palg-westbank-lib-2022-06-03-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Für Anschuldigungen gegen israelische SoldatInnen bezüglich exzessiver Gewalt oder Misshandlungen palästinensischer ZivilistInnen ist das israelische Militärgesetz zuständig. Verurteilungen sind sehr selten, und die Strafen milde. Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem liegt die Chance, dass eine Beschwerde zu einer Anklage führt, bei 3 Prozent (FH 28.2.2022). Es gibt substantielle Beweise für physische und psychische Misshandlungen durch das israelische Militär (FH 28.2.2022). Menschenrechtsorganisationen werfen den israelischen Behörden vor, gegen palästinensische Sicherheitshäftlinge im Westjordanland spezielle Verhörmethoden einzusetzen, darunter körperliche Misshandlungen und andere Maßnahmen wie Isolation, Stresspositionen, Drohungen, schmerzhaftes Fesseln, Schlafentzug, etc. Dazu kamen in den Haftanstalten in der Westbank lange Einzelhaft, Nahrungsmangel, der Witterung Aussetzen und Drohungen, die Unterkunft der Familie zu zerstören (USDOS 12.4.2022). Laut der israelischen NGO Public Committee Against Torture wurden seit 2001 mehr als 1.300 Beschwerden wegen Folter, einschließlich schmerzhafter Fesselung, Schlafentzug und Aussetzen extremer Temperaturen, beim israelischen Justizministerium eingereicht. Diese resultierten in zwei Strafermittlungen und keiner einzigen Anklage (HRW 13.1.2022). Quellen: - AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Palestine (State of) 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070261.html, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020, West Bank, https://freedomhouse.org/country/west-bank/freedom-world/2020, Zugriff 5.5.2020 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 24.5.2022 - ICHR – Independent Commission for Human Rights (2021): The Status of Human Rights in Palestine - Executive Summary 2020, Twenty Sixth Annual Report, 1 January – 31 December 2020, https://cdn1.ichr.ps/cached_uploads/download/2021/10/20/executive-summary-of-the- twenty-sixth-annual-report-of-ichr-2020-1634716818.pdf, Zugriff 24.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 24.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020b): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026369.html, Zugriff 7.5.2020 9. Korruption Es gab zahlreiche Berichte über Regierungskorruption im Jahr 2021. Das Gesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde sieht Strafen bei Verurteilung wegen behördlicher Korruption vor, aber es wurde wenig zur Strafverfolgung korrupter Offizieller getan. Einer Meinungsumfrage im Oktober 2021 durch die Coalition for Accountability and Integrity zufolge sehe die .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 52

PalästinenserInnen Korruption als das wichtigste Problem an, das gelöst werden muss. Zwei Drittel waren nicht von der Effizienz und Unabhängigkeit der Einrichtungen gegen Korruption in der Westbank überzeugt (USDOS 12.4.2022). Die Anti-Korruptionskommission der Palästinensischen Autonomiebehörde ist für die Umsetzung einer Strategie gegen Korruption zuständig. Ein Bericht des Staatlichen Büros für Rechnungsprüfung und Verwaltungskontrolle der PA konstatierte jedoch im Oktober 2021 langanhaltende Irregularitäten beim Budgetmanagement der Einrichtung. Für das Jahr 2020 sah die NGO Coalition for Accountability and Integrity (AMAN) einige Verbesserungen bei der Gesetzgebung und bei Maßnahmen zur Einschränkung von Bestechung und der Verbesserung des Prozedere im Beschaffungswesen. AMAN identifiziert jedoch weiterhin Herausforderungen bei der Bekämpfung von Günstlingswirtschaft sowie bei der Umsetzung grundsätzlicher Transparenz und der Anti-Korruptionsgesetze. Im Juni 2021 erschienen Medienberichte, wonach 