palg-westbank-lib-2022-06-03-ke
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Studentenräte verlaufen im Allgemeinen frei. Ein islamistischer Block mit Sympathien für die Hamas schnitt z.B. in den letzten Jahren stark bei den Wahlen zum Studentenrat der Universität Birzeit ab. Doch nahmen israelische und palästinensische Sicherheitskräfte StudentInnen mit Verbindung zu dem Block fest. Israelische Einheiten betreten regelmäßig für Razzien Universitätsgelände und nehmen Verhaftungen vor. Schulen sind auch manchmal von israelischen Razzien betroffen (FH 28.2.2022). Die PA verlangt Genehmigungen für Demonstrationen. Proteste gegen die PA oder ihre Politik werden im Allgemeinen verboten und oft von den PA-Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst (FH 28.2.2022) Die israelische Militärorder 101 von 1967 sieht eine Erlaubnis für alle politischen Demonstrationen von mehr als 10 Personen vor, wobei in der Praxis selten Genehmigungen erteilt werden. Die israelische Militärorder 1651 von 2009 wird zur Strafverfolgung und Verurteilung von Personen angewendet, die beschuldigt werden, die öffentliche Ordnung gestört oder angebliche Aufhetzung zu betreiben. Die israelischen Behörden schränken häufig Demonstrationen ein und lösen die Proteste auf, von denen manche gewaltsam werden. Bestimmte Gebiete für Kundgebungen sind als gesperrte Militärgelände definiert. Protestierende riskieren Verletzungen durch Tränengaskartuschen, Gummigeschosse oder scharfe Munition (FH 28.2.2022). Zusammenstöße zwischen DemonstrantInnen und israelischen Truppen haben regelmäßig Todesfälle zur Folge. Die israelischen Behörden setzten exzessive Gewalt in Reaktion auf Proteste ein, die im April 2021 anlässlich der drohenden Delogierung palästinensischer Familien im Ost- Jerusalemer Stadtteil Scheich Jahrah begannen und sich im Mai von dort aus ausbreiteten (FH 28.2.2022). Anm.: Für weitere Informationen siehe dazu auch Kapitel “Sicherheitslage” und für Details zur rechtlichen Ausgangslage von Versammlungen siehe Al-Haq (2.5.2022) ArbeiterInnen dürfen ohne PA-Erlaubnis Gewerkschaften gründen, aber der Arbeitnehmerschutz wurde kaum durchgesetzt. Streiks müssen zur Schlichtung dem PA-Arbeitsministerium vorgelegt werden und auch weitere Gesetze erschweren einen gesetzeskonformen Streik (FH 28.2.2022). Die PA übt Druck auf die Gewerkschaften mit dem Ziel einer Kooptierung aus, bzw. der Aufrechterhaltung der Dominanz der Fatah [Anm.: die Partei von Präsident Mahmoud Abbas]. Nichtsdestotrotz wurde eine Kritikerin der PA, Nadia Habash, Im August 2021 zur Leiterin der Vereinigung der Ingenieure gewählt. Im März 2021 trat die Ärztevereinigung einen Streik über die Beendigung ihrer Arbeitsvereinbarung durch die PA an. Der Leiter der Gewerkschaft und zwei Mitglieder wurden daraufhin verhaftet. Die Anwaltsvereinigung hielt während des Jahres 2021 zahlreiche Streiks und Proteste gegen die Einmischung von PA-Sicherheitskräften, Menschenrechtsverletzungen und den Mangel an justizieller Unabhängigkeit ab (FH 28.2.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 31 von 52

Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020a) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Geschichte & Staat, https://web.archive.org/web/20210514035926/https://www.liportal.de/palaestinensische-gebiete/ geschichte-staat/, Zugriff 19.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 24.5.2022 15. Todesstrafe Die Strafgesetzbücher, welche in der Westbank Anwendung finden, erlauben die Todesstrafe, aber seit 2005 wurden keine Hinrichtungen mehr durchgeführt. Im Jahr 2018 unterzeichnete der „Staat Palästina“ die International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), welche den Einsatz der Todesstrafe stark einschränkt (FH 28.2.2022). Jedes Todesurteil muss vom Präsidenten der PA unterzeichnet werden (USDOS 12.4.2022). Trotz der Unterzeichnung des Zweiten Protokolls des ICCPR ist die Todesstrafe u.a. im jordanischen Strafgesetzbuch, Gesetz Nr. 16 (1960) in Kraft – 18 Fälle – und auf Basis des Militärstrafgesetzes liegen 44 Fälle vor. Deshalb müssten diese Gesetze geändert werden. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert daher eine Klarstellung der ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022). Die israelischen Militärgerichte – die sich auch mit Fällen befassen, in denen PalästinenserInnen im besetzten Westjordanland involviert sind – können die Todesstrafe verhängen (Reuters 3.1.2018), obwohl dies nie ausgeführt wurde (Stroum 31.3.2022). Anfang 2018 gab das israelische Parlament jedoch eine vorläufige Zustimmung zu einem Gesetz, das es einem Gericht erleichtern würde, ein Todesurteil gegen Angreifer zu verhängen, die wegen Mordes in als Terrorismus eingestuften Anschlägen verurteilt wurden (Reuters 3.1.2018). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 32 von 52

- Reuters (3.1.20018): Israeli death penalty advocates win preliminary vote in parliament, https://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-deathpenalty/israeli-death-penalty- advocates-win-preliminary-vote-in-parliament-idUSKBN1ES1DT, Zugriff 5.5.2020 - Stroum – Stroum Center for Jewish Studies, University of Washington (Ben-Natan, Smadar) (31.3.2022): The shadow of the death penalty in Israel: Why is a legal punishment never used?, https://jewishstudies.washington.edu/israel-hebrew/death-penalty-in-israel-history/, Zugriff 25.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza - West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071205.html, Zugriff 24.5.2022 16. Religionsfreiheit Die US-Regierung schätzt die palästinensische Bevölkerung der Westbank auf 2,8 Millionen. Die überwiegende Mehrheit der palästinensischen Bewohner dieser Gebiete sind sunnitische MuslimInnen. Das israelische Zentralamt für Statistik berichtet, dass schätzungsweise 441,600 jüdische Israelis in israelischen Siedlungen im Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem) leben. Verschiedenen Schätzungen zufolge leben 50.000 ChristInnen im Westjordanland und in Jerusalem. Die Auswanderung palästinensischer ChristInnen setzte sich fort. Die Mehrheit der ChristInnen sind griechisch-orthodox. Ansonsten gibt u.a. ChristInnen folgender Konfessionen: römisch-katholisch, melkitisch-griechisch-katholische, syrisch-orthodox, armenisch-apostolisch, armenisch-katholisch, koptisch-orthodox, maronitisch, äthiopisch-orthodox, syrisch-katholisch, lutheranisch sowie andere protestantische Konfessionen, einschließlich evangelikaler ChristInnen. Die ChristInnen konzentrieren sich vor allem in Bethlehem, Ramallah und Nablus; kleinere Gemeinschaften gibt es auch an anderen Orten. Etwa 360 SamaritanerInnen leben vor allem im Gebiet von Nablus (USDOS 2.6.2022). Es gibt kein festgelegtes Verfahren, nach dem religiöse Organisationen offiziell anerkannt werden; jede religiöse Gruppe muss ihre Beziehung zur PA bilateral aushandeln. Die PA unterhält einige ungeschriebene Absprachen mit offiziell nicht-anerkannten Kirchen, auf Grundlage von Status-quo- Vereinbarungen: dies betrifft u.a. Assemblies of God, Nazarener und einige evangelikale christliche Kirchen, die frei agieren dürfen. Für die Registrierung von Personenstandsangelegenheiten wie etwa Eheschließungen bei der PA ist für jeden Fall vorher eine Lizenz bei der PA zu beantragen. Missionieren ist ihnen nicht erlaubt (USDOS 2.6.2022). Islamische oder christliche geistliche Gerichte sind zuständig, über Personenstandsfragen wie Ehe, Scheidung und Erbschaft zu entscheiden. Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Mitglieder einer Religionsgemeinschaft einen Streit betreffs Personenstatus einer anderen Religionsgruppe zur Entscheidung vorlegen können, wenn die Streitparteien zustimmen (USDOS 2.6.2022). Das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erklärt den Islam zur offiziellen Religion Palästinas (FH 28.2.2022), und sieht vor, dass die Prinzipien der Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung sind. Es sieht jedoch auch die Freiheit des Glaubens, des Gottesdienstes und .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 33 von 52

der Durchführung religiöser Riten vor, sofern diese nicht gegen die öffentliche Ordnung oder die Moral verstoßen (USDOS 2.6.2022). Das Grundgesetz besagt außerdem, dass „Respekt und Heiligkeit aller anderen himmlischen Religionen (Judentum, Christentum) gewahrt werden sollen“. Blasphemie ist ein kriminelles Vergehen. Das Gesetz über elektronische Straftaten von 2017 kriminalisiert Äußerungen, die darauf abzielen, moralische und religiöse Werte zu verletzen, ohne diese Werte zu definieren, was eine willkürliche Anwendung ermöglicht (FH 28.2.2022). Religiöse Minderheiten genießen nach den Gesetzen der PA formelle politische Gleichberechtigung, und ChristInnen haben 6 Sitze im seit 2007 disfunktionalen Palestinian Legislative Council (PLC). Allerdings sind sie in politischen Ämtern tendenziell unterrepräsentiert und ihre besonderen Interessen werden vom politischen System nicht unbedingt berücksichtigt (FH 2020; vgl. USDOS 21.6.2019). Für andere religiöse Minderheiten sind keine Sitze im PLC reserviert. Ein Präsidialerlass schreibt vor, dass ChristInnen 9 Gemeinderäte („municipal councils“) im Westjordanland (einschließlich Ramallah, Bethlehem, Birzeit und Beit Jala) leiten müssen. Obwohl die Palästinensische Autonomiebehörde die Kategorie der Religionszugehörigkeit aus den seit 2014 ausgestellten palästinensischen Personalausweisen gestrichen hat, sind ältere Personalausweise weiterhin im Umlauf, die den Inhaber entweder als MuslimIn oder als ChristIn ausweisen (USDOS 2.6.2022). Laut Gesetz gewährt die PA islamischen Institutionen und Gotteshäusern finanzielle Unterstützung, einige christliche Organisationen und Geistliche erhalten begrenzte finanzielle Unterstützung . Der Religionsunterricht ist Teil des Lehrplans für SchülerInnen der Klassen eins bis sechs an öffentlichen Schulen. Es gibt getrennten Religionsunterricht für MuslimInnen und ChristInnen. Anerkannte Kirchen unterhalten Privatschulen in der Westbank mit Religionsunterricht, ebenso wie private islamische Schulen (USDOS 2.6.2022). Es gibt gesellschaftlichen Druck, innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft zu verbleiben (USDOS 2.6.2022). D ie meisten christlichen und muslimischen Familien übten Druck auf ihre Kinder – besonders ihre Töchter – aus, innerhalb ihrer jeweiligen Religionsgruppe zu heiraten. Interreligiöse Paare – besonders christliche oder muslimische PalästinenserInnen, die Juden/Jüdinnen – heirateten, waren mit erheblichem gesellschaftlichem und familiärem Druck konfrontiert (USDOS 2.6.2022). Sicherheitsbedingte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie Vandalismus oder körperliche Angriffe gegen Besucher von Gottesdiensten oder Kultstätten betreffen jüdische, muslimische und christliche Bewohner des Westjordanlands in unterschiedlichem Maße ( FH 28.2.2022) . Es gab tödliche Vorfälle, welche religiös begründet wurden (USDOS 2.6.2022). Die Gewalt zwischen PalästinenserInnen und Israelis setzte sich fort, besonders im Westjordanland. E s gab Fälle von .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 34 von 52

