2025-09-09-coi-cms-laenderinformationen-armenien-version-13-01e0
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
ine-sorge-wir-werden-nicht-zurückkehren-armenien-wird-russisches-militärbündnis-ovks-verlass en/ar-BB1o7ZlI, Zugriff 4.10.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023 ■ Zeit Online - Zeit Online (27.9.2024): Konflikt um Grenzregion Bergkarabach: Armenien sieht Frie densabkommen mit Aserbaidschan in Reichweite, https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-09/arme nien-aserbaidschan-konflikt-bergkarabach-friedesnabkommen-un , Zugriff 4.10.2024 4 Sicherheitslage Letzte Änderung 2024-11-06 11:50 Das BMEIA attestiert ein hohes Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten zu Aserbaidschan, wäh rend im Rest des Landes ein guter Sicherheitsstandard besteht (BMEIA 14.10.2024). Trotz Waffenstillstands bleibt die Lage angespannt und militärische Zwischenfälle im Grenzgebiet lassen sich nicht ausschließen (EDA 18.10.2024). Seit Anfang Mai kommt es in Eriwan und einigen Gebieten im Norden Armeniens verstärkt zu bislang friedlich verlaufenden politischen Demonstrationen (AA 18.10.2024). Das Land wurde in den letzten Jahren durch den militärischen Druck Aserbaidschans stark beeinträchtigt. Im September 2023 floh fast die gesamte ethnische armenische Bevölkerung von Berg-Karabach, das seit 1994 de facto unabhängig von Aserbaidschan war, nach Armeni en, nachdem das aserbaidschanische Militär die örtlichen Verteidigungskräfte besiegt und die vollständige Kontrolle über das Gebiet übernommen hatte (FH 2024a; vgl. HRW 11.1.2024). Am 19.09.2023 hat Aserbaidschan eine Militäroperation zur Eroberung der Region Berg-Kara bach gestartet. Nur einen Tag später ergaben sich die Karabach-Armenier (BAMF 25.9.2023; vgl. Standard 28.9.2023). Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens hatte die Aser baidschaner bei ihrer Militäroffensive gewähren lassen. Armeniens Regierungschef Paschinjan machte Moskau deshalb Vorwürfe. Russland warf Eriwan wiederum vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen „ großen Fehler“ zu begehen (Standard 28.9.2023). Nachdem die aserbaidschanischen Streitkräfte im September 2023 die Kontrolle über Berg-Ka rabach übernommen hatten, kam es zu einer Reihe von regierungsfeindlichen Demonstrationen. In Eriwan ging die Polizei mit Licht- und Schallgeräten gegen Demonstranten vor, die den Rücktritt von Premierminister Pashinyan forderten (FH 2024a; vgl. BAMF 25.9.2023). Das Hel sinki-Komitee von Armenien, eine Nichtregierungsorganisation, die die Proteste beobachtete, berichtete, dass die Polizei zeitweise „ unverhältnismäßige und wahllose Gewalt“ anwendete (AI 24.4.2024). Während des gesamten Jahres 2023 wurde von sporadischen Schießereien des aserbaidscha nischen Militärs in den Grenzgebieten der Provinzen Gegharkunik, Syunik und Ararat berichtet (FH 2024a). Viele Armenier werfen der traditionellen Schutzmacht Russland, die seit dem sechswöchigen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 eine Friedenstruppe mit rd. 2.000 4

Soldaten vor Ort stationiert hat, vor, sie im Stich gelassen zu haben. Armenien ist militärisch betrachtet Aserbaidschan eindeutig unterlegen und kann nicht mehr auf die Unterstützung der russischen Führung bauen (BAMF 25.9.2023). Nach der Massenflucht der Armenier aus Berg-Karabach kamen die meisten Menschen in der armenischen Grenzstadt Goris an. Die Flüchtlinge besitzen in der Regel bereits auch die armeni sche Staatsangehörigkeit oder können sie nun problemlos beantragen. Berichten zufolge wollen viele Flüchtlinge versuchen, zunächst in der Hauptstadt Eriwan unterzukommen. Armenien mit seinen rd. drei Mio. Einwohnern befindet sich in einer schweren innen- und außenpolitischen Krise, die durch die Flüchtlinge und die angespannte wirtschaftliche Situation verschärft wird. UN-Generalsekretär Guterres kündigte unterdessen eine UN-Mission in Berg-Karabach an, was laut Beobachtenden jedoch zu spät kommt und an der völkerrechtswidrigen Vertreibung der armenischen Bevölkerung nichts mehr ändern kann. Armenien ist dringend auf Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Auch gibt es in Armenien ernsthafte Be fürchtungen, dass Aserbaidschan unter Umständen als nächstes Ziel die territoriale Integrität Armeniens infrage stellen könnte, um sich durch den Süden Armeniens einen Landweg bzw. Korridor in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan zu schaffen (BAMF 9.10.2023). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.10.2024): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teil reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/armenien-node/armeniensich erheit/201872, Zugriff 18.10.2024 ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.10.2023): Briefing Notes - Arme nien/Aserbaidschan, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/fetchcsui/-28977447/Deutschland._Bundesa mt_für_Migration_und_Flüchtlinge,_Briefing_Notes,_KW41,_09.10.2023.pdf?nodeid=28977971&ve rnum=-2, Zugriff 20.9.2024 [Login erforderlich] ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (25.9.2023): Briefing Notes - Arme nien/Aserbaidschan, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/fetchcsui/-28971178/Deutschland._Bundesa mt_für_Migration_und_Flüchtlinge,_Briefing_Notes,_KW_39,_25.09.2023.pdf?nodeid=28971179&v ernum=-2, Zugriff 20.9.2024 ■ BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.10.2024): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien , Zugriff 14.10.2024 ■ EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (18.10.2024): Rei sehinweise für Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise /armenien/reisehinweise-fuerarmenien.html, Zugriff 18.10.2024 ■ FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2105009.html, Zugriff 3.4.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2103145.html, Zugriff 16.1.2024 ■ Standard - Standard, Der (28.9.2023): Behörden in Bergkarabach verkünden Auflösung der Region, https://www.derstandard.at/story/3000000188858/behoerden-in-bergkarabach-verkuenden-aufloes ung-der-region, Zugriff 14.10.2024 5

4.1 Regionale Konfliktzone: Bergkarabach (Berg-Karabach) Letzte Änderung 2024-11-08 08:32 Die Vertreibung ethnischer Aserbaidschaner in den frühen 1990er-Jahren führte zu einer über wiegend ethnischen armenischen Bevölkerung. Die letzte Volkszählung im Jahr 2015 ergab eine Gesamtbevölkerung von etwa 151.000 Menschen, mit kleinen Minderheiten von ethni schen Russen, Ukrainern, Jesiden, Georgiern und Syrern (FH 2024b). Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um das ehemalige autonome Gebiet Berg karabach (russisch: Nagorny-Karabakh; in Armenien überwiegend „Artsakh“ genannt) ist durch den verlorenen 44-Tage-Krieg im Jahr 2020, durch den Verzicht Armeniens auf territoriale An sprüche auf dieses Gebiet, im Ergebnis durch die militärische Besetzung Bergkarabachs durch Aserbaidschan am 19./20. September 2023 und die damit verbundene Flucht von über 100.000 Armeniern faktisch entschieden. In einem auszuhandelnden Friedensabkommen gilt es, ge genseitig die territoriale Integrität Armeniens und Aserbaidschans anzuerkennen das Recht der Armenier auf Rückkehr in ihre angestammten Siedlungsgebiete bei Wahrung ihrer kulturellen und Minderheiten-Rechte sowie der Sicherheit festzuschreiben (AA 5.3.2024). Die Republik Berg-Karabach, die sich auch Republik Artsakh nannte, genoss nach einem Waf fenstillstandsabkommen aus dem Jahr 1994, das einen etwa zweijährigen offenen Krieg be endete, de facto die Unabhängigkeit von Aserbaidschan, wurde jedoch nie von einem UN-Mit gliedstaat (FH 2024b; vgl. AA 5.3.2024) oder von Armenien anerkannt, praktisch waren beide wirtschaftlich und rechtlich jedoch stark verflochten. Die Bewohner von Bergkarabach haben neben ihrem „ RBK“-Pass armenische Reisepässe erhalten, was jedoch nicht die Verleihung der armenischen Staatsangehörigkeit bedeutete. In Eriwan gibt es eine bergkarabachische Vertretung. Von der „ RBK“ ausgestellte Reisepässe sind äußerlich nur anhand der dreistel ligen Kennziffer des Ausstellungsortes von armenischen