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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter

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des Zeugen infrage zu stellen oder in Zweifel zu ziehen. Infolgedessen können geheime Zeu­
genaussagen allein keine rechtmäßige Verurteilung begründen, es sei denn, eine Verurteilung 
stützt sich noch auf andere solide Beweise (SCF 26.11.2022; vgl. TM 26.11.2020).
Beleidigung des Präsidenten sowie die Herabwürdigung des türkischen Staates und der 
türkischen Nation als Strafbestand
„ [E]ntsetzt über den grob missbräuchlichen Rückgriff auf Artikel 299 des Strafgesetzbuchs der 
Türkei über Beleidigungen des Präsidenten, die eine Haftstrafe zwischen einem und vier Jahren 
nach sich ziehen können“, forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 
7.6.2022, „ das Gesetz über die Beleidigung des Staatspräsidenten gemäß den Urteilen des 
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ändern“ (EP 7.6.2022, S. 10, Pt. 13). Das 
türkische Verfassungsgericht hat für die Strafgerichte einen Kriterienkatalog für Verfahren ge­
mäß Artikel 299 erstellt und weist im Sinne der Angeklagten mitunter Urteile wegen Mängeln 
zurück an die unteren Gerichtsinstanzen. Dennoch sieht das Verfassungsgericht die Ehre des 
Präsidenten als Verkörperung der Einheit der Nation als besonders schützenswert. Dieses Pri­
vileg steht im Widerspruch zur Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 
(EGMR), der in seiner Stellungnahme vom 19.10.2021 (Fall Vedat Şorli vs. Turkey) feststell­
te, dass ein Straftatbestand, der schwerere Strafen für verleumderische Äußerungen vorsieht, 
wenn sie an den Präsidenten gerichtet sind, grundsätzlich nicht dem Geist der Europäischen 
Menschenrechtskonvention entspricht (LoC 7.11.2021).
Die Zahl der Personen, gegen die nach den Artikeln 299 und 301 (Verunglimpfung/Herabsetzung 
des türkischen Staates und seiner Institutionen) des Strafgesetzbuches ermittelt wurde, stieg im 
Jahr 2022 laut den Statistiken des Ministeriums auf 16.753 von zuvor 12.304 im Jahr 2021 (TM 
14.3.2024). Im Einzelnen wurden im Jahr 2021 gemäß Artikel 299 1.239 Personen zu Haftstrafen 
verurteilt, darunter nur zwei Minderjährige im Alter zwischen 15 und 17. 38 Personen wurden 
gemäß Artikel 300, der Herabwürdigung staatlicher Symbole, und 111 Personen (darunter auch 
ein Minderjähriger in der Altersklasse 12-14) laut Artikel 301 zu Gefängnisstrafen verurteilt. 
Sonstige Strafen gem. Artikel 299 wurden gegen 1.130, gem. Artikel 300 gegen 24 und dem 
Artikel 301 folgend gegen 87 Individuen verfügt [Anm.: Neuere Statistiken differenzieren nicht 
mehr nach einzelnen Artikeln des Strafgesetzbuches] (MoJ - GDJR&S 2022, S. 120, 156).
Artikel 
StGB
Jahr 2021
Anklagen Verurtei­
lungen
Gefängnis Freilas­
sungen
andere Ent­
scheidungen
299 11.211 4.112 1.239 2.112 2.098
300 366 107 38 130 77
301 1.093 363 111 127 343
Summe 12.670 4.582 1.388 2.369 2.518
Quelle 1:  MoJ - GDJR&S 2022, S.97, 111, 120, 165, 181)
Im Jahr 2024 wurden laut offizieller Statistik gemäß den Artikeln 299-301 des türkischen Straf­
gesetzbuches in Summe 6.124 Personen angeklagt, davon wurden 1.658 verurteilt (Anmerkung: 
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Details zur Anzahl der Haftstrafen fehlen) und 1.807 freigelassen. Der Rest entfiel auf verscho­
bene bzw. andersartige Urteile. 44 der Verurteilten waren Minderjährige, bei 299 minderjährigen 
Angeklagten (MoJ - GDJR&S 3.2025, S. 100, 109).
Siehe, insbesondere für konkrete Beispiele, auch die (Unter-)Kapitel: Meinungs- und Presse­
freiheit / InternetVersammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition.
Politisierung der Justiz - Vorgehen gegen Anwälte, Richter und Staatsanwälte
Teile der Notstandsvollmachten wurden auf die vom Staatspräsidenten ernannten Provinzgou­
verneure übertragen (AA 14.6.2019). Diesen vom Präsidenten zu ernennenden Gouverneuren 
der 81 Provinzen werden weitreichende Kompetenzen eingeräumt. Gesetz Nr. 7145 stärkt die 
Stellung der Gouverneure in ihrer jeweiligen Provinz. Sie können zum Beispiel Personen, die 
verdächtigt werden, die öffentliche Ordnung behindern oder stören zu wollen, den Zutritt oder 
das Verlassen bestimmter Orte in ihren Provinzen für eine Dauer von bis zu 15 Tagen verbieten 
und auch Versammlungen untersagen. Sie haben zudem großen Spielraum bei der Entlassung 
von Beamten, inklusive Richter (ÖB Ankara 4.2025, S.9; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 38, 42).
