palg-gaza-lib-2022-05-31-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
5. Sicherheitsbehörden Im Gazastreifen hat die Hamas in allen Gesellschaftsbereichen de facto die Kontrolle. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage sind, die Hamas zur Verantwortung bzw. Rechenschaft zu ziehen. Für die innere Sicherheit in Gaza zuständig sind Zivilpolizei, Wach- und Schutztruppen, eine interne Geheimdienst- und Ermittlungseinheit sowie der Zivilschutz. Für die nationale Sicherheit zuständig sind die nationalen Sicherheitskräfte, die Militärjustiz, die Militärpolizei, der medizinische Dienst und die Gefängnisbehörde. In einigen Fällen nutzen die „zivilen“ Hamas-Behörden de facto den militärischen Flügel der Hamas-Bewegung, um gegen interne Meinungsverschiedenheiten vorzugehen (USDOS 12.4.2022). Die Hamas verfügt nicht über konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften, zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, den Izz al- Din al-Qassam-Brigaden. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas. Es gibt mehrere andere militante Gruppierungen, die im Gazastreifen operieren, vor allem die Al- Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Jihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 24.5.2022). Die Izz al-Din al-Qassam Brigade kann, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014, als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Einer Schätzung der CIA zufolge betrug ihre Stärke im Jahr 2021 20.000-25.000 Kämpfer (CIA 24.5.2022). Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021; EU 4.2.2022; USDOS 16.12.2021), genauso wie Izz al-Din al-Qassam und der Islamische Jihad von der EU als terroristische Gruppierungen eingestuft werden (EU 4.2.2022). Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf die Sicherheitskräfte aus. Nach der Spaltung im Jahr 2007 untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte, im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsdienste und der Polizei wird jedoch auch durch die israelische Armee behindert, z.B. zerstörte sie während des Gaza-Krieges im Dezember 2008 alle Gefängnisse und Haftzentren in Gaza durch Bombenangriffe (GIZ 11.2020a). Quellen: - BBC – British Broadcasting Corporation News (1.7.2021): Hamas: The Palestinian militant group that rules Gaza, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-13331522, Zugriff 19.5.2022 - CIA – Central Intelligence Agency (24.5.2022): The World Factbook, Middle East, Gaza Strip, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/gaza-strip/#military-and-security, Zugriff 30.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 18 von 50

- EU – Europäische Union (4.2.2022): Beschluss (GASP) 2022/152 des Rates vom 3. Februar 2022 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, für die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2021/1192 , https://eur- lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri=CELEX%3A32022D0152, Zugriff 20.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020a) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Geschichte & Staat, https://web.archive.org/web/20210514035926/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/geschichte-staat/, Zugriff 19.5.2022 - GS – Global Security (1.5.2017): HAMAS (Islamic Resistance Movement), https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hamas.htm, Zugriff 31.3.2020 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – United States Department of State (16.12.2021): Country Reports on Terrorism 2020, https://www.state.gov/reports/country-reports-on-terrorism-2020/#Hamas, Zugriff 19.5.2022 6. Folter und unmenschliche Behandlung Palästina hat im März 2014 die UN-Konvention gegen Folter (UNCAT) unterzeichnet (EU 30.3.2022) und das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbietet Folter sowie die Ausübung von Gewalt gegen Gefangene. Folter und Misshandlungen kommen jedoch weiterhin in Gaza wie im Westjordanland vor (USDOS 12.4.2022; vgl. EU 30.3.2022) bzw. sind sie weit verbreitet (AI 2022b; vgl. HRW 29.5.2019). Mit den Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah ab 2007 wurden in beiden Gebieten Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt (GI Z 11.2020a). Die Hamas- Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner. Bei der unabhängigen palästinensischen Menschenrechtskommission (ICHR) gingen zwischen Januar und September 2020 75 Beschwerden über willkürliche Verhaftungen und 72 über Folter und Misshandlungen gegen die Hamas-Behörden ein ( HRW 13.1.2022).In den