Reisepässen zu unterscheiden (AA 5.3.2024). Die Bevölkerung des Gebiets bestand überwiegend aus ethnischen Armeniern und war auf grund ihrer geografischen und diplomatischen Isolation auf enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Armenien angewiesen. Im Jahr 2023 kündigte die lokale Regierung ihre Auflö sung an, nachdem eine von den aserbaidschanischen Behörden geführte Militäroperation zur massenhaften Abwanderung der ethnischen armenischen Bevölkerung geführt hatte. Ende des Jahres waren bilaterale Friedensgespräche zwischen der armenischen und der aserbaidscha nischen Regierung im Gange, und das Gebiet von Berg-Karabach blieb weitgehend entvölkert (FH 2024b). Die von Armenien und Aserbaidschan beim EGMR eingereichten Beschwerden, in denen sie sich gegenseitig beschuldigen, während der Kämpfe in den Jahren 2020 und 2016 Gräuel taten begangen zu haben, warten noch auf eine Entscheidung des Gerichts, ebenso wie die Beschwerden Armeniens nach den schweren Kämpfen im September 2022 entlang der interna tionalen Grenze und innerhalb Armeniens (USDOS 23.4.2024). Nach der Flucht von mehr als 100.000 ethnischen Armeniern aus Berg-Karabach nach Armenien Ende September kündig te das armenische Untersuchungskomitee eine Untersuchung der mutmaßlichen Verbrechen 6

Aserbaidschans gegen die Einwohner von Berg-Karabach an. Armenien hat keine Fortschritte bei der Untersuchung mutmaßlicher Kriegsverbrechen während der Feindseligkeiten mit Aser baidschan im Jahr 2020 gemacht, die von armenischsprachigen Tätern verübt wurden (USDOS 23.4.2024). Politische Lage Der Lachin-Transitkorridor, die einzige verbleibende Straße, die Berg-Karabach mit Armenien und dem Rest der Welt verbindet, wurde bis Ende September von aserbaidschanischen Kräf ten blockiert. Die Blockade, die Ende 2022 begonnen hatte, führte zu schweren Engpässen bei Lebensmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern, sodass UN-Experten im August die Situation als „ schwere humanitäre Krise“ bewerteten. Die aserbaidschanische Regierung leitete am 19. September eine Militäroperation gegen Berg-Karabach ein, die darauf abzielte, die politischen Institutionen zu zerschlagen und das Militär zu entwaffnen. Die zahlen mäßig weit unterlegenen armenischen Streitkräfte in dem Gebiet stimmten am folgenden Tag einem russischen Vorschlag für einen Waffenstillstand zu, der die Auflösung und Entwaffnung der örtlichen Streitkräfte sowie die Abtretung des Gebiets an Baku vorsah. Die örtlichen Be hörden berichteten von Dutzenden von Opfern unter der Zivilbevölkerung während der kurzen Offensive. Am 28. September unterzeichnete Präsident Samvel Shahramanyan ein Dekret, das die Auflösung aller staatlichen Institutionen zum 1. Januar 2024 vorsah. Vor die Wahl gestellt, die aserbaidschanische Herrschaft zu akzeptieren oder das Gebiet zu verlassen, floh fast die gesamte armenische Bevölkerung Ende September durch den Lachin-Korridor, den die aser baidschanischen Streitkräfte am 24. September geöffnet hatten, um den Exodus zu erleichtern, nach Armenien (FH 2024b; vgl. USDOS 23.4.2024). Der Präsident von Berg-Karabach wurde für eine Amtszeit von bis zu zwei Jahren direkt ge wählt und fungierte sowohl als Staatsoberhaupt als auch als Regierungschef und war befugt, Kabinettsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im März und April 2020 statt. Sie wurde weithin als die am stärksten umkämpfte Wahl in der jüngeren Geschichte Berg-Karabachs anerkannt, mit einer noch nie dagewesenen Anzahl von 14 Kandidaten und einem intensiven Wahlkampf, der umfangreiche Wahlkampfaktivitäten vor Ort und in den sozialen Medien beinhaltete. Arayik Harutyunyan, ein ehemaliger Premierminis ter und lokaler Geschäftsmann, gewann im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen. Der demokratischere Wahlkampf folgte auf eine politische Öffnung in Armenien im Jahr 2018, als Massenproteste gegen die Regierung und Wahlen eine etablierte Elite verdrängt hatten (FH 2024b). Anfang September 2023 kündigte Harutyunyan seinen Rücktritt inmitten politischer Unruhen an, die durch die Blockade des Lachin-Korridors und Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit der daraus resultierenden Krise ausgelöst wurden. Vor seinem Rücktritt hatte Harutyunyan im Parlament eine unter dem Kriegsrecht geltende Verfassungsänderung durchgesetzt, die es der Legislative ermöglichte, einen Interimspräsidenten zu wählen, falls der Amtsinhaber vor Ablauf seiner Amtszeit zurücktreten würde. Nach Harutyunyans Rücktritt wählte das Parlament mit 22 zu 1 Stimmen Samvel Shahramanyan zum neuen Präsidenten von Berg-Karabach. Nach 7