71 enge Verwandte von hochrangigen Mitgliedern der PA in den vergangenen zehn Jahren diverse Regierungsposten erhielten (FH 28.2.2022). Der Aktivist Nizar Banat starb im Jahr 2021 in Haft [siehe Abschnitt “Folter und unmenschliche Behandlung], nachdem er die Korruption in der Autonomiebehörde kritisiert hatte (ICNL 11.5.2022). Quellen: - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - ICNL – International Center for Not-for-Profit Law (11.5.2022): Civic Freedom Monitor: Palestine, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/palestine, Zugriff 24.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 24.5.2022 10. NGOs und Menschenrechtsaktivisten Im Westjordanland ist ein breites Spektrum von NGOs tätig. Die israelische Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann jedoch zivilgesellschaftliche Aktivitäten behindern. Islamistische Gruppen wurden von israelischen BeamtInnen oder MitarbeiterInnen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) regelmäßig geschlossen, und AktivistInnen, die die Führung der PA kritisieren, können Schikanen und Misshandlungen durch die Sicherheitsdienste ausgesetzt sein. Im März 2021 änderte die PA das Gesetz über die Arbeit von NGOs und Wohlfahrtsorganisationen ab, und führte strenge Berichtsvorschriften und invasive Finanzkontrollen für diese Gruppen ein. Laut Kritik durch NGO-VertreterInnen laufe dies auf eine Unterstellung der Zivilgesellschaft unter die PA-Ministerien hinaus (FH 28.2.2022). Die Unabhängige Menschenrechtskommission (ICHR) hat weiterhin eine Ombudsfunktion inne und fungiert als Menschenrechtskommission der PA. Sie gibt Monats- und Jahresberichte über Menschenrechtsverletzungen in den von der PA kontrollierten Gebieten heraus; die ICHR veröffentlicht auch formelle Empfehlungen an die PA. Die ICHR arbeitet im Allgemeinen unabhängig, hat jedoch mit Ressourcenknappheit zu kämpfen, die .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 24 von 52

ihre Fähigkeit, effektiv zu arbeiten, einschränkt. Lokale und internationale Menschenrechts-NGOs arbeiten mit der ICHR zusammen (USDOS 12.4.2022). Palästinensische, israelische und internationale NGOs überwachten die Praktiken der israelischen Regierung im Westjordanland und veröffentlichten ihre Ergebnisse. Die israelische Regierung boykottierte weiterhin den Sonderberichterstatter für die Lage der seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiete des UN-Menschenrechtsrats. Mangels israelischer Visa mussten die 16 UN-MitarbeiterInnen von außerhalb Israels arbeiten (USDOS 12.4.2022). Einige israelische und palästinensische Menschenrechts-NGOs, die im Westjordanland, im Gazastreifen oder in beiden Gebieten tätig sind, berichteten von Schikanen israelischer Siedler und israelischer Behörden. Diese Gruppen, wie auch Yesh Din und Human Rights Watch, berichteten über Befragungen einiger ihrer MitarbeiterInnen durch Geheimdienste, Verhöre, Einschüchterung, Todesdrohungen oder physische Angriffe. Am 25.12.2021 schoss ein israelischer Soldat einer B’Tselem-Mitarbeiterin mit einem Gummigeschoß ins Gesicht, als sie die wöchentlichen Proteste in Beita aus der Entfernung dokumentierte. Ihrem Dafürhalten nach hatte der Soldat auf EinwohnerInnen von Beita gezielt (USDOS 12.4.2022). Menschenrechtsorganisationen warfen den israelischen Behörden vor, mittels Gesetze gegen Terrorismus oder zum Schutz der nationalen Sicherheit Regierungskritiker zu verhaften oder zu bestrafen, bzw. von Kritik an der Regierung oder von Offiziellen abzuschrecken. Am 22.10.2021 wurde die Klassifizierung von sechs palästinensischen NGOs als Terrororganisationen bekanntgegeben: al-Haq, Addameer, Defense for Children International-Palestine, das Bisan Center for Research and Development, die Union of Palestinian Women’s