letzten vier Jahren wurden insgesamt 782 Beschwerden von Bürgern eingereicht, die angeben, von Vollzugsbeamten im Gazastreifen gefoltert und misshandelt worden zu sein. Unter anderem gingen bei der ICHR auch Beschwerden von Frauen und Kindern ein (ICHR 4.2022). Quellen: - AI – Amnesty International (2022): Palestine (State of) 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/palestine-state-of/report- palestine-state-of/, Zugriff 23.5.2022 - EU – Europäische Union (30.3.2022): EU Annual Report on Human Rights and Democracy in the World; 2021 Country Updates, http s://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/220323%202021%20EU %20Ann ual%20Human%20Rights%20and%20Democracy%20Country%20Reports.docx.pdf, Zugriff 23.5.2022HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 19 von 50

Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020a) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Geschichte & Staat, https://web.archive.org/web/20210514035926/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/geschichte-staat/, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (29.5.2019): Palestine: No Letup in Arbitrary Arrests, Torture, https://www.hrw.org/news/2019/05/29/palestine-no-letup-arbitrary-arrests-torture, Zugriff 23.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (10.2018): Palestine: Authorities Crush Dissent, https://www.ecoi.net/de/dokument/1447616.html, Zugriff 23.5.2022 - ICHR – Independent Commission for Human Rights (4.2022): Shadow Report of the Independent Commission for Human Rights (ICHR) to the Human Rights Committee on the First Periodic Review of the State of Palestine, https://www.ecoi.net/en/document/2072781.html, Zugriff 20.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 7. Korruption Gesetzliche Regelungen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sehen Strafen für behördliche Korruption vor (USDOS 12.4.2022). Die von der Hamas kontrollierte Regierung verfügt über keine wirksamen oder unabhängigen Mechanismen zur Gewährleistung von Transparenz in Sachen Finanzierung, der Beschaffung oder ihrer Tätigkeit . Der Hamas wird Korruption bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und der Verteilung von Hilfsleistungen vorgeworfen (FH 28.2.2022). Im Gazastreifen werfen örtliche Beobachter und NGOs der Hamas Fälle von Mittäterschaft bei korrupten Vorgängen vor, einschließlich Vergünstigungen bei Einkaufskonditionen für Immobilien und der Generierung von Einnahmen in Zusammenhang mit Gebührenforderungen gegenüber Importeuren in den Gazastreifen. Internationale Organisationen wiesen auch auf die Korruption bei der Einstellungspraxis der Hamas hin, das ein System des Klientelismus schuf, welches das Wirtschaftswachstum behindert (USDOS 12.4.2022). Laut Korruptionsbericht 2021 der palästinensischen Vereinigung AMAN – Coalition for Accountability and Integrity blieben Machtmissbrauch, „Wasta“ oder Vetternwirtschaft und Klientelismus 2021 die häufigste Form der Korruption in Palästina [Anm.: Wasta = gute Beziehungen]. Auch wurde von wirtschaftlicher Korruption wie Geldwäsche, Steuervermeidung und der Anpreisung von verdorbenen/abgelaufenen Lebensmitteln berichtet. AMAN registrierte Verbesserungen bei der Transparenz von öffentlichen Beschaffungen durch die palästinensischen Behörden. Im Gazastreifen ist die Veröffentlichung von Verträgen auf der Website des Finanzministeriums nach wie vor unvollständig (AMAN 2022). Quellen: .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 20 von 50

- AMAN – The Coalition for Accountability and Integrity (2022): Fourteenth Annual Report – The State of Integrity and Combating Corruption in Palestine 2021, https://www.aman- palestine.org/cached_uploads/download/2022/05/12/%D8%A7%D9%84%D8%AA%D9%82 %D8%B1%D9%8A%D8%B1-%D8%A7%D9%84%D8%B3%D9%86%D9%88%D9%8A- %D8%A7%D9%84%D8%A7%D9%86%D8%AC%D9%84%D9%8A%D8%B2%D9%8A- %D8%A3%D9%8A%D8%A7%D8%B12022-1652347284.pdf, Zugriff 23.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 8. Wehrdienst und Rekrutierungen Die Hamas hat kein konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, der Izz al-Din al-Qassam Brigade. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas (CIA 24.5.2022). Es gibt mehrere andere militante Gruppier ungen, die im Gaza-Streifen operieren, vor allem die Al- Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Jihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 24.5.2022). Die Izz al-Din al-Qassam Brigaden können, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014 als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Laut CIA wurde ihre Mannstärke im Jahr 2021 auf 20.000-25.000 Kämpfer geschätzt (CIA 24.5.2022). Im Jahr 2021 wurde berichtet, dass die Hamas Sommercamps unter dem Motto „Jihad“ abhielt, allerdings gibt es laut dem US-amerikanischen Außenministerium für das Jahr keine Berichte, dass die Hamas Kindersoldaten rekrutierte oder einsetzte (USDOS 12.4.2022). Die Vereinten Nationen verifizierten hingegen im Jahr 2020 die Rekrutierung und den Einsatz von zwei Kindersoldaten durch die al-Qassam-Brigaden (UNSC 6.5.2021). Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021; EU 4.2.2022; USDOS 16.12.2021), ebenso wie ihre Izz al-Din al-Qassam Brigaden und der Islamische Jihad von der EU als terroristische Gruppierungen eingestuft werden (EU 4.2.2022). Quellen: - BBC – British Broadcasting Corporation News (1.7.2021): Hamas: The Palestinian militant group that rules Gaza, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-13331522, Zugriff 19.5.2022 - CIA – Central Intelligence Agency (24.5.2022): The World Factbook, Middle East, Gaza Strip, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/gaza-strip/#military-and-security, Zugriff 30.5.2022 - EU – Europäische Union (4.2.2022): Beschluss (GASP) 2022/152 des Rates vom 3. Februar 2022 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, für die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 21 von 50

2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2021/1192 , https://eur- lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri=CELEX%3A32022D0152, Zugriff 20.5.2022 - GS – Global Security (1.5.2017): HAMAS (Islamic Resistance Movement), https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hamas.htm, Zugriff 31.3.2020 - UNSC – United Nations Security Council (6.5.2021): Children and Armed Conflict, https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2021/437&Lang=E&Area=UNDOC, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – United States Department of State (16.12.2021): Country Reports on Terrorism 2020, https://www.state.gov/reports/country-reports-on-terrorism-2020/#Hamas, Zugriff 19.5.2022 9. Allgemeine Menschenrechtslage Die Hamas übt im Gazastreifen die de facto-Kontrolle aus und legt der Bevölkerung Restriktionen gemäß ihrer Interpretation des Islam und der Scharia auf (USDOS 12.5.2021). Es wird berichtet von ungesetzlichen oder willkürlichen Tötungen, Folter und willkürlicher Inhaftierung durch Beamte der Hamas, willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriffen in die Privatsphäre, Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, Gewaltandrohungen, Verhaftungen und Verfolgungen von Journalisten, Zensur, Sperren von Websites, wesentlichen Eingriffen in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, Einschränkungen der politischen Partizipation, Korruption, Gewalt und Gewaltandrohungen gegen LGBTI-Personen, etc. (USDOS 12.4.2022). Die Religionsfreiheit ist im Gazastreifen eingeschränkt. Das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erklärt den Islam zur offiziellen Religion Palästinas und besagt, dass „Respekt und Heiligkeit aller anderen himmlischen Religionen (Judentum, Christentum) gewahrt werden sollen“. Blasphemie ist ein kriminelles Vergehen. Die Hamas-Behörden setzen konservative sunnitische islamische Praktiken durch und versuchen, politische Kontrolle über Moscheen auszuüben. Sie erzwingen jedoch keine Gebete in Schulen und zwingen Frauen nicht dazu, einen Hidschab zu tragen, wie es in den ersten Jahren der Kontrolle durch die Hamas üblich war (FH 28.2.2022). Die Sicherheitskräfte und Kämpfer der Hamas nehmen regelmäßig willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen vor. Das von der Hamas beaufsichtigte Gerichtssystem gewährleistet in der Regel keine ordnungsgemäßen Verfahren, und in einigen Fällen werden Zivilisten von speziellen Militärgerichten vor Gericht gestellt (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Es ist unklar, wie viele Palästinenser sich in Untersuchungshaft befinden, jedoch sind Berichte über Inhaftierungen ohne Anklage oder Prozess weit verbreitet (USDOS 12.4.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 22 von 50

