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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisie rungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land. Obwohl sie Teil der irakischen Sicherheitskräfte sind und Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der Regierung erhalten, ope rieren sie oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 20.3.2023). Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobili sierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen ge meinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog. Islamischen Staat (IS) teil, unterstützt durch die Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten „ umstrittenen Ge bieten“ beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021). Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle, insbe sondere über bestimmte, mit Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 20.3.2023). Außerdem wird die staatliche Kontrolle über das gesamte irakische Territorium durch die Dominanz der PMF, durch verblie bene IS-Kämpfer, durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Reihe von Stämmen, Clans und andere Milizen und schließlich durch die militärischen Interventionen regionaler Mächte, insbesondere Irans, Israels und der Türkei, beeinträchtigt (BS 23.2.2022). Quellen ■ BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 11.7.2023 ■ Fanack - Fanack Foundation (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/politi cs-of-iraq/, Zugriff 16.8.2023 ■ NI - Newline Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/ir aq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl , Zugriff 18.9.2023 ■ Rudaw - Rudaw Media Network (23.5.2021): Peshmerga-Iraq cooperation will ‘close that gap,’ cut off ISIS: Coalition, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/230520212, Zugriff 13.7.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 7.1 Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) Letzte Änderung 2023-10-06 15:52 Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Coun ter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundes polizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz 120

von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidi gungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämp fung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.3.2023). Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000 bis 185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitreichend (AA 28.10.2022, S.7). Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministe riums sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 20.3.2023). Den Sicherheitskräften werden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt: Im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints, wurden nach 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer gefangen genommen (AA 28.10.2022, S.7). Nach der Rückkehr der föderalen Regierung nach Kirkuk Ende 2017 klagten Turkmenen über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt auch durch Sicherheitskräfte der Regie rung (DFAT 16.1.2023, S.17). Die irakischen Sicherheitskräfte, Armee, Bundes- und lokale Polizei werden bei ihrer Profes sionalisierung durch internationale Militär-und Polizeiausbildung unterstützt (AA 28.10.2022, S.7). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2022), https://www.ecoi.net/e n/file/local/2082728/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_ Lage_in_der_Republik_Irak_(Stand_Oktober_2022),_28.10.2022.pdf , Zugriff 23.3.2023 [Login erforderlich] ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (16.1.2023): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2085737/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 2.2.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089064.html, Zugriff 11.7.2023 7.2 Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi Letzte Änderung 2024-03-28 11:02 Der Name „ Volksmobilisierungskräfte“ (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 20.3.2023; vgl. FPRI 19.8.2019, Clingen dael 6.2018, S.1-2, Wilson 27.4.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgut achtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf 121

gegen den vorrückenden Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016, S.4; vgl. TCF 5.3.2018, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volks mobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016, S.4). Alle PMF sind offiziell dem Vorsitzenden des Ausschusses für Volksmobilisierung und somit letztlich dem Premierminister unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 28.10.2022, S.15). In der Praxis unterstehen mehrere Einheiten auch Iran und seinem Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) (USDOS 20.3.2023). Die Mannschaftsstärke der PMF wurde jahrelang absichtlich undurchsichtig gehalten. Ihre tat sächliche Größe war stets höher als die der registrierten PMF-Angehörigen (TWI 3.6.2023). Für das Jahr 2021 wird die Zahl der registrierten PMF auf 164.000 (NI 5.2021, S.8) bis 170.000 geschätzt (MEI 12.6.2023; vgl. TWI 3.6.2023). Etwa 25.000 bis 35.000 Mitglieder waren nicht registriert (TWI 3.6.2023). Hinsichtlich ihrer Zusammensetzung gehen grobe Schätzungen von rund 110.000 schiitischen PMF-Mitgliedern, 45.000 sunnitischen und rund 10.000 aus Minder heitsgemeinschaften aus. Etwa 70.000 der schiitischen PMF werden als Loyalisten der IRGC angesehen. Etwa 40.000 folgen anderen religiösen Autoritäten, darunter die Friedensbriga den (Saraya as-Salam) von Muqtada as-Sadr (NI 5.2021, S.8). Laut dem Budget von 2023 wird ein Anstieg der gemeldeten PMF-Angehörigen (MEI 12.6.2023) auf 204.000 bis 238.000 angenommen (TWI 3.6.2023). Die PMF sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwer ken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (Chatham 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsfor men, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.2). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3). Sie haben nach dem erfolgreichen Kampf gegen den IS, der israelisch-iranischen Eskalation und dem Rückzug der USA aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPOA, „Atomabkommen“) mit dem Iran im Jahr 2018 enorm an Einfluss gewonnen (BS 23.2.2022, S. 7). Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Mili zen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu Letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidi schen „ Sinjar Widerstandseinheiten“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpar tei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3-4). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie 122