dem Waffenstillstand im selben Monat unterzeichnete Schahramanyan ein Dekret, mit dem „ alle staatlichen Institutionen und Organisationen, die ihren Ressorts unterstehen, bis zum 1. Januar 2024“ aufgelöst wurden, und die Regierung wurde von den aserbaidschanischen Behörden abgelöst. Im Dezember erklärte Schahramanyan, der nach Armenien geflohen war, das Dekret vom September für ungültig, obwohl diese Ankündigung in Berg-Karabach keine unmittelbaren praktischen Auswirkungen hatte (FH 2024b). Die 33 Mitglieder der Einkammer-Nationalversammlung wurden über Parteilisten gewählt. Die letzten Wahlen fanden im Jahr 2020 parallel zur Präsidentschaftswahl statt. Die Parteien führten ungehindert Wahlkampf in Städten und Dörfern und beteiligten sich an Präsentationen und De batten im Fernsehen. Die von Harutyunyan gegründete Partei Azat Hayrenik (Freies Vaterland) behielt ihre dominierende Stellung in der Legislative und gewann 16 Sitze. Die neu gegründete Oppositionspartei Miasnakan Hayrenik (Vereinigtes Vaterland) erhielt neun Sitze. Die übrigen Sitze gingen an drei andere Parteien. Nach dem Auflösungsdekret des Präsidenten vom Sep tember 2023 und der Abwanderung fast der gesamten Bevölkerung nach Armenien stellte die Nationalversammlung ihre Arbeit ein (FH 2024b). Die Militäroperation der aserbaidschanischen Regierung in dem Gebiet im September 2023 und Schahramanyans Dekret zur Auflösung aller Regierungsorgane und -institutionen in Berg-Ka rabach führten Ende 2023 zur Außerkraftsetzung der bisherigen Wahlgesetze und Rahmen bedingungen. Aufgrund der Abwanderung der Zivilbevölkerung gab es in dem Gebiet keine funktionierende Institution mehr, die in der Lage gewesen wäre, die Wahlgesetze unparteiisch umzusetzen (FH 2024b). Vor September 2023 gab es nur wenige formale Beschränkungen für die Gründung von und die Mitgliedschaft in Parteien, aber die politische Landschaft war in der Praxis aufgrund des umstrittenen Status des Gebiets und der zunehmenden Unsicherheit eingeschränkt. Nach der aserbaidschanischen Militäroperation im September 2023 floh fast die gesamte armenischstäm mige Bevölkerung Berg-Karabachs aus dem Gebiet, wodurch die lokalen politischen Parteien handlungsunfähig wurden. Schahramanyans Dekret zur Auflösung der staatlichen Institutionen ließ die Parteien ebenfalls ohne rechtliche oder praktische Grundlage zurück. Nach dem Weg zug der Bevölkerung im September 2023 und dem Dekret Schahramanyans zur Auflösung aller staatlichen Institutionen gibt es in Berg-Karabach keine lokal gewählten Regierungsorgane und keine politische Opposition (FH 2024b). Die Politik in Berg-Karabach wurde stark von der Androhung einer militärischen Aggression beeinflusst, die das Gebiet in politischer und finanzieller Hinsicht von Armenien abhängig mach te. Diese Abhängigkeit bot ein Druckmittel für die Einmischung Eriwans in die innenpolitischen Angelegenheiten Berg-Karabachs, nahm jedoch nach 2020 etwas ab, als eine erfolgreiche aser baidschanische Offensive Armenien zwang, seine Truppen aus dem Gebiet abzuziehen und die militärische Unterstützung für Berg-Karabach im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens einzustellen. Nach dem Krieg von 2020 spielten die russischen Friedenstruppen eine wichtige Rolle bei der Sicherheit in Berg-Karabach, mischten sich aber nicht in das politische Leben vor Ort ein. Im September 2023, nach der raschen Kapitulation der armenischen Streitkräfte vor dem 8

