2025-09-15-coi-cms-laenderinformationen-bangladesch-version-6-2bf5
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
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Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische Bei den von der Staatendokumentation bereitgestellten Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische handelt es sich um Arbeitszusammenfassungen. Anderes als bei den automati schen Übersetzungen (siehe unten) werden diese einer eigenen Überprüfung unterzogen. Die Staatendokumentation ist bemüht, dass die jeweiligen deutsch- und englischsprachigen Versionen (so vorhanden) zum selben Zeitpunkt veröffentlicht werden. Jedoch kann es, aufgrund der umfangreichen Qualitätssicherung vorkommen, dass sich das Datum der Veröffentlichung der beiden Versionen geringfügig unterscheidet. Es sei darauf verwiesen, dass trotz eines möglichen geringfügig unterschiedlichen Veröffentlichungsdatums, der Inhalt der deutsch- und englischsprachigen Version derselbe ist. Automatische Übersetzungen Bei der automatischen Übersetzung handelt es sich um eine maschinelle Übersetzung einer Län derinformation mittels einer Übersetzungssoftware, in eine vom Nutzer festgelegte Zielsprache. Diese Übersetzung wird, da vom Nutzer direkt generiert, weder im Hinblick auf Grammatik und Rechtschreibung noch auf Sinnerhaltung kontrolliert und soll lediglich dazu dienen, einen Ein druck über den Inhalt des Originaldokuments bzw. der verwendenten Quellen zu erlangen. Die Staatendokumentation übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der maschinellen Über setzung. Sollte das Produkt vom Nutzer für eine weitere Verwendung herangezogen werden, insbesondere für eine behördliche Entscheidung, so wird dringend empfohlen die Übersetzung durch einen professionellen Übersetzer kontrollieren bzw. durchführen zu lassen. Qualitätssicherung der maschinellen Übersetzung von DeepL Die Übersetzung, welche nicht als „ automatische Übersetzung“ ausgewiesen wird, wurde von einer/einem professionellen Übersetzer/in qualitätsgesichert. Etwaige in der Übersetzung ent stehende Unstimmigkeiten oder Differenzen sind nicht bindend und haben keine rechtliche Wirkung für Compliance- oder Durchsetzungszwecke. Sollten Fragen zur Richtigkeit der quali tätsgesicherten Übersetzung entstehen, nehmen sie bitte Kontakt mit der Staatendokumentation des BFA unter BFA-Staatendokumentation@bmi.gv.at auf. III

Inhalt 1 Länderspezifische Anmerkungen 1 2 COVID-19 1 3 Politische Lage 2 4 Sicherheitslage 7 5 Rechtsschutz / Justizwesen 10 6 Sicherheitsbehörden 14 7 Folter und unmenschliche Behandlung 16 8 Korruption 18 9 NGOs und Menschenrechtsaktivisten 19 10 Wehrdienst und Rekrutierungen 21 11 Allgemeine Menschenrechtslage 22 12 Meinungs- und Pressefreiheit 24 13 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition 27 14 Haftbedingungen 29 15 Todesstrafe 31 16 Religionsfreiheit 33 17 Ethnische Minderheiten 35 17.1 Chittagong Hill Tracts / Jumma-Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 17.2 Biharis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 18 Relevante Bevölkerungsgruppen 41 18.1 Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 18.2 Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 18.3 LGBTQ+ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 19 Bewegungsfreiheit 49 20 IDPs und Flüchtlinge 51 20.1 Rohingya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 20.2 IDPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 21 Grundversorgung 59 IV

21.1 Sozialbeihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 22 Medizinische Versorgung 62 23 Rückkehr 66 24 Dokumente 68 24.1 Staatbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 25 Impressum 70 25.1 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 25.2 Hinweis zum Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 25.3 Veröffentlichte Versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 V

