palg-gaza-lib-2022-05-31-ke
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2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2021/1192 , https://eur- lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri=CELEX%3A32022D0152, Zugriff 20.5.2022 - GS – Global Security (1.5.2017): HAMAS (Islamic Resistance Movement), https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hamas.htm, Zugriff 31.3.2020 - UNSC – United Nations Security Council (6.5.2021): Children and Armed Conflict, https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2021/437&Lang=E&Area=UNDOC, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – United States Department of State (16.12.2021): Country Reports on Terrorism 2020, https://www.state.gov/reports/country-reports-on-terrorism-2020/#Hamas, Zugriff 19.5.2022 9. Allgemeine Menschenrechtslage Die Hamas übt im Gazastreifen die de facto-Kontrolle aus und legt der Bevölkerung Restriktionen gemäß ihrer Interpretation des Islam und der Scharia auf (USDOS 12.5.2021). Es wird berichtet von ungesetzlichen oder willkürlichen Tötungen, Folter und willkürlicher Inhaftierung durch Beamte der Hamas, willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriffen in die Privatsphäre, Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, Gewaltandrohungen, Verhaftungen und Verfolgungen von Journalisten, Zensur, Sperren von Websites, wesentlichen Eingriffen in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, Einschränkungen der politischen Partizipation, Korruption, Gewalt und Gewaltandrohungen gegen LGBTI-Personen, etc. (USDOS 12.4.2022). Die Religionsfreiheit ist im Gazastreifen eingeschränkt. Das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erklärt den Islam zur offiziellen Religion Palästinas und besagt, dass „Respekt und Heiligkeit aller anderen himmlischen Religionen (Judentum, Christentum) gewahrt werden sollen“. Blasphemie ist ein kriminelles Vergehen. Die Hamas-Behörden setzen konservative sunnitische islamische Praktiken durch und versuchen, politische Kontrolle über Moscheen auszuüben. Sie erzwingen jedoch keine Gebete in Schulen und zwingen Frauen nicht dazu, einen Hidschab zu tragen, wie es in den ersten Jahren der Kontrolle durch die Hamas üblich war (FH 28.2.2022). Die Sicherheitskräfte und Kämpfer der Hamas nehmen regelmäßig willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen vor. Das von der Hamas beaufsichtigte Gerichtssystem gewährleistet in der Regel keine ordnungsgemäßen Verfahren, und in einigen Fällen werden Zivilisten von speziellen Militärgerichten vor Gericht gestellt (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Es ist unklar, wie viele Palästinenser sich in Untersuchungshaft befinden, jedoch sind Berichte über Inhaftierungen ohne Anklage oder Prozess weit verbreitet (USDOS 12.4.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 22 von 50

Die Hamas-Behörden führten willkürliche Verhaftungen aufgrund von politischer Zugehörigkeit durch (USDOS 12.4.2022) und verhafteten Gegner und Kritiker wegen ihrer friedlichen Äußerungen. Einige von ihnen wurden in Gewahrsam gefoltert (HRW 13.1.2022). Es gab zahlreiche Berichte darüber, dass die Hamas palästinensische Journalisten zu Unrecht festnahm und Palästinenser verhaftete, die im Internet Kritik an der Hamas im Gazastreifen äußerten. Ungerechtfertigte Inhaftierungen durch die Hamas sind weit verbreitet, insbesondere von Aktivisten der Zivilgesellschaft, Fatah-Mitgliedern, Journalisten und Personen, die beschuldigt wurden, die Hamas zu kritisieren. Auch Personen, die verdächtigt werden, Verbindungen zu Israel zu haben, wurden von der Hamas zu Unrecht inhaftiert (USDOS 12.4.2022). Die Einschüchterung durch militante Hamas-Kämpfer und andere bewaffnete Gruppen hat Auswirkungen auf die persönliche Meinungsäußerung und private Diskussionen in Gaza. Die Behörden der Hamas überwachen soziale Medien auf kritische Inhalte. Ein HRW-Bericht aus dem Jahr 2018 dokumentierte eine Reihe von Vorfällen, bei denen die Hamas Personen aufgrund ihrer Aktivitäten in den sozialen Medien oder ihrer Teilnahme an politischen Veranstaltungen eingeschüchtert, inhaftiert oder misshandelt hat, vor allem diejenigen, welche als Unterstützer der Fatah oder als Gegner der Hamas-Regierung wahrgenommen wurden. So wurden beispielsweise Personen inhaftiert und zu Social-Media-Beiträgen befragt, die sich kritisch über die Hamas- Führung und deren Umgang mit der Stromknappheit äußerten (FH 28.2.2022). Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass die Hamas im Gazastreifen Fernsehsendungen und schriftliches Material wie Zeitungen und Bücher zensiert (USDOS 12.4.2022). Es gibt ein breites Spektrum an palästinensischen NGOs und zivilgesellschaftlichen Gruppen, und die Hamas unterhält ein großes Netzwerk für soziale Dienste. Allerdings hat die Hamas die Aktivitäten von Organisationen, die sich nicht ihren Vorschriften unterwerfen, eingeschränkt, und viele zivilgesellschaftliche Vereinigungen wurden seit der Spaltung der PA im Jahr 2007 aus politischen Gründen geschlossen. Die Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen von NGOs nach dem Konflikt mit Israel im Jahr 2014 wurden zum Teil durch Meinungsverschiedenheiten über den Zugang der internationalen Gemeinschaft und der Palästinensischen Autonomiebehörde zum Gazastreifen sowie die Kontrolle über die Grenzübergänge behindert. Die israelische Regierung schränkt auch den Zugang von Menschenrechtlern und NGO-Mitarbeitern zum Gazastreifen ein (FH 28.2.2022). Die Aktivitäten der Fatah-nahen Palestinian General Federation of Trade Unions, der größten Gewerkschaftsorganisation in den palästinensischen Gebieten, wurden in Gaza eingeschränkt. Die Hamas greift manchmal in Gewerkschaftswahlen oder in die Aktivitäten von Berufsverbänden ein, .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 50

die mit der Fatah verbunden sind. Die Hamas hat ihre eigenen, parallelen Berufsverbände gegründet, um mit bestehenden Organisationen zu konkurrieren. Aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage, der extrem hohen Arbeitslosigkeit und des dysfunktionalen Gerichtssystems, das die Durchsetzung des Arbeitsschutzes behindert, haben die Arbeitnehmer bei Arbeitskonflikten kaum eine Handhabe (FH 28.2.2022). Die Haftbedingungen in Gefängnissen im Gazastreifen sind Berichten zufolge schlecht und die Gefängniszellen überbelegt. NGO-Berichten zufolge mangelt es in allen Gefängnissen an ange- messenen Einrichtungen und spezieller medizinischer Versorgung für Häftlinge und Gefangene mit Behinderungen. Laut Human Rights Watch führten Mechanismen, mit denen Mitarbeiter und Verwaltungsangestellte zur Rechenschaft gezogen werden sollten, selten, wenn überhaupt, zu Konsequenzen für schwerwiegende Missbräuche. Im Gazastreifen wird dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) Zugang zu Häftlingen gewährt, um Behandlung und Haftbedingungen zu bewerten. Menschenrechtsorganisationen führen Gefängnisbesuche durch. Zu hochrangigen Häftlingen wird der Zugang allerdings verwehrt (USDOS 12.4.2022). Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem weist darauf hin, dass die Verbringung von Gefangenen aus dem besetzten Gebiet gegen internationales Recht verstößt. Laut ihren Angaben befanden sich Ende September 2020 rund 254 palästinensische Sicherheitshäftlinge und Gefangene aus dem Gazastreifen in israelischen Gefängnissen. Die israelischen Militärgerichte, welche die Fälle dieser Gefangenen behandeln, verfügen nicht über die vollständigen Verfahrensgarantien ziviler Gerichte (FH 28.2.2022; vgl. AI 2022b). Unter anderem waren palästinensische Gefangene langer Isolationshaft und unzureichender medizinischer Behandlung ausgesetzt (AI 2022). Menschenrechtsorganisationen beklagen auch zahlreiche Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch Israel in Palästina. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem wurden vom 19.01.2009 bis zum 31.12.2019 im Westjordanland und im Gazastreifen 3.512 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte getötet, darunter 794 Minderjährige. Bei der israelischen Militäroperation "Protective Edge" im Gazastreifen im Juli/August 2014 kamen nach UN-Angaben mindestens 1.473 Zivilisten ums Leben (GIZ 11.2020a). 