Berichten zufolge wurde mit dem Anwaltsgesetz von 2020 (Nr. 7249) ein weiterer Versuch 
unternommen, Anwälte zum Schweigen zu bringen. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, 
in großen Städten konkurrierende Anwaltskammern zu gründen, was zu einer Politisierung der 
Anwaltskammern und zur Schwächung der einheitlichen Stimme der Anwälte führte, die die 
Menschenrechte verteidigen und die Exekutive kritisieren (OHCHR 21.6.2024, S. 2; vgl. HRW 
13.1.2021, UNHRCOM 28.11.2024, S. 9). Auch das Europäische Parlament sah darin die Gefahr 
einer weiteren Politisierung des Rechtsanwaltsberufs, was zu einer Unvereinbarkeit mit dem Un­
parteilichkeitsgebot des Rechtsanwaltsberufs führt und die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte 
gefährdet. Außerdem erkannte das EP darin „ einen Versuch, die bestehenden Anwaltskammern 
zu entmachten und die verbliebenen kritischen Stimmen auszumerzen“ (EP 19.5.2021, S. 10, 
Pt. 19).
Das EGMR in Straßburg urteilte am 22.10.2024, dass die Türkei das Recht von zehn Richtern 
und Staatsanwälten auf ein faires Verfahren verletzt habe. Das Gericht stellte fest, der Hohe Rat 
der Richter und Staatsanwälte (HSYK) [inzwischen umbenannt in: Rates der Richter und Staats­
anwälte - HSK] habe es versäumt, ausreichende Verfahrensgarantien wie formelle Anhörungen, 
Regeln für die Beweisführung und eine ausführliche Begründung seiner Entscheidungen in Be­
zug auf die zehn Antragsteller einzuhalten. In dem Fall „ Şişman und andere gegen die Türkei“
ging es um die unfreiwillige Versetzung (2014-2015) durch den HSYK in andere Städte oder in 
einem Fall um die Degradierung in derselben Stadt. Die türkische Regierung bestritt die Zustän­
digkeit des EGMR mit dem Argument, dass die Kläger während des innerstaatlichen Verfahrens 
keinen ausdrücklichen Antrag auf Zugang zu einem Gericht gestellt hätten. Außerdem seien 
die Kläger nach dem Putschversuch vom 15.07.2016 wegen angeblicher Anhängerschaft zur 
Gülen-Bewegung entlassen worden, was den Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung aus 
Gründen der nationalen Sicherheit rechtfertige. Der EGMR wies diese Argumente zurück und 
betonte, dass der HSYK aufgrund der Verfahrensmängel in seinem Prozess nicht als Gericht 
angesehen werden könne (BAMF 28.10.2024, S. 11; ECHR 22.10.2024).
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Die Säuberungen im Justizwesen hatten am 14.1.2025 erneut Konsequenzen für die Türkei. 
Der EGMR gab der Klage von 42 ehemaligen Richtern und Staatsanwältin recht und verurteilte 
Ankara zu einem Schadensersatz zu je 7.800 Euro pro Kläger. Auch muss die Türkei zusätzlich 
insgesamt rund 80.000 Euro an Verfahrenskosten zahlen. Die Betroffenen waren beim damali­
gen Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte – HSYK (türkisch: Hakimler ve Savcılar Yüksek 
Kurulu) beschäftigt und wurden 2014 entlassen, ohne dass ihnen der Rechtsweg offen stand. 
Dies geschah vermeintlich als Reaktion auf den Korruptionsskandal vom Dezember 2013. Er­
mittler hatten damals Dutzende Geschäftsleute aus dem Umfeld von Präsident Recep Tayyip 
Erdogan, damals noch Ministerpräsident, festgenommen. Erdogan nannte das Vorgehen der 
Ermittler damals einen Putsch (FR 15.1.2025; vgl. TM 14.1.2025). - Im Mittelpunkt des Verfah­
rens stand das im Februar 2014 erlassene Gesetz Nr. 6524, mit dem der Hohe Rat der Richter 
und Staatsanwälte (HSYK), der Vorgänger des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK), der 
die Ernennungen und die Disziplin der Richter überwacht, überarbeitet wurde. Das Gesetz von 
2014 sah unter anderem vor, dass wichtige Mitarbeiter des HSYK, darunter Generalsekretäre, 
stellvertretende Sekretäre und Mitglieder des Inspektionsausschusses, ihre Posten aufgeben 
mussten. Obwohl das türkische Verfassungsgericht die Bestimmung später mit der Begründung 
aufhob, die Rechte der Richter seien verletzt worden, wurde das Urteil nicht rückwirkend an­
gewandt, sodass die entlassenen Beamten weder wieder eingestellt noch entschädigt wurden 
(TM 14.1.2025).