vorrückenden aserbaidschanischen Militär, erließ Schahramanyan das Dekret zur Auflösung der staatlichen Institutionen, um die „ physische Sicherheit und die lebenswichtigen Interessen“ der Bevölkerung von Berg-Karabach zu schützen. Die aserbaidschanischen Streitkräfte und staatli chen Behörden übernahmen daraufhin die volle Kontrolle über die politischen Angelegenheiten in dem Gebiet (FH 2024b). Die meisten oder alle Sitze in der Nationalversammlung und die Führungspositionen in der Regierung wurden von Personen armenischer Abstammung besetzt, und die Möglichkeiten für Angehörige verschiedener ethnischer, religiöser und anderer Minderheitengruppen, ihre Inter essen in der Politik zu vertreten, waren begrenzt. Frauen waren formal politisch gleichberechtigt, aber soziale Zwänge und ein vorherrschendes Gefühl der Militarisierung des lokalen Lebens schränkten ihre Beteiligung in der Praxis ein, und sie waren in Führungspositionen nur schwach vertreten. Gesellschaftliche Diskriminierung schränkte die politische Beteiligung sexueller Min derheiten ein (FH 2024b). Vor September 2023 war die Fähigkeit der lokal gewählten Vertreter, die Regierungspolitik festzu legen und umzusetzen, in der Praxis durch die Sicherheitsbedrohungen entlang der Kontaktlinie zwischen Berg-Karabach und den aserbaidschanischen Streitkräften sowie durch entsprechen de Warnungen aus Baku eingeschränkt. Obwohl die Verfassung eine enge Zusammenarbeit mit Armenien in den Bereichen der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Strategie vorsah, war der Einfluss des armenischen Staates auf die lokale Verwaltung nach dem Krieg von 2020 stark zurückgegangen. Am 28. September 2023 erließ Schahramanyan nach der Kapitulation der armenischen Streitkräfte in Karabach vor dem aserbaidschanischen Militär ein Dekret zur Auf lösung der lokalen Regierungsinstitutionen. Alle gewählten Gremien wurden faktisch aufgelöst. Gegen mehrere hochrangige lokale Beamte wurde Ende des Jahres vor aserbaidschanischen Gerichten Anklage erhoben (FH 2024b). Die Institutionen von Berg-Karabach litten unter erheb licher Korruption. Die Auflösung der lokalen Regierungsinstitutionen Ende 2023 hatte zur Folge, dass die öffentlichen Antikorruptionsstellen und andere Schutzmechanismen gegen Amtsmiss brauch abgeschafft wurden (FH 2024b). Im Dezember 2022 begannen aserbaidschanische Aktivisten, den Lachin-Transitkorridor zu blo ckieren, die einzige Straße, die Berg-Karabach mit Armenien und dem Rest der Welt verbindet. UN-Experten erklärten im August 2023, dass die anhaltende Blockade das Leben der Bewoh ner, insbesondere von Kindern, Menschen mit Behinderungen, älteren Menschen, schwangeren Frauen und Kranken, erheblich gefährdete, und nannten die Situation eine „ schwere humanitäre Krise“. Die Bewohner hatten nur begrenzten Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Lebensmit teln, Treibstoff und Medikamenten. Aserbaidschanische Streitkräfte errichteten im April einen Kontrollpunkt an der Straße, obwohl offiziell russische Friedenstruppen für die Sicherheit des Korridors verantwortlich waren. Nach der zweitägigen Militäroperation des aserbaidschanischen Regimes konnten ethnische Armenier durch den Lachin-Korridor aus dem Gebiet fliehen. Vor die Wahl gestellt, die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft und die aserbaidschanische Re gierung zu akzeptieren oder das Gebiet zu verlassen, wurde fast die gesamte armenische Bevölkerung von mehr als 100.000 Personen nach Armenien evakuiert (FH 2024b). 9