2021 war in dieser Hinsicht das tödlichste Jahr seit 2014: israelische Sicherheitskräfte töteten in diesem Jahr laut B’Tselem im Gazastreifen 236 Palästinenser (B’Tselem 4.1.2022). Laut dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen wurden zwischen 1.1.2020 und 8.5.2022 [Anm.: dzt. verfügbarer Letztstand] im Gazastreifen im Kontext mit dem Konflikt und der Besetzung 271 Palästinenser getötet, davon 138 Zivilisten, 55 Personen, deren Zugehörigkeit umstritten war, sowie 78 Kombattanten. 2.433 weitere .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 24 von 50

Palästinenser [Anm.: keine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten] wurden verletzt (OCHA o.D.a). Während der Kämpfe im Mai 2021 wurden laut dem Ministerium für Arbeit und Wohnraum in Gaza rund 2.200 Wohneinheiten durch israelische Angriffe schwer beschädigt. Unter anderem bombardierte Israel vier Hochhäuser in Gaza, wodurch die Bewohner ihre Wohnungen und Unternehmer ihre Geschäfte verloren. Israel informierte zwar die Eigentümer der Türme über seine Absichten, gab den Bewohnern und Geschäftsleuten laut der NGO B’Tselem jedoch nicht genügend Zeit, um ihr Hab und Gut aus den Gebäuden zu entfernen. In den Gebäuden untergebrachte Medienorganisationen verloren teure Ausrüstung und über Jahre gesammeltes Material (B’Tselem 15.12.2021). Israels de facto-Blockade des Gazastreifens, regelmäßige militärische Übergriffe und Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit haben die Zivilbevölkerung in große Bedrängnis gebracht, ebenso wie die strenge Kontrolle der Südgrenze durch Ägypten (FH 28.2.2022). Während der Feindseligkeiten im Mai 2021 und bis August des Jahres untersagten die israelischen Behörden die Einfuhr von Baumaterialien und anderen lebenswichtigen Gütern und schränkten den Zugang zu den Hoheitsgewässern des Gazastreifens für palästinensische Fischer ein – Maßnahmen, welche sich gegen die allgemeine Zivilbevölkerung des Gazastreifens richteten, und laut Human Rights Watch (HRW) „einer rechtswidrigen kollektiven Bestrafung“ gleichkommen (HRW 13.1.2022). Die Palästinenser im Gazastreifen protestierten im August 2021 mehrfach am Zaun zwischen dem Gazastreifen und Israel, um politische und humanitäre Forderungen zu stellen, darunter den Wiederaufbau im Gazastreifen und die Wiedereröffnung der Grenzübergänge [Anm.: Israel hindert Personen auch mit scharfer Munition daran, diese Pufferzonen in der Nähe der Grenze zu betreten (FH 28.2.2022)]. Hunderte nahmen am 21. und 25. August an den Protesten teil, darunter bewaffnete Kämpfer wie auch unbewaffnete Demonstranten. Medienberichten zufolge tötete das israelische Militär während der Proteste drei Personen: einen Kämpfer der Al-Quds-Brigade (AQB), einen 12-jährigen Buben und einen weiteren Mann. Auch ein israelischer Grenzschutzbeamter wurde bei den Protesten getötet (USDOS 12.4.2022). Quellen: - AI – Amnesty International (2022b): Palestine (State of) 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/palestine-state-of/report- palestine-state-of/, Zugriff 23.5.2022 - B’Tselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (4.1.2022): 2021 was the deadliest year since 2014, Israel killed 319 Palestinians in oPt 5- year record in house demolitions: 895 Palestinians lost their homes, https://www.btselem.org/press_releases/20220104_in_deadliest_year_since_2014_israel_k illed_319_palestinians_in_opt, Zugriff 23.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 25 von 50