Committees und die Union of Agricultural Work Committees. Der Vorwurf waren angebliche Verbindungen zur Terrorgruppe Volksfront für die Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine – PFLP). Die betroffenen Gruppen sind in der Westbank ansässig, aber die Klassifizierung betrifft sowohl die Westbank unter israelischem Militärgesetz wie auch Israel (USDOS 12.4.2022). Es wurden kaum Beweise für die Klassifizierung vorgelegt (FH 28.2.2022). Einige der Organisationen hatten auch Gelder von europäischen Regierungen erhalten, und die israelische Maßnahme wurde von internationalen Menschenrechtsorganisationen sowie UN-Experten als Angriff auf die breitere palästinensische Menschenrechtsbewegung kritisiert (FH 28.2.2022). Der UN- Sonderberichterstatter für Terrorabwehr und Menschenrechte sah darin den Missbrauch von Gesetzen gegen Terrorismus, und 22 israelische NGOs gaben eine gemeinsame Solidaritätsbekundung mit den betroffenen NGOs ab, und riefen die internationale Gemeinschaft auf, die Klassifizierung als Kriminalisierung der Dokumentierung von Menschenrechtsverletzungen zu betrachten, die juristisches Eintreten und Hilfe für Menschenrechtsarbeit verhindere (USDOS 12.4.2022). Quellen: - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 25 von 52

- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 24.5.2022 11. Wehrdienst und Rekrutierungen Gemäß den Osloer Abkommen ist der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) kein konventionelles Militär erlaubt, sie unterhält jedoch Sicherheits- und Polizeikräfte (CIA 16.5.2022). Es gibt keine Wehrpflicht (USDOL 29.9.2021). Anm.: Die Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen ist nicht Gegenstand des Kapitels und kann bei Bedarf im Rahmen von Anfragebeantwortungen recherchiert werden. Quellen: - CIA – Central Intelligence Agency [USA] (Stand: 16.5.2022): The World Factbook – West Bank, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/west-bank/#military-and-security, Zugriff 24.5.2022 - USDOL – US Department of Labor [USA] (29.9.2021): 2020 Findings on the Worst Forms of Child Labor: West Bank and Gaza Strip, https://www.ecoi.net/de/dokument/2061993.html, Zugriff 24.5.2022 12. Allgemeine Menschenrechtslage Im Februar 2021 entschied der Internationale Strafgerichtshof, dass er Jurisdiktion über schwere Verbrechen in den besetzten palästinensischen Gebieten hat, und im März folgte die Eröffnung einer formalen Ermittlung zur dortigen Lage (HRW 13.1.2022). Die israelische Militärbesatzung des Westjordanlandes bringt schwerwiegende physische Barrieren und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit mit sich, ebenso wie den Abriss von Häusern und anderen Bauten, Restriktionen der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten sowie eine Ausweitung israelischer Siedlungen, die verbreitet als Verletzung des Völkerrechts gelten. Mit Stand 2021 gab es ungefähr 700.000 jüdische Siedler im Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, welche israelische Staatsbürger mit vollen politischen Rechten in Israel sind (FH 28.2.2022). Mit Stand 1.10.2022 hielt Israel 4.4.60 PalästinenserInnen für sicherheitsbezogene Straftaten fest, darunter 200 Kinder – viele für Steinewerfen – sowie 492 Personen in Administrativhaft ohne formale Anklage oder Prozeß und basierend auf geheimen Beweisen. Die meisten palästinensischen Gefangenen wurden im Staat Israel festgehalten, was Besuche durch Familienangehörige kompliziert, und gegen das Völkerrecht verstößt, das den Transfer außerhalb eines besetzten Gebiets untersagt (HRW 13.1.2022). Anm.: Nähere Informationen zu den menschenrechtlichen Auswirkungen der israelischen Politik sind auch in den jeweiligen anderen Kapiteln des Länderinformationsblatts zu finden. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 26 von 52

