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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition Die Behörden respektieren im Allgemeinen das von der Verfassung geschützte Versammlungsrecht (FH 24.2.2022; vgl. AA 5.12.2022, USDOS 12.4.2022), und in der Praxis versammeln sich die Menschen regelmäßig ohne Genehmigung oder Abstimmung mit den Sicherheitsdiensten (FH 24.2.2022). Offiziell müssen die Organisatoren drei Tage vor einer Demonstration eine Genehmigung beim Innenministerium einholen (USDOS 12.4.2022). Gelegentlich werden Demonstrationen – insbesondere aus dem salafistischen Spektrum – aus Sicherheitsgründen untersagt (AA 5.12.2022). In den letzten Jahren konnten Demonstranten gegen die schlechte Funktionsweise der Regierung und den Mangel an Dienstleistungen protestieren, doch kam es bei diesen Veranstaltungen häufig zu Gewalt seitens der Behörden, politischer Parteien, Milizen und ziviler Teilnehmer (FH 24.2.2022). Die Sicherheitskräfte griffen gelegentlich ein, um Demonstrationen aufzulösen, in der Regel, wenn Demonstranten Sachschäden verursachten, oder es zu Zusammenstößen zwischen gegnerischen Demonstranten kam (USDOS 12.4.2022). Durch ein während des Pride Month 2022 vom Innenministerium erlassenes Verbot von LGBTI-Versammlungen wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt (AA 5.12.2022; vgl. AlM 1.12.2022). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023; vgl. AlM 1.12.2022). Seit der Libanon im Mai 2017 als erstes arabisches Land die Pride Week feierte, hatten libanesische NGOs die Möglichkeit, trotz des Drucks von religiösen Persönlichkeiten Versammlungen zu organisieren (AlM 1.12.2022). Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, wobei einige Bedingungen gesetzlich festgelegt sind, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen respektiert (USDOS 12.4.2022). Für die Gründung einer Vereinigung ist keine vorherige Genehmigung erforderlich, aber die Organisatoren müssen das Innenministerium benachrichtigen, um eine rechtliche Anerkennung zu erhalten, und das Ministerium muss überprüfen, ob die Organisation die „öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die staatliche Sicherheit“ respektiert. In einigen Fällen hat das Ministerium die Anmeldeunterlagen einer NGO an die Sicherheitskräfte geschickt, um Nachforschungen über die Gründungsmitglieder einer Organisation anzustellen (USDOS 12.4.2022; vgl. OHCHR 11.2021). Das Innenministerium ist in die Kritik geraten, weil es Vereinigungen, insbesondere solchen, die sich mit sensiblen Themen wie den Rechten von LGBTI befassen, lange nach der Anmeldung keine Bescheinigungen ausstellt. Dazu gehört auch die libanesische LGBTI-Vereinigung Helem, die seit 2004, als sie dem libanesischen Innenministerium ihre Vereinigungsmeldung vorlegte, auf eine offizielle Bestätigung ihrer Gründung wartet. In der Praxis kann eine Vereinigung jedoch auch ohne die Eintragung durch das Innenministerium tätig werden - die fehlende Rechtspersönlichkeit hat jedoch praktische Auswirkungen, da sie beispielsweise kein Bankkonto eröffnen oder keine Räumlichkeiten mieten kann (OHCHR 11.2021). Organisationen müssen darüber hinaus Vertreter des Ministeriums zu jeder Generalversammlung einladen, bei der die Mitglieder über Satzungen, .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 28 von 68

Änderungen oder Sitze im Vorstand abstimmen. Das Ministerium muss dann die Abstimmung oder Wahl validieren. Geschieht dies nicht, kann die Organisation durch einen Erlass des Ministerrats aufgelöst werden (USDOS 12.4.2022). Das Kabinett muss alle politischen Parteien zulassen (USDOS 12.4.2022). In den letzten Jahren hat die Zahl der politischen Gruppen, die das Establishment im Libanon herausfordern wollen, zugenommen (TPI 4.