1 Länderspezifische Anmerkungen Letzte Änderung 2024-08-16 15:30 Hinweis: Im Zuge der Flucht der Premierministerin und des Regierungsumsturzes wurde das Kapi tel „ Politische Lage“ aktualisiert. Der damit verbundene vollständige politische System wechsel ist in der Heranziehung der übrigen Kapitel zu berücksichtigen. Auswirkungen - u.a. auf Sicherheitslage, Menschenrechte, Opposition und Wirtschaft - sind derzeit nicht abschätzbar. Besonders zu berücksichtigen ist dabei die Lage der religiösen Minderhei ten und der Mitglieder der bisherigen Regierungspartei Awami League (AL). Aufgrund der geänderten Lage können entsprechende Anfragen an die Staatendokumen tation gestellt werden, welche i.d.R. mit Anfragebeantwortungen erledigt werden. 2 COVID-19 Letzte Änderung 2023-06-01 10:29 Grundsätzlich gilt die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit, in Geschäften, Supermärkten, Einkaufszentren und auf Märkten (AA 4.5.2023). Verstöße gegen die Maskenpflicht können rechtlich geahndet werden (GOV.UK o.D.). Unternehmen (darunter Geschäfte, Büros sowie Banken) haben ihren Betrieb mit sehr geringfügigen Einschränkungen größtenteils wieder aufgenommen (GOV.UK o.D.). Personen, welche die vollständige Dosis eines von der WHO zugelassenen COVID-19-Impf stoffs erhalten haben, können mit dem offiziellen Impfnachweis nach Bangladesch einreisen. Ein RT-PCR-basiertes COVID-19-Negativzertifikat ist nicht erforderlich (AA 4.5.2023). Personen, die keine volle Dosis eines COVID-19-Impfstoffs erhalten haben, können nach Bangladesch einreisen, wenn sie innerhalb von 72 Stunden vor der Abflugzeit über ein RT-PCR-basiertes COVID-19-Negativzertifikat verfügen. Dies gilt für alle Personen ab Vollendung des 12. Le bensjahres. Personen unter 12 Jahren benötigen kein RT-PCR-Zertifikat. Sie müssen jedoch dieselben Gesundheitsformalitäten einhalten, welche für ihre Familienangehörigen bei der An kunft gelten (AA 4.5.2023; vgl. WKO 27.7.2022). Bestimmungen zur Einreise ändern sich mit der Pandemielage häufig (AA 4.5.2023). Unabhängig vom Herkunftsland und der COVID-19-Impfung werden Reisende mit COVID-19- Symptomen bei Ankunft zur Durchführung eines RT-PCR-Tests in ein staatlich autorisiertes Krankenhaus oder eine staatlich autorisierte Einrichtung geschickt (AA 4.5.2023; vgl. BMEIA 9.3.2023). Im Falle eines positiven RT-PCR-Testergebnisses werden die Betroffenen auf eigene Kosten in einer von der Regierung benannten Einrichtung isoliert. Ein weiterer RT-PCR-Test wird nach sieben Tagen durchgeführt. Sofern das Testergebnis negativ ist, wird die Quarantäne aufgehoben. Die Quarantäne wird durch die jeweils zuständige Behörde sichergestellt (AA 4.5.2023). 1

