Auch für Jahr 2024 war eine Erhöhung der Mindestpension zur Jahresmitte nicht vorgesehen (FES 11.7.2024). Die türkischen Pensionisten gehören zu den ärmsten der Welt. Das Pensionsniveau in der Türkei liegt bei knapp 22 % des Wertes der nationalen Armutsgrenze, was bedeutet, dass die Pension nicht ausreicht, um Altersarmut zu verhindern (ILO 2021 S. 56f). Quellen ■ ARD - Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (2.1.2023): Erdogans Rentengeschenk, https://www.tagesschau.de/ausland/as ien/erdogan-schafft-renteneintrittsalter-ab-101.html , Zugriff 7.11.2023 ■ Duvar - Duvar (4.1.2025): Turkey increases pensions by about 16 pct, https://www.duvarenglish.c om/turkey-increases-pensions-by-about-16-pct-news-65487 , Zugriff 9.1.2025 344

■ FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (11.7.2024): AKP UND CHP IM DIALOG, https://turkey.fes.de/de/e/a kp-und-chp-im-dialog.html , Zugriff 21.8.2024 ■ ILO - International Labour Organization (2021): World Social Protection Report 2020–22: Social Protection at the Crossroads – in Pursuit of a Better Future, http://web.archive.org/web/20210901 120748/https:/www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/---publ/documents/public ation/wcms_817572.pdf, Zugriff 7.11.2023 ■ IOM - International Organization for Migration (10.2024): Türkei - Länderinformationsblatt 2024, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2024_Türkiye_DE.pdf, Zugriff 27.3.2025 ■ ÖSV/Hekimler A. - Österreichische Sozialversicherung (Herausgeber), Hekimler, Alpay (Autor) (14.11.2020): Sozialsystem und Sozialrecht in der Türkei, https://www.sozialversicherung.at/cdscon tent/?contentid=10007.845042&portal=svportal, Zugriff 20.1.2025 ■ SSA - Social Security Administration [USA] (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey. html, Zugriff 7.11.2023 ■ TR-Today - Türkiye Today (7.1.2025): New base pension hike in Türkiye raises concerns - Türkiye Today, https://www.turkiyetoday.com/turkiye/new-base-pension-hike-in-turkiye-raises-concerns-1 02537, Zugriff 9.1.2025 ■ Zeit Online - Zeit Online (29.12.2022): Türkei schafft Mindestalter für Altersrente ab, https://www.ze it.de/politik/ausland/2022-12/recep-tayyip-erdogan-alter-rente-tuerkei-aufgehoben?utm_referrer=h ttps://www.zeit.de/thema/tuerkei, Zugriff 7.11.2023 23 Medizinische Versorgung Letzte Änderung 2025-08-06 13:33 Mit der Gesundheitsreform 2003 wurde das staatlich zentralisierte Gesundheitssystem umstruk turiert und eine Kombination der „ Nationalen Gesundheitsfürsorge“ und der „ Sozialen Kranken kasse“ etabliert. Eine universelle Gesundheitsversicherung wurde eingeführt. Diese vereinheit lichte die verschiedenen Versicherungssysteme für Pensionisten, Selbstständige, Unselbststän dige etc. Die staatliche Sozialversicherung gewährt den Versicherten eine medizinische Grund versorgung, die eine kostenlose Behandlung in den staatlichen Krankenhäusern mit einschließt. Viele medizinische Leistungen, wie etwa teure Medikamente und moderne Untersuchungsver fahren, sind von der Sozialversicherung jedoch nicht abgedeckt. 90 % der Bevölkerung sind mittlerweile versichert. Zudem sank infolge der Reform die Müttersterblichkeit bei der Geburt um 70 %, die Kindersterblichkeit um Zwei-Drittel. Sofern kein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, beträgt der freiwillige Mindestbetrag für die allgemeine Krankenversicherung 3 % des Bruttomin destlohnes. Personen ohne reguläres Einkommen müssen monatlich 780,17 Lira (Stand April 2025: ca. 18 EUR) einzahlen. Der Staat übernimmt die Beitragszahlungen bei Nachweis eines sehr geringen Einkommens (178 €/Monat - Stand April 2025) (ÖB Ankara 4.2025, S.58f). Über dies sind folgende Personen und Fälle von jeder Vorbedingung für die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten befreit: Personen unter 18 Jahren, Personen, die medizinisch eine andere Person als Hilfestellung benötigen, Opfer von Verkehrsunfällen und Notfällen, Situationen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, ansteckende Krankheiten mit Meldepflicht, Schutz- und präventive Gesundheitsdienste gegen Substanz-Missbrauch und Drogenabhängigkeit (SGK 2016). Die Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche der Haushalte für Behandlungen, Arzneimittel usw. beliefen sich 2023 auf 220 Milliarden 914 Millionen Lira, was einem Anstieg von 97,2 % 345

gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Verhältnis der Gesundheitsausgaben aus eigener Ta sche der Haushalte zu den gesamten Gesundheitsausgaben betrug 17,8 % im Jahr 2023 (TUIK 6.12.2024). Personen, die über eine Sozial- oder Krankenversicherung verfügen, können im Rahmen die ser Versicherung kostenlose Leistungen von Krankenhäusern in Anspruch nehmen. Die drei wichtigsten Organisationen in diesem Bereich sind: • Sozialversicherungsanstalt (SGK): für die Privatwirtschaft und die Arbeiter des öffentlichen Dienstes. Nach dem Gesetz haben alle Personen, die auf der Grundlage eines Dienstver trags beschäftigt sind, Anspruch auf Sozialversicherung und Gesundheitsfürsorge. • Sozialversicherungsanstalt für Selbstständige (Bag-Kur): Diese Einrichtung deckt die Selbst ständigen ab, die nicht unter das Sozialversicherungsgesetz (SGK) fallen. Dies sind Hand werker, Gewerbetreibende, Kleinunternehmer und Selbstständige in der Landwirtschaft. • Pensionsfonds für Beamte (Emekli Sandigi): Dies ist ein Pensionsfonds für Staatsbediens tete im Ruhestand, der auch eine Krankenversicherung umfasst (EUAA 8.4.2023). GSS - Allgemeine Krankenversicherung Die allgemeine Krankenversicherung ist als beitragsfinanzierte Pflichtversicherung konzipiert. Der Beitragsanteil ist mit 12,5 % des Bruttolohnes festgelegt, wovon 5 % auf den Arbeitnehmer und 7,5 % auf den Arbeitgeber fallen. Grundsätzlich sind alle Staatsbürger sowie Ausländer, die länger als ein Jahr in der Türkei ihren Aufenthalt haben, in den Schutzbereich einbezogen ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020; vgl. DRV-Recht 25.1.2020). Ausnahmen von der Versicherungs pflicht gelten lediglich für das Parlament, das Verfassungsgericht, Soldaten/Wehrdienstleistende sowie Häftlinge. Ferner sind Ausländer, die in ihren Heimatstaaten über einen Krankenversi cherungsschutz verfügen oder sich kürzer als ein Jahr in der Türkei aufhalten, nicht versi cherungspflichtig. Für Kinder bis zum Alter von 18 beziehungsweise 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-) Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familien versicherung (DRV-Recht 25.1.2020). Ist das Einkommen der betroffenen Personen in einem Haushalt weniger als ein Drittel des Mindestlohnes, sind die Beiträge vom Staat zu übernehmen. Sollte das Einkommen zwischen einem Drittel des gesetzlichen Mindestlohns und der gesetzli chen Mindestlohngrenze liegen, sind die Beiträge auf Basis eines Drittels des Mindestlohns für die allgemeine Krankenversicherung zu entrichten. Wenn das Einkommen bis zum Zweifachen des Mindestlohns ausmacht, sind die Beiträge auf der Grundlage des Mindestlohns abzuführen. Sollte allerdings das Einkommen über dem Zweifachen des gesetzlichen Mindestlohns liegen, sind Beiträge auf Basis des zweifachen Ausmaßes des Mindestlohns zu entrichten. - Im Grunde kann man den unter Schutz genommenen Personenkreis in drei Gruppen einteilen. Die erste ist die jener, die einer Beschäftigung nachgehen und ihre Beiträge entrichten. In die zweite Grup pe werden diejenigen eingeordnet, die zwar keiner Beschäftigung nachgehen, jedoch durch Entrichtung von Beiträgen in den Versicherungsschutz einbezogen werden. Zu diesen zählen z. B. freiwillig Versicherte, Ausländer, die ihren Aufenthalt in der Türkei haben und nicht von ihrem Heimatstaat aus versichert sind. Für die dritte Gruppe werden die Beiträge direkt vom 346
