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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
zu bekämpfen, allerdings fehlen effektive Regulierungs- und Überwachungsmechanismen (BS 2024) sowie Mechanismen zur Bekämpfung von Korruption (FH 2024a). Es gibt einen nationa len Rechnungsprüfer (national auditor) und eine Antikorruptionskommission, deren Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden (USDOS 22.4.2024). Die im Jahr 2010 geschaffene Antikor ruptionskommission ist ineffektiv (FH 2024a). Im Jahr 2020 wurden keine öffentlich Bediensteten wegen Korruption strafrechtlich verfolgt (USDOS 22.4.2024). Nach anderen Angaben werden nur spärlich Vertreter des Staates wegen Korruption angeklagt (FH 2024a). Quellen ■ BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 ■ FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Somaliland, https://www.ecoi.net/de/do kument/2109065.html, Zugriff 8.7.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 9 NGOs und Menschenrechtsaktivisten 9.1 Süd-/Zentralsomalia, Puntland Letzte Änderung 2025-01-16 14:10 Im ganzen Land sind zahlreiche UN-Agenturen, Hunderte internationale und lokale NGOs (Ali/ TEL 28.1.2022; vgl. UNSC 1.9.2022a, Abs. 47) und eine große Zahl an Organisationen der Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Bereichen (z. B. Frauen, Jugendliche, Berufskasten) aktiv (SPC 9.2.2022). Schon Mitte der 1990er wurden in Somalia zahlreiche NGOs und auf Ge meinden fußende Organisationen gegründet. Viele arbeiten mittlerweile professionell. Fast alle Organisationen oder Interessensgruppen haben einen Hintergrund im Clansystem oder in der religiösen Identität (BS 2024). Lokale Gruppen der Zivilgesellschaft, internationale NGOs und UN-Agenturen können in Teilen des Landes eine breite Palette an Aktivitäten durchführen – allerdings unter schwierigen und oft auch gefährlichen Umständen (FH 2024b). Menschenrechtsgruppen sind in jenen Gebieten aktiv, die sich nicht unter der Kontrolle von al Shabaab befinden. Sie untersuchen Vorfälle, veröffent lichen Ergebnisse (USDOS 22.4.2024) und werden ggf. politisch gebilligt (AA 23.8.2024). Laut einer Quelle ist die Regierung hinsichtlich der Ergebnisse einigermaßen kooperativ und reagiert auf deren Ansichten, manchmal werden Menschenrechtsorganisationen aber auch belästigt (USDOS 22.4.2024). In Puntland und auch in Mogadischu gibt es unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich mitunter öffentlich kritisch äußern. In Mogadischu kann es aber diesbezüglich zu Belästigungen kommen (BS 2024). Nach anderen Angaben sehen sich Menschenrechtsorganisationen in aller Regel Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren, ausgesetzt (AA 23.8.2024). Es kommt zu Einschüchterungen gegen und zur Inhaftierung von 169

Menschenrechtsverteidigern. Grund dafür sind Äußerungen, die den Behörden missfallen (MBZ 6.2023). Regionalbehörden und Sicherheitskräfte drangsalieren, erpressen und behindern mit unter NGOs und humanitäre Kräfte, oder sie versuchen, diese unter ihre Kontrolle zu bringen (FH 2024b). Weibliche (Friedens-)Aktivisten sind in besonderem Maße Unsicherheit ausgesetzt (SW 11.2023). Abseits von Puntland und Mogadischu ist der Raum für zivilgesellschaftliche Organisationen eingeschränkt (BS 2024). Außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete können diese Organisationen nicht arbeiten (AA 23.8.2024). Al Shabaab untersagt den meisten NGOs sowie allen UN-Agenturen das Arbeiten auf dem Ge biet unter ihrer Kontrolle (FH 2024b; vgl. ACCORD 31.5.2021, S. 8). Zudem wird der Aktionsradi us von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia aufgrund von Sicherheitserwägungen und Gewalt eingeschränkt (USDOS 22.