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023 -AlM - Al Monitor (1.12.2022): Lebanon's Shura Council suspends ban on LGBTQ event, https://www.al-monitor.com/originals/2022/11/lebanons-shura-council-suspends-ban-lgbtq-event, Zugriff 8.2.2023 -FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023 -OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (11.2021): Freedom of Association in the Middle East and North Africa Region, https://romena.ohchr.org/sites/default/files/2022-04/Freedom-of-Association-EN.pdf, Zugriff 8.2.2023 -TPI - The Policy Initiative (4.2022): Lebanon’s Political Alternatives: Mapping the Opposition, https://api.thepolicyinitiative.org/content/uploads/files/Lebanon%E2%80%99s-Political- Alternatives-Report.pdf, Zugriff 8.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023 14. Haftbedingungen Die sozioökonomische Krise im Libanon hat auch die ohnehin schon schlechten Haftbedingungen in den libanesischen Gefängnissen weiter verschärft. Die schlechten Bedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung führen regelmäßig zu Aufständen und Unruhen in den Gefängnissen (AlM 7.8.2022). Die Haftbedingungen in den 18 regulären libanesischen Haftanstalten entsprechen nicht den internationalen Mindestanforderungen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an hygienischen Standards, medizinischer Versorgung, Bewegungsmöglichkeiten, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Beschäftigungsmöglichkeiten in Haft (etwa: Berufsausbildung) und an geschultem Gefängnispersonal (AA 5.12.2022). Aufgrund von Rückständen in der Justiz bleiben die Gefangenen in vielen Fällen monatelang, manchmal sogar jahrelang, ohne Gerichtsverfahren inhaftiert (OT 26.9.2022; vgl. PI 19.5.2022, USDOS 12.4.2022). Die Regierung selbst gab im September 2022 an, dass mit über 8.200 Gefangenen eine Belegung von 323 % (Strafgefangene) bzw. 222 % (Untersuchungshäftlinge) .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 29 von 68

herrsche (AA 5.12.2022). Nach Angaben des geschäftsführenden Innenministers Bassam Mawlawi befinden sich 79,1 % der Häftlinge in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess (OT 31.8.2022). Untersuchungshäftlinge werden von den Behörden oftmals zusammen mit verurteilten Häftlingen festgehalten. Laut Statistiken der Internal Security Forces (ISF) waren im Jahr 2021 110 Minderjährige und 207 Frauen inhaftiert. Die ISF halten Frauen in vier speziellen Frauengefängnissen (Baabda, Beirut, Zahle und Tripoli) gefangen. Das ISF berichtete außerdem, dass im Laufe des Jahres 2021 19 Personen in Haftanstalten gestorben sind. 18 Gefangene starben an medizinischen Problemen, darunter Herzinfarkt, Krebs und COVID-19, und ein Gefangener verübte Selbstmord. Einige NGOs kritisieren die Nachlässigkeit der Behörden und das Versäumnis, den Gefangenen eine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, was zu einigen Todesfällen beigetragen haben könnte (USDOS 12.4.2022). Da der Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und minimaler medizinischer Versorgung für die Gefängnisinsassen im ganzen Land immer schwieriger wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf diejenigen, die ohnehin schon am meisten gefährdet sind, darunter auch Migranten und Flüchtlinge (Alkarama 15.1.2023). Seit August 2016 verfügt die General Security über eine neue Haftanstalt, sodass sich die Haftbedingungen für Ausländer, die abgeschoben oder ausgeliefert werden sollen, relativ verbessert haben; die Möglichkeiten medizinischer Versorgung sind allerdings, wie im gesamten Land, eingeschränkt (AA 5.12.2022). Es gibt in den Justizvollzugsanstalten eine elektronische Datenbank zur Nachverfolgung von Verbleib, Haftdauer und medizinischer Betreuung von Gefangenen (AA 5.12.2022). Im August 2022 wurden dem Parlament zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt (OT 26.9.2022), mit denen die Überbelegung der libanesischen Gefängnisse verringert werden soll. Die Gesetzentwürfe waren eine Reaktion auf die Drohung von Catering-Unternehmen, ab dem 1.9.2022 kein Essen mehr an Häftlinge zu liefern, wenn der Staat sie nicht bezahlt (OT 31.8.2022). Die Regierung ließ eine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen durch lokale und internationale Menschenrechtsgruppen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu, und diese Überwachung fand auch