2025-09-05-coi-cms-laenderinformationen-russische-foederation-version-16-1b03
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
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Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische Bei den von der Staatendokumentation bereitgestellten Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische handelt es sich um Arbeitszusammenfassungen. Anderes als bei den automati schen Übersetzungen (siehe unten) werden diese einer eigenen Überprüfung unterzogen. Die Staatendokumentation ist bemüht, dass die jeweiligen deutsch- und englischsprachigen Versionen (so vorhanden) zum selben Zeitpunkt veröffentlicht werden. Jedoch kann es, aufgrund der umfangreichen Qualitätssicherung vorkommen, dass sich das Datum der Veröffentlichung der beiden Versionen geringfügig unterscheidet. Es sei darauf verwiesen, dass trotz eines möglichen geringfügig unterschiedlichen Veröffentlichungsdatums, der Inhalt der deutsch- und englischsprachigen Version derselbe ist. Automatische Übersetzungen Bei der automatischen Übersetzung handelt es sich um eine maschinelle Übersetzung einer Län derinformation mittels einer Übersetzungssoftware, in eine vom Nutzer festgelegte Zielsprache. Diese Übersetzung wird, da vom Nutzer direkt generiert, weder im Hinblick auf Grammatik und Rechtschreibung noch auf Sinnerhaltung kontrolliert und soll lediglich dazu dienen, einen Ein druck über den Inhalt des Originaldokuments bzw. der verwendenten Quellen zu erlangen. Die Staatendokumentation übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der maschinellen Über setzung. Sollte das Produkt vom Nutzer für eine weitere Verwendung herangezogen werden, insbesondere für eine behördliche Entscheidung, so wird dringend empfohlen die Übersetzung durch einen professionellen Übersetzer kontrollieren bzw. durchführen zu lassen. Qualitätssicherung der maschinellen Übersetzung von DeepL Die Übersetzung, welche nicht als „ automatische Übersetzung“ ausgewiesen wird, wurde von einer/einem professionellen Übersetzer/in qualitätsgesichert. Etwaige in der Übersetzung ent stehende Unstimmigkeiten oder Differenzen sind nicht bindend und haben keine rechtliche Wirkung für Compliance- oder Durchsetzungszwecke. Sollten Fragen zur Richtigkeit der quali tätsgesicherten Übersetzung entstehen, nehmen sie bitte Kontakt mit der Staatendokumentation des BFA unter BFA-Staatendokumentation@bmi.gv.at auf. III

Inhalt 1 Länderspezifische Anmerkungen 1 2 Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. § 3 Abs. 4a AsylG 1 3 Politische Lage 2 3.1 Tschetschenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.2 Dagestan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4 Sicherheitslage 13 4.1 Nordkaukasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 5 Rechtsschutz / Justizwesen 21 5.1 Tschetschenien und Dagestan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 6 Sicherheitsbehörden 27 7 Folter und unmenschliche Behandlung 30 8 Korruption 31 9 NGOs und Menschenrechtsaktivisten 34 10 Wehrdienst und Rekrutierungen 37 10.1 Überblick über die Armee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 10.2 Mobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 10.3 Situation von Grundwehrdienern (Rekruten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 10.4 Situation in Tschetschenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 10.5 Rekrutierung Strafgefangener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 10.6 Irreguläre Kampfverbände (private Militärunternehmen usw.) . . . . . . . . . . 58 10.7 Wehr-/Kriegsdienstverweigerung/Desertion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 10.8 Wehrersatzdienst/Zivildienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 11 Allgemeine Menschenrechtslage, Ombudsperson, Menschenhandel, Flüchtlinge 67 11.1 Tschetschenien, Kritiker, Tschetschenienkrieg-Kämpfer . . . . . . . . . . . . . 71 11.2 Dagestan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 12 Meinungs- und Pressefreiheit, Internetfreiheit 75 13 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition 78 14 Haftbedingungen 81 15 Todesstrafe 84 16 Religionsfreiheit 84 16.1 Tschetschenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 IV