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024). Laut einer Quelle stellt Islamic Relief eine Ausnahme dar, diese humanitäre Organisation darf im Gebiet der al Shabaab operieren (Sahan/SWT 12.10.2022). Eine weitere Quelle erklärt, dass auch türkische Hilfsorganisationen dort tätig sein können (BMLV 4.7.2024).Al Shabaab drangsaliert Menschenrechtsverteidiger und inhaftiert diese auch (MBZ 6.2023). Humanitäre Kräfte werden von bewaffneten Gruppen sowie der damit verbundenen Unsi cherheit an ihrer Arbeit gehindert (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 3.6.2024; HRW 11.1.2024). Al Shabaab steht Hilfsorganisationen feindselig gegenüber, mutmaßliche humanitäre Kräfte werden Opfer von Repressalien und gezielten Angriffen (TANA/ACRC 9.3.2023). Regelmäßig werden humanitäre Kräfte auf dem Gebiet von al Shabaab zu Opfern gezielter oder willkürlicher Gewalt (BS 2024). Im Jahr 2023 wurden vier Mitarbeiter humanitärer Organisationen getötet; im Jahr 2024 wurden bis Mitte August 124 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet, durch wel che humanitäre Organisationen in ihrer Arbeit eingeschränkt worden sind. Dabei wurden zwölf Mitarbeiter verletzt (SMN 20.8.2024). Generell verbessert sich laut einer Quelle aber die Lage hinsichtlich des Zugangs für humanitäre Organisationen (ÖB Nairobi 10.2024). Die Präsenz von UN-Agenturen und Organisationen ist in den vergangenen Jahren stark aus gebaut worden: Ende 2014 befanden sich 331 internationale und 951 nationale Angestellte der UN in Somalia (UNSC 23.1.2015), im Mai 2024 waren es 908 internationale und 1.768 nationale UN-Bedienstete. Büros befinden sich in Baidoa, Belet Weyne, Berbera, Bossaso, Dhobley, Dhu samareb, Doolow, Galkacyo, Garoowe, Hargeysa, Jowhar, Kismayo und Mogadischu (UNSC 3.6.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rück kehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI- Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/ 2052555/20210531_COI-Webinar Somalia_ACCORD_Mai 2021.pdf, Zugriff 17.5.2022 170

■ Ali/TEL - The Elephant (Herausgeber), Hodan Ali (Autor) (28.1.2022): Somalia’s Famines, Govern ment Apathy and the Aid Industry, https://www.theelephant.info/features/2022/01/28/somalias-fam ines-government-apathy-and-the-aid-industry/ , Zugriff 24.11.2023 ■ BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (4.7.2024): Interview der Staaten dokumentation mit einem Länderexperten ■ BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 ■ FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Somalia, https://freedomhouse.org/cou ntry/somalia/freedom-world/2024, Zugriff 8.7.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2103135.html, Zugriff 15.1.2024 ■ MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin informa tion report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_Ju ne_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024 ■ ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf , Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich] ■ Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (12.10.2022): A worrying turn in Somalia’s ‘war on terror’, in: The Somali Wire Issue No. 462, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich] ■ SMN - Shabelle Media Network (20.8.2024): UN calls for protection of aid workers, civilians in Somalia, https://shabellemedia.com/un-calls-for-protection-of-aid-workers-civilians-in-somalia/ , Zugriff 7.10.2024 ■ SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://re liefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb2022.pdf, Zugriff 15.11.2023 ■ SW - Saferworld (11.2023): Adressing gender-based violence against women activists in Somalia: Violence Observatory Systems, https://www.saferworld-global.org/downloads/somalia-violence-obs ervatory-systems.pdf, Zugriff 21.6.2024 ■ TANA/ACRC - Tana Copenhagen (Herausgeber), African Cities Research Consortium (Autor) (9.3.2023): Understanding Systems in Mogadishu City, https://tanacopenhagen.com/wp-content/upl oads/2023/03/ACRC-Tana-Mogadishu-City-System-Analysis.pdf , Zugriff 23.5.2024 ■ UNSC - United Nations Security Council (3.6.2024): Situation in Somalia - Report of the Secretary- General (S/2024/426) [EN/AR/RU/ZH], https://reliefweb.int/attachments/2ee6cff6-d8b3-4bac-bf5 3-5c07f96b1a9f/n2414191.pdf, Zugriff 28.6.2024 ■ UNSC - United Nations Security Council (1.9.2022a): Situation in Somalia - Report of the Secretary- General [S/2022/665], https://www.ecoi.net/en/file/local/2078696/N2257941.pdf, Zugriff 9.10.2023 ■ UNSC - United Nations Security Council (23.1.2015): Report of the Secretary-General on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1235688/1226_1423052016_n1501704somal.pdf, Zugriff 3.6.