statt. Außerdem können Gefangene und Häftlinge Misshandlungen direkt bei der Menschenrechtsabteilung der ISF melden. Nach Angaben der ISF- Menschenrechtsabteilung ergriff die ISF Disziplinarmaßnahmen gegen Offiziere, die sie für Missbrauch oder Misshandlung verantwortlich machte, einschließlich Entlassungen, doch wurden diese Informationen nicht veröffentlicht. Die ISF berichtete, dass fünf ISF-Offiziere bestraft wurden, weil sie Verdächtige nicht über ihre Rechte bei der Festnahme gemäß Artikel 47 der Strafprozessordnung informiert hatten (USDOS 12.4.2022). Nichtregierungsorganisationen kritisieren allerdings, dass das libanesische Recht zwar vorsieht, dass die Aufsicht über die Gefängnisse von der Gefängnisabteilung des Justizministeriums wahrgenommen wird, die Haftanstalten jedoch weiterhin der Generaldirektion der Sicherheitskräfte unterstehen. Dies führt .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 30 von 68

dazu, dass die Gefangenen ihre Beschwerden über Folterungen oder Misshandlungen bei denselben Behörden einreichen müssen, die diese Handlungen durchgeführt oder zugelassen haben (Alkarama 15.1.2023). Auch nichtstaatliche Organisationen wie die Hizbollah und palästinensische Milizen betreiben Berichten zufolge inoffizielle Gefängnisse (USDOS 12.4.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023 -Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 1.2.2023 -AlM - Al Monitor (7.8.2022): Thirty inmates saw out of Lebanon jail, escape: authorities, https://www.al-monitor.com/originals/2022/08/thirty-inmates-saw-out-lebanon-jail-escape- authorities, Zugriff 1.2.2023 -OT - L’Orient Today (26.9.2022): Is reducing the prison year to six months the solution to prison overcrowding? https://today.lorientlejour.com/article/1312733/is-reducing-the-prison-year-to-six- months-the-solution-to-prison-overcrowding.html, Zugriff 1.2.2023 -OT - L’Orient Today (31.8.2022): Mawlawi to introduce bill that would reduce prison sentences, https://today.lorientlejour.com/article/1310010/mawlawi-to-introduce-bill-that-would-reduce-prison- sentences.html, Zugriff 1.2.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023 15. Todesstrafe Die Justiz verhängt weiterhin Todesurteile. Der Libanon hat allerdings seit 2004 keinen verurteilten Straftäter mehr hingerichtet, da seit 18 Jahren de facto ein Vollstreckungsmoratorium besteht (OT 18.4.2022; vgl. AA 5.12.2022). 81 Verurteilte, libanesische und ausländische, warten derzeit in der Todeszelle, hauptsächlich im Zentralgefängnis Roumieh. Die Justiz wartet noch immer auf einen nationalen Konsens zur Abschaffung der Todesstrafe (OT 18.4.2022). Offiziell droht im Libanon laut Gesetz die Todesstrafe noch für eine Reihe Delikte des allgemeinen Strafrechts (lib. StGB), darunter u.a. Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage, Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge und Terrorismus in besonders schweren Fällen (AA 5.12.2022). Im Jahr 2021 wurde mindestens zwölf mal die Todesstrafe verhängt, während es im Jahr zuvor zwei Urteile gab. Am 5.10.2021 verurteilte das Ständige Militärgericht des Landes vier Männer zum Tode, weil sie an einem Angriff der in Syrien ansässigen bewaffneten Gruppe Jabhat an-Nusra auf libanesische und syrische Soldaten in Arsal, Libanon, im Jahr 2014 beteiligt waren, bei dem mehrere Soldaten beider Armeen ums Leben kamen (AI 24.5.2022). Im Libanon sind keine .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 68

extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden. Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30. Juni 2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben infolge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern seither erfolglos eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse (AA 5.12.