16.2 Dagestan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 16.3 Zeugen Jehovas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 17 Ethnische Minderheiten 93 18 Relevante Bevölkerungsgruppen 96 18.1 Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 18.2 Frauen im Nordkaukasus/Tschetschenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 18.3 Scheidung und Obsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 18.4 Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 18.5 Sexuelle Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 19 Bewegungsfreiheit und Meldewesen 111 19.1 Tschetschenen innerhalb und außerhalb der Russischen Föderation . . . . . . 114 20 Grundversorgung und Wirtschaft 116 20.1 Nordkaukasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 20.2 Sozialbeihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 20.2.1 Mutterschaft: Mutterschaftskapital, Kinderbetreuungsgeld usw. . . . . . 124 20.2.2 Arbeitslosenunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 20.2.3 Wohnmöglichkeiten, Sozialwohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 20.2.4 Invaliditätspension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 20.2.5 Alterspension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 20.2.6 Sozialbeihilfen für Militärbedienstete und deren Familien . . . . . . . . . 129 21 Medizinische Versorgung 130 21.1 Psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 21.2 Drogenabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 21.3 Diabetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 21.4 Hepatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 21.5 HIV/Aids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 21.6 Nierenerkrankungen (Dialyse usw.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 21.7 Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 22 Rückkehr 139 22.1 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 23 Dokumente 142 24 Anhang 143 24.1 Reservisten: Definition / Kategorisierung / Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . 143 25 Impressum 145 25.1 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 25.2 Hinweis zum Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 V

25.3 Veröffentlichte Versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 VI

1 Länderspezifische Anmerkungen Letzte Änderung 2024-12-16 16:00 Die vorliegende Länderinformation zur Russischen Föderation verwendet im Einklang mit Ar tikel 1 der russischen Verfassung die beiden Länderbezeichnungen Russland (Rossija) und Russische Föderation (Rossijskaja Federazija) synonym. Präziser wäre die Übersetzung Russ ländische Föderation, welche allerdings weniger gebräuchlich ist. Da es sich bei den Nordkaukasus-Republiken (beispielsweise Tschetschenien, Dagestan) um Subjekte (Gebietseinheiten) der Russischen Föderation handelt, werden diese nicht mehr im Rahmen eigenständiger Länderinformationen abgehandelt, sondern in die vorliegende Länder information integriert. Wo es Unterschiede gibt, wurden Unterkapitel zu den einzelnen Subjekten oder (in zusammenfassender Form) zum Nordkaukasus geschaffen. Zu Inguschetien werden – auch nach Absprache mit dem BVwG – keine Informationen mehr in die vorliegende Länder information übernommen, weil die Anzahl der Asylwerber zu gering ist. Sollten Informationen zu Inguschetien benötigt werden, ist eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation zu stellen. Aus Praktikabilitätsgründen wurde zur Umschreibung der russischen (kyrillischen) Buchstaben die Duden-Transkription verwendet. Die Währungsumrechnung erfolgte mit folgendem Kurs: 1 RUB = 0,0096481989 EUR (Stand 11.11.2024; https://www.xe.com/ ) Hinweis zur in dieser Länderinformation verwendeten ACLED-Quelle In der Vorfallsdatenbank von ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) werden Informationen zu Art, Akteuren, Ort, Datum und anderen Merkmalen von Ereignissen politischer Gewalt, von Demonstrationen und ausgewählten politisch relevanten gewaltfreien Ereignis sen codiert. Die ACLED-Daten stammen aus einer Vielzahl lokaler, regionaler und nationaler Quellen, und die Informationen werden von geschulten Datenexperten auf der ganzen Welt gesammelt. Von der Staatendokumentation wurden in der vorliegenden Länderinformation jene Vorfälle berücksichtigt, welche ACLED als gewaltsame Vorfälle definiert hat. Vorfälle, die ACLED als „ Proteste“ oder „ strategische Entwicklungen“ kategorisiert hat, fanden in der dargestellten Statistik keinen Eingang. Weitergehende Informationen zur Vorgehensweise von ACLED bei der Datensammlung und Codierung können unter anderem dem Codebuch von ACLED entnommen werden. Weitere Dokumente können der Webseite von ACLED entnommen werden. 2 Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. § 3 Abs. 4a AsylG Letzte Änderung 2022-09-12 15:04 Bei der Erstellung der vorliegenden Länderinformation wurde die im § 3 Abs. 4a AsylG festge schriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „ wesentlicher, dauerhafter Verände rungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung 1

