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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) und Amnesty International (AI) haben jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 27.6.2023) durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgendermaßen: • 19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022) • 1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022) • 22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022) • 17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022) • 14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023) • 1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023) • 20.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023) • 1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023) • 1.11.2023 - 10.1.2023: 1.508 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 38 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.2.2024) • 1.2.2024 - 13.5.2024: 2.505 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 55% gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 13.6.2024) • 14.5.2024 - 31.7.2024: 2.127 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 53 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 9.9.2024) Nachfolgende Grafik zeigt den Verlauf der sicherheitsrelevanten Vorfälle zwischen Jänner 2023 und Dezember 2024 laut ACLED an. Unterteilt wurde diese vom OSIF-Projekt der Staatendoku mentation erstellte Grafik in die Vorfallsarten battles, explosions/remote violence sowie violence against civilians. [für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von ACLED sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen]: 38

Quelle 9: erstellt vom Projekt OSIF der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025) Wie den oben aufgeführten Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025) und den Vereinten Na tionen zu entnehmen ist, sind die sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2024 angestiegen. Dies hängt laut den Vereinten Nationen vor allem mit vermehrten Zwischenfäl len im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024) und Grundstückstreitigkeiten zusammen (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024) und war zum Teil auf die Bemühungen der Taliban-Behörden zurückzuführen, das Verbot des Mohnanbaus durchzusetzen (UNGA 13.6.2024). 39

Quelle 10: erstellt vom Projekt OSIF der Staatendokumentation basierend auf Daten des Uppsala Conflict Data Program (UCDP) (UCDP 9.12.2024) Auch die vom Uppsala Conflict Data Program (UCDP) erfassten Vorfälle zeigen dieses Bild. Mit Beginn des Jahres 2022 gehen die sicherheitsrelevanten Vorfälle deutlich zurück. In der ersten Jahreshälfte 2024 ist jedoch wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Bei jenen sicherheitsrelevanten Vorfällen, die den ISKP betreffen, erkennt man einen Rückgang im Laufe der letzten Jahre, wobei auch hier ein leichter Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2024 zu erkennen ist (UCDP 9.12.2024). [Für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von UCDP sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen]: Laut Angaben der Vereinten Nationen hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Macht übernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022). Im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in 2023 nahmen diese Aktivitäten jedoch wieder ab (UNGA 20.6.2023; vgl. UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Ein Trend, der sich auch 2024 fortsetzt (UNGA 28.2.2024). Ziele der Grup pierung sind die schiitischen Hazara (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 22.1.2024, UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024), ausländische Staatsbürger (UNGA 9.9.2024) sowie Mitglieder der Taliban (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024). Die Taliban führen weiterhin Opera tionen gegen den ISKP durch (UNGA 13.6.2024), unter anderem in Nangarhar (UNGA 9.9.2024). Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffne ten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023). Dieser Trend setzt sich auch im Jahre 2024 fort. Nach dem Dafürhalten der Vereinten 40

Nationen stellt die bewaffnete Opposition mit 2024 weiterhin keine nennenswerte Herausforde rung für die territoriale Kontrolle der Taliban dar (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024). Die Nationale Widerstandsfront und die Afghanische Freiheitsfront gehen mit einer „ Hit-and-Run“-Taktik gegen die Taliban-Sicherheitskräfte vor, greifen deren Posten und Fahr zeuge an und verübten Hinterhalte und gezielte Tötungen (UNGA 9.9.2024). Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghani stan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöri ger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Tali ban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024). In einem Interview durchgeführt von EUAA in Kooperation mit dem schwedischen Migrations amt (Migrationsverket), der Staatendokumentation und Landinfo gab ein afghanischer Forscher befragt zur Sicherheitslage an, dass die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghani stan zurückgegangen ist. Es gibt, seiner Einschätzung nach, keine Region in Afghanistan, in welcher oppositionelle Gruppen offen die Kontrolle haben. In Provinzen wie Panjsher, Baghlan, Badakhshan, Kunduz und Takhar, in denen es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen den Taliban und verschiedenen Gruppierungen gekommen ist, verlief der Verkehr normal und Ein heimische in der Region erzählten dem Forscher, dass es keine Zwischenfälle geben würde. Betreffend die Kapazitäten des NRF hatte er nur wenig Informationen, er schreibt dem ISKP jedoch zumindest die Möglichkeit operativer Aktivitäten zu, wobei er anfügt, dass die Taliban immer effizienter bei der Aushebung von ISKP-Zellen zu werden scheinen. Dies zeigt sich in einer entspannteren Sicherheitslage in beispielsweise Kabul und Herat. Der Forscher schließt daraus, dass weder der ISKP noch andere Gruppierungen aktuell wirklich ein Problem für die Taliban sind (VQ AFGH 3 1.10.2024). Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß 41