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -AI - Amnesty International (24.5.2022): Death sentences and executions 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/, Zugriff 30.1.2023 -OT - L’Orient Today (18.4.2022): Ansar’s quadruple femicide revives the debate on the death penalty in a Lebanon in crisis, https://today.lorientlejour.com/article/1297086/ansars-quadruple- femicide-revives-the-debate-on-the-death-penalty-in-a-lebanon-in-crisis.html, Zugriff 30.1.2023 16. Religionsfreiheit Die Verfassung sieht „absolute Glaubensfreiheit“ vor und erklärt, dass der Staat alle religiösen Gruppen und Konfessionen sowie den Personenstand und die religiösen Interessen von Personen jeder religiösen Gruppe respektiert. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung religiöser Riten, sofern sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und erklärt die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Bürger ohne Diskriminierung oder Bevorzugung (USDOS 2.6.2022). Es gibt 18 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, davon sind zwölf christlich und fünf muslimisch (AA 5.12.2022; vgl. USDOS 2.6.2022, CIA 11.1.2023). Eine kleine jüdische Gemeinde kommt hinzu (FAZ 18.8.2020). Christen wie Muslime üben ihre Religion offen und ohne Einschränkung aus. Die kleine Anzahl an Juden und Jüdinnen geben sich meist nicht öffentlich zu erkennen (AA 5.12.2022). Zu den Gruppen, die die Regierung nicht anerkennt, gehören die Baha'is, Buddhisten, Hindus und mehrere protestantische Gruppen (USDOS 2.6.2022). Nach Schätzungen von Statistics Lebanon sind 64,9 % der Bevölkerung Muslime (32 % Sunniten, 31,3 % Schiiten und 1,6 % Alawiten und Ismailiten zusammen). Statistics Lebanon schätzt außerdem, dass 32 % der Bevölkerung Christen sind. Die größte christliche Gruppe sind die maronitischen Katholiken (mit 52,5 % der christlichen Bevölkerung), gefolgt von den griechisch- orthodoxen Christen (25 % der christlichen Bevölkerung) (USDOS 2.6.2022). Der Anteil der Drusen beläuft sich auf lediglich 4,5 % der Bevölkerung (CIA 11.1.2023). In der Verfassung heißt es, dass bei der Verteilung von Kabinettsposten und hochrangigen Posten im öffentlichen Dienst .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 32 von 68

ein „gerechtes und ausgewogenes Verhältnis“ zwischen den großen Religionsgemeinschaften herrschen soll (USDOS 2.6.2022). Von den 64 Sitzen für Muslime im libanesischen Parlament entfallen 27 auf die Schiiten und 27 auf die Sunniten, acht auf die Drusen und zwei auf die Alawiten. Von den 64 Sitzen für Christen entfallen 34 auf Maroniten, 14 auf Orthodoxe, 8 auf Mitglieder der griechischen Kirche, 5 auf Armenier und 3 auf andere christliche Minderheiten (AB 25.1.2022). Laut Gesetz gestattet die Regierung anerkannten Religionsgemeinschaften die Anwendung ihrer eigenen Regeln für Familien- und Personenstandsangelegenheiten, einschließlich Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder und Erbschaft. Schiiten, Sunniten, anerkannte Christen und Drusen verfügen über staatlich ernannte subventionierte klerikale Gerichte, die das Familien- und Personenstandsrecht gemäß den Überzeugungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft verwalten. Während die religiösen Gerichte und die religiösen Gesetze rechtlich an die Bestimmungen der Verfassung gebunden sind, hat der Kassationsgerichtshof, das höchste Zivilgericht im Justizsystem, nur eine sehr begrenzte Aufsicht über die Verfahren und Entscheidungen der religiösen Gerichte. Gemäß der Verfassung können anerkannte Religionsgemeinschaften ihre eigenen Schulen betreiben, sofern sie die allgemeinen Vorschriften für öffentliche Schulen einhalten, die besagen, dass die Schulen nicht zu konfessionellem Zwist anstiften oder die nationale Sicherheit gefährden dürfen. Die Regierung erlaubt den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, schreibt ihn aber nicht vor. Sowohl christliche als auch muslimische Vertreter lokaler Religionen veranstalten gelegentlich Aufklärungsveranstaltungen in öffentlichen Schulen (USDOS 2.6.2022). Die Ehe kann nur durch anerkannte Religionsgemeinschaften und in religiöser Form geschlossen werden (AA 5.12.2022). Einige christliche und muslimische Religionsbehörden führen interreligiöse Eheschließungen durch (USDOS 2.6.2022). Diese waren allerdings nur in