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 9.2 Somaliland Letzte Änderung 2025-01-16 14:11 Internationale und lokale NGOs können in Somaliland im Allgemeinen meist ohne größere Einschränkungen agieren (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; FH 2024a). Organisationen der Zivilgesellschaft nehmen aktiv am politischen Leben teil (BS 2024). Menschenrechtsorganisa tionen werden zwar politisch gebilligt, sind aber in aller Regel gleichwohl Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane ausgesetzt (AA 23.8.2024). Manchmal kommt es zu Drangsalie rungen (FH 2024a; vgl. USDOS 22.4.2024). Insgesamt gibt es nur wenige Interessengruppen oder Organisationen, die völlig unabhängig vom Clansystem oder von der Religion sind (BS 2024). 171

Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 ■ FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Somaliland, https://www.ecoi.net/de/do kument/2109065.html, Zugriff 8.7.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 10 Ombudsmann 10.1 Süd-/Zentralsomalia, Puntland Letzte Änderung 2024-12-06 11:23 Die Verfassung sieht eine Menschenrechtskommission vor (USDOS 22.4.2024). Diese ist jedoch nie eingerichtet worden (USDOS 22.4.2024; vgl. UNHRCOM 6.5.2024; AA 23.8.2024). Folglich gibt es seitens der Bundesregierung bislang keine Mechanismen, um Menschenrechtsvergehen aufzuklären (USDOS 22.4.2024). In Puntland gibt es eine Menschenrechtskommission, die sich auch öffentlich für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzt (AA 23.8.2024). Das Budget des Puntland’s Human Rights De fender wurde von Präsident Deni reduziert. Diese Einrichtung untersucht Vorwürfe von Bürgern, tritt für Opfer ein, deren Rechte verletzt worden sind, und legt jährlich einen Bericht über die Menschenrechtssituation in Puntland vor (SD 22.8.2022). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ SD - Somali Dispatch (22.8.2022): Puntland Cuts Office of Human Rights Defender’s budget, https: //www.somalidispatch.com/latest-news/puntland-cuts-office-of-human-rights-defenders-budget , Zugriff 5.6.2024 ■ UNHRCOM - United Nations Human Rights Committee (6.5.2024): Concluding observations on the initial report of Somalia [CCPR/C/SOM/CO/1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2108970/G240561 3.pdf, Zugriff 24.5.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 10.2 Somaliland Letzte Änderung 2024-12-06 11:24 Im Unterschied zum Rest Somalias gibt es in Somaliland ein den Statuten nach unabhängiges Menschenrechtsinstitut [Anm.: Somaliland National Human Rights Commission]. Dieses bemüht sich nach den Pariser Prinzipien zu arbeiten, ist jedoch Versuchen politischer Einflussnahme 172

ausgesetzt. Zudem werden diesem Institut staatlicherseits nicht ausreichend Ressourcen zur Erledigung seiner Aufgaben zugewiesen (AA 23.8.2024). Die Polizei hat ein Beschwerdebüro mit zugehöriger Website und Telefonnummer eingerichtet (SLST 6.11.2022). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ SLST - Somaliland Standard (6.11.2022): Without collaborations with the members of the public, the police force cannot fulfill their duties- Major Gen Saqadi, https://somalilandstandard.com/without-col laborations-with-the-members-of-the-public-the-police-force-cannot-fulfill-their-duties-major-gen-s aqadi/, Zugriff 3.6.2024 11 Wehrdienst und Rekrutierungen 11.1 Süd-/Zentralsomalia, Puntland - staatliche Kräfte und Milizen Letzte Änderung 2024-12-04 13:01 Rekrutierung: Das Personal der somalischen Streitkräfte setzt sich ausschließlich aus Freiwil ligen zusammen (BMLV 28.3.2023), es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst (AA 23.8.2024). Um in der Bundesarmee dienen zu können, unterzeichnen die Freiwilligen einen zeitlich unbe grenzten Anstellungsvertrag. Es gibt weder eine Mindest- noch eine Höchstverpflichtungsdauer (BMLV 28.3.2023). Nur hinsichtlich der nach Eritrea zur Ausbildung verbrachten ersten Kon tingente