maßgeblich sind“, berücksichtigt. Hierbei wurden die vorliegende Länderinformation mit vor hergehenden Länderinformationen abgeglichen und auf relevante, im o. g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht. Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden ei ner - durch Qualitätssicherung abgesicherten - Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendoku mentation). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendoku mentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation) zur betroffenen Thematik. Verbesserung i.S. § 3 Abs. 4a AsylG Titel Kapitel Ein Vergleich der Informationen zu asylrele vanten Themengebieten in der vorliegenden Länderinformation mit jenen der vormals ak tuellen Länderinformation hat ergeben, dass es zu keinen, wie im § 3 Abs. 4a AsylG be schriebenen, Verbesserungen in der Russi schen Föderation gekommen ist. 3 Politische Lage Letzte Änderung 2024-12-16 16:02 Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 1.10.2024a). Das Regie rungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2024; vgl. EIU 2024, UNIG-VDI 3.2024, FH 11.4.2024, Russland-Analysen/Ennker 20.6.2022). Der Europarat bezeichnet Russland als eine De-facto-Diktatur (CoE 18.3.2024). Die in der Verfassung der Russischen Föderation vorgesehene Gewaltenteilung (Verfassung RUSS 6.10.2022; vgl. AA 1.10.2024b) ist de facto stark eingeschränkt (AA 1.10.2024b; vgl. BS 2024). Das politische System ist zentral auf den Präsidenten ausgerichtet (AA 2.8.2024; vgl. FH 2024, Russland-Analysen/Ennker 20.6.2022), was durch den Begriff der Machtvertikale aus gedrückt wird (SWP/Fischer 19.4.2022). Mit der Machtvertikale kontrolliert der Präsident den Regierungsvorsitzenden (Premierminister), die Ministerien sowie die föderalen und regionalen Verwaltungen (Russland-Analysen/Partlett 14.5.2024). Gemäß der Verfassung der Russischen Föderation ernennt der Staatspräsident (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Regie rungsvorsitzenden und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte vor. Darüber hinaus ernennt und entlässt der Präsident die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesent würfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus. Der Präsident bestimmt die grundlegende Ausrichtung der Innen- und Außenpolitik (Verfassung RUSS 6.10.2022). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2024). Der Präsident der Russischen Föderation wird laut der Verfassung für eine Amtszeit von sechs Jahren von den Bürgern direkt gewählt (Verfassung 2

RUSS 6.10.2022). Die letzte Präsidentschaftswahl fand von 15.-17.3.2024 statt. Gemäß der Zentralen Wahlkommission ging Wladimir Putin mit 87,28 % der abgegebenen Stimmen als Sieger der Präsidentenwahl hervor. Die anderen drei Präsidentschaftskandidaten erzielten folgendes Wahlergebnis (RIA Nowosti 21.3.2024): Nikolaj Charitonow: 4,31 % Wladislaw Dawankow: 3,85 % Leonid Sluzkij: 3,20 % Nikolaj Charitonow gehört der Kommunistischen Partei an (KPRF o.D.), Wladislaw Dawankow der Partei Neue Leute (PNL o.D.), und Leonid Sluzkij ist Vorsitzender der Liberal-Demokra tischen Partei (Duma o.D.). Echte Oppositionskandidaten wurden nicht zugelassen (BAMF 18.3.2024). Zahlreiche Kandidaten wurden ausgeschlossen, darunter auch Personen, welche sich gegen den Ukraine-Krieg ausgesprochen hatten (Rat der EU 22.4.2024). Insgesamt hatten 15 Personen die Kandidatur beantragt (SWP/Fischer 6.3.2024). Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 77,49 % (RIA Nowosti 21.3.2024). Die Möglichkeit einer elektronischen Stimmabgabe (NGE 19.3.2024) in mehreren Regionen, trug zur Intransparenz bei (Russland-Analysen/Stykow 2.5.2024). Die „ Präsidentenwahl“ fand auch im von Russland besetzten Teil der Ukraine statt (Rat der EU 22.4.2024; vgl. CoE 18.3.2024). Es kam zu mas siven Wahlmanipulationen (Russland-Analysen/Stykow 2.5.2024; vgl. SWP/Fischer 6.3.2024, NGE 19.3.2024, KR 21.3.2024), Druck auf Wähler, Verletzungen des Wahlgeheimnisses (Golos 18.3.2024), sowie groß angelegten Fälschungen bei der Abgabe der Stimmen, deren Auszählung und Dokumentation (Russland-Analysen/Stykow 2.5.2024). Die Wahl, begleitet von zahlreichen Protestaktionen, war weder frei noch fair (BAMF 18.3.2024). Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde von Russland zur Beobachtung der Präsidentenwahl 2024 nicht eingeladen (OSCE/ODIHR 29.1.2024), wodurch eine unparteiische und unabhängige Beurteilung der Wahl verwehrt wurde (Rat der EU 22.4.2024). Regierungsvorsitzender ist Michail Mischustin (Premierminister RUSS o.D.). Die Regierungsar beit ist wenig transparent (FH 2024). Regierungskritiker sind Schikane und Festnahmen aus gesetzt (BS 2024). Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsre form statt (Verfassung RUSS 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmbe rechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS/Kunze 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsände rungen ermöglichten Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 2024). Unter ande rem erhält durch die Verfassungsreform (2020) das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise die Betonung traditioneller Fa milienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich (KAS/Kunze 7.2020; vgl. Verfassung RUSS 4.7.2020). Die Ver fassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten für Kritik (KAS/Kunze 7.2020). 3