wenigen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die letztlich darauf abzielen, dass ein Ehepartner zum Glauben des anderen konvertiert. Die vor einer anerkannten religiösen Instanz geschlossenen Ehen müssen anschließend in das libanesische Personenstandsregister eingetragen werden, damit die Eheurkunde rechtliche Beweiskraft erlangen kann. Eine zivile Eheschließung in Libanon ist weiterhin nicht möglich (AA 5.12.2022). Konversion Die Konversion ist im Libanon nicht ohne Stigma oder Schwierigkeiten, aber sie ist rechtlich zulässig, und das Kräfteverhältnis zwischen Islam und Christentum ist annähernd ausgeglichen (FT 1.2023). Laut Gesetz steht es einer Person frei, zu einer anderen Religion zu konvertieren, wenn ein örtlicher leitender Beamter der Religionsgemeinschaft, der die Person beitreten möchte, dem Wechsel zustimmt. Die Religionsgemeinschaft stellt ein Dokument aus, in dem die neue .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 33 von 68

Religion des Konvertiten bestätigt wird, sodass der Konvertit seine neue Religion bei der Direktion für den Personenstand des Innenministeriums eintragen lassen kann. Die neue Religion wird anschließend in die von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden eingetragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, die übliche Angabe ihrer Religion aus den von der Regierung ausgestellten Personenstandsurkunden zu entfernen oder die Art der Angabe zu ändern. Für die Änderung der Dokumente ist keine Genehmigung der religiösen Beamten erforderlich, und die Eintragung der Person bei der Direktion für den Personenstand wird nicht geändert oder aufgehoben (USDOS 2.6.2022). In der Praxis kommen Konversionen nur in Ausnahmefällen vor, zumal Konvertiten nur eingeschränkt mit Verständnis ihres familiären oder gesellschaftlichen Umfelds rechnen können und allenfalls auch der Gefahr physischer Bedrohung ausgesetzt sind. Staatlichen Repressionen sind Konvertiten nicht ausgesetzt (AA 5.12.2022). Blasphemie Das Strafgesetzbuch sieht eine Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis für jeden vor, der wegen „öffentlicher Gotteslästerung“ verurteilt wird (USDOS 2.6.2022; vgl. HRF 26.11.2022). Es wird nicht definiert, was dies bedeutet. Gesetzliche Bestimmungen sehen mögliche Geld- oder Gefängnisstrafen für sektiererische Provokationen vor und der Presse ist die Veröffentlichung von blasphemischen Inhalten in Bezug auf die offiziell anerkannten Religionen des Landes oder von Inhalten, die sektiererische Fehden provozieren könnten, untersagt (USDOS 2.6.2022). Quellen: -AB - Al Bawaba (25.1.2022): Religious and Ethnic Groups in Lebanon, https://www.albawaba.com/opinion/religious-and-ethnic-groups-lebanon-1463785, Zugriff 30.1.2023 -CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023 -FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.8.2020): Religionsführer im Libanon : Moralische Autoritäten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/welche-rolle-religionsfuehrer-im-libanon- spielen-16909146.html, Zugriff 6.3.2023 -FT - First Things (1.2023): From Mecca to Rome, https://www.firstthings.com/article/2023/01/from-mecca-to-rome, Zugriff 31.1.2023 -HRF - Human Rights First (26.11.2022): Compendium Blasphemy Laws – Lenbanon, https://humanrightsfirst.org/wp-content/uploads/2022/11/Compendium-Blasphemy-Laws.pdf, Zugriff 31.1.2023 -USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 30.1.2023 17. Minderheiten Die Bevölkerung des Libanon von geschätzten 5.296.814 Menschen besteht zu 95 % aus Arabern, zu 4 % aus Armeniern und zu 1 % aus sonstigen Ethnizitäten (CIA 11.1.2023). Die demografischen Daten sind umstritten, und seit 1932 hat es keine Volkszählung mehr gegeben. Einige Minderheitengruppen werden in erster Linie durch ihre Religion definiert, andere durch ihre .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 34 von 68