besteht in einigen Fällen der Verdacht einer Zwangsrekrutierung, weil Rekruten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angeworben worden sind (HIPS 1.2023). Allerdings baut die Bundesarmee bei der Rekrutierung ganz auf Clanverbindungen (IO-D/ STDOK/SEM 4.2023). Und bei Clanmilizen kann es zu Zwang kommen, so kann ein Ältester Clanmitglieder zwingen, an einem Konflikt teilzunehmen (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Eine Quelle erklärt hierzu, dass die Bundesarmee mit allen möglichen Praktiken rekrutiert und es im Rahmen einer Erfüllung einer vorgegebenen Rekrutierungsquote bei Clans auch zu „ Zwangs rekrutierungen“ kommen kann (BMLV 7.8.2024). Auch eine andere Quelle erklärt, dass Clans regelmäßig – und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie – junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei al Shabaab rekrutieren. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 23.8.2024). Nach wieder anderen Angaben hat die Bundesarmee hingegen aufgrund der Lage am Arbeitsmarkt keine Schwierigkeiten, neue Rekruten zu finden. Rekrutiert wird dabei flächendeckend, sei es in Baidoa, Belet Weyne oder Mogadischu (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Desertion: Nur wenige Soldaten der Bundesarmee zögern zu desertieren, wenn ihre Verwand ten sie zum Kampf in einem Clankonflikt aufgefordert haben (NLM/Barnett 7.8.2023). Deserteure werden zur Fahndung ausgeschrieben. Die für die Fahndung zuständigen Truppenteile verfü gen allerdings nur über höchst eingeschränkte Kapazitäten, die noch dazu kaum für die aktive 173

Fahndung nach Deserteuren eingesetzt werden. Desertion wird als Hochverrat angesehen, zu ständig dafür ist das Militärgericht. Kommt es zu einer Verurteilung wegen Hochverrats durch Desertion, muss der Angeklagte mit einer langjährigen - möglicherweise auch lebenslangen - Haftstrafe rechnen (BMLV 28.3.2023). Im Jänner 2024 wurden 27 Angehörige der Bundesarmee vom Militärgericht in Galmudug wegen Desertion zu je fünf Jahren Haft verurteilt. Sie hatten ihre Positionen in Mudug verlassen (TSD 29.1.2024). Kindersoldaten - allgemein: Allen Konfliktparteien wird vorgeworfen, Kinder zu rekrutieren (BS 2024). Es gibt Berichte über die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten durch Sicherheitskräfte des Bundes, alliierte Milizen und al Shabaab (USDOS 22.4.2024), durch Re gionalkräfte in Galmudug, Puntland und Jubaland sowie durch Clanmilizen (USDOL 26.9.2023). Gerade in umkämpften Gebieten ist wiederholt eine besonders hohe Zahl an Rekrutierungen zu verzeichnen (AA 23.8.2024). Die UNO berichtet für das Jahr 2022 von insgesamt 1.094 rekru tierten Kindern - 902 durch al Shabaab, 68 durch regionale Kräfte (davon 44 durch Puntland), 80 durch Clanmilizen und Bürgerwehren und 37 durch Kräfte des Bundes (UNGA 5.6.2023). Das Verteidigungsministerium versucht, der Rekrutierung von Kindern mit Ausbildungs- und Scree ning-Programmen entgegenzuwirken. Der Umstand, dass es keine Geburtenregistrierung gibt, macht diese Arbeit schwierig (USDOS 22.4.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich] ■ BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (7.8.2024): Auskunft eines Länder experten an die Staatendokumentation, per e-Mail ■ BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (28.3.2023): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation ■ BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 ■ HIPS - Heritage Institute for Policy Studies (1.2023): Security Sector Reform in Somalia: Challenges and Opportunities, https://8v90f1.p3cdn1.secureserver.net/wp-content/uploads/2023/01/Security-S ector-Reform-Jan-31.pdf , Zugriff 22.1.2024 ■ INGO-V/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumen tation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), International NGO V (Autor) (5.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023 ■ IO-D/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Internationale Organisa tion D (Autor) (4.