Im vom „ World Justice Project“ jährlich erstellten „ Rule of Law Index“ rangierte die Türkei im Jahr 
2024 so wie im Vorjahr auf Rang 117 von 142 Ländern. Der statistische Indikator stagniert bei 
0,42 (1 ist der statistische Bestwert, 0 der absolute Negativwert). Besonders schlecht schnitt das 
Land in den Unterkategorien „ Grundrechte“ mit 0,31 (Rang 133 von 142), „ zivile Gerichtsbarkeit“
mit 0,40 (Rang 122 von 142), „ Einschränkungen der Macht der Regierung“ mit 0,29 (Platz 135 
von 142) sowie bei der „ Strafjustiz“ mit 0,34 ab. Gut war der Wert für „ Ordnung und Sicherheit“
mit 0,72, der dem globalen Durchschnitt entsprach (WJP 10.2024).
Konflikte der Höchstgerichte und deren Politisierung
Am 25.10.2023 entschied das Verfassungsgericht, dass der inhaftierte TİP-Politiker Can Atalay, 
der bei den Parlamentswahlen im Mai zum Abgeordneten gewählt worden ist, in seinem Recht 
zu wählen und gewählt zu werden sowie in seinem Recht auf persönliche Sicherheit und Frei­
heit verletzt wurde. Das Verfassungsgericht ordnete die Freilassung Atalays an. Das zuständige 
Strafgericht setzte dieses Urteil nicht um, sondern verwies den Fall an das Kassationsgericht. 
Dieses wiederum entschied am 9.11.2023 in Überschreitung seiner Zuständigkeit, dass das 
Urteil des Verfassungsgerichts nicht rechtserheblich und daher nicht umzusetzen sei, mit der 
Begründung, dass das Verfassungsrecht seine Kompetenzen überschritten habe. Überdies 
verlangte das Kassationsgericht, ein Strafverfahren gegen jene neun Richter des Verfassungs­
gerichts einzuleiten, welche für die Freilassung Atalays gestimmt hatten. Die Begründung des 
Kassationsgerichts hierfür lautete, dass diese Richter gegen die Verfassung verstoßen und ihre 
Befugnisse überschritten hätten. Staatspräsident Erdoğan unterstützte die Entscheidung des 
Kassationsgerichts, das Urteil des Verfassungsgerichts nicht umzusetzen. Er und andere AKP-
Politiker junktimieren diese Frage mit dem prioritären Ziel der Regierung, eine neue Verfassung 
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zu verabschieden, mit der Begründung, dass zur Lösung dieses Kompetenzkonfliktes eine Ver­
fassungsreform nötig sei. Durch die Kritik Erdoğans am Verfassungsgericht wird die Umsetzung 
von Verfassungsgerichtsurteilen, insbesondere wenn diese der Umsetzung von EGMR-Urteilen 
dienen, und das Vertrauen in Unabhängigkeit der Justiz weiter geschwächt (ÖB Ankara 4.2025, 
S. 13; vgl. FH 26.2.2025, LTO 29.11.2023, Standard 9.11.2023). Erdoğans Regierungspartner 
Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, bezeichnete den Präsidenten des Verfas­
sungsgerichts als Terrorist und verlangte, dass das Verfassungsgericht entweder geschlossen 
oder umstrukturiert werden muss. Passend dazu hatte kurz vorher die regierungstreue Zeitung 
Yeni Şafak mit Fotos der neun umstrittenen Verfassungsrichter getitelt und ihnen vorgeworfen, 
die „ Pforte für Terroristen geöffnet“ zu haben. - Anwälte verwiesen auf die türkische Verfassung, 
wonach Entscheidungen des Verfassungsgerichts endgültig sind und die gesetzgebenden, exe­
kutiven und judikativen Organe sowie die Verwaltungsbehörden und natürliche, wie juristische 
Personen binden (Absatz 6). Für die Einleitung einer Untersuchung der Richter bräuchte es 
die Genehmigung der fünfzehnköpfigen Generalversammlung des Verfassungsgerichts, die für 
eine abschließende Entscheidung eine Zweidrittelmehrheit benötigt (LTO 29.11.2023). Richter 
des Verfassungsgerichts bekräftigten gegenüber dem Ko-Berichterstatter des Europarates im 
Juni 2024, dass das Urteil des Verfassungsgerichts bindend und die Nichteinhaltung auf die 
Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zurückzuführen sei, das sich geweigert habe, den 
Fall wieder aufzunehmen (CoE-PACE/MonComm 11.9.2024, Pt. 14). Das Parlament stimmte 
dafür, Atalay seinen Parlamentsstatus abzuerkennen, doch das Verfassungsgericht erklärte 
diesen Schritt im August 2024 für ungültig. - Insgesamt hatte das Verfassungsgericht in drei 
aufeinanderfolgenden Entscheidungen seine Freilassung angeordnet. - Atalay blieb (mit Stand 
Juli 2025) im Gefängnis, da die Pattsituation weiter anhielt und Berichten zufolge gegen mehrere 
Richter des Verfassungsgerichts strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden (FH 26.2.2025, 
F1; vgl. AI 29.4.2025, BirGün 13.5.2025).