Aktuell gibt es keine Hinweise auf die Abhaltung der nationalen (Präsidenten- und Parlaments-) Wahlen trotz ihrer ursprünglichen Ankündigung Anfang 2021. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq konstatiert hierfür einen fehlenden politischen Willen. Dem palästinensischen Parlament wird zudem von internationalen Organisationen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Menschenrechtskonventionen wie zum Beispiel zu Frauen- oder Kinderrechten zugeordnet. Das Fehlen des Engagements der Zivilgesellschaft und des Palästinensischen Legislativrats [Anm.: offizieller Name des Parlaments] sowie der breite Einsatz von Dekreten haben zu einer Monopolisierung von Macht und der Marginalisierung öffentlicher Institutionen geführt – und auch zum Niedergang des palästinensischen Justizwesens. Dies hat negative Auswirkungen auf die Menschenrechtslage (Al-Haq 2.5.2022). Bezüglich der Palästinensischen Autonomiebehörde liegen glaubhafte Berichte über ungesetzliche oder willkürliche Tötungen durch ihre MitarbeiterInnen vor, ebenso Folter oder unmenschliche oder herabwürdigende Behandlungen und Bestrafungen, willkürliche Verhaftungen und Haft, politische Gefangene, bedeutende Probleme bei der Unabhängigkeit der Justiz, willkürliche oder ungesetzliches Eingreifen in die Privatsphäre, schwere Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit, einschließlich durch Gewalt, Androhungen von Gewalt, ungerechtfertigten Verhaftungen und Strafverfolgungen gegen JournalistInnen sowie Zensur. Hinzukommen substanzielle Eingriffe in die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, einschließlich Schikanen gegen NGOs und schwerer Restriktionen der politischen Beteiligung mangels nationaler Wahlen seit 2006. Erhebliche Regierungskorruption, ein Mangel an Ermittlungen und Zurrechenschaftziehung bei geschlechtsspezifischer Gewalt sowie bei antisemitischer Gewalt liegen ebenso vor wie Gewaltverbrechen gegen sexuelle Minderheiten und Berichte über schlimmste Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022, für Details zu Rechtsverstößen bei Verhaftungen vgl. Al-Haq 2.5.2022) Der anhaltende Ausnahmezustand und die Absage der Legislativ- und Präsidentschaftswahlen im April 2021 stellten große Rückschritte für die Menschenrechtslage in der Westbank dar. Die willkürlichen Verhaftungen erreichten nach der Ermordung des Aktivisten Nizar Banat durch palästinensisches Sicherheitspersonal am 24. Juni 2021 ihren Höhepunkt: Dutzende Protestierende, welche friedlich Gerechtigkeit für Banat und die Abhaltung der Präsidenten- und Parlamentswahlen forderten, wurden bei gewaltsamen Auflösungen der Versammlungen und unter Einsatz exzessiver Gewalt festgenommen und inhaftiert (Al Haq 2.5.2022). Der zivilgesellschaftliche Aktivist Nizar Banat, war in Hebron gewaltsam festgenommen und misshandelt worden und verstarb in Haft (FH 28.2.2022). Weil viele Palästinenserinnen und Palästinenser für den personell aufgeblähten Regierungsapparat arbeiten, sind ihre Möglichkeiten, offen gegen das System von Präsident Abbas und seiner PA-Regierung vorzugehen, jedoch begrenzt. Die Autonomiebehörde hat damit „eine Atmosphäre der Angst, Repression und Abhängigkeit“ geschaffen (KAS 9.2021). Auch .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 27 von 52