Die Hamas-Behörden führten willkürliche Verhaftungen aufgrund von politischer Zugehörigkeit durch (USDOS 12.4.2022) und verhafteten Gegner und Kritiker wegen ihrer friedlichen Äußerungen. Einige von ihnen wurden in Gewahrsam gefoltert (HRW 13.1.2022). Es gab zahlreiche Berichte darüber, dass die Hamas palästinensische Journalisten zu Unrecht festnahm und Palästinenser verhaftete, die im Internet Kritik an der Hamas im Gazastreifen äußerten. Ungerechtfertigte Inhaftierungen durch die Hamas sind weit verbreitet, insbesondere von Aktivisten der Zivilgesellschaft, Fatah-Mitgliedern, Journalisten und Personen, die beschuldigt wurden, die Hamas zu kritisieren. Auch Personen, die verdächtigt werden, Verbindungen zu Israel zu haben, wurden von der Hamas zu Unrecht inhaftiert (USDOS 12.4.2022). Die Einschüchterung durch militante Hamas-Kämpfer und andere bewaffnete Gruppen hat Auswirkungen auf die persönliche Meinungsäußerung und private Diskussionen in Gaza. Die Behörden der Hamas überwachen soziale Medien auf kritische Inhalte. Ein HRW-Bericht aus dem Jahr 2018 dokumentierte eine Reihe von Vorfällen, bei denen die Hamas Personen aufgrund ihrer Aktivitäten in den sozialen Medien oder ihrer Teilnahme an politischen Veranstaltungen eingeschüchtert, inhaftiert oder misshandelt hat, vor allem diejenigen, welche als Unterstützer der Fatah oder als Gegner der Hamas-Regierung wahrgenommen wurden. So wurden beispielsweise Personen inhaftiert und zu Social-Media-Beiträgen befragt, die sich kritisch über die Hamas- Führung und deren Umgang mit der Stromknappheit äußerten (FH 28.2.2022). Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass die Hamas im Gazastreifen Fernsehsendungen und schriftliches Material wie Zeitungen und Bücher zensiert (USDOS 12.4.2022). Es gibt ein breites Spektrum an palästinensischen NGOs und zivilgesellschaftlichen Gruppen, und die Hamas unterhält ein großes Netzwerk für soziale Dienste. Allerdings hat die Hamas die Aktivitäten von Organisationen, die sich nicht ihren Vorschriften unterwerfen, eingeschränkt, und viele zivilgesellschaftliche Vereinigungen wurden seit der Spaltung der PA im Jahr 2007 aus politischen Gründen geschlossen. Die Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen von NGOs nach dem Konflikt mit Israel im Jahr 2014 wurden zum Teil durch Meinungsverschiedenheiten über den Zugang der internationalen Gemeinschaft und der Palästinensischen Autonomiebehörde zum Gazastreifen sowie die Kontrolle über die Grenzübergänge behindert. Die israelische Regierung schränkt auch den Zugang von Menschenrechtlern und NGO-Mitarbeitern zum Gazastreifen ein (FH 28.2.2022). Die Aktivitäten der Fatah-nahen Palestinian General Federation of Trade Unions, der größten Gewerkschaftsorganisation in den palästinensischen Gebieten, wurden in Gaza eingeschränkt. Die Hamas greift manchmal in Gewerkschaftswahlen oder in die Aktivitäten von Berufsverbänden ein, .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 50

die mit der Fatah verbunden sind. Die Hamas hat ihre eigenen, parallelen Berufsverbände gegründet, um mit bestehenden Organisationen zu konkurrieren. Aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage, der extrem hohen Arbeitslosigkeit und des dysfunktionalen Gerichtssystems, das die Durchsetzung des Arbeitsschutzes behindert, haben die Arbeitnehmer bei Arbeitskonflikten kaum eine Handhabe (FH 28.2.2022). Die Haftbedingungen in Gefängnissen im Gazastreifen sind Berichten zufolge schlecht und die Gefängniszellen überbelegt. NGO-Berichten zufolge mangelt es in allen Gefängnissen an ange- messenen Einrichtungen und spezieller medizinischer Versorgung für Häftlinge und Gefangene mit Behinderungen. Laut Human Rights Watch führten Mechanismen, mit denen Mitarbeiter und Verwaltungsangestellte zur Rechenschaft gezogen werden sollten, selten, wenn überhaupt, zu Konsequenzen für schwerwiegende Missbräuche. Im Gazastreifen wird dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) Zugang zu Häftlingen gewährt, um Behandlung und Haftbedingungen zu bewerten. Menschenrechtsorganisationen führen Gefängnisbesuche durch. Zu hochrangigen Häftlingen wird der Zugang allerdings verwehrt (USDOS 12.4.2022). Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem weist darauf hin, dass die Verbringung von Gefangenen aus dem besetzten Gebiet gegen internationales Recht verstößt. Laut ihren Angaben befanden sich Ende September 2020 rund 254 palästinensische Sicherheitshäftlinge und Gefangene aus dem Gazastreifen in israelischen Gefängnissen. Die israelischen Militärgerichte, welche die Fälle dieser Gefangenen behandeln, verfügen nicht über die vollständigen Verfahrensgarantien ziviler Gerichte (FH 28.2.2022; vgl. AI 2022b). Unter anderem waren palästinensische Gefangene langer Isolationshaft und unzureichender medizinischer Behandlung ausgesetzt (AI 2022). Menschenrechtsorganisationen beklagen auch zahlreiche Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch Israel in Palästina. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem wurden vom 19.01.2009 bis zum 31.12.2019 im Westjordanland und im Gazastreifen 3.512 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte getötet, darunter 794 Minderjährige. Bei der israelischen Militäroperation "Protective Edge" im Gazastreifen im Juli/August 2014 kamen nach UN-Angaben mindestens 1.473 Zivilisten ums Leben (GIZ 11.2020a). 2021 war in dieser Hinsicht das tödlichste Jahr seit 2014: israelische Sicherheitskräfte töteten in diesem Jahr laut B’Tselem im Gazastreifen 236 Palästinenser (B’Tselem 4.1.2022). Laut dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen wurden zwischen 1.1.2020 und 8.5.2022 [Anm.: dzt. verfügbarer Letztstand] im Gazastreifen im Kontext mit dem Konflikt und der Besetzung 271 Palästinenser getötet, davon 138 Zivilisten, 55 Personen, deren Zugehörigkeit umstritten war, sowie 78 Kombattanten. 2.433 weitere .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 24 von 50

Palästinenser [Anm.: keine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten] wurden verletzt (OCHA o.D.a). Während der Kämpfe im Mai 2021 wurden laut dem Ministerium für Arbeit und Wohnraum in Gaza rund 2.200 Wohneinheiten durch israelische Angriffe schwer beschädigt. Unter anderem bombardierte Israel vier Hochhäuser in Gaza, wodurch die Bewohner ihre Wohnungen und Unternehmer ihre Geschäfte verloren. Israel informierte zwar die Eigentümer der Türme über seine Absichten, gab den Bewohnern und Geschäftsleuten laut der NGO B’Tselem jedoch nicht genügend Zeit, um ihr Hab und Gut aus den Gebäuden zu entfernen. In den Gebäuden untergebrachte Medienorganisationen verloren teure Ausrüstung und über Jahre gesammeltes Material (B’Tselem 15.12.2021). Israels de facto-Blockade des Gazastreifens, regelmäßige militärische Übergriffe und Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit haben die Zivilbevölkerung in große Bedrängnis gebracht, ebenso wie die strenge Kontrolle der Südgrenze durch Ägypten (FH 28.2.2022). Während der Feindseligkeiten im Mai 2021 und bis August des Jahres untersagten die israelischen Behörden die Einfuhr von Baumaterialien und anderen lebenswichtigen Gütern und schränkten den Zugang zu den Hoheitsgewässern des Gazastreifens für palästinensische Fischer ein – Maßnahmen, welche sich gegen die allgemeine Zivilbevölkerung des Gazastreifens richteten, und laut Human Rights Watch (HRW) „einer rechtswidrigen kollektiven Bestrafung“ gleichkommen (HRW 13.1.2022). Die Palästinenser im Gazastreifen protestierten im August 2021 mehrfach am Zaun zwischen dem Gazastreifen und Israel, um politische und humanitäre Forderungen zu stellen, darunter den Wiederaufbau im Gazastreifen und die Wiedereröffnung der Grenzübergänge [Anm.: Israel hindert Personen auch mit scharfer Munition daran, diese Pufferzonen in der Nähe der Grenze zu betreten (FH 28.2.2022)]. Hunderte nahmen am 21. und 25. August an den Protesten teil, darunter bewaffnete Kämpfer wie auch unbewaffnete Demonstranten. Medienberichten zufolge tötete das israelische Militär während der Proteste drei Personen: einen Kämpfer der Al-Quds-Brigade (AQB), einen 12-jährigen Buben und einen weiteren Mann. Auch ein israelischer Grenzschutzbeamter wurde bei den Protesten getötet (USDOS 12.4.2022). Quellen: - AI – Amnesty International (2022b): Palestine (State of) 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/palestine-state-of/report- palestine-state-of/, Zugriff 23.5.2022 - B’Tselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (4.1.2022): 2021 was the deadliest year since 2014, Israel killed 319 Palestinians in oPt 5- year record in house demolitions: 895 Palestinians lost their homes, https://www.btselem.org/press_releases/20220104_in_deadliest_year_since_2014_israel_k illed_319_palestinians_in_opt, Zugriff 23.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 25 von 50