ethnische Zugehörigkeit (MR 5.2020). Es besteht im Grundsatz keine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung für libanesische Staatsangehörige oder die 18 anerkannten konfessionellen Gruppen. Die armenisch-stämmige Bevölkerung, eine bedeutende ethnische Minderheit, ist in Staat und Gesellschaft integriert. Die ca. 100.000 Personen umfassende kurdisch-stämmige Bevölkerung türkischen, syrischen oder irakischen Ursprungs wird nicht als Minderheit anerkannt, unterliegt aber keiner Repression wegen ihrer Volkszugehörigkeit; nach wie vor ist ein kleiner Teil dieser Bevölkerungsgruppe (ca. 1.000 - 1.500 Personen) aber staatenlos und hat damit keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen (AA 5.12.2022). [Anm.: Zur Lage von palästinensischen und syrischen Flüchtlingen siehe Kapitel 21.1 und 21.1.] Einen Sonderfall stellen in Libanon lebende ausländische Hausangestellte dar. Es handelt sich überwiegend um Frauen aus Süd- und Südostasien sowie aus Afrika. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft von weit verbreiteten Fällen schwerer Misshandlung, sexuellen Missbrauchs, wirtschaftlicher Ausbeutung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Passentzug seitens der Arbeitgeber. In einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie der NGO Egna Legna Besidet in Zusammenarbeit mit der Lebanese American University, bei der 913 Interviews mit ausländischen Hausangestellten durchgeführt wurden, gaben 68 % der Befragten an, während ihres Aufenthalts im Libanon mindestens eine Erfahrung von sexueller Belästigung gemacht zu haben. Für ausländische Hausangestellte gelten die Schutzbestimmungen des libanesischen Arbeitsrechts nicht, sondern das sogenannte Kafala System. Die Erfordernis eines persönlichen „Sponsors“ für die Aufenthaltsgenehmigung unterwirft die Betroffenen faktischer und rechtlicher Abhängigkeit. Die Regierung hat 2020 einen neuen Mustervertrag mit Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen verordnet. Dieser Vertrag ist allerdings aufgrund von Klagen von Vermittlungsagenturen vor Gericht derzeit ausgesetzt. Im Übrigen blieben staatliche Bemühungen für eine signifikante Verbesserung der Lage von Hausangestellten unzureichend (AA 5.12.2022). Quellen: -AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023 -MR - Minority Rights (5.2020): Lebanon, https://minorityrights.org/country/lebanon/, Zugriff 30.1.2023 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 35 von 68

17.1. Beduinen – al-Ashaer, bzw. al-Arabiya Die meisten Beduinen identifizieren sich aufgrund des sozialen Stigmas nicht als „Badu“ sondern als „Al-Ashaer“ („Stämme“) oder „Al-Arabiya“ (ÖB 28.10.2021). Beduinen sind nomadische Araber, die seit Hunderten von Jahren im Nahen Osten präsent sind (T961 28.1.2021). Sie sind stark in eigenen Traditionen verwurzelt, einschließlich eines traditionellen Rechtssystems und eines sie von anderen Libanesen differenzierenden Dialekts (ÖB 28.10.2021). Ein Teil der Angehörigen der Nomadenstämme/Beduinen in der Bekaa-Ebene und der Region Akkar wurde 1994 eingebürgert. Auch wenn diese rechtlich nicht diskriminiert werden, handelt es sich sozial und ökonomisch neben den palästinensischen und syrischen Flüchtlingen um die am stärksten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Die Lage der nicht-eingebürgerten Beduinen ist besonders prekär; sie haben keinen Zugang zu staatlichen Leistungen (AA 5.12.2022). Ursprünglich lebten Beduinen vor allem in der Bekaa-Ebene sowie in Wadi Khaled im Akkar. Mittlerweile gibt es solche Gruppen im gesamten Land. Viele Beduinen leben schon lange im Land, zusätzliche Gruppen kamen während des Syrien-Kriegs in den Libanon. Die meisten von ihnen sind nach wie vor staatenlos, die Einbürgerung einiger zehntausende unter Premierminister Rafik Hariri 1994 stieß vor allem bei der christlichen Bevölkerungsgruppe auf Kritik, da man eine Veränderung des Bevölkerungsgleichgewichts befürchtete (ÖB 28.10.2021). Vielen staatenlosen Beduinen im Libanon werden aufgrund ihrer fehlenden Staatsangehörigkeit Grundbedürfnisse und Dienstleistungen wie Arbeit und die Schulbildung ihrer Kinder verweigert. Die Tatsache, dass sie im Staat unterrepräsentiert sind, macht es schwieriger, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, zumal