Gewalt, deren Täter diese religiös begründeten, Vandalismus und Graffiti mit intolerantem Inhalt, Belästigungen von Geistlichen und religiöse Intoleranz (USDOS 21.6.2019, USDOS 2.6.2022). Aber weil Religion und Ethnizität oft eng verbunden waren, ist es schwer, viele Vorfälle als allein auf religiöse Identität beruhend zu kategorisieren (USDOS 2.6.2022). Die israelischen Behörden hindern palästinensische Muslime im Westjordanland regelmäßig daran, zum Beten nach Jerusalem zu gelangen, und beschränken im Allgemeinen freitags den Zugang für junge erwachsene Männer zum Tempelberg/Haram al-Sharif-Gelände (FH 28.2.2022). Anm.: Zur Lage von KonvertitInnen siehe auch ein Fallbeispiel im Kapitel “Kinder” unter “- Zugang zu einer Geburtsurkunde, bzw. Stigmatisierung unehelicher Kinder”. Zu den religiösen Personenstandsrechten in Bezug auf die Lage von Frauen siehe auch Kapitel „Frauen“. Quellen: - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020, West Bank, https://freedomhouse.org/country/west-bank/freedom-world/2020, Zugriff 5.5.2020 - USDOS – United States Department of State (2.6.2022): 2020 Report on International Religious Freedom: Israel: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/05/ISRAEL-INCLUDES-WEST-BANK-AND- GAZA-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 3.6.2022 - USDOS – United States Department of State (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Israel: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2020-report-on- international-religious-freedom/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - USDOS – US Department of State [USA] (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Israel: West Bank and Gaza, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011172.html, Zugriff 7.5.2020 17. Relevante Bevölkerungsgruppen 17.1. Frauen Das Personenstandsrecht ist grundsätzlich abhängig von Religions- und Konfessionszugehörigkeit (WCLAC/DCAF 5.2012; vgl. USDOS 12.4.2022). Seine Gesetze diskriminieren Frauen in Bezug auf Heirat, Scheidung, Obsorge für Kinder und im Erbrecht (HRW 13.1.2022). Auch Christinnen können im jeweiligen für sie zuständigen kirchlichen Gericht in Personenstandsangelegenheiten einigen Nachteilen ausgesetzt sein. Auch soziale Normen benachteiligen Frauen in den Bereichen Heirat und Scheidung (FH 28.2.2022): Sie können für den Fall von Scheidung oder Sorgerechtsstreitigkeiten zusätzliche Konditionen in den Ehevertrag einfügen lassen, werden aber generell sozial unter Druck gesetzt, dies nicht zu tun (USDOS 12.4.2022). Die beschränkten Möglichkeiten einiger PA-Gesetze für die Gleichberechtigung von Frauen sind oft in der Praxis den sozialen Normen untergeordnet, und es fehlt an der Durchsetzung der Gesetze (FH 28.2.2022) . .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 35 von 52