Infragestellung der Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte
Die Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz wurden 
nicht behoben. Der Grundsatz der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit ist in 
der Verfassung und anderen Rechtsvorschriften verankert, die Politisierung der Justiz hat jedoch 
zugenommen. Erklärungen hochrangiger Regierungsvertreter zu laufenden Verfahren, öffentli­
che Angriffe auf Angeklagte und unzulässiger Druck auf Richter und Staatsanwälte hindern die 
Mitglieder der Justiz daran, ihre Aufgaben im Einklang mit den EU-Standards wahrzunehmen 
(EC 30.10.2024, S. 25).
Gemäß Art. 138 der Verfassung sind Richter in der Ausübung ihrer Ämter unabhängig. Tat­
sächlich wird diese Verfassungsbestimmung jedoch durch einfach-gesetzliche Regelungen und 
politische Einflussnahme, wie Druck auf Richter und Staatsanwälte, unterlaufen (ÖB Ankara 
4.2025, S.10; vgl. EC 30.10.2024, S. 5). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die 
umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminis­
ter unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (Hakimler ve Savcilar Kurumu - HSK) 
infrage gestellt (AA 14.6.2019; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 11, CoE-PACE/MonComm 11.9.2024, 
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Pt. 13). Mit der Verfassungsreform 2017 (Gesetz Nr. 6771) wurde der HSK auf 13 Mitglieder re­
duziert (von zuvor 22 Mitgliedern). Der HSK ist für die allgemeinen Aufgaben im Zusammenhang 
mit der Organisation und Funktionsweise des Justizwesens zuständig, einschließlich Ernennun­
gen, Versetzungen, Beförderungen, Sanktionen und Entlassungen (OHCHR 21.6.2024, S. 2; 
vgl. SCF 3.2021, S. 5). Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei 
Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen (AA 14.6.2019). Infolgedessen sind 
Staatsanwälte und Richter häufig auf der Linie der Regierung. Richter, die gegen den Willen 
der Regierung entscheiden, wurden abgesetzt und ersetzt, während diejenigen, die Erdoğans 
Kritiker verurteilen, befördert wurden (FH 26.2.2025, F1).
Sami Selçuk, vormaliger und Ehrenpräsident des Kassationsgerichts, kritisierte Ende Mai 2024 
die in der Türkei weitverbreitete Praxis der Ersetzung von Richtern, insbesondere in politisch 
motivierten, kritischen Prozessen, wie z. B. in den Verfahren gegen Osman Kavala, den op­
positionellen Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, und pro-kurdische Parlamentarier, 
darunter der inhaftierte Selahattin Demirtaş. Dementsprechen erklärte Selçuk, dass 99 Prozent 
der Gerichtsurteile in der Türkei „ null und nichtig“ seien. Die Kritik steht in einer Linie mit einer 
früheren Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedstaaten, wonach die 
Unabhängigkeit der Justiz davon abhängt, dass die Richter eine sichere Amtszeit haben, unab­
setzbar sind, und eine Entlassung nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Gesetz oder 
bei Unfähigkeit zulässig ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in einem 
früheren Urteil festgestellt, dass Richter im türkischen Rechtsrahmen weder über eine solche 
Garantie noch über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügen, um Entscheidungen über ihre 
Versetzung anzufechten, die sie nicht beantragt haben (TM 30.5.2024; vgl. SCF 30.5.2024).
Der Staatsrat (Verwaltungsgerichtshof) entschied im Oktober 2022 zugunsten der Wiederein­
setzung von 178 Richtern und Staatsanwälten, die im Rahmen der Notstandsdekrete von 2016 
wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen worden waren, und begrün­
dete dies damit, dass die ihnen zur Last gelegten Handlungen nicht ausreichten, um ihre Ver­
bindungen zur Bewegung zu beweisen. Der Staatsrat ordnete außerdem an, dass der Staat 
den Richtern und Staatsanwälten Entschädigung und Schadenersatz zahlen muss. Bis März 
2023 waren 3.683 der Entlassungsverfahren abgeschlossen und die Verfahren liefen noch. 845 
entlassene/suspendierte Richter und Staatsanwälte wurden wieder in ihr Amt eingesetzt (EC 
8.11.2023, S. 26). Allerdings kritisierte Präsident Erdoğan Anfang 2024 die Entscheidung des 
Staatsrats, 387 Richter und Staatsanwälte - Erdoğan bezeichnete diese als „ Fliegen“ aus dem 
„ FETÖ-Sumpf“ - wiedereinzustellen. Daraufhin kündigte Justizminister Yılmaz Tunç an, dass die 
Entscheidung des Staatsrats vom HSK überprüft werde (HRW 16.6.2025; vgl. HDN 19.2.2024).