Vor September 2023 war der beliebteste lokale Fernsehsender das staatlich geführte Artsakh TV. Die redaktionelle Politik des Senders hatte sich seit der politischen Öffnung in Armenien im Jahr 2018 erheblich verändert, und in den letzten Jahren war eine größere Meinungsvielfalt zu beobachten. Nach der aserbaidschanischen Militäroperation vom September 2023 flohen lokale Journalisten aus dem Gebiet, und Radio- und Fernsehsender stellten ihren Betrieb ein. Die aserbaidschanischen Behörden erklärten, dass aserbaidschanische Nachrichteninhalte in dem Gebiet ausgestrahlt werden. Die Pressefreiheit in Aserbaidschan ist stark eingeschränkt (FH 2024b). Die Verfassung von Berg-Karabach garantierte Religionsfreiheit, ließ aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. Die Charta erkannte auch die Armenische Apostolische Kirche als „ Nationalkirche“ des armenischen Volkes an. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen wurde in der Praxis eingeschränkt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2009 verbot die religiöse Betätigung nicht registrierter Gruppen und Proselytismus von Minderheitsreligionen und erschwerte die Registrierung von Minderheitengruppen. Bei der aserbaidschanischen Offensive 2023 wurden Berichte über die Beschädigung christlicher Ein richtungen bekannt. Aktivisten machten sich auf den Weg, um die Schäden zu dokumentieren, aber der fehlende physische Zugang behinderte ihre Bemühungen. Das aserbaidschanische Regime übt eine strenge Kontrolle über die Religionsausübung durch staatlich anerkannte Ein richtungen aus (FH 2024b). In den letzten Jahren haben Schulen und Universitäten eine zunehmende Selbstzensur bei sensiblen Themen praktiziert, insbesondere bei Themen, die mit dem Status und der Sicherheit des Gebiets zusammenhängen. Ab Dezember 2022 führte die Blockade des Lachin-Korridors zu Engpässen bei den Schulmaterialien. Stromausfälle unterbrachen die Online-Lernprogramme. Die aserbaidschanische Militäroperation und der daraus resultierende Exodus der Mehrheit der Bevölkerung von Berg-Karabach im September 2023 legten das lokale Bildungssystem faktisch lahm (FH 2024b). Vor September 2023 war die private Diskussion im Allgemeinen offen und frei, obwohl die Äuße rung abweichender Meinungen durch die vorherrschende nationalistische Stimmung in Politik und Gesellschaft etwas gehemmt werden konnte. Mit der Auflösung der lokalen Regierungsor gane nach September 2023 wurde der gesetzliche Schutz der freien Meinungsäußerung faktisch aufgehoben. Die aserbaidschanischen Behörden überwachen die private Kommunikation ohne richterliche Aufsicht und bestrafen abweichende Meinungen hart (FH 2024b). Die Versammlungsfreiheit wurde in den letzten Jahren allgemein geachtet. Im Mai 2023 ver hängte der damalige Präsident Harutyunyan das Kriegsrecht und verbot die meisten öffentlichen Versammlungen, mit Ausnahme derjenigen, die im Zusammenhang mit der Selbstbestimmung, Feiertagen oder Gedenktagen standen und für die eine Genehmigung der Regierung erforder lich war. Mit der Auflösung der Regierungsbehörden nach der Kapitulation der armenischen Streitkräfte in Karabach vor dem aserbaidschanischen Militär im September 2023 wurde der gesetzliche Schutz der Versammlungsfreiheit faktisch aufgehoben. Die aserbaidschanischen 10

Behörden schränken öffentliche Versammlungen nach nationalem Recht und in der Praxis stark ein (FH 2024b). Mehr als 250 Nichtregierungsorganisationen (NRO) waren in Berg-Karabach registriert, doch die meisten waren inaktiv. Viele Gruppen hatten Schwierigkeiten, sich eine nachhaltige Finanzierung zu sichern, zum Teil weil Partnerschaften mit ausländischen oder internationalen NROs durch den umstrittenen Status von Berg-Karabach erschwert wurden. Zivilgesellschaftliche Gruppen sahen sich auch der Konkurrenz durch staatlich organisierte Einrichtungen ausgesetzt. Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen wurden im September 2023 zusammen mit dem Rest der Zivilbevölkerung vertrieben. Die aserbaidschanischen Behörden schränken die Aktivitäten der Zivilgesellschaft nach dem Gesetz und in der Praxis stark ein. Einige NRO, die nach Armenien umgesiedelt sind, haben ihre Aktivitäten dort fortgesetzt (FH 2024b). Gewerkschaften durften sich zwar organisieren, aber in der Praxis waren sie schwach und relativ inaktiv und hatten kaum praktische Möglichkeiten, die Interessen der Arbeitnehmer durchzuset zen. Viele Arbeitskonflikte wurden durch persönliche und familiäre Beziehungen beigelegt, bevor sie vor die örtlichen Gerichte gelangten. Lokale Gewerkschaftsmitglieder wurden im September 2023 