des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „ Minderheiten-Ein heiten“ der PMF sind im Allgemeinen in oder in der Nähe ihrer Heimatregionen tätig (USDOS 20.3.2023). Die PMF wurden formell in die irakischen Streitkräfte integriert (FPRI 19.8.2019; vgl. AA 28.10.2022, S.15). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als „ unabhängig“ definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmög lichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 28.10.2022, S.15; vgl. FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1001TI 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppie rungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF- Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (TWI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 28.10.2022, S.15). Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheits diensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, huma nitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen ha ben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (Chatham 2.2021, S.2). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regie rungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Re gierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (STDOK 21.8.2017, S.64). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der 123

staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 20.3.2023). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hezbollah und Harakat Hezbollah an-Nu jaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (US DOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata’ib Hezbollah und der Kata’ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlauf des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021). Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staat lichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicher heitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (Chatham 2.2021, S. 18-19). Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ih rem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitä ten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ be scheiden (Clingendael 6.2018, S.7-8). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (Chatham 2.2021, S.19). Darüber hinaus akquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus teils illegalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem groß an gelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wich tiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 7.2017, S.9). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Ab gaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (Chatham 2.2021, S.29-30). 124

Menschenrechtsorganisationen berichteten darüber hinaus, dass PMF landesweit, insbeson dere in ethnisch-konfessionell gemischten Regionen, Morde, Entführungen und Erpressungen verüben. Außergerichtliche Tötungen durch nicht identifizierte Bewaffnete und politisch moti vierte Gewalt kommen im ganzen Land vor (USDOS 20.3.2023). Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Pola risierungen. Es wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte von Anwohnern, Menschen rechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderhei ten vor (USDOS 20.3.2023). Medien berichteten etwa über Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk ein drangen, sie plünderten und niederbrannten (DFAT 16.1.2023, S.17). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl (USDOS 20.3.2023). Die 30. PMF-Brigade, Hashd al-Shabak, wurde von der Shabak-Minderheit in der Ninewa-Ebene als Schutztruppe gegen das Vordringen kurdischer und christlicher Kräfte gegründet. Die 30. PMF-Brigade ist mit der Badr-Organisation verbündet, nähert sich aber zunehmend auch der Kata’ib Hizbollah und der Harakat an-Nujaba an. Ihre Aktivitäten richten sich hauptsächlich gegen türkische Stützpunkte im Irak (TWI 22.6.2022). Die 50. PMF-Brigade, Kata’ib Babiliyoun (KB), wurde 2017 von ei nem chaldäischen Milizionär als lokale christliche Truppe gegründet, rekrutiert aber seither in schiitischen südirakischen Gemeinden. Sie beinhaltet auch eine kleine Kaka’i-Einheit. Sie ist mit Asaib Ahl al-Haq (AAH) verbunden und richtet sich hauptsächlich gegen US-amerikanische, kurdische, türkische und christliche Ziele (TWI 16.3.2023). Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF- Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus kon fessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehöri gen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 20.3.2023). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, an geblich aus Rache für Verbrechen seitens des IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 15.5.2023). Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwort lich waren (EASO 10.2020, S.31; vgl.TWI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischenSaraya Talia al-Khorasani, Kata’ib Sayyid ash-Shuhada, Asa’ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüch terungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und 125

Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf De monstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (TWI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriyah und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres 2020 wurden 56 Aktivisten ge waltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktion gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (AlMon 8.1.2021). Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdistan Region Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (Chatham 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vgl. Wilson 27.4.2018). Abu Mahdi al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Droh nenangriff in Bagdad getötet (AlMon 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem irani schen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (AlMon 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata’ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (AlMon 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels der Hashd ash-Sha’bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten „ Muhandis-Kern“ zugeordnet werden (Warsaw 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktio nen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (AlMon 21.2.2020). Manche Milizen sehen den Tod von General Soleimani und 126

al-Muhandis im Jahre 2020 noch nicht als gerächt und attackieren immer wieder ausländische Ziele (ÖB Bagdad 20.11.2022, S.2-3). Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entschei dung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einhei ten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verant wortlich sind (Warsaw 9.7.2020; vgl. AAA 23.4.2020, AlMon 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreis der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (AlMon 4.12.2020; vgl. DYRN 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (DYRN 22.2.2021). Diese fortschreitende Zersplitterung der PMF lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Ei ner der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al-Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (ATIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata’ib Hizbollah, die ihn als den un rechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, von Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervortun (ATIIA 12.1.2021). Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji’iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji’i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini „ Schrein“-Milizen bzw. Saraya al-’Atabat (kurz: Atabat) (TWI 5.2.2021; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala’i bezeichnet werden - wala’ ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.4). Pro-iranische Milizen: al-Hashd al-Wala’i / al-Muqawama al-Islamiyya Das Lager, welches u.a. als al-Hashd al-Wala’i bezeichnet wird, umfasst jene PMF-Formatio nen, die entweder mit Iran verbündet sind oder mit ihm zusammenarbeiten, und die innerhalb der PMF sowohl quantitativ als auch qualitativ die Oberhand haben (EUI 6.2020, S.3). Die von Iran unterstützten irakischen Milizen bezeichnen sich selbst auch als al-Muqawama al-Islamiyya 127

- der islamische Widerstand - Widerstand vor allem gegen die US-geführten Koalitionstruppen, meist in Form von Raketen- und Sprengstoffangriffen (JS 12.4.2021). Jene PMF (bzw. deren Vertreter), welche im Februar 2020 das Wahlkomitee zur Bestimmung eines neuen stellvertre tenden Vorsitzenden nach dem Tode Muhandis bildeten, gelten als die wichtigsten Iran-affinen Milizen. Diese sind: Kata’ib Hizbollah, die Badr-Organisation, Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Sayyid ash-Shuhada und Kata’ib Jund al-Imam (TWI 23.3.2020, S.23; vgl. ICG 30.7.2018, S.3). Hinzu kommen noch Harakat Hizbollah an-Nujaba (Bewegung der Partei Gottes der Noblen) (ICG 30.7.2018, S.3), mit mindestens 1.500 Kämpfern, auch in Syrien aktiv (TWI 23.3.2020, S.110, 204) und eine der Milizen, die durch Iran besonders militärisch und finanziell unterstützt werden (MAITIC 8.1.2020, S.1), sowie die Kata’ib Imam Ali (Bataillone des Imam Ali), deren Anführer, Shibl al Zaydi, 2018 von den USA wegen seiner Verbindungen zu den Iranischen Revolutions garden als Terrorist eingestuft wurde (LWJ 15.12.2020). Zudem war Kata’ib Imam Ali auch 2021 in Syrien präsent (AAA 22.3.2021). Dazu gesellen sich noch die Saraya Talia al-Khorasani, die auch in Syrien aktiv waren (TWI 23.3.2020, S.110, 205; vgl. ICG 30.7.2018, S.27). Die Badr-Organisation, die mächtigste schiitische Miliz, gilt als Irans ältester Stellvertreter im Irak. Sie wurde 1982 in Iran gegründet, um Saddam Hussein zu bekämpfen, und wurde zunächst vom Korps der IRGC finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und geführt (Soufan 20.3.2019; vgl. Wilson 27.4.2018). Nach der US-Invasion im Jahr 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die neue irakische Regierung integriert. Ihre Kräfte wurden zur größten Fraktion innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere der Polizei (Wilson 27.4.2018), die wiederum zu einem Instrument der Badr-Organisation erwuchs (SWP 2.7.2021, S.26). Sie nahm an Wahlen teil; ihre Führer wurden in die neue Regierung in Kabinettspositionen aufgenommen. Sie behielt jedoch ihre Miliz bei (Wilson 27.4.2018). Sie umfasst rund 20.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019) und unterhält mindestens zehn Brigaden der staatlich finanzierten PMF, möglicherweise sogar 17 (TWI 2.9.2021). Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt. Viele Badr-Mitglieder waren oder sind Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenminis teriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). So haben einige Mitglieder der PMF auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi, beispielsweise, führte die 5. PMF-Brigade, eine Badr-Brigade, und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (Chatham 2.2021, S.19). Oder das Badr-Führungsmitglied Qassim al-Araji war Innenminister (2017-2018) und ist nun der nationale Sicherheitsberater. Die Badr ist eine große und komplexe Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen politischen Flügel und viele Unterfraktionen hat. Im Großen und Ganzen hat sich Badr durch seine Wahler folge, seine paramilitärische Macht und seine Patronagenetzwerke tief in den irakischen Staat eingebettet. Badr war die Quelle für viele jüngere und radikalere Gruppen, einschließlich Kata’ib Hizbollah. Zwar setzt sich die Badr-Organisation für den Abzug der US-Kampftruppen aus der Region ein, doch hat sie sich im Gegensatz zu den anderen pro-iranischen PMF von Angriffen auf die USA und deren Verbündete öffentlich distanziert. Innerhalb der Muqawama nimmt die Badr-Organisation weiterhin eine wichtige Rolle ein und bleibt gleichzeitig ihren Wurzeln als iranischer Stellvertreter treu, mit weiterhin engen institutionellen und personellen Beziehungen zu den IRGC (TWI 2.9.2021 ). 128