JournalistInnen, AktivistInnen und andere, welche die PA-Politik hinterfragen, unterliegen Einschüchterungen und Schikanen (FH 28.2.2022). Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten der PA im Westjordanland sind Berichten zufolge schlecht, was weitgehend auf Überfüllung und strukturelle Probleme zurückzuführen ist. Die Gefängnisse der PA sind weiterhin überfüllt und verfügten nicht über Lüftungs-, Heizungs-, Kühlungs- und Beleuchtungssysteme, die internationalen Standards entsprachen. Die Behörden hielten zeitweise männliche Jugendliche zusammen mit erwachsenen männlichen Gefangenen fest. Die Sicherheitsdienste haben getrennte Haftanstalten. Die Haftbedingungen für Frauen sind ähnlich wie die für Männer (USDOS 12.4.2022). Die PA gestattete dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) Zugang zu den Gefangenen, um die Behandlung und die Bedingungen zu beurteilen. Menschenrechtsgruppen, humanitäre Organisationen und Rechtsanwälte wiesen darauf hin, dass es wie in den vergangenen Jahren einige Schwierigkeiten beim Zugang zu bestimmten Gefangenen gab, die von der PA festgehalten wurden, je nachdem, welche Sicherheitsorganisation der PA die Einrichtung verwaltete (USDOS 12.4.2022). Anm.: Israel hält oft palästinensische Gefangene im Staat Israel fest - für nähere Informationen siehe Kapitel „Rechtsschutz / Justizwesen“ sowie „Folter und unmenschliche Behandlung“. Zu Menschenrechtsverletzungen durch israelische Siedler siehe auch Kapitel „Sicherheitslage“ und Kapitel „Religionsfreiheit“. Zu Todesfällen allgemein siehe auch Kapitel „Sicherheitslage“. Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 24.5.2022 - KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung (9.2021): Ein Sicherheitsapparat ohne Gewaltmonopol, https://www.ecoi.net/en/file/local/2061704/Pal%C3%A4stinensische+Gebiete+Sicherheitsapparat. pdf, Zugriff 28.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 24.5.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 28 von 52

13. Meinungs- und Pressefreiheit Private offene Diskussionen sind mit einiger Freiheit möglich, obwohl israelische und PA- Sicherheitskräfte bekanntermaßen Onlineaktivitäten überwachen, und Verhaftungen wegen des Vorwurfes von Aufrufen zu Gewalt oder Kritik an den palästinensischen Behörden durchführen (FH 28.2.2022) Die Nachrichtenmedien sind im Westjordanland nicht frei: JournalistInnen werden überwacht und sind Repressalien sowohl seitens der palästinensischen wie der israelischen Behörden ausgesetzt. Soziale Medien blockieren manchmal die Konten der palästinensischen JournalistInnen (FH 28.2.2022). - Die Palästinensische Autonomiebehörde Im Jahr 2018 kamen Beweise ans Licht, wonach die PA eine breite Überwachung von RechtsanwältInnen, AktivistInnen, politischen Persönlichkeiten und anderen durchführt, was eine abschreckende Wirkung auf die Meinungsäußerung haben könnte (FH 28.2.2022). Nach PA-Gesetz können JournalistInnen mit Geld- und Haftstrafen belegt, und Zeitungen geschlossen werden, wenn sie Informationen publizieren, welche “der nationalen Einheit schade”, “der nationalen Verantwortung widerspräche” oder zu Gewalt aufrufe. Diese und weitere vage formulierte Vergehen können auch auf Basis des Electronic Crimes Law (ECL) z.B. zum Blockieren von Nachrichtenwebsites herangezogen werden. Das Palestinian Center for Development and Media Freedoms (MADA) berichtete von 111 Verstößen in Form physischer Übergriffe, Verhaftungen und Folter bis hin zu Drohungen und Verhinderung von Berichterstattung (FH 28.2.2022). Auch Beiträge in den Sozialen Medien zu geplanten Protesten, Kritik an der Regierung bezüglich der Covid-19-Pandemie oder auch Kritik an der Beziehung der PA zu Israel führten zu scharfen Verhören (FH 28.2.2022). Im Juni 2021 nahmen PA-Sicherheitskräfte den in den Sozialen Medien als PA-kritisch bekannten Aktivisten Nizar Banat fest und misshandelten ihn, was zu seinem Tod in Haft führte. Die PA- Sicherheitskräfte setzten dann Gewalt und willkürlich Verhaftungen ein, um die resultierenden Proteste aufzulösen (FH 28.2.2022). Friedliche politische Meinungsäußerungen wurden mit politisch motivierten Anklagen als Schaffung “konfessionellen Unfriedens” oder Beleidigung “höherer Behörden” kriminalisiert (HRW 13.1.2022). - Israel Das Palestinian Center for Development and Media Freedoms (MADA) berichtete von 314 Verstößen in Form physischer Übergriffe, Verhaftungen und Folter bis hin zu Drohungen und Verhinderung von Berichterstattung (FH 28.2.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 29 von 52