- B’Tselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (15.12.2021): In the May 2021 fighting, Israel bombed four towers in Gaza, leaving dozens of families homeless and business owners jobless, https://www.btselem.org/gaza_strip/20211215_four_towers_bombed_in_gaza_in_may_leav ing_dozens_of_families_homeless_and_business_owners_jobless, Zugriff 23.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020a) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Geschichte & Staat, https://web.archive.org/web/20210514035926/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/geschichte-staat/, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - OCHA – United Nations Office for the Coordniation of Humanitarian Affairs (o.D.a): Occupied Palestinian Territories, Data on Casualties, https://www.ochaopt.org/data/casualties, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Israel, West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2020- report-on-international-religious-freedom/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 23.5.2022 10. Todesstrafe Im Jahr 2018 unterzeichnete der „Staat Palästina“ die International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), welche den Einsatz der Todesstrafe stark einschränkt (FH 28.2.2022). Die Hamas-geführten Behörden verhängten Todesurteile ohne ordnungsgemäße Verfahren oder adäquate Berufungsmöglichkeiten (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.3.2022). Laut Gesetz muss der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde jedes Todesurteil ratifizieren. In den vergangenen Jahren führte die Hamas jedoch die Hinrichtungen ohne die Zustimmung des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde durch (USDOS 12.4.2022; vgl. Spiegel 9.11.2021, FH 28.2.2022). Die Hamas-Behörden haben 25 Hinrichtungen durchgeführt, seit sie im Juni 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen haben. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem haben die Gerichte in Gaza seit Juni 2007 141 Menschen zum Tode verurteilt (B’Tselem 20.3.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Im Jahr 2021 verurteilte die Hamas 21 Personen zum Tod, allerdings wurden laut der Menschenrechtsorganisation Democracy and Media Center (SHAMS) keine Hinrichtungen durchgeführt. Von den zum Tode Verurteilten sollen acht Personen mit Israel kollaboriert haben, und ein Angeklagter wurde wegen Drogendelikten verurteilt. Nach Angaben der SHAMS gibt es weder im Westjordanland noch im Gazastreifen ein Gesetz, einen Erlass oder eine Rechtsvorschrift, die Drogendelikte mit der Todesstrafe ahndet. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 26 von 50

Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (Palestinian Center for Human Rights, PCHR) hatte zuvor festgestellt, dass die Anzahl der verhängten Todesurteile im Gazastreifen seit 2007 erheblich zugenommen hat (USDOS 12.4.2022). Trotz der Unterzeichnung des Zweiten Protokolls des ICCPR ist die Todesstrafe u.a. im Strafgesetzbuch aus der britischen Mandatszeit (Gesetz Nr. 74 (1936)) in Kraft, was derzeit 15 Fälle im Gazastreifen betrifft. Auf Basis des Militärstrafgesetzes liegen weitere 44 Fälle im Westjordanland und dem Gazastreifen vor. Deshalb müssten diese Gesetze geändert werden. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert daher eine Klarstellung der ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022). Die israelischen Militärgerichte – die sich auch mit Fällen befassen, in denen Palästinenser im besetzten Westjordanland involviert sind – können die Todesstrafe verhängen (Reuters 3.1.2018), obwohl diese nie ausgeführt wurde (Stroum 31.3.2022). Anfang 2018 gab das israelische Parlament jedoch eine vorläufige Zustimmung zu einem Gesetz, das es einem Gericht erleichtern würde, ein Todesurteil gegen Angreifer zu verhängen, die wegen Mordes in als Terrorismus eingestuften Anschlägen verurteilt wurden (Reuters 3.1.2018). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - Btselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories (20.3.2022): Statistics on the death penalty in the Palestinian Authority and under Hamas control in Gaza, https://www.btselem.org/inter_palestinian_violations/death_penalty_statistics, Zugriff 23.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2021 - Israel and Palestine, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/israel/palestine#b9d2a1, Zugriff 19.5.2022 - Reuters (3.1.20018): Israeli death penalty advocates win preliminary vote in parliament, https://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-deathpenalty/israeli-death-penalty- advocates-win-preliminary-vote-in-parliament-idUSKBN1ES1DT, Zugriff 5.5.2020 - Spiegel – Spiegel Online (9.11.2021): Todesstrafe für Palästinenser wegen »Kollaboration« mit Israel, https://www.spiegel.de/ausland/hamas-todesstrafe-fuer-palaestinenser-wegen- kollaboration-mit-israel-a-216a8906-5cf5-46e8-adba-4dcf48a3c57c, Zugriff 23.5.2022 - Stroum – Stroum Center for Jewish Studies, University of Washington (Ben-Natan, Smadar) (31.3.2022): The shadow of the death penalty in Israel: Why is a legal punishment never used?, https://jewishstudies.washington.edu/israel-hebrew/death-penalty-in-israel- history/, Zugriff 25.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 27 von 50

- USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 11. Relevante Bevölkerungsgruppen 11.1. Frauen Das Rechtssystem im Gazastreifen gewährleistet nur wenig Schutz vor Belästigung und Diskriminierung von Frauen (FH 28.2.2022). Das Personenstandsrecht ist grundsätzlich abhängig von Religions- und Konfessionszugehörigkeit (WCLAC/DCAF 5.2012; vgl. USDOS 12.4.2022). Palästinensische Gesetze, teilweise aus der Scharia stammend, und soziale Normen benachteiligen Frauen in den Bereichen Heirat und Scheidung (FH 28.2.2022). Frauen können für den Fall von Scheidung oder Sorgerechtsstreitigkeiten zusätzliche Konditionen in den Ehevertrag einfügen lassen, werden aber generell sozial unter Druck gesetzt, dies nicht zu tun. Frauen werden auch im Erbrecht diskriminiert (USDOS 12.4.2022). Die Hamas setzt in Gaza eine konservative Auslegung des Islam durch, welche Frauen diskriminiert. Die Behörden untersagen generell die öffentliche Vermischung der Geschlechter. Im Gazastreifen gilt vorehelicher Sex als Straftat, die mit Freiheitsstrafe geahndet wird. Berichte über geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz in Gaza sind weit verbreitet (USDOS 12.4.2022). Im Februar 2021 erließen die Hamas-Behörden neue Beschränkungen, die es männlichen Vormunden erlauben, die örtlichen Behörden zu ersuchen, unverheiratete Frauen an der Ausreise aus dem Gazastreifen zu hindern, wenn eine solche Reise „absoluten Schaden“ verursachen würde (HRW 13.1.2022). Frauen genießen eine formelle politische Gleichstellung nach den Gesetzen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und einige Frauen haben 2006 Sitze im Legislativrat (PLC) gewonnen. Frauen sind jedoch größtenteils von Führungspositionen in der Hamas ausgeschlossen und in der Praxis nicht an öffentlichen politischen Veranstaltungen beteiligt. An Versammlungen der Zivilgesellschaft zu politischen Themen nehmen Frauen aktiv teil (FH 28.2.2022). Vergewaltigung ist nach dem Gesetz der PA illegal, aber die gesetzliche Definition bezieht sich nicht auf Vergewaltigung in der Ehe. Die Strafe bei Verurteilung wegen Vergewaltigung beträgt fünf bis 15 Jahre Haft. Die Palästinensische Autonomiebehörde hob 2018 ein Gesetz auf, das einen Vergewaltiger von der strafrechtlichen Verantwortung befreite, wenn er sein Opfer heiratete. Weder die Palästinensische Autonomiebehörde noch die Hamas setzten die Gesetze zur Vergewaltigung im Westjordanland und im Gazastreifen wirksam durch (USDOS 12.4.2022). Häusliche Gewalt ist .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 28 von 50

laut Gesetz der PA nicht explizit verboten. Gesetze wurden in Fällen von häuslicher Gewalt weder von der PA noch von der Hamas effektiv durchgesetzt (USDOS 12.4.2022; vgl. al-Monitor 25.6.2021). Laut einer Stellungnahme der Menschenrechtsorganisation United Nations Watch an die Generalversammlung der Vereinten Nationen ist häusliche Gewalt gegen Frauen im Gazastreifen weit verbreitet (UNGA 8.6.2021). Vergewaltigung und häusliche Gewalt werden selten gemeldet und bleiben traditionell straffrei, weil die Behörden Berichten zufolge zögern, solche Fälle zu verfolgen. Im Jahr 2019 begann die Palästinensische Autonomiebehörde mit der Ausarbeitung eines Gesetzes, das ein Mindestalter für die Eheschließung festlegt, härtere Strafen für Personen vorsieht, die häusliche Gewalt ausüben, und den Schutz für Überlebende häuslicher Gewalt verbessert. Im September 2020 forderte die Hamas die Palästinensische Autonomiebehörde auf, das Gesetz