Das Fehlen objektiver, leistungsbezogener, einheitlicher und vorab festgelegter Kriterien für 
die Einstellung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten gibt weiterhin Anlass zur 
Sorge (EC 8.11.2023, S. 5, 24). Das System zur Auswahl, Einstellung und Beförderung von 
Richtern und Staatsanwälten ist nicht transparent. (EC 30.10.2024, S. 26). Nach europäischen 
Standards sind Versetzungen nur ausnahmsweise aufgrund einer Reorganisation der Gerichte 
gerechtfertigt. In der justiziellen Reformstrategie 2025-2029 ist zwar für Richter ab einer gewis­
sen Anciennität und auf Basis ihrer Leistungen eine Garantie gegen derartige Versetzungen 
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vorgesehen, doch wird die Praxis der Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten ohne 
deren Zustimmung und ohne Angabe von Gründen fortgesetzt. Es wurden (Stand: Dez. 2023) 
keine Maßnahmen gesetzt, um den Empfehlungen der Venedig-Kommission vom Dezember 
2016 nachzukommen. Diese hatte festgestellt, dass die Entscheidungsprozesse betreffend die 
Versetzung von Richtern und Staatsanwälten unzulänglich seien und jede Entlassung eines 
Richters individuell begründet und auf verifizierbare Beweise abgestützt sein müsse (ÖB Ankara 
4.2025, S.11). Häufige Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten beeinträchtigte weiterhin 
die Qualität der Justiz, ebenso wie die Ernennung von neu eingestellten und weniger erfahrenen 
Richtern und Staatsanwälten an den Strafgerichten (EC 8.11.2023, S. 26; vgl. EC 30.10.2024, 
S. 27). Umgekehrt jedoch hat der HSK keine Maßnahmen gegen Richter ergriffen, welche Ur­
teile des Verfassungsgerichts ignorierten (ÖB Ankara 4.2025, S. 13; vgl. EC 19.10.2021, S. 23). 
So wurden nach der Entlassung eines Drittels der Richterschaft nach Angaben des Hohen 
Justizrats der Türkei seit Juli 2016 9.914 Richter und Staatsanwälte von der Regierung ein­
gestellt. Die Informationen deuten laut Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen darauf 
hin, dass sich die Situation abschreckend auf die Justiz ausgewirkt hat und dass das Ausmaß 
der Massenentlassungen und Neueinstellungen Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der 
neuen Richter und Staatsanwälte aufkommen lässt, die offenbar in aller Eile rekrutiert wurden. 
Die verbleibenden Richter und Staatsanwälte üben sich möglicherweise in einem allgemeinen 
Klima der Angst in Selbstzensur (OHCHR 21.6.2024, S. 2).
Während kein Mitglied des HSK tatsächlich von Richtern oder Staatsanwälten ernannt wird, 
nominiert der Präsident der Republik vier Mitglieder aus den Reihen ordentlicher Richter und 
Staatsanwälte und das Parlament wählt sieben Mitglieder aus dem Kreise des Kassationsge­
richtshofs (3), des Staatsrats [Anm.: entspricht dem Verwaltungsgerichtshof] (1) sowie Rechts­
wissenschaftler oder Juristen (3). Der vom Präsidenten der Republik ernannte Justizminister 
und sein Unterstaatssekretär bilden die beiden verbleibenden Mitglieder, wobei der Minister 
den Vorsitz im HSK führt. Da fast die Hälfte des Rates vom Präsidenten der Republik ernannt 
wird und das Justizministerium den Vorsitz im Rat führt, stehen die Karrieren von Richtern und 
Staatsanwälten im ganzen Land de facto unter der Kontrolle der Exekutive, wodurch die unab­
hängige Rechtsprechung der Justiz gefährdet wird (OHCHR 21.6.2024, S. 2f.; vgl. ÖB Ankara 
4.2025, S.11, SCF 3.2021, S. 46). Im Mai 2021 tauschten Präsident und Parlament insgesamt 
elf HSK-Mitglieder und damit fast das gesamte HSK-Kollegium aus (ÖB Ankara 4.2025, S.11). 
Das European Network of Councils for the Judiciary (ENCJ) setzte den Beobachterstatus des 
(Hohen) Rates für Richter und Staatsanwälte im Dezember 2016 aus, da er die ENCJ-Satzung 
nicht mehr erfüllte, die vorschreibt, dass er als eine von der Exekutive und Legislative unab­
hängige Institution fungiert (OHCHR 21.6.2024, S. 3; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S.11, UNHRCOM 
28.11.2024, S. 9).