Palästinensische Frauen sind in den meisten Berufen unterrepräsentiert und mit Diskriminierung bei der Beschäftigung konfrontiert, obwohl sie gleichen Zugang zu Universitäten haben. Sie sind zudem vom Gesetz her von Berufen ausgeschlossen, welche als „gefährlich“ gelten (FH 28.2.2022). Ein großer Teil von Frauen ist in traditionellen Frauenberufen tätig, d.h. im Bildungswesen (34,7 %), im Sektor Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei (20,5 %) oder im Gesundheitsbereich (9,4 %). Trotz guter Ausbildung haben sie eher niedrigere Positionen inne und sie erhalten nur 70,7% des Durchschnittslohns ihrer männlichen Kollegen. Mit nur 15,4% im Vergleich zu 66,6% bei den Männern im 3. Quartal 2020 gehört die Erwerbstätigkeitsquote bei den Frauen zu den niedrigsten weltweit (GIZ 2020c). Einem Präsidialdekret von Präsident Abbas zufolge ist aktuell das legale Heiratsalter für beide Parteien 18 Jahre, und beide Parteien müssen die Heirat wollen. Richter können bei Minderjährigen im Fall des “besten Interesses für beide Parteien” eine Ausnahme bewilligen. Mit Stand Ende Oktober 2021 hatte der Chefrichter des Scharia-Gerichts 400 Ausnahmen bei 2000 Anträgen genehmigt – in einigen Fällen mit unzureichenden Begründungen für eine Ausnahme (USDOS 12.4.2022). Einer Studie von 2020 zufolge waren 11.4% der Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren im Westjordanland bereits im Alter von unter 18 Jahren verheiratet (UNICEF 20.12.2021). Frauen genießen eine formelle politische Gleichstellung nach den Gesetzen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), und sie haben bei den Wahlen im Jahr 2006 Sitze im Legislativrat (PLC) gewonnen. An Versammlungen der Zivilgesellschaft zu politischen Themen nehmen Frauen aktiv teil, auch wenn die Politik der PA von Männern dominiert bleibt. Quoten für die Legislativ- und Lokalwahlen führen zu einem Frauenanteil von etwa 20 Prozent auf Kandidatenlisten und bei den gewählten Personen – auch jüngst bei den Lokalwahlen im Dezember 2021 (FH 28.2.2022). Vergewaltigung ist nach dem Gesetz der PA illegal, aber die gesetzliche Definition bezieht sich nicht auf Vergewaltigung in der Ehe. Die Strafe bei Verurteilung wegen Vergewaltigung beträgt fünf bis 15 Jahre Haft. Die Palästinensische Autonomiebehörde hob 2018 ein Gesetz auf, das einen Vergewaltiger von der strafrechtlichen Verantwortung befreite, wenn er sein Opfer heiratete. Die Palästinensische Autonomiebehörde setzt die Gesetze zu Vergewaltigung im Westjordanland nicht wirksam durch. Häusliche Gewalt ist laut Gesetz der PA nicht explizit verboten. Die Gesetze wurden in Fällen von häuslicher Gewalt von der PA nicht effektiv durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Vergewaltigung und häusliche Gewalt werden selten gemeldet und bleiben traditionell straffrei, weil die Behörden mutmaßlich zögern, solche Fälle zu verfolgen (FH 28.2.2022). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 36 von 52

Im Jahr 2019 begann die Palästinensische Autonomiebehörde mit der Ausarbeitung eines Gesetzes, das ein Mindestalter für die Eheschließung [Anm.: aktuell durch ein Präsidialdekret geregelt – siehe oben.] festlegt, härtere Strafen für Personen vorsieht, die häusliche Gewalt ausüben, und den Schutz für Überlebende häuslicher Gewalt verbessert (FH 28.2.2022). Aktuell gibt es kein umfassendes Gesetz gegen häusliche Gewalt. Der Entwurf für ein Familienschutzgesetz geht Frauenrechtsgruppen zufolge nicht weit genug bei der Prävention von Misshandlungen und beim Schutz der Überlebenden (HRW 13.1.2022). In den letzten Jahren kam es zu einem Anstieg der Zahl getöteter Frauen, was im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie durch den Anstieg häuslicher Gewalt während der Lockdowns verstärkt wurde. WCLAC dokumentierte 37 Fälle im Jahr 2020 für die Westbank und Gaza im Vergleich zu 21 Fällen im Jahr 2019. In den Jahren 2016 bis 2018 waren es insgesamt 76 Morde in beiden Gebieten gewesen (Al-Muntada 5.2022). Human Rights Watch berichtet ebenfalls von einem Anstieg häuslicher Gewalt, nennt aber als Gesamtzahl getöteter Frauen fünf Gewaltopfer in den palästinensischen Gebieten im Jahr 2021 (HRW 13.1.2022). Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert eine Klarstellung bezüglich der Strafrechtsverfolgung extralegaler Morde einschließlich der „Ehrenmorde“ gegen Frauen, der verhängten Strafen gegen die Täter, die Kompensationen für die betroffenen Personen, sowie allgemein zu den ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - Al-Muntada (Autor), The Civil Commission for the Independence of Judiciary (Istiqlal) (Autor), WCLAC - Women's Centre for Legal Aid and Counselling (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (5.2022): NGO Parallel Report to the Initial Report of the State of Palestine; Submitted to the Committee on Civil and Political Rights; In accordance to Article (40) of the UN International Covenant on Civil and Political Rights, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48538_E.pdf, Zugriff 31.5.2022 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Gaza S trip, https://freedomhouse.org/country/gaza-strip/freedom-world/2022, Zugriff 19.5.2022 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Länderinformationsportal (11.2020c) [Archivversion vom 14.5.2021]: Palästinensische Gebiete, Gesellschaft, https://web.archive.org/web/20210514041258/https://www.liportal.de/palaestinensische-gebiete/ gesellschaft/, Zugriff 23.5.2022 - HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Israel and Palestine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066491.html, Zugriff 24.5.2022 - UNICEF – UN Children's Fund (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (20.12.2021): Children in the State of Palestine: Child development data from the 2019/2020 multiple indicator cluster survey (MICS), .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 37 von 52

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Children%20in%20the%20State%20of%20P alestine.pdf, Zugriff 2.6.2022 - USDOS – United States Department of State (12.4.2022): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: West Bank and Gaza, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on- human-rights-practices/israel-west-bank-and-gaza/west-bank-and-gaza/, Zugriff 19.5.2022 - WCLAC/DCAF - Women’s Centre for Legal Aid and Counselling (WCLAC), The Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) (5.2012): Palestinian Women and Personal Status Law, https://www.dcaf.ch/sites/default/files/publications/documents/Policy_Brief_Perso_Status_EN_Fin al.pdf, Zugriff 23.5.2022 17.2. Kinder - Gewalt Amnesty International weist darauf hin, dass auch viele Kinder von ungesetzlichen Tötungen, absichtlichen Verletzungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und anderen Misshandlungen inklusive kollektiver Bestrafung betroffen sind, und verlangt von den israelischen Behörden, dies zu unterbinden (AI 11.5.2022). Anm.: Siehe dazu auch besonders das Kapitel „Sicherheitslage“ und zu Minderjährigen in Haft das Kapitel „Rechtsschutz / Justizwesen“. Das palästinensische Strafgesetz erlaubt die körperliche Bestrafung von Kindern durch ihre Eltern, was eine weitverbreitete Praxis bleibt (HRW 13.1.2022). Anm.: Zu häuslicher Gewalt und Kinderheiraten siehe Kapitel „Frauen“. - Bildung Israelische Beschränkungen der Bewegungsfreiheit [siehe auch Kapitel „Bewegungsfreiheit“] wirkten sich negativ auf akademische Einrichtungen und den Zugang zu Bildung für PalästinenserInnen aus. Seit 2017 sind insgesamt 62 palästinensische Schulen im Gebiet C Abrissanordnungen oder Baustopps [Anm.: durch Israel] ausgesetzt (USDOS 12.4.2022). Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF dokumentierte im Jahr 2020 85 Vorfälle von „Einmischung in Bildung“ durch israelische Kräfte in der Westbank, davon beinhalteten 26% das Abfeuern von Waffen nahe oder in Schulen. Im Jahr 2021 beläuft sich die vorläufige Zahl von Vorfällen auf etwa 100 (USDOS 12.4.2022). Schulen in der Westbank sind auch manchmal Ziel von israelischen Razzien (FH 28.2.2022). 96,9% der Kinder (Gaza und Westjordanland) im Grundschulalter gehen zur Schule, wobei der Anteil von Buben mit 95,4% unter dem Anteil der Mädchen (98.4%) liegt. 2,8% der Kinder gehen nicht zur Schule – auch hier ist der Anteil der Buben mit 4,3% höher als bei Mädchen (1,3%). Unter den Sieben- bis Vierzehnjährigen in der Westbank erreichen 57,6% Lesekompetenz (literacy – reading level). Insgesamt (Gaza und Westbank) schneiden Kinder aus ländlichen Gebieten mit 67,6% besser ab als Kinder aus Flüchtlingslagern mit 58,4% [Anm.: UNRWA und seine Schulen werden im UNICEF-Bericht nicht namentlich erwähnt] . Kinder aus Flüchtlingsfamilien erreichen zu .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 38 von 52

49,3% das Niveau, im Vergleich zu 55,2% bei Kindern, die nicht aus Flüchtlingsfamilien stammen. 64,4% der Kinder aus den wohlhabendsten Haushalten erreichen Lesekompetenz im Vergleich zu 39,6% aus den ärmsten Haushalten. Die Sekundarstufe wird von 74,5% der Kinder besucht. Im Fall der Westbank liegt der Anteil an Burschen, die nicht zur Schule gehen, bei 29,8%, während er bei Mädchen 11,6% ausmacht. Der Grund hierfür scheint wirtschaftlicher Natur zu sein (UNICEF 20.12.2021). - Zugang zu einer Geburtsurkunde und Registrierung, bzw. Stigmatisierung unehelicher Kinder Die Autonomiebehörde registriert palästinensische Kinder, die in den besetzten Gebieten geboren wurden, und Israel verlangt, dass die PA diese Informationen an die Ziviladministration Israels übermittelt. Die PA darf nicht die Staatsbürgerschaft feststellen (USDOS 12.4.2022). Im Allgemeinen sind die palästinensischen BewohnerInnen staatenlos (UNHRC 21.3.2022) [Anm.: Informationen zu den wenigen Ausnahmen bezüglich Staatenlosigkeit werden aufgrund der Komplexität und individueller Faktoren auf Anfrage zur Verfügung gestellt.] Heiratsurkunden sind eine Vorbedingung für die Ausstellung einer Geburtsurkunde. Uneheliche Kinder dürfen nicht einen Namen der Eltern tragen, sondern erhalten fiktive Namen wie im Artikel 22 des Zivilstatusgesetzes Nr. 2 von 1999 vorgesehen. Das stigmatisiert diese Kinder. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq dokumentierte Fälle, bei denen das Recht der Kinder auf Registrierung und den Erhalt eines Namens unmittelbar nach der Geburt verletzt wurde. In einem Fall war die Registrierung – und damit die Geburtsurkunde – vom PA- Innenministerium mit der Begründung verweigert worden, dass der Heiratsvertrag illegal sei. Die Mutter war nämlich als Muslimin und der Vater als Christ registriert, obgleich die Mutter vor der Heirat konvertiert war, und die Heirat in einer Kirche stattgefunden hatte. Das Innenministerium schlug eine Registrierung des Kindes als unehelich vor, was von den Eltern abgelehnt wurde. Das Kind ist bis heute unregistriert, und beim zweiten Kind verzichteten die Eltern aufgrund des psychischen Schadens vom ersten Versuch auf einen Registrierungsantrag (Al-Haq 2.5.2022). Gemäß den Osloer Abkommen verwaltet die PA das palästinensische Bevölkerungsregister, obwohl Statusänderungen im Register der Zustimmung der israelischen Regierung bedürfen. Die israelische Regierung hat seit 2000 keine Änderungen des Registers mehr vorgenommen. Es existierte bis August 2021 kein Verfahren mehr für ausländische Ehepartner