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023 ■ NLM/Barnett - James Barnett (Autor), New Lines Magazine (Herausgeber) (7.8.2023): Inside the Newest Conflict in Somalia’s Long Civil War, https://newlinesmag.com/reportage/inside-the-newes t-conflict-in-somalias-long-civil-war/ , Zugriff 2.10.2023 ■ TSD - The Somali Digest (29.1.2024): SNA Deserters Sentenced, https://thesomalidigest.com/sn a-deserters-sentenced, Zugriff 8.5.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (5.6.2023): Children and armed conflict. Report of the Secretary-General, https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/\{65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-C F6E4FF96FF9\}/S_2023_363.pdf, Zugriff 14.6.2024 ■ USDOL - United States Department of Labor [USA] (26.9.2023): 2022 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2098558.html, Zugriff 26.4.2024 174

■ USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-p ractices/somalia, Zugriff 23.4.2024 11.2 Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten Letzte Änderung 2025-01-16 14:09 Kindersoldaten: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren (UNSC 2.2.2024; vgl. HRW 11.1.2024; BS 2024). Hauptsächlich betroffen sind hiervon die Regionen Hiiraan, Bay, Lower Shabelle, Bakool und Middle Juba (UNSC 2.2.2024).Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 22.4.2024). Die Gruppe ent führt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2024). Nach anderen Angaben bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan/SWT 6.5.2022). Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutie rung entgehen (Sahan/SWT 6.5.2022). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 22.4.2024). Mitunter wird hierbei auch Gewalt angewendet (BS 2024). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entfüh rung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 23.8.2024). Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbst mordattentäter (USDOS 22.4.2024). Laut einer Quelle kann es zwar sein, dass al Shabaab auch Kinder von 8-12 Jahren aushebt; tatsächlich ist demnach der Einsatz von Kindern im Kampf aber unwahrscheinlich. Es gibt keine Bilder derart junger Kämpfer der al Shabaab unter den Gefallenen. Die Jüngsten sind mindestens 16 Jahre alt, entsprechend somalischer Tradition gelten sie damit als Männer. Die überwiegende Mehrheit der Kämpfer der Gruppe sind jedenfalls Männer über 18 Jahren (BMLV 7.8.2024). Schulen und Lager: Viele der den Clans abgerungenen Kinder kommen zunächst in Schu len, wo sie indoktriniert und rekrutiert werden (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 6.10.2021). Die Gruppe betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum (VOA/Maruf 16.11.2022) und hat ein Bildungssystem geschaffen, das darauf ausgerichtet ist, Rekruten hervorzubringen (Mubarak/ Jackson A./ODI 8.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; Re searcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe verbot andere islamische Schulen und hat eigene gegründet, die als „ Islamische Institute“ firmieren. Diese orientieren sich an Clangrenzen, werden von Clans finanziert und stehen unter strenger Aufsicht der örtlichen Behörden der al Shaba ab. Von den Clans wird erwartet, dass sie entweder Geld oder Schüler zur Verfügung stellen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In diesen Schulen werden die Schüler weltanschaulich in doktriniert, propagiert werden die Illegitimität der Bundesregierung und die Verpflichtung zum Dschihad (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In einem Fall wird berichtet, dass Schüler dort nach zwei Jahren ein Abschlusszeugnis erhalten haben (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Nach der Absolvierung einer solchen Schule werden die Absolventen normaler weise in Trainingslager der al Shabaab verbracht (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vgl. VOA/ 175