Selbst über die personelle Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes und des Kassa­
tionsgerichtes entscheidet primär der Staatspräsident, der auch zwölf der 15 Mitglieder des 
Verfassungsgerichts ernennt (ÖB Ankara 30.11.2021, S. 7f). - Die Amtszeit der 15 Mitglieder 
des Gerichts ist auf zwölf Jahre begrenzt. Zwölf Mitglieder werden vom Präsidenten aus einer 
Liste von Kandidaten ernannt, die von obersten Gerichten oder aus dem Kreis hochrangiger 
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Bürokraten vorgeschlagen werden, während drei Mitglieder vom Parlament ernannt werden, 
das derzeit von Erdoğans regierender AKP dominiert wird. - Mit der Nominierung von Metin 
Kıratlı, eines Spitzenbürokraten aus dem Präsidentenpalast, zum Verfassungsrichter im Juli 
2024, hat Staatspräsident Erdoğan mittlerweile zehn der 15 Verfassungsrichter ernannt (TM 
18.7.2024). Das Verfassungsgericht hat seit 2019 zwar eine gewisse Unabhängigkeit gezeigt, 
doch ist es nicht frei von politischer Einflussnahme und fällt oft Urteile im Sinne der Interessen 
der regierenden AKP (FH 26.2.2025, F1). Siehe hierzu Beispiele in diversen Kapiteln!
Die Massenentlassungen und häufige Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten haben 
negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit und insbesondere die Qualität und Effizienz der 
Justiz. Für die aufgrund der Entlassungen notwendig gewordenen Nachbesetzungen steht keine 
ausreichende Zahl entsprechend ausgebildeter Richter und Staatsanwälte zur Verfügung. In 
vielen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonenhaften Entscheidungsfindung 
ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie 
etwa betreffend Terrorismus-Vorwürfen, leidet die Qualität der Urteile und Beschlüsse häufig 
unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und wenig glaubwürdiger 
Beweisführung. Zudem wurden in einigen Fällen Beweise der Verteidigung bei der Urteilsfindung 
nicht berücksichtigt (ÖB Ankara 4.2025, S.11f.).
Aufbau des Justizsystems
Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf-
und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungs­
gerichte). Mit dem Verfassungsreferendum vom April 2017 wurden die Militärgerichte abge­
schafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte 
übertragen. Höchstgerichte sind gemäß der Verfassung das Verfassungsgericht (auch Verfas­
sungsgerichtshof bzw. Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Danıştay) als oberste Instanz in 
Verwaltungsangelegenheiten, der Kassationsgerichtshof (Yargitay) als oberste Instanz in zivil-
und strafrechtlichen Angelegenheiten [auch als Oberstes Berufungs- bzw. Appellationsgericht 
bezeichnet] und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyuşmazlık Mahkemesi) (ÖB Ankara 4.2025, 
S.9).
2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abge­
schafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde im Wesentlichen auf Strafgerichte übertra­
gen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (Sulh Ceza Hakimliği) 
eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Da die Frie­
densrichter als von der Regierung selektiert und ihr loyal ergeben gelten, werden sie als das 
wahrscheinlich wichtigste Instrument der Regierung gesehen, die ihr wichtigen Strafsachen 
bereits in diesem Stadium in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Venedig-Kommission des Eu­
roparates forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche 
Richter bzw. eine Reform. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden 
Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende 
Befugnisse zu, wie z. B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, 
Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen. Der Kritik am Umstand, 
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dass Einsprüche gegen Anordnungen eines Friedensrichters nicht von einem Gericht, sondern 
wiederum von einem Friedensrichter geprüft wurden, wurde allerdings Rechnung getragen. Das 
Parlament beschloss im Rahmen des am 8.7.2021 verabschiedeten vierten Justizreformpakets, 
wonach Einsprüche gegen Entscheidungen der Friedensrichter nunmehr durch Strafgerichte 
erster Instanz behandelt werden (ÖB Ankara 4.2025, S.9f.). Die Urteile der Friedensrichter für 
Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten 
eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichts­
akten ihrer Mandanten ist für einen bestimmten Katalog von Straftaten bis zur Anklageerhebung 
eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019, S. 24; vgl. ÖB Ankara 
4.2025, S.10).