die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/ STDOK 18.1.2022). Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendo kumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheits empfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrneh mung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023). Quellen ■ ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (13.1.2025): Curated Data - Afghanistan (25.11.2023 - 25.11.2024), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 16.1.2025 ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Afghanistan 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2107826.html, Zugriff 7.5.2024 ■ ATR/STDOK - ATR Consulting (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (3.2.2023): Kabul - Social Economic Survey 2022, https:// www.ecoi.net/en/file/local/2087688/Kabul_Socio-Economic Survey 2022.pdf, Zugriff 6.2.2023 [Login erforderlich] ■ ATR/STDOK - ATR Consulting (Autor), Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber) (18.1.2022): Survey report on the socio-economic situation (demography; security; economy; health care; housing), https://www.ecoi.net/en/file/local/2066706/ AFGHANISTAN - Socio-Economic Survey 2021.pdf, Zugriff 19.1.2023 ■ IOM - International Organization for Migration (22.2.2024): Information on the socio-economic situ ation in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2104781/Socioeconomic Information Update Afghanistan.pdf, Zugriff 23.2.2024 [Login erforderlich] ■ UCDP - Uppsala Conflict Data Program (9.12.2024): Daten zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Afghanistan, zur Verfügung gestellt via E-Mail. Liegt im Archiv der Staatendokumentation auf ■ UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (22.1.2024): Human rights situation in Afghanistan: October - December 2023 Update, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/e nglish_hr_update_22jan_2024.pdf, Zugriff 20.2.2024 ■ UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (27.6.2023): Impact of Improvised Ex plosive Devices on Civilians in Afghanistan; 15 August 2021 – 30 May 2023, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2094034/report_on_civilian_harm_caused_by_ied_-_eng_27062023.pdf , Zugriff 16.8.2023 42

■ UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (7.2022): Human Rights in Afghanistan 15 August 2021 - 15 June 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075723/unama_human_rights_ in_afghanistan_report_-_june_2022_english.pdf, Zugriff 3.1.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (9.9.2024): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116020/n2424979.pdf, Zugriff 19.11.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (13.6.2024): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2111394/n2415471.pdf, Zugriff 19.11.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (28.2.2024): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security; Report of the Secretary-General [A/78/789-S/2024/196], https://www.ecoi.net/en/file/local/2105950/n2404810.pdf, Zugriff 19.11.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (1.12.2023): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2102425/N2336960.pdf, Zugriff 14.2.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (18.9.2023): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2097813/N2325802.pdf, Zugriff 15.2.2024 ■ UNGA - United Nations General Assembly (20.6.2023): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2095410/N2317030.pdf, Zugriff 11.8.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (27.2.2023): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2088888/N2305123.pdf, Zugriff 11.8.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (7.12.2022): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084394/N2273222.pdf, Zugriff 12.1.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (14.9.2022): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2079419/N2259109.pdf, Zugriff 12.1.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (15.6.2022): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2074514/N2237309.pdf, Zugriff 4.1.2023 ■ UNGA - United Nations General Assembly (28.1.2022): The situation in Afghanistan and its implica tions for international peace and security, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067517/A_76_667--S _2022_64-EN.pdf, Zugriff 19.12.2022 ■ VQ AFGH 3 - Analyst aus Afghanistan [vertrauliche Quelle 3] (1.10.2024): Interview with Afghan ana lyst conducted by EUAA in cooperation with Landinfo, Migrationsverket and Staatendokumentation, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf 43

5.1 Sicherheitsrelevante Vorfälle und zivile Opfer nach Provinzen (25.11.2023 - 25.11.2024) Letzte Änderung 2025-01-31 16:37 Quelle 11: erstellt vom Projekt-OSIF der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025) und UCDP (UCDP 9.12.2024) 44