zu widerrufen, bis ein neues Parlament eingesetzt ist. Berichten zufolge kommt es weiterhin zu so genannten „Ehrenmorden“, obwohl die Informationslage zu Gaza begrenzt ist (FH 28.2.2022). Die Zahl der getöteten Frauen im Westjordanland und im Gazastreifen ist in den letzten Jahren gestiegen und hat sich mit der weltweiten Verbreitung von COVID-19 sogar noch verschärft, was auf die Zunahme häuslicher Gewalt während der verhängten Lockdowns und dem Einschließen von Frauen mit ihren Tätern zurückzuführen ist. Die palästinensische Nichtregierungsorganisation Women’s Centre for Legal Aid and Counselling (WCLAC) dokumentierte 37 Fälle von Femiziden im Jahr 2020, verglichen mit 21 Fällen im Jahr 2019. In den Jahren 2016-2018 dokumentierte das WCLAC 76 Fälle von Femizid im Westjordanland und im Gazastreifen (Al-Muntada et al. 5.2022). Die Hamas-Behörden setzen Beschränkungen für Kleidung und persönliche Verhaltensweisen durch, die sie für unmoralisch halten. Deren Durchsetzung wurde in den letzten Jahren jedoch lascher (FH 28.2.2022). In den wichtigsten städtischen Gebieten des Gazastreifens zwingt die Hamas Frauen nicht, den Hijab zu tragen, wie es in den ersten Jahren unter ihrer Kontrolle der Fall war. In der von der Hamas geführten Islamischen Universität sind die Studierenden nach Geschlechtern getrennt, und Frauen sind verpflichtet, ihr Haar zu bedecken. Die Hamas interveniert in den von ihr kontrollierten Schulen, um ihre Ansichten über islamische Identität und Moral durchzusetzen. Sie greift nicht in großem Umfang in private Universitäten ein, aber die von der Hamas geführte Polizei hat Studentendemonstrationen gewaltsam unterdrückt. Es wird angenommen, dass einige Akademiker im Gazastreifen Selbstzensur üben (FH 28.2.2022). Sich in Hosen und ohne Kopfbedeckung zu zeigen, kann jedoch dazu führen, dass Frauen – nicht nur von Männern – angepöbelt und beschimpft werden. Vielfach ist es für Frauen auch nicht möglich, das Haus ohne männliche Begleitung zu verlassen (SZ 17.8.2018). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 29 von 50

Im Jahr 2019 wurde in den sozialen Medien der Hashtag #MeTooGaza eingeführt, der palästinensische Frauen dazu ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen mit Missbrauch und Belästigung zu teilen (FH 28.2.2022). Quellen: - Al-Monitor (25 .6.2021): Violence against women rises in Gaza, https://www.al- monitor.com/originals/2021/06/violence-against-women-rises-gaza, Zugriff 23.5.2022 - Al-Muntada (Autor)/Istiqlal – The Civil Commission for the Independence of Judiciary (Autor)/WCLAC – Women's Centre for Legal Aid and Counselling (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee: NGO Parallel Report to the Initial Report of the State of Palestine; Submitted to the Committee on Civil and Political Rights; In accordance to Article (40) of the UN International Covenant on Civil and Political Rights, Mai 2022 - https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48538_E.pdf, Zugriff 31.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza Strip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020c) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Gesellschaft, https://web.archive.org/web/20210514041258/https://www.liportal.de/palaestinensische- gebiete/gesellschaft/, Zugriff 23.5.2022 - SZ – Süddeutsche Zeitung (17.8.2018): "Es gibt keine Träume in Gaza", https://www.sueddeutsche.de/politik/frauen-im-nahostkonflikt-es-gibt-keine-traeume-in- gaza-1.4094506, Zugriff 23.5.2022 - UNGA – United Nations General Assembly (8.6.2021): Written statement* submitted by United Nations Watch, a non-governmental organization in special consultative status, https://www.un.org/unispal/wp-content/uploads/2021/06/AHRC47NGO73_080621.pdf, Zugriff 23.5.