- B’Tselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (15.12.2021): In the May 2021 fighting, Israel bombed four towers in Gaza, leaving dozens of families homeless and business owners jobless, https://www.btselem.org/gaza_strip/20211215_four_towers_bombed_in_gaza_in_may_leav ing_dozens_of_families_homeless_and_business_owners_jobless, Zugriff 23.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020a) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Geschichte & Staat, https://web.archive.org/web/20210514035926/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/geschichte-staat/, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - OCHA – United Nations Office for the Coordniation of Humanitarian Affairs (o.D.a): Occupied Palestinian Territories, Data on Casualties, https://www.ochaopt.org/data/casualties, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Israel, West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2020- report-on-international-religious-freedom/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 23.5.2022 10. Todesstrafe Im Jahr 2018 unterzeichnete der „Staat Palästina“ die International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), welche den Einsatz der Todesstrafe stark einschränkt (FH 28.2.2022). Die Hamas-geführten Behörden verhängten Todesurteile ohne ordnungsgemäße Verfahren oder adäquate Berufungsmöglichkeiten (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.3.2022). Laut Gesetz muss der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde jedes Todesurteil ratifizieren. In den vergangenen Jahren führte die Hamas jedoch die Hinrichtungen ohne die Zustimmung des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde durch (USDOS 12.4.2022; vgl. Spiegel 9.11.2021, FH 28.2.2022). Die Hamas-Behörden haben 25 Hinrichtungen durchgeführt, seit sie im Juni 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen haben. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem haben die Gerichte in Gaza seit Juni 2007 141 Menschen zum Tode verurteilt (B’Tselem 20.3.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Im Jahr 2021 verurteilte die Hamas 21 Personen zum Tod, allerdings wurden laut der Menschenrechtsorganisation Democracy and Media Center (SHAMS) keine Hinrichtungen durchgeführt. Von den zum Tode Verurteilten sollen acht Personen mit Israel kollaboriert haben, und ein Angeklagter wurde wegen Drogendelikten verurteilt. Nach Angaben der SHAMS gibt es weder im Westjordanland noch im Gazastreifen ein Gesetz, einen Erlass oder eine Rechtsvorschrift, die Drogendelikte mit der Todesstrafe ahndet. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 26 von 50

Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (Palestinian Center for Human Rights, PCHR) hatte zuvor festgestellt, dass die Anzahl der verhängten Todesurteile im Gazastreifen seit 2007 erheblich zugenommen hat (USDOS 12.4.2022). Trotz der Unterzeichnung des Zweiten Protokolls des ICCPR ist die Todesstrafe u.a. im Strafgesetzbuch aus der britischen Mandatszeit (Gesetz Nr. 74 (1936)) in Kraft, was derzeit 15 Fälle im Gazastreifen betrifft. Auf Basis des Militärstrafgesetzes liegen weitere 44 Fälle im Westjordanland und dem Gazastreifen vor. Deshalb müssten diese Gesetze geändert werden. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert daher eine Klarstellung der ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022). Die israelischen Militärgerichte – die sich auch mit Fällen befassen, in denen Palästinenser im besetzten Westjordanland involviert sind – können die Todesstrafe verhängen (Reuters 3.1.2018), obwohl diese nie ausgeführt wurde (Stroum 31.3.2022). Anfang 2018 gab das israelische Parlament jedoch eine vorläufige Zustimmung zu einem Gesetz, das es einem Gericht erleichtern würde, ein Todesurteil gegen Angreifer zu verhängen, die wegen Mordes in als Terrorismus eingestuften Anschlägen verurteilt wurden (Reuters 3.1.2018). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - Btselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (20.3.2022): Statistics on the death penalty in the Palestinian Authority and under Hamas control in Gaza, https://www.btselem.org/inter_palestinian_violations/death_penalty_statistics, Zugriff 23.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - Reuters (3.1.20018): Israeli death penalty advocates win preliminary vote in parliament, https://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-deathpenalty/israeli-death-penalty- advocates-win-preliminary-vote-in-parliament-idUSKBN1ES1DT, Zugriff 5.5.2020 - Spiegel – Spiegel Online (9.11.2021): Todesstrafe für Palästinenser wegen »Kollaboration« mit Israel, https://www.spiegel.de/ausland/hamas-todesstrafe-fuer-palaestinenser-wegen- kollaboration-mit-israel-a-216a8906-5cf5-46e8-adba-4dcf48a3c57c, Zugriff 23.5.2022 - Stroum – Stroum Center for Jewish Studies, University of Washington (Ben-Natan, Smadar) (31.3.2022): The shadow of the death penalty in Israel: Why is a legal punishment never used?, https://jewishstudies.washington.edu/israel-hebrew/death-penalty-in-israel- history/, Zugriff 25.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 27 von 50