viele von ihnen den Gedanken ablehnen, politischen Parteien beizutreten, weil sie sich stark ihrem Stamm zugehörig fühlen (T961 28.1.2021). Die Zahl der über das Schulsystem gut integrierten Beduinen dürfte 5 % nicht übersteigen, sodass die überwiegende Mehrzahl weiterhin als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeitet. Es fehlt in ihren Dörfern an grundlegender Infrastruktur (ÖB 28.10.2021). Bei den Sunniten in Khalde [nahe Beirut] handelt es sich meist um Beiruter Beduinen, die während des Bürgerkriegs von christlichen Milizen aus dem Stadtteil Quarantaine [Karantina] vertrieben wurden („Arab Al-Maslakh“ oder „Schlachthausaraber“) (ÖB 28.10.2021; vgl. OT 6.5.2922). Der Zusammenstoß in Khalde im August 2021 involvierte die Hizbollah und auf der anderen Seite Mitglieder eines Beduinenstammes (KT 3.8.2021; vgl. Reddit 1.8.2021). Ein Jahr zuvor war ein Mitglied des Stammes von einem Hizbollah-Mitglied getötet worden. Dieses wurde ein Jahr später aus Rache bei einer Hochzeit ermordet. Dann folgte ein Angriff auf dessen Beerdigungszug in Khalde, was in eine Auseinandersetzung mit mindestens fünf Toten mündete (KT 3.8.2021). Quellen: .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 36 von 68

-AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023 -KT - Khmer Times (3.8.2021): Armed groups clash in area south of Lebanese capital, https://www.khmertimeskh.com/50907321/armed-groups-clash-in-area-south-of-lebanese-capital/, Zugriff 30.1.2023 -ÖB Beirut (28.10.2021): Auskunft per E-Mail -OT - L’Orient Today (6.5.2022): In Khaldeh, 'a gate to four places,' the Arab tribes stake out their turf, https://today.lorientlejour.com/article/1298555/in-khaldeh-a-gate-to-four-places-the-arab- tribes-stake-out-their-turf.html, Zugriff 30.1.2023 -Reddit [Posting von Johnny GSG9] (1.8.2022): Video: Arabs of Khalde (Bedouin clans) clashing with Hezbollah supporters in Khalde, Lebanon. 1 august 2021, https://www.reddit.com/r/CombatFootage/comments/ovze48/arabs_of_khaldebedouin_clans_clas hing_with/, Zugriff 30.1.2023 -T961 - The961 (28.1.2021): How The Bedouins of Lebanon Came To Be, https://www.the961.com/story-bedouins-of-lebanon/, Zugriff 30.1.2023 18. Relevante Bevölkerungsgruppen 18.1. Frauen Frauen sind im politischen und gesellschaftlichen Leben deutlich unterrepräsentiert. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2020 gingen insgesamt acht Sitze an Frauen, was eine leichte Verbesserung gegenüber 2018 darstellt (2018: sechs) (AA 5.12.2022; vgl. HBS 2.12.2022). Im Bericht des Weltwirtschaftsforums zum Gender Gap 2022 wird der Libanon auf Platz 119 von 146 Ländern geführt und gehört damit zu den Ländern, die im regionalen Vergleich noch am besten abschneiden (WEF 13.7.2022). Innerhalb der Familien und der Gesellschaft herrscht allerdings weiterhin ein patriarchalisches System, das den Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert (AA 5.12.2022). Frauen im Libanon werden sowohl durch das Gesetz und als auch in der Praxis diskriminiert (USDOS 12.4.2022). Libanon hat 1997 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert, jedoch bezüglich zahlreicher Bestimmungen Vorbehalte eingelegt. Das dazugehörige Fakultativprotokoll zur Möglichkeit der Individualbeschwerde wurde bisher nicht unterzeichnet (AA 5.12.2022). Die Verfassung verbietet nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (USDOS 12.4.2022). Seit Dezember 2020 ist sexuelle Belästigung in Libanon strafbar (AA 5.12.2022). Die rechtliche Stellung der Frau wird stark durch die konfessionell unterschiedlichen Personenstandsgesetze beeinflusst (AA 5.12.2022; vgl HRW 12.1.2023; vgl. HBS 2.12.2022) [siehe hierzu auch Kapitel 5. „Rechtsschutz/Justizwesen“]. Alle 18 anerkannten Religionsgemeinschaften haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für diese Angelegenheiten zuständig sind, und die Gesetze variieren je nach Religionsgemeinschaft. So wenden beispielsweise sunnitische Religionsgerichte ein Erbrecht an, das einer Tochter die Hälfte .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 37 von 68