Rolle des Verfassungsgerichts
Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwer­
de (bireysel başvuru) beim Verfassungsgericht. Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwer­
den kann durch Ausschüsse einer Vorprüfung unterzogen werden. Sie ist nur gegen Gerichts­
entscheidungen letzter Instanz, nicht gegen Gesetze statthaft (RRLex 7.2023, S. 4; vgl. AA 
20.5.2024, S.5), eingeführt u. a. mit dem Ziel, die Fallzahlen am Europäischen Gericht für Men­
schenrechte zu verringern (HDN 18.1.2021). Die Individualbeschwerde hat große Akzeptanz 
gefunden, ist jedoch stark formalisiert und leidet unter langer Verfahrensdauer (RRLex 7.2023,  
S. 4).
Infolge der teilweise sehr lang andauernden Verfahren setzt die Justiz vermehrt auf alternati­
ve Streitbeilegungsmechanismen, die den Gerichtsverfahren vorgelagert sind. Ferner waren 
bereits 2016 neun regionale Berufungsgerichte (Bölge Mahkemeleri) eingerichtet worden, die 
insbesondere das Kassationsgericht entlasten. Denn große Teile der Richterschaft arbeiten 
unter erheblichen Druck, um die Rückstände bei den Verfahren aufzuarbeiten bzw. laufende 
Verfahren abzuschließen (ÖB Ankara 4.2025 S.10).
Der Widerstand der türkischen Gerichte oder auch des Parlaments, sich an die Rechtsprechung 
des Verfassungsgerichts zu halten, ist ein Problem, was durch wiederholte verbale Angriffe von 
Amtsträgern auf das Verfassungsgericht noch verstärkt wird (CoE-PACE/MonComm 11.9.2024, 
Pt. 14). Das heißt, untergeordnete Gerichte ignorieren mitunter die Umsetzung von Entscheidun­
gen des Verfassungsgerichts oder verzögern sie erheblich. Das Ministerkomitee des Europarats 
berichtete, dass die meisten EGMR-Entscheidungen zur Gedanken-, Meinungs- und Presse­
freiheit nicht umgesetzt wurden (USDOS 22.4.2024, S. 13; vgl. EC 30.10.2024, S. 20, 25f.). 
Das Verfassungsgericht hat aber auch uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit 
gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa 
eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem 
Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf 
Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019).
Abgesehen vom Ignorieren von Urteilen des Verfassungsgerichtes und des EGMR durch unter­
geordnete Gerichte ignorierten auch die Behörden weiterhin bindende Gerichtsentscheidungen 
zu Verletzungen der Standards für ein faires Gerichtsverfahren (AI 29.4.2025).
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Zur neuesten Rechtssprechung des Verfassungsgerichts hinsichtlich der Meinungs- und Pres­
sefreiheit siehe auch das Kapitel: Meinungs- und Pressefreiheit / Internet.
Präsidentendekrete
Die 2017 durch ein Referendum angenommenen Änderungen der türkischen Verfassung ver­
leihen dem Präsidenten der Republik die Befugnis, Präsidentendekrete zu erlassen. Das Prä­
sidentendekret ist ein Novum in der türkischen Verfassungsgeschichte, da es sich um eine Art 
von Gesetzgebung handelt, die von der Exekutive erlassen wird, ohne dass eine vorherige 
Befugnisübertragung durch die Legislative oder eine anschließende Genehmigung durch die 
Legislative erforderlich ist, und es muss nicht auf die Anwendung eines Gesetzgebungsakts 
beschränkt sein, wie dies bei gewöhnlichen Verordnungen der Exekutivorgane der Fall ist. Die 
Befugnis zum Erlass von Präsidentenverordnungen ist somit eine direkte Regelungsbefugnis 
der Exekutive, die zuvor nur der Legislative vorbehalten war [Siehe auch Kapitel: Politische 
Lage]. Allerdings wurden im Juni 2021 im Amtsblatt drei Entscheidungen des türkischen Ver­
fassungsgerichts veröffentlicht, in denen gewisse Bestimmungen von Präsidentendekreten aus 
verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben wurden (LoC 6.2021).
Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft
Laut aktuellem Anti-Terrorgesetz soll eine in Polizeigewahrsam befindliche Person spätestens 
nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer Untersuchungshaft 
oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung des Poli­
zeigewahrsams ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, etwa bei Fortführung 
weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlänge­
rung ist zweimal (für je vier Tage) möglich. Der Polizeigewahrsam kann daher maximal zwölf 
Tage dauern (ÖB Ankara 4.2025, S.13f.). Die Regelung verstößt gegen die Spruchpraxis des 
EGMR, welches ein Maximum von vier Tagen Polizeihaft vorsieht (EC 12.10.2022, S. 43). Auf 
Basis des Anti-Terrorgesetzes Nr. 3713 kann der Zugang einer in Polizeigewahrsam befindlichen 
Person zu einem Rechtsvertreter während der ersten 24 Stunden eingeschränkt werden (ÖB 
Ankara 4.2025, S.14).
Die Untersuchungshaft kann gemäß Art. 102 (1) StPO bei Straftaten, die nicht in die Zuständig­
keit der Großen Strafkammern (Ağır Ceza Mahkemeleri) fallen, für höchstens ein Jahr verhängt 
werden. Aufgrund besonderer Umstände kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. 