Maruf 16.11.2022). Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt (VOA/Maruf 16.11.2022). Nach Angaben eines Augenzeugen konnten Absolventen in seinem Fall über ihren weiteren Weg innerhalb der Organisation selbst entscheiden, etwa ob sie religiöse Studien be treiben oder in eine Teilorganisation eintreten wollten (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In einigen Gegenden betreibt al Shabaab auch „ reguläre“ Schulen. Doch auch diese agieren nach der Ideologie der Gruppe (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit entkommen. Sie sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Fol ter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan/SWT 6.5.2022). Kinder werden dort einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder wer den gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren (USDOS 22.4.2024). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeinhei ten - wie Danaab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (Sahan/SWT 6.5.2022). Rekrutierung über Clans: Üblicherweise rekrutiert al Shabaab über die Clans (INGO-F/STDOK/ SEM 4.2023). Clans auf dem Territorium von al Shabaab müssen in Form junger Männer Tri but an die Gruppe abführen. Die Gruppe kommt in Dörfer, wendet sich an Älteste und fordert eine bestimmte Mannzahl (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; MBZ 6.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, S. 105). Der Clan wird die geforderte Zahl stellen. Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 verfügt die Gruppe in den Clans über „Agenten“, welche die Auswahl der Rekruten vornehmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Nach anderen Anga ben wendet sich al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle an Familien, um diese zur Herausgabe von Buben aufzufordern (Sahan/SWT 6.5.2022). Jedenfalls treten oft Älteste als Rekrutierer auf (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben sind alleWehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet für die Gruppe als territoriale „ Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z. B. bei militärischen Operationen im Umfeld oder zur Aufklärung. Wehrfähig sind demnach auch Jugendliche mit 16 Jahren, die gemäß somalischer Tradition als erwachsen gelten (BMLV 7.8.2024). Wo al Shabaab rekrutiert: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB Nairobi 10.2024). Rekrutiert wird vorwiegend in Gebieten unter Kontrolle der Gruppe, im südlichen Kernland, in Bay und Bakool (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-C/STDOK/ SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Dort fällt al Shabaab dies einfacher, die Menschen haben kaum Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Etwa 40 % der Fußsol daten von al Shabaab stammen aus diesen beiden Regionen (Marchal 2018, S. 107). Auch bei den Hawiye / Galja’el und Hawiye / Duduble hat die Gruppe bei der Rekrutierung große Erfolge (AQ21 11.2023). Viele Kämpfer stammen auch von den Rahanweyn. Generell finden sich bei 176

al Shabaab Angehörige aller Clans (MBZ 6.2023). Auch viele Menschen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten melden sich freiwillig zu al Shabaab (BMLV 7.8.2024). Eine informierte Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, noch nie von Zwangsrekrutierungen an Straßensperren gehört zu haben (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Dahingegen wird in IDP-Lagern - etwa im Umfeld von Kismayo - sehr wohl (freiwillig) rekrutiert (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Wen al Shabaab rekrutiert: Die Mirifle (Rahanweyn) konstituieren eine relevante Quelle an Fußsoldaten (EASO 1.9.2021, S. 18). Bei den meisten Fußsoldaten, die aus Middle Shabelle stammen, handelt es sich um Angehörige von Gruppen mit niedrigem Status, z. B. Bantu, bzw. marginalisierten Gruppen (Ingiriis 2020; vgl. Sahan/SWT 30.9.2022). Viele der Rekruten haben das Bildungssystem von al Shabaab durchlaufen (BMLV 7.8.2024). Die Gruppe nutzt in den von ihr kontrollierten Gebieten zudem gegebene lokale Spannungen aus. Minderheiten wird suggeriert, dass ein Beitritt zur Gruppe sie in eine stärkere Position bringen würde. Daher treten Angehörige von Minderheiten oft freiwillig bei und müssen nicht dazu gezwungen werden (MBZ 6.2023). Manche Mitglieder von al Shabaab rekrutieren auch in ihrem eigenen Clan (Ingiriis 2020). Von al Shabaab rekrutiert zu werden bedeutet nicht unbedingt einen