Sehr geehrtAntragsteller/in
danke für Ihre Anfrage, zu welcher das Bundesministerium für Verfassung,
Reformen, Deregulierung und Justiz Stellung nimmt wie folgt:
Bei der angesprochenen Studie der Universitätsklinik Ulm handelt es sich um
ein vom (seinerzeitigen) Bundesministerium für Justiz unterstütztes
Forschungsprojekt zur „Evaluierung und Definition von Qualitätsstandards
bei Einweisungsgutachten für Sexualstraftäter nach § 21 Abs. 2 StGB“; die
Studie ist dem BMVRDJ – seit dem Frühjahr 2010 – bekannt.
Im Bereich der Strafvollzugsverwaltung diente die Studie der Bestätigung
der Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit aller
Berufsgruppen, die in Entscheidungsprozesse betreffend die Einweisung und
Resozialisierung von Straftäterinnen und -tätern sowie
Maßnahmenuntergebrachten einbezogen sind. Es wurden die Bedeutung der
Professionalisierung im Bereich der strafjudiziellen Praxis durch eine
berufsbegleitende Fortbildung und Schulung auf dem Gebiet der forensischen
Psychiatrie und Psychologie sowie die Notwendigkeit der Einrichtung
systemübergreifender Verfahrensabläufe und interdisziplinärer
Kooperationsmodelle zwischen Richterinnen und Richtern sowie
Staatsanwältinnen und Staatsanwälten einerseits und dem Strafvollzug,
Nachbetreuungseinrichtungen und der Bewährungshilfe andererseits zur
Stärkung der Mitverantwortung dieser Berufsgruppen für ein gemeinsames
kriminalpräventives Ergebnis aufgezeigt. Für diesen interdisziplinären
Austausch wurden in der Folge „Stodertaler Forensiktage“ abgehalten und
regionale interdisziplinäre Fachtagungen auf Oberlandesgerichtsebene
eingerichtet.
Im Rahmen der Gestaltung der individuellen Vollzugspläne für
Straftäterinnen und Maßnahmenuntergebrachte wurde die Zusammenarbeit
zwischen Gericht/Staatsanwaltschaft und der Strafvollzugsverwaltung
institutionalisiert.
Zu dem genannten – sehr spezifischen – Thema werden immer wieder
Fortbildungsveranstaltungen angeboten, die alle zur Weiterbildung und
Qualitätssteigerung der Richter/Innen und Staatsanwält/Innen im
Zusammenhang mit der Beurteilung und Überprüfung von (psychologischen oder
psychiatrischen) Sachverständigengutachten bzw. zur Verbesserung des
interdisziplinären Dialogs beitragen sollen.
Was das System der Zertifizierung bzw. Rezertifizierung der
Gerichtssachverständigen und den diesbezüglichen Instrumentarien zur
Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung angeht, so ist voranzustellen,
dass mit Stand 22. Februar 2018 9.378 Personen als allgemein beeidete und
gerichtlich zertifizierte Sachverständige in die
Gerichtssachverständigenliste eingetragen sind. Diese Liste gliedert sich
in 52 Fachgruppen (etwa Archäologie, Medizin, Biologie, Psychologie, usw.)
und diese wiederum in insgesamt 717 Fachgebiete (beispielsweise
Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin, Familienpsychologie,
Kinderpsychologie, Jugendpsychologie, klinische Psychologie oder auch
Bauakustik, Baumbewertung, Speiseeis und Modeschmuck).