Laut den von ACLED erfassten Daten fanden in allen drei angeführten Bereichen die meisten der Vorfälle in Ost-Afghanistan statt, wobei hier vor allem in Kabul ein Großteil der sicherheits relevanten Vorfälle stattfand (ACLED 13.1.2025). Im Zeitraum zwischen 25.11.2023 und 25.11.2024 gab es die meisten zivilen Opfer (mehr als 60%), gemäß UCDP, in Nord-Afghanistan. Ca. ein Viertel (100) gab es in Ost-Afghanistan. 30 Todesopfer gab es in Zentralafghanistan, 17 in West-Afghanistan und 2 in Süd-Afghanistan. Auf Provinzebene gab es die meisten Todesopfer in Badakhshan (168), gefolgt von Kabul (56) und Baghlan (44) (UCDP 9.12.2024). [Anm.: Für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von ACLED und UCDP sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen] Quellen ■ ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (13.1.2025): Curated Data - Afghanistan (25.11.2023 - 25.11.2024), https://acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 16.1.2025 ■ UCDP - Uppsala Conflict Data Program (9.12.2024): Daten zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Afghanistan, zur Verfügung gestellt via E-Mail. Liegt im Archiv der Staatendokumentation auf 5.2 Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten Letzte Änderung 2025-01-14 16:00 Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehö rigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen (AA 26.6.2023; vgl. US DOS 20.3.2023a), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Recher cheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „ schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021b; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021), unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit An gaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westli che Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022). So wurde beispielsweise berichtet, dass ein ehemaliger Militäroffizier nach seiner Abschiebung von Iran nach Afghani stan durch ein biometrisches Gerät identifiziert wurde und danach von den Taliban gewaltsam zum Verschwinden gebrachtwurde. Ein weiterer Rückkehrer aus Iran berichtet, dass im Zuge 45

der Abschiebung aus Iran Daten der Rückkehrer vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben werden (KaN 18.10.2023). Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung nutzt soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021b, 8am 14.11.2022), was dazu führt, dass Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban in den sozialen Medien Selbstzensur verüben, aus Angst und Unsicherheit (Internews 12.2023). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021). Ein hochrangiges Mitglied der ehemaligen Streitkräfte berichtet, dass ihm vor seiner Rückkehr verschiedene Versprechen gemacht wurden, er bei Ankunft auf dem Flughafen in Kabul jedoch wie ein Feind behandelt wurde. Er wurde sofort erkannt, da die Taliban sein Bild und weitere Informationen zu seiner Person über die sozialen Medien verbreiteten. Mit Stand Oktober 2023 lebt er in Kabul, sein Haus wurde mehrfach durch die Taliban durchsucht und sein Bankkonto gesperrt. Ein anderes Mitglied der ehemaligen Streitkräfte gab an, dass seine Informationen vor seiner Rückkehr auf Twitter [Anm.: jetzt X] verbreitet wurden und ein weiterer Rückkehrer berichtete, dass er eine biometrische Registrierung durchlaufen musste (KaN 18.10.2023). Im Sommer 2023 wurde berichtet, dass die Taliban ein groß angelegtes Kameraüberwachungs netz für afghanische Städte aufbauen (AI 5.9.2023; vgl. VOA 25.9.2023), das die Wiederverwen dung eines Plans beinhalten könnte, der von den Amerikanern vor ihrem Abzug 2021 ausge arbeitet wurde, so ein Sprecher des Taliban-Innenministeriums. Die Taliban-Regierung hat sich auch mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei über eine mögliche Zusam menarbeit beraten, sagte der Sprecher (VOA 25.9.2023; vgl. RFE/RL 1.9.2023), wobei Huawei bestritt, beteiligt zu sein (RFE/RL 1.9.2023). Beobachter befürchten jedoch, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen (RFE/RL 1.9.2023), einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen (RFE/RL 1.9.2023). Quellen ■ 8am - Hasht-e Sobh (14.11.2022): Taliban Arrests Young Man for Criticizing the Group on Social Media - Hasht-e Subh Daily, https://8am.media/eng/taliban-arrests-young-man-for-criticizing-the-g roup-on-social-media , Zugriff 31.1.2023 ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in Afghanistan - Lagefortschreibung - (Stand: Juni 2023), https://www.ec oi.net/en/document/2094871.html, Zugriff 9.8.2023 [Login erforderlich] 46