Einsatz als Kämpfer. Die Gruppe braucht natürlich z. B. auch Mechaniker, Logistiker, Fahrer, Träger, Reinigungskräfte, Köche, Richter, Verwaltungs- und Gesundheitspersonal sowie Lehrer (EASO 1.9.2021, S. 18). Warum al Shabaab beigetreten wird: Eine Rekrutierung kann viele unterschiedliche Aspek te umfassen: Geld, Clan, Ideologie, Interessen – und natürlich auch Drohungen und Gewalt (EASO 1.9.2021, S. 21; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen an zulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können - trotz fehlenden religiösen Verständnisses - auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner von al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020a, S. 17; vgl. Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 33), bei anderen ist es Abenteuerlust (Khalil/Brown/et.al./ RUSI 1.2019, S. 33). Laut einer Quelle sind 52 % der Mitglieder von al Shabaab der Gruppe aus ökonomischen Gründen beigetreten, 1 % aus Abenteuerlust (ÖB Nairobi 10.2024). Nach anderen Angaben sind etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, S. 120f; vgl. Rollins/HIR 27.3.2023). Feldforschung unter ehe maligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha/SIGLA 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019b, S. 4). So lange die Gruppe über Geld verfügt, verfügt sie auch über ein großes Rekrutierungspotenzial. Zudem hat sie aufgrund von xenophoben - insbesondere anti-äthiopischen - Ressentiments Zulauf an Freiwilligen (BMLV 7.8.2024). Nur manche Menschen folgen al Shabaab aus ideologischen Gründen, die meisten tun es aus pragmatischen Gründen. Vielen geht es um Schutz - und in vielen Bezirken des Landes bleibt 177

al Shabaab diesbezüglich die sichtbarste und praktikabelste Option (Sahan/SWT 25.8.2023). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite (FIS 7.8.2020b, S. 21) und sonstige Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan/SWT 30.9.2022; vgl. Sahan/Menkhaus 23.8.2023). Gerade in den seit vielen Jahren von der Gruppe kontrollierten Gebieten ist die Bevölkerung im Austausch gegen Sicherheit und Stabilität eher bereit, Rekruten abzugeben (MBZ 6.2023). Und speziell Angehörige marginalisierter Gruppen treten der Gruppe mitunter bei, um sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, S. 34). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit, Rache an An gehörigen anderer Clans zu üben (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 14f; vgl. EASO 1.9.2021, S. 20). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 22.4.2024) - so z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020). Schlussend lich darf auch Angst vor al Shabaab als Motivation nicht vergessen werden. Demonstrationen extremer Gewalt halten viele Menschen bei der Stange (Sahan/SWT 12.6.2023). Entlohnung bei al Shabaab: Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab vor einigen Jahren mit 50 US-Dollar an gegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 50-100 US-Dol lar (UNSC 10.10.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024), Finanzbedienstete 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022). Eine andere Quelle nennt als Einstiegssold fertig ausgebildeter Kämpfer einen Betrag von 80-100 US-Dollar, bar oder in Gutscheinen (BMLV 7.8.2024). Gemäß soma lischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten der al Shabaab 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (Gov Som 2022, S. 99). Ein Mann, der in Mogadischu von einem Militärgericht wegen Anschlägen für al Shabaab verurteilt worden war, hat angegeben, einen Sold von 70 US-Dollar im Monat erhalten zu haben (GN 10.7.2023). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha/SIGLA 2019). Zwangsrekrutierung: Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten an gewendet (BMLV 7.8.2024; vgl. AQ21 11.2023; Ingiriis 2020), jedenfalls nur eingeschränkt, in Ausnahmefällen bzw. unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, S. 92; vgl. BMLV 7.8.2024; MBZ 6.2023). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021). Die meisten Menschen treten der Gruppe freiwillig bei (MBZ 6.2023). 178