oder im Ausland geborene Kinder von Palästinensern, um einen dauerhaften Aufenthaltsstatus im Westjordanland zu erhalten. Dann wurde das Stellen von 5.000 Anträgen von Israel erlaubt (USDOS 12.4.2022). Aufgrunddessen, dass Israel das palästinensische Familienregister genehmigt, blieben viele palästinensische Kinder und junge Erwachsene, besonders bei Geburt im Ausland, ohne legalen Status in dem Gebiet, in dem sie den Großteil oder ihr ganzes Leben verbracht hatten (USDOS 12.4.2022). Familienzusammenführungen werden allein von den israelischen Behörden kontrolliert (DIS 5.2019). .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 39 von 52

Kinder von palästinensischen Eltern dürfen einen palästinensischen Personalausweis, ausgestellt von der Zivilverwaltung, erhalten, wenn sie in der Westbank oder Gaza geboren, und einen Elternteil mit palästinensischem Personalausweis haben. Sowohl das PA-Innenministerium wie auch die israelische Ziviladministration spielen eine Rolle bei der Bestimmung, ob eine derartige Karte einer Person zusteht (USDOS 12.4.2022). Anm.: Aufgrund der Komplexität von Dokumentenbelangen werden weitere Informationen bezüglich des Zugangs zu Dokumenten auf Anfrage zur Verfügung gestellt. - Kinderarbeit Die Palästinensische Autonomiebehörde hat Gesetze und Verordnungen zu Kinderarbeit erlassen. Der Rechtsrahmen im Westjordanland weist jedoch Lücken auf, die einen angemessenen Schutz der Kinder vor den schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich des Kinderhandels, verhindern (USDOL 29.9.2021). Im ersten Quartal 2020 waren drei Prozent der Kinder im Westjordanland im Alter von 10 bis 17 Jahren beschäftigt. Für das Jahr 2021 meldete das PA-Arbeitsministerium 14 Todesfälle bei arbeitenden Kindern in der Westbank und Gaza (USDOS 12.4.2022). Quellen: - Al-Haq (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (2.5.2022): Al-Haq report to the Human Rights Committee on the List of Issues in relation to the comprehensive initial report of the State of Palestine, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/PSE/ INT_CCPR_ICO_PSE_48534_E.pdf, Zugriff 24.5.2022 - AI – Amnesty International (11.5.2022): Israel/OPT: Continuing patterns of unlawful killings and other crimes further entrench apartheid [MDE 15/5589/2022], https://www.ecoi.net/en/file/local/2072791/MDE1555892022ENGLISH.pdf, Zugriff 2.6.2022 - DIS – Danish Immigration Service (5.2019): Palestinians Access and Residency for Palestinians in the West Bank, the Gaza Strip and East Jerusalem, Report based on interviews conducted from 31 March to 4 April 2019 in Jerusalem, Ramallah and Tel Aviv, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011580/palestinians_access_and_residency_+g_wb_ej_may_2 019.pdf, Zugriff 12.5.2020 - FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - West Bank*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072102.html, Zugriff 19.5.2022 - UNHRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (21.3.2022): Report of the Special Rapporteur on the situation of Human Rights in the Palestinian territories occupied since 1967 [A/HRC/49/87], https://www.ecoi.net/en/file/local/2071255/A_HRC_49_87_AdvanceUneditedVersion.docx, Zugriff 2.6.2022 - UNICEF – UN Children's Fund (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (20.12.2021): Children in the State of Palestine: Child development data from the 2019/2020 multiple indicator cluster survey (MICS), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Children%20in%20the%20State%20of%20P alestine.pdf, Zugriff 2.6.2022 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 40 von 52