Das Parlament (Föderalversammlung) besteht aus zwei Kammern, dem Föderationsrat und der Staatsduma. Die Mitglieder des Föderationsrates werden für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören laut Verfassung die Bestätigung des präsidentiellen Erlasses über die Verhängung des Ausnahme- und Kriegszustands sowie die Amtsenthebung des Präsidenten. Die 450 Duma-Abgeordneten werden für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt (Verfassung RUSS 6.10.2022). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSCE/ODIHR 25.6.2021; vgl. RIA Nowosti 6.10.2021). Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 2024; vgl. Russland-Analysen/ Tkacheva 1.10.2021, KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen im September 2021 waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von zahlreichen Unregelmäßigkei ten gekennzeichnet (FH 24.2.2022; vgl. Russland-Analysen/Tkacheva 1.10.2021, KAS/Kunze/ Salvador 21.9.2021), darunter Stimmenkauf, Druck auf Wähler (FH 24.2.2022), Fälschung von Wahlprotokollen und Einwerfen zusätzlicher Stimmzettel in die Wahlurnen (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet (BS 2024). Die Wahlbeteiligung bei der letzten Dumawahl betrug52 % (FH 2023; vgl. RIA Nowosti 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 24.2.2022). Die Partei Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche zur Durchsetzung von Verfassungsänderungen erforderlich ist. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als Kreml-treue „ System-Opposition“ be zeichnet werden (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021; vgl. Russland-Ana lysen/Tkacheva 1.10.2021). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021). Eine echte Opposition fehlt (FH 11.4.2024). Neue politische Parteien können faktisch nur dann registriert werden, wenn sie die Unterstützung der Präsidialadministration genießen (AA 2.8.2024). Aktuell sieht die Sitzvertei lung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.): • Einiges Russland (Edinaja Rossija): 322 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew) • Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow) • Sozialistische Partei „ Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit“ (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow) • Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluz kij) • Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Alexej Netschaew) • Zwei Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an. • Drei Abgeordnetenmandate sind derzeit unbesetzt (Duma o.D.). Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021) und rechtspopulis tisch ausgerichtet. Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale 4

Mitte-Rechts-Partei. Die Partei „ Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit“ vertritt sozi alpatriotische Inhalte (KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021). Die föderale (föderative) Struktur der Russischen Föderation ist in der Verfassung festgeschrie ben. Der Status von Föderationssubjekten kann in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föde ralen Verfassungsgesetz geändert werden (Verfassung RUSS 6.10.2022). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 1.10.2024b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates (ZOiS/Klimovich 3.11.2021; vgl. FH 24.5.2023). Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOiS/Klimovich 3.11.2021). Die 2014 von Russland durchgeführte Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim und der Stadt Sewastopol ist völkerrechtswidrig und international nicht anerkannt (AA 1.10.2024b). Im Februar 2022 begann Russland mit der Führung eines großflächigen An griffskriegs gegen die Ukraine (CoE-PACE 22.6.2023; vgl. UNGA 18.3.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen „ Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk sowie in den von Russland besetzten ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja „ Referenden“ über eine Eingliederung in die Russische Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergeb nissen stimmten in der „ Volksrepublik“ Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der „ Volksrepublik“ Luhansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Diese Scheinreferenden werden von den Vereinten Nationen als völkerrechts widrig bezeichnet. Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN News 27.9.2022b). Die „ Stimmabgabe“ erfolgte unter Zwang und Zeitdruck (Rat der EU 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die „ Referenden“ missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN News 27.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zur Russland-Eingliederung der ukraini schen „ Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kreml 30.9.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (UNGA 13.10.2022). Der Krieg in der Ukraine verursacht massive Menschenrechtsverletzungen und Verstöße ge gen das humanitäre Völkerrecht (OHCHR 12.12.2023). Von russischen Streitkräften werden willkürliche Angriffe verübt, welche Tod und Verwundung von Zivilisten zur Folge haben. Ver treter russischer Behörden verüben Kriegsverbrechen - vorsätzliche Tötungen, Folter, sexuelle Gewaltverbrechen (wie Vergewaltigung) sowie Deportation von Kindern in die Russische Föde ration (UIUKU 20.10.2023). Folter ist weitverbreitet (UIUKU 25.10.2024; vgl. OHCHR 3.7.2024) und wird von russischen Behörden systematisch angewandt (UIUKU 25.10.2024). Die massive Zerstörung aufgrund des Kriegs beeinträchtigt die Bereitstellung essenzieller Dienstleistun gen, darunter Zugang zu Bildung, Gesundheitsleistungen und Wasserversorgung (UNOCHA 5