Die Kata’ib Hizbollah (Brigaden der Partei Gottes) umfassen etwa 3.000 bis 7.000 Kämp fer (Arabiya 31.5.2020), anderen Schätzungen zufolge sogar 20.000 (Soufan 20.3.2019). Die Kata’ib Hizbollah haben enge konfessionelle, ideologische und finanzielle Bindungen zu Iran (Arabiya 31.5.2020). Keine andere Miliz steht den IRGC näher (Soufan 20.3.2019). Sie sind für zahlreiche Angriffe auf die von den USA geführte Militärallianz verantwortlich und riefen u.a. auch zu Terrorattacken gegen Saudi-Arabien auf. Menschenrechtsorganisationen werfen der Miliz schwere Menschenrechtsverletzungen vor, insbesondere gegen Sunniten (Arabiya 31.5.2020). Sie arbeiten intensiv mit der Badr-Organisation und der libanesischen Hisbollah zusammen. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (STDOK 21.8.2017, S.64). Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffenen) verfügt über etwa 15.000 Kämp fer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018, S.3; vgl. EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in ira nischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (MAITIC 8.1.2020, S.1). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khaz’ali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den USA als einer der Verantwort lichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz’ali als „ Specially Designated Global Terrorist“ ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25). Die seit 2020 vermehrt in Erscheinung tretenden pro-iranischen Splittergruppen haben ein zweifelhaftes Maß an Autonomie. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen um unabhängige Gruppen handelt, die von den größeren „ Mutter“-Milizen unterstützt werden, oder ob sie lediglich eine Fassade für diese größeren Milizen bilden, um sich den US-Sanktionen durch die Einstufung als terroristische Organisation zu entziehen (ATIIA 12.1.2021; vgl. JS 10.3.2021). Sie werden diesbezüglich insbesondere Kata’ib Hizbollah, Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Sayyid ash-Shuhada und der Harakat Hizbollah an-Nujaba zugeordnet (JS 10.3.2021). Ihre Anzahl ist vage und wird auf 10 bis 20 Gruppen geschätzt (Arabiya 18.11.2020). Die neuen Splittergruppen treten primär durch zwei unterschiedliche Handlungsweisen in Erscheinung: Zum einen bewaffnete Milizen, die in der Lage sind, Anschläge auf US-Einrichtungen im Irak zu verüben, und zum anderen Straßenbanden, die eine Art gesellschaftlichen Krieg auf den Straßen Bagdads führen. Zu den Ersteren gehören Usbat al-Tha’ireen (Liga der Revolutionäre) und Ashab al-Kahf (die Gefährten der Höhle), die sich regelmäßig zu Raketen- oder IED-Angriffen auf US-Ziele bekennen (ATIIA 12.1.2021). Usbat al-Tha’ireen übernahm beispielsweise die Verantwortung für den Angriff auf Camp Taji im März 2020, bei dem zwei amerikanische Soldaten und ein britischerSoldat getötet wurden (TWI 10.4.2020; vgl. Arabiya 18.11.2020), während Ashab al-Kahf zahlreiche Angriffe auf 129