Nach Art. 102 (2) StPO beträgt die Dauer der Untersuchungshaft bis zu zwei Jahre, wenn es 
sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen. Das sind 
Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen. Aufgrund von besonderen 
Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden, insgesamt höchstens 
drei Jahre. Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz Nr. 3713 betreffen, beträgt die maximale 
Dauer der Untersuchungshaft sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere 
fünf Jahre). Die Gründe für eine Untersuchungshaft sind in der türkischen Strafprozessordnung 
(StPO) festgelegt: Fluchtgefahr; Verhalten des Verdächtigen/Beschuldigten (Verdunkelungsge­
fahr und Beeinflussung von Zeugen, Opfer etc.) sowie Vorliegen dringender Verdachtsgründe, 
dass eine der in Art. 100 (3) StPO taxativ aufgezählten Straftaten begangen wurde, wie zum 
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Beispiel Genozid, Schlepperei und Menschenhandel, Mord, sexueller Missbrauch von Kindern. 
Zu den im vierten Justizreformpaket von Juli 2021 angenommenen Änderungen betreffend 
die Verhaftung aufgrund von Verbrechen, die unter sog. „ Katalogverbrechen“ fallen und bei 
denen jedenfalls die Notwendigkeit einer Untersuchungshaft angenommen wird, zählen z. B. 
Terrorismus und organisiertes Verbrechen (ÖB Ankara 4.2025, S.14).
Beschwerdekommission zu den Notstandsmaßnahmen (OHAL)
Während des seit dem Putschversuch bestehenden Ausnahmezustands bis zum 19.7.2018 
wurden insgesamt 36 Dekrete erlassen, die insbesondere eine weitreichende Säuberung staat­
licher Einrichtungen von angeblich Gülen-nahen Personen sowie die Schließung privater Ein­
richtungen mit Gülen-Verbindungen zum Ziel hatten. Der Regierung und Exekutive wurden 
weitreichende Befugnisse für Festnahmen und Hausdurchsuchungen eingeräumt. Die unter 
dem Ausnahmezustand erlassenen Dekrete konnten nicht beim Verfassungsgerichtshof ange­
fochten werden. Zudem kam es laut offiziellen Angaben zur unehrenhaften Entlassung oder 
Suspendierung per Dekret von 125.678 öffentlich Bediensteten, darunter ein Drittel aller Richter 
15.000 und Staatsanwälte. Deren Namen wurden im Amtsblatt veröffentlicht (ÖB Ankara 4.2025, 
S.20).
Bis Jänner 2023 waren laut Beschwerdekommission die Klassifizierung, Registrierung und Ar­
chivierung von insgesamt fast einer halben Million Akten, darunter Personalakten, die von ihren 
Institutionen übernommen wurden, Gerichtsakten und frühere Bewerbungen, abgeschlossen. 
Bis zum 12.1.2023 waren 127.292 Anträge gestellt worden. Davon hat die Kommission seit 
ihrer Errichtung im Dezember 2017 alle Anträge bearbeitet, wobei lediglich 17.960 positiv gelöst 
wurden. 72 positive Entscheidungen betrafen einst geschlossene Vereine, Stiftungen, Schulen, 
Zeitungen und Fernsehstationen (ICSEM 1.2023; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S.20). Es bestehen 
nach wie vor große Bedenken hinsichtlich der Qualität der Arbeit der Untersuchungskommis­
sion, auch wenn sie die Prüfung aller Fälle abgeschlossen hat. Bezweifelt wird, ob die Fälle 
einzeln geprüft und die Verteidigungsrechte gewahrt wurden und ob das Bewertungsverfahren 
internationalen Standards entsprach (EC 8.11.2023, S. 23; vgl. UNHRCOM 28.11.2024, S. 10f.).
Die Beschwerdekommission stand in der internationalen Kritik, da es ihr an genuiner institutio­
neller Unabhängigkeit mangelt. Sämtliche Mitglieder wurden von der Regierung ernannt (ÖB 
Ankara 4.2025, S.20). Betroffene hatten keine Möglichkeit, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen 
Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und 
vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen An­
schuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. In Fällen, in denen 
die erfolgte Entlassung aufrechterhalten wurde, stützte sich die Beschwerdekommission oftmals 
auf schwache Beweise und zog an sich rechtmäßige Handlungen zum Beweis für angeblich 
rechtswidrige Aktivitäten heran (ÖB Ankara 28.12.2023, S.20; vgl. EC 12.10.2022, S. 23). Die 
Beweislast für eine Widerlegung von Verbindungen zu verbotenen Gruppen liegt beim Antrag­
steller (Beweislastumkehr). Zudem bleibt in der Entscheidungsfindung unberücksichtigt, dass 
die getätigten Handlungen im Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtmäßig waren. Schließlich wird 
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