vertrieben. Die aserbaidschanischen Behörden schränken unabhängige Gewerkschafts aktivitäten und aktive Gewerkschaftsarbeit stark ein (FH 2024b). Die Justiz in Berg-Karabach war in der Praxis nicht unabhängig. Die Gerichte wurden von der Exekutive sowie von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beein flusst. Im September 2023, nach der aserbaidschanischen Militäroperation, wurde die Justiz des Gebiets zusammen mit anderen lokalen Regierungsstellen aufgelöst. Die aserbaidschanische Judikative ist korrupt und der Exekutive untergeordnet (FH 2024b). Die Verfassung von Berg-Karabach garantierte grundlegende Rechte auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, aber die Polizei und die Gerichte hielten sich in der Praxis nicht immer daran. Politische Dissidenten wurden von den Behörden schikaniert. Die in der Gebietsverfassung verankerten Verfahrensgarantien wurden mit der Auflösung der Regierung im September 2023 faktisch außer Kraft gesetzt. Die aserbaidschanischen Behörden halten die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren nicht ein (FH 2024b). Vor der Übernahme durch Aserbaidschan verbot die Verfassung Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und anderen Kategorien. Frauen waren im öf fentlichen und privaten Sektor unterrepräsentiert und waren in der Praxis weiterhin Diskrimi nierungen ausgesetzt. Im September 2023, nach der Kapitulation der örtlichen Streitkräfte vor den aserbaidschanischen Behörden, floh fast die gesamte armenische Bevölkerung aus dem Gebiet. Die aserbaidschanische Regierung bietet keinen wirksamen Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder sexueller Orientierung (FH 2024b). Die Bewegungsfreiheit in Berg-Karabach wurde durch den unklaren rechtlichen und diploma tischen Status des Landes und die Instabilität der Waffenstillstandsvereinbarungen behindert. Der Reiseverkehr in das und aus dem Gebiet wurde durch russische Friedenstruppen und 11

zwischen Dezember 2022 und September 2023 durch eine Blockade des Lachin-Transitkorri dors eingeschränkt. Sie wurde nach der aserbaidschanischen Militäroperation aufgehoben (FH 2024b). Männer und Frauen waren in Bezug auf Ehe und Scheidung rechtlich gleichgestellt, obwohl die Verfassung die Ehe als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definierte, was gleich geschlechtliche Ehen ausschloss. Die lokale Regierung bot materielle Anreize, um Paare zu ermutigen, Kinder zu bekommen. Häusliche Gewalt war weit verbreitet und wurde nicht wirksam geahndet. Nachdem im September 2023 die Auflösung der Regierungsbehörden angeordnet worden war, wurden die in der lokalen Verfassung verankerten Garantien für soziale Freiheiten faktisch außer Kraft gesetzt. Die aserbaidschanischen Behörden schränken diese Freiheiten in gewissem Maße ein, beispielsweise durch die obligatorische Mediation bei Scheidungen, die diejenigen benachteiligt, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können. Häusliche Gewalt wird in Aserbaidschan häufig nicht strafrechtlich verfolgt (FH 2024b). Die über 100.000 armenischen Flüchtlinge aus Bergkarabach wurden durch Armenien landes weit in provisorischen Unterkünften untergebracht und werden aus dem armenischen Haushalt finanziell unterstützt (AA 5.3.2024). Die armenischen Behörden konnten die vorübergehenden Bedürfnisse dieses schnellen Zustroms einer großen Zahl von Flüchtlingen weitgehend befrie digen. Es gab jedoch weiterhin Bedenken hinsichtlich dauerhafter Lösungen und des Zugangs zu angemessenem Wohnraum, Einkommen und Beschäftigung (AI 24.4.2024). Das Interna tionale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bearbeitete Fälle von im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Aserbaidschan vermissten Personen und arbeitete mit der Regierung zusammen, um eine konsolidierte Liste der Vermissten zu erstellen (USDOS 23.4.2024). Landminen, die zuvor von armenischen Streitkräften in und um Berg-Karabach in Aserbaidschan gelegt worden waren, stellten weiterhin eine tödliche Bedrohung dar und verhinderten die sichere Rückkehr der Vertriebenen (AI 24.4.2024). Die Regierung möchte verhindern, dass die Menschen aus Bergkarabach auswandern, und hat daher im Mai 2024 ein Programm zur Förderung des Wohnungsbaus aufgelegt. Familien aus Berg-Karabach, die mittlerweile die armenische Staatsbürgerschaft besitzen, können pro Fami lienmitglied umgerechnet bis zu 11.600 Euro für den Kauf oder Bau von Wohnraum bekommen. Sollte die Familie sich über längere Zeit nicht in Armenien aufhalten, kann die Unterstützung wieder gestrichen werden (DW 25.9.