Die israelischen Behörden überwachen genau die Online-Äußerungen von PalästinenserInnen und stützen sich bei der Festlegung der Zielpersonen teilweise auf Vorhersagen von Algorithmen und nehmen PalästinenserInnen auf Basis von Beiträgen in den Sozialen Medien und anderen Meinungsäußerungsaktivitäten fest (HRW 13.1.2022). Quellen: - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 28.5.2022 14. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition Artikel 26 des Grundgesetzes bestätigt das Recht der PalästinenserInnen auf das Gründen von politischen Parteien, bzw. den Eintritt in eine Partei. Im „Gesetz über politische Parteien“ von 1955 sind die Bedingungen und das Prozedere für die Registrierung von Parteien und die Rolle des Innenministeriums festgelegt. Allerdings hat das PA-Innenministerium keinen derartigen Mechanismus. Aufgrund der absehbaren Abweisung werden keine Anträge auf die Registrierung von Parteien behandelt. Es können sich keine neuen Parteien registrieren lassen (Al-Haq 2.5.2022). Aktuell umfasst die politische Bühne Parteien, welche in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) vertreten sind [Anm.: darunter führend die Fatah von PA-Präsident Mahmoud Abbas] sowie Hamas und Islamischer Jihad [Anm.: In der EU beide als Terrororganisationen klassifiziert] (Al-Haq 2.5.2022). Mit den Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah ab 2007 wurden in beiden Gebieten Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt (GIZ 11.2020a). Human Rights Watch berichtet, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) „DissidentInnen systematisch willkürlich verhafte und foltere.“ Zwischen Jänner und September 2021 erhielt die ICHR 87 Beschwerden wegen willkürlicher Verhaftung, 15 wegen Haft ohne Gerichtsprozess oder Anklage auf Anordnung eines Gouverneurs und 76 Beschwerden wegen Folter und Misshandlung (HRW 13.1.2022) Anm.: Zum Tod von Nizar Banat und den daraus resultierenden Vorfällen siehe auch Kapitel Meinungs- und Pressefreiheit. Im April 2021 verschob die PA die geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Diese wären die ersten in 15 Jahren gewesen (HRW 13.1.2022). Für Details dazu siehe Kapitel “Politische Lage”. Die PA hat die Verwaltungsbefugnis über das palästinensische Bildungssystem. Politischer Aktivismus an den palästinensischen Universitäten ist verbreitet, und die Wahlen der .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 30 von 52

Studentenräte verlaufen im Allgemeinen frei. Ein islamistischer Block mit Sympathien für die Hamas schnitt z.B. in den letzten Jahren stark bei den Wahlen zum Studentenrat der Universität Birzeit ab. Doch nahmen israelische und palästinensische Sicherheitskräfte StudentInnen mit Verbindung zu dem Block fest. Israelische Einheiten betreten regelmäßig für Razzien Universitätsgelände und nehmen Verhaftungen vor. Schulen sind auch manchmal von israelischen Razzien betroffen (FH 28.2.2022). Die PA verlangt Genehmigungen für Demonstrationen. Proteste gegen die PA oder ihre Politik werden im Allgemeinen verboten und oft von den PA-Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst (FH 28.2.2022) Die israelische Militärorder 101 von 1967 sieht eine Erlaubnis für alle politischen Demonstrationen von mehr als 10 Personen vor, wobei in der Praxis selten Genehmigungen erteilt werden. Die israelische Militärorder 1651 von 2009 wird zur Strafverfolgung und Verurteilung von