Klarzustellen ist damit im Zusammenhang, dass sich hinter der Bezeichnung
„Gerichtssachverständiger“ (oder „Gerichtsdolmetscher“) keine eigene
Berufsgruppe verbirgt. Vielmehr soll das System der
Zertifizierung/Rezertifizierung im Wesentlichen ein Auswahl - und
Qualitätskontrollsystem dar, in welchem nach spezifischen und durchaus
strengen Kriterien (vgl. diesbezüglich insbesondere § 2 Abs. 2 Z 1
Sachverständigen- und Dolmetschergesetz - SDG) aus den jeweiligen
Berufsgruppen – entsprechend den Erfordernissen und dem fachlichen Bedarf
in Gerichtsverfahren – bestimmte, insofern geeignete Personen ausgewählt
(„zertifiziert“) werden. Die daran anknüpfende Aufnahme in die
Gerichtssachverständigenliste stellt demnach keine zusätzliche fachliche
Qualifikation im jeweiligen beruflichen Tätigkeitsfeld des Sachverständigen
dar, sondern ist in erster Linie eine Hilfestellung an die Gerichte und an
die Staatsanwaltschaften, damit diese zu den im Verfahren relevanten
Fachfragen entsprechend geeignete Fachleute möglichst effizient auffinden
und bestellen können. Die Eintragung in die Gerichtssachverständigenliste
ist zunächst mit dem Ende des fünften auf die Eintragung für das jeweilige
Fachgebiet folgenden Kalenderjahres befristet und kann danach auf Antrag um
jeweils fünf Jahre verlängert werden. Auf eine solche Rezertifizierung
besteht kein Anspruch.
Es liegt auf der Hand, dass die Qualität der hinter den jeweiligen Berufen
stehenden fachlichen Ausbildungen der aktuell 9.378 eingetragenen
Gerichtssachverständigen nicht im unmittelbaren Einflussbereich des BMVRDJ
liegt. Ebenso klar ist aber auch, dass die Qualität der in den
Justizverfahren erstellten Sachverständigengutachten von maßgeblicher
Bedeutung für die Qualität der letztlich auf dieser Basis zu fällenden
Gerichtsentscheidungen ist. Aus diesem Grund ist es dem BMVRDJ ein
besonderes Anliegen, möglichen strukturellen Problemen, die in der
gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Praxis auftreten und aufgezeigt
werden, unverzüglich nachzugehen, indem mit den jeweils maßgeblichen
Berufsvertretungen, dem Hauptverband der Gerichtssachverständigen als
bundesweitem Dachverband und Interessensvertreter der für die Gerichte
tätigen Sachverständigen und auch mit VertreterInnen der Gerichte sowie der
Staatsanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft in Kontakt getreten wird.
Bei Bestehen konkreter Zweifel am Vorliegen der fachlichen Qualifikation
eines Sachverständigen (oder Dolmetschers) kann mit diesen die/der für den
jeweiligen Sachverständigen (oder Dolmetscher) zuständige Präsident/die
zuständige Präsidentin des Landesgerichts im Hinblick auf § 10 SDG befasst
werden. In einem daran gegebenenfalls anknüpfenden Überprüfungsverfahren
wegen (möglichen) Wegfalls der Eintragungsvoraussetzungen hat der
Präsident/die Präsidentin bei Bedarf ein Gutachten der
"Zertifizierungskommission" nach § 4a SDG oder eine Äußerung eines
qualifizierten Mitglieds dieser Kommission einzuholen.
Zur laufenden Qualitätskontrolle der zertifizierten Sachverständigen sind
insbesondere die Gerichte und insoweit auch die Parteien berufen, die dann,
wenn sich in einem Verfahren der Verdacht ergibt, dass einer der in § 10
Abs. 1 SDG genannten Tatbestände für die Entziehung der Eigenschaft als
Gerichtssachverständiger vorliegt, Mitteilung an den zuständigen
Präsidenten/die zuständige Präsidentin des Landesgerichts zu machen haben.
Einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Qualität der
Sachverständigengutachten hat selbstverständlich auch die Anzahl der zur
Verfügung stehenden Gerichtssachverständigen, zumal eine entsprechend
detaillierte Befassung mit jedem Einzelfall nur bis zu einem gewissen Grad
an Auslastung mit Gutachtensaufträgen einhergehen kann. Dem BMVRDJ ist
bekannt, dass gerade im Bereich der psychiatrischen Sachverständigen
gewisse Engpässe bei den zur Verfügung stehenden Personen bestehen, wobei
hier auch die Höhe der Entlohnung solcher Gutachten nach dem sogenannten
„Ärztetarif“ des § 43 Gebührenanspruchsgesetzes mit eine Rolle spielen
dürfte. Aus diesem Grund ist das BMVRDJ bereits seit einiger Zeit intensiv
um entsprechende Änderungen im Bereich des Ärztetarifs bemüht.
Mit freundlichen Grüßen,