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und ab schiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf , Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024 ■ DW - Deutsche Welle (25.9.2024): Flüchtlinge aus Berg-Karabach: Neuanfang in Armenien, https: //www.dw.com/de/flüchtlinge-aus-berg-karabach-neuanfang-in-armenien/a-70322636 , Zugriff 17.10.2024 12

■ FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Nagorno-Karabakh, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2105024.html#alert, Zugriff 3.4.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024 5 Justizwesen/Rechtsschutz Letzte Änderung 2024-11-08 10:02 Obwohl das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsah, wurde die Justiz aufgrund ihrer Geschichte von Korruption und politischer Einflussnahme, Widerstand gegen Reformen und öffentlichkeits wirksamen Skandalen nicht als unabhängig oder unparteiisch angesehen. Es gab unbestätigte Berichte über Versuche der Regierung und von Teilen des früheren Regimes, die Richter zu be einflussen. Die hohe Fallzahl, das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit und der Vorwurf des Drucks durch die Regierung hielten Interessierte davon ab, sich um Richterstellen zu bewerben (USDOS 23.4.2024). Berichten zufolge fühlen sich Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsan wälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen, und die Freispruchquote ist sehr niedrig. Die Behörden wenden das Recht selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen gewährleistet (FH 2024a). Eines der größten Probleme der Justiz war die starke Überlastung der Gerichte auf allen Ebe nen aufgrund des Mangels an Richtern. Weitere wichtige Faktoren, die zur Überlastung der Justiz beitragen, sind die hohe Zahl der Berufungen von Angeklagten aufgrund des mangelnden Vertrauens in die Justiz und die Berufung der Staatsanwälte gegen Freisprüche und niedrigere Strafen (USDOS 23.4.2024). Menschenrechtsanwälte wiesen darauf hin, dass einige Richter in Bezug auf bestimmte Gerichtsentscheidungen internem Druck von Vorgesetzten, einschließlich des Obersten Justizrates, ausgesetzt waren und dass ihnen Disziplinarmaßnahmen drohten sowie dass Gerichtsentscheidungen in Fällen, in denen es um ähnliche Sachverhalte ging, unvorhersehbar geworden waren und dass in einigen hochkarätigen Korruptionsfällen die Ent scheidungen politisch motiviert zu sein schienen (USDOS 23.4.2024). Die Strafverfolgungsbehörden verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die sie bei Vernehmungen erhalten hatten, um Verurteilungen zu erwirken (USDOS 23.4.2024). Das Fehlen einer wirksamen Rechenschaftspflicht bei Verstößen der Strafverfolgungsbehörden ist ein kontinuierliches Problem. Die Behörden ermitteln bei Misshandlungsvorwürfen häufig wegen „Amtsmissbrauchs“, der mit geringeren Strafen geahndet wird (HRW 11.1.2024). Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzu messungspraxis, die nach Merkmalen wie Hautfarbe, Herkunft/Abstammung, Religion, Nationa lität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen/sozialen Gruppe oder politischen Überzeu gung diskriminiert, ist nicht festzustellen. Sippenhaft, d. h. die Anwendung staatlicher Repres sionen gegenüber Angehörigen oder sonstigen nahestehenden Personen, wird nicht praktiziert (AA 5.3.2024). Die Regierung hat 2019 eine auf fünf Jahre angelegte Strategie zur Reform der Justiz veröf fentlicht. Bis Mitte 2022 waren nur 32 Prozent der in der Strategie vorgesehenen Maßnahmen 13