Personen angewendet, die beschuldigt werden, die öffentliche Ordnung gestört oder angebliche Aufhetzung zu betreiben. Die israelischen Behörden schränken häufig Demonstrationen ein und lösen die Proteste auf, von denen manche gewaltsam werden. Bestimmte Gebiete für Kundgebungen sind als gesperrte Militärgelände definiert. Protestierende riskieren Verletzungen durch Tränengaskartuschen, Gummigeschosse oder scharfe Munition (FH 28.2.2022). Zusammenstöße zwischen DemonstrantInnen und israelischen Truppen haben regelmäßig Todesfälle zur Folge. Die israelischen Behörden setzten exzessive Gewalt in Reaktion auf Proteste ein, die im April 2021 anlässlich der drohenden Delogierung palästinensischer Familien im Ost- Jerusalemer Stadtteil Scheich Jahrah begannen und sich im Mai von dort aus ausbreiteten (FH 28.2.2022). Anm.: Für weitere Informationen siehe dazu auch Kapitel “Sicherheitslage” und für Details zur rechtlichen Ausgangslage von Versammlungen siehe Al-Haq (2.5.2022) ArbeiterInnen dürfen ohne PA-Erlaubnis Gewerkschaften gründen, aber der Arbeitnehmerschutz wurde kaum durchgesetzt. Streiks müssen zur Schlichtung dem PA-Arbeitsministerium vorgelegt werden und auch weitere Gesetze erschweren einen gesetzeskonformen Streik (FH 28.2.2022). Die PA übt Druck auf die Gewerkschaften mit dem Ziel einer Kooptierung aus, bzw. der Aufrechterhaltung der Dominanz der Fatah [Anm.: die Partei von Präsident Mahmoud Abbas]. Nichtsdestotrotz wurde eine Kritikerin der PA, Nadia Habash, Im August 2021 zur Leiterin der Vereinigung der Ingenieure gewählt. Im März 2021 trat die Ärztevereinigung einen Streik über die Beendigung ihrer Arbeitsvereinbarung durch die PA an. Der Leiter der Gewerkschaft und zwei Mitglieder wurden daraufhin verhaftet. Die Anwaltsvereinigung hielt während des Jahres 2021 zahlreiche Streiks und Proteste gegen die Einmischung von PA-Sicherheitskräften, Menschenrechtsverletzungen und den Mangel an justizieller Unabhängigkeit ab (FH 28.2.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 52

Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020a) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Geschichte & Staat, https://web.archive.org/web/20210514035926/https://www.liportal.de/palaestinensische-gebiete/ geschichte-staat/, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 24.5.2022 15. Todesstrafe Die Strafgesetzbücher, welche in der Westbank Anwendung finden, erlauben die Todesstrafe, aber seit 2005 wurden keine Hinrichtungen mehr durchgeführt. Im Jahr 2018 unterzeichnete der „Staat Palästina“ die International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), welche den Einsatz der Todesstrafe stark einschränkt (FH 28.2.2022). Jedes Todesurteil muss vom Präsidenten der PA unterzeichnet werden (USDOS 12.4.2022). Trotz der Unterzeichnung des Zweiten Protokolls des ICCPR ist die Todesstrafe u.a. im jordanischen Strafgesetzbuch, Gesetz Nr. 16 (1960) in Kraft – 18 Fälle – und auf Basis des Militärstrafgesetzes liegen 44 Fälle vor. Deshalb müssten diese Gesetze geändert werden. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert daher eine Klarstellung der ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022). Die israelischen Militärgerichte – die sich auch mit Fällen befassen, in denen PalästinenserInnen im besetzten Westjordanland involviert sind – können die Todesstrafe verhängen (Reuters 3.1.2018), obwohl dies nie ausgeführt wurde (Stroum 31.3.2022). Anfang 2018 gab das israelische Parlament jedoch eine vorläufige Zustimmung zu einem Gesetz, das es einem Gericht erleichtern würde, ein Todesurteil gegen Angreifer zu verhängen, die wegen Mordes in als Terrorismus eingestuften Anschlägen verurteilt wurden (Reuters 3.1.2018). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 32 von 52