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports- on-human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - WCLAC/DCAF - Women’s Centre for Legal Aid and Counselling (WCLAC), The Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) (5.2012): Palestinian Women and Personal Status Law, https://www.dcaf.ch/sites/default/files/publications/documents/Policy_Brief_Perso_Status_E N_Final.pdf, Zugriff 23.5.2022 11.2. Kinder Im Gazastreifen gibt es öffentliche, private und vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina- Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) betriebene Schulen (Xinhua 16.8.2021). Öffentliche Schulen und von der UNRWA betreute Schulen unterrichteten nach demselben Lehrplan wie im Westjordanland (USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2020 führte die COVID-19-Pandemie zu Schulschließungen und es gab Schwierigkeiten beim Zugang zum Online-Unterricht. UNICEF berichtet, dass 575.000 Kinder im Gazastreifen keinen Zugang zu Computern, zuverlässiger Stromversorgung und Internet hatten. Im Gaza-Streifen arbeiten die meisten Schulen nach einem geteilten Stundenplan und bieten nur 4 Stunden Unterricht pro Tag an. Überfüllte Klassenzimmer, Gewalt in den Schulen und Schäden an den Schulen, die für wetterbedingte Unterbrechungen des Unterrichts anfällig sind, tragen dazu bei, dass einige Kinder die Schule abbrechen (USDOL .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 30 von 50

29.9.2021). Bei den Kampfhandlungen im Mai 2021 (HRW 13.1.2022), wie auch schon zuvor, wurden unter anderem auch Bildungseinrichtungen beschädigt (UNSC 6.5.2021). Palästinenser in Gaza berichteten, dass die Einmischung der Hamas in die öffentlichen Schulen auf Primar-, Sekundar- und Universitätsebene aufgrund der COVID-19-bedingten Schulschließungen und der Konzentration auf den Online-Unterricht erheblich zurückgegangen sei (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge bot die Hamas in ihren Schulen im Rahmen von Sommerlagern für Jugendliche Kurse zur militärischen Ausbildung an, für die sich schulpflichtige Kinder um Aufnahme bewerben konnten. Allerdings gab es im Jahr 2021 keine Berichte, dass die Hamas Kindersoldaten rekrutierte oder einsetzte (USDOS 12.4.2022). 2020 verifizierten die Vereinten Nationen dagegen die Rekrutierung und den Einsatz von zwei Kindersoldaten durch die al-Qassam-Brigaden (UNSC 6.5.2021). Die Palästinensische Autonomiebehörde hat Gesetze und Verordnungen zu Kinderarbeit erlassen. Der Rechtsrahmen im Westjordanland und im Gazastreifen weist jedoch Lücken auf, die einen angemessenen Schutz der Kinder vor den schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich des Kinderhandels, verhindern (USDOL 29.9.2021). Die Hamas hat die Gesetze zur Kinderarbeit im Gazastreifen nicht wirksam durchgesetzt; dennoch ist der Prozentsatz der Kinderarbeit im Gazastreifen niedriger als im Westjordanland, was mit der hohen Arbeitslosigkeit in allen Teilen der Gesellschaft und der damit einhergehenden Konkurrenz um Arbeitsplätze in Verbindung gebracht wird. Berichten zufolge ermutigte die Hamas Kinder, Kies und Metallschrott von Bombenabwurfstellen zu sammeln, um sie an Recycling-Händler zu verkaufen. Die Hamas rekrutierte Jugendliche für den Tunnelbau. Kinder arbeiteten informell in Werkstätten, oftmals als Hilfskräfte von Mechanikern und halfen beim Reifenwechsel. Aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Not im Gazastreifen war das Betteln auf der Straße, vor allem durch Kinder, von denen die Jüngsten drei Jahre alt waren, im gesamten Gazastreifen üblich, und die Hamas versuchte nicht mehr, diese Praxis zu unterbinden (USDOS 12.4.2022). Das im Westjordanland und im Gazastreifen geltende Strafgesetzbuch erlaubt die körperliche Züchtigung von Kindern durch die Eltern, was nach wie vor eine weit verbreitete Praxis ist (HRW 13.1.2022). Andererseits verbietet das Gesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Gewalt gegen Kinder; die Behörden der PA und der Hamas im Gazastreifen bestraften jedoch nur selten Personen, denen Gewalt in der Familie vorgeworfen wurde. Berichte über häusliche Gewalt nahmen unter den Coronavirus-Notstandsverordnungen zu (USDOS 12.4.2022). Kinderehen scheinen im Westjordanland und im Gazastreifen nicht weit verbreitet zu sein, wie NGOs berichten (USDOS 12.4.2022). Mädchen sind im Gazastreifen jedoch anfällig für .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 50