■ AI - Amnesty International (5.9.2023): Afghanistan: Installing thousands of cameras risks creating total surveillance state, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/08/afghanistan-installing-tho usands-of-cameras-risks-creating-total-surveillance-state , Zugriff 31.1.2024 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (20.8.2021b): Afghanistan: Taliban carrying out door-to-door manhunt, report says, https://www.bbc.com/news/world-asia-58271797, Zugriff 31.1.2023 ■ DW - Deutsche Welle (20.8.2021): Taliban hunting down Afghans on blacklist — report, https: //www.dw.com/en/taliban-hunting-down-afghans-on-blacklist-report/a-58914571 , Zugriff 31.1.2023 ■ FR24 - France 24 (9.1.2022): Taliban arrest Afghan professor after social media criticism, https://www. france24.com/en/live-news/20220109-taliban-arrest-afghan-professor-after-social-media-criticism , Zugriff 31.1.2023 ■ Golem - Golem Media GmbH (20.8.2021): Afghanistan: Taliban jagen ihre Gegner auch via Netz - Golem.de, https://www.golem.de/news/afghanistan-taliban-jagen-ihre-gegner-auch-via-netz-210 8-158996.html, Zugriff 31.1.2023 ■ HRW - Human Rights Watch (30.3.2022): New Evidence that Biometric Data Systems Imperil Afghans, https://www.hrw.org/news/2022/03/30/new-evidence-biometric-data-systems-imp eril-afghans, Zugriff 15.12.2022 ■ HRW - Human Rights Watch (1.11.2021): “No Forgiveness for People Like You”, https://www.hrw.or g/sites/default/files/media_2021/11/afghanistan1121_web.pdf, Zugriff 31.1.2023 ■ Intercept - Intercept, The (17.8.2021): The Taliban Have Seized U.S. Military Biometrics Devices, https://theintercept.com/2021/08/17/afghanistan-taliban-military-biometrics , Zugriff 31.1.2023 ■ Internews - Internews (12.2023): The Information Ecosystem in Afghanistan and Implications for Humanitarian Action - Afghanistan, https://reliefweb.int/attachments/28cd3554-e7f5-4994-a9e9- 47e26f90ef99/Internews AFG-RiT-IEA-Dec2023.pdf, Zugriff 23.2.2024 ■ KaN - Kabul Now (18.10.2023): Talibans False Amnesty: The Fate of Former Military Officers Who Return to Afghanistan, https://kabulnow.com/2023/07/talibans-false-amnesty-the-fate-of-former-mil itary-officers-who-return-to-afghanistan , Zugriff 15.2.2024 ■ NYT - New York Times, The (29.8.2021): As the Taliban Tighten Their Grip, Fears of Retribution Grow, https://www.nytimes.com/2021/08/29/world/asia/afghanistan-taliban-revenge.html , Zugriff 31.1.2023 ■ RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.9.2023): The Azadi Briefing: Is The Taliban Creating A Surveillance State In Afghanistan?, https://www.rferl.org/a/azadi-briefing-taliban-surveillance-sta te-afghanistan/32574507.html, Zugriff 31.1.2024 ■ ROW - Rest of World - Reporting Global Tech Stories (20.8.2021): Afghans are forced to choose between staying safe and staying online, https://restofworld.org/2021/afghans-social-media-taliban , Zugriff 9.2.2023 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023a): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2089060.html, Zugriff 15.5.2023 ■ VOA - Voice of America (25.9.2023): Taliban Weighs Using US Mass Surveillance Plan, Met with China’s Huawei, https://www.voanews.com/a/taliban-weighs-using-us-mass-surveillance-plan-met -with-china-s-huawei-/7282626.html , Zugriff 31.1.2024 6 Zentrale Akteure 6.1 Taliban Letzte Änderung 2025-01-31 16:38 Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 20.3.2023a). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das „ Islamische Emirat Afghanistan“ (USDOS 20.3.2023a; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität 47