Quellen: ■ AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.5.2023): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https: //www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 12.5.2023 ■ BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (9.3.2023): Reiseinformation: Bangladesch (Volksrepublik Bangladesch), https://www.bmeia.gv .at/reise-services/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 3.4.2023 ■ GOV.UK – Regierungswebseite [Vereinigtes Königreich] (o.D.): Foreign travel advice Bangladesh, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/health, Zugriff 12.5.2023 ■ WKO – Wirtschaftskammer Österreich (27.7.2022): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https: //www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 3.4.2023 3 Politische Lage Letzte Änderung 2024-08-16 15:33 Allgemein Nach einem neunmonatigen Befreiungskrieg erklärte die Volksrepublik Bangladesch am 26.03.1971, unterstützt durch Indien, ihre Unabhängigkeit von Pakistan. Die erste Verfas sung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und [bengalischen, Anm.] Nationalismus als Ziele fest(ÖB New Delhi 11.2022; vgl. BS 19.3.2024). Offiziell ist das Staatsoberhaupt der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Er übt allerdings großteils zeremonielle Funktionen aus (ÖB New Delhi 11.2022; vgl. FH 2024). Die Macht liegt in den Händen des Premierministers, welcher von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt wird (ÖB New Delhi 11.2022; vgl. AA 30.8.2023; BS 19.3.2024). Zudem untersteht das Militär, welches zwar für die äußere Sicherheit zuständig ist, aber auch für interne Sicherheitsanforderungen eingesetzt werden kann, dem Premierminister, der [bisher] gleichzeitig Verteidigungsminister ist (AA 30.8.2023). Das nationale Parlament (Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer, die sich aus 350 Mitglie dern zusammensetzt, von denen 300 in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählt werden. Die verbleibenden 50 Sitze sind für Frauen reserviert, die von den vorgenannten Abgeordneten gewählt werden (ÖB New Delhi 11.2022; vgl. DFAT 30.11.2022). Direkte Wahlen zum Einkam merparlament, an denen alle Bürger ab dem 18. Lebensjahr teilnehmen können, finden in der Regel alle fünf Jahre statt (AA 30.8.2023). Bangladesch hat ein Mehrparteiensystem (FH 2024). Die Anwendung des reinen Mehrheits wahlrechts hat allerdings die Herausbildung zweier dominierender und konkurrierender Par teien, der „ Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) und der „Awami League“ (AL), begünstigt (AA 30.8.2023; vgl. ÖB New Delhi 11.2022). Offiziell war Bangladesch damit 1991 nach Militärherr schaften zu einem parlamentarischen System zurückgekehrt, doch persönliches Charisma und verfassungsrechtliche Bestimmungen führten zur Konzentration der Macht in den Händen der jeweiligen Premierministerinnen, Khaleda Zia (BNP, 1991-1996, 2001) oder Sheikh Hasina (AL, 1996-2001, 2008 bis 2024) (BS 19.3.2024; vgl. ÖB New Delhi 11.2022, FH 2024). Persönliche Animositäten zwischen diesen beiden Machthaberinnen, Machtkämpfe um jeden Preis und ein 2

Vertrauensdefizit zwischen den Parteien mündeten in einer schädlichen politischen Kultur (BS 19.3.2024; vgl. DFAT 30.11.2022; FH 2024), während die demokratischen Institutionen entweder nicht vorhanden oder stark geschwächt blieben (BS 19.3.2024). Während die BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der „ Bangladesh Jamaat-e- Islami“ hat, bekam die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei (LDP) und der national-sozialen Partei „ Jatiyo Samajtantrik Dal“ (JSD) (ÖB New Delhi 11.2022). Allgemein wird die BNP eher der konservativ- religiösen Seite zugeschrieben, hingegen die AL eher als links und säkular (ÖB New Delhi 11.2022; vgl. DFAT 30.11.2022).Stark hierarchische Führungsstrukturen, in denen familiäre Bindungen, persönliche Loyalitäten und geschäftliche Verbindungen von großer Bedeutung sind, prägen alle Parteien (AA 30.8.2023; vgl. FH 2024). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, indem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB New Delhi 11.2022; vgl. DFAT 30.11.2022). Auch lokale Regierungen können ob ihrer Kompetenzen in kommunaler Entwicklung, Sozial fürsorge sowie Recht und Ordnung das tägliche Leben der Bürger erheblich beeinflussen. Da die bangladeschische Politik in hohem Maße auf Klientelismus beruht, ist Loyalität, vor allem gegenüber der Regierung, sehr wichtig. Oft sind persönliche Ergebenheiten zu lokalen Politikern entscheidend, um Zugang zu grundlegenden Gütern und Dienstleistungen (z.B. in Bezug auf Grund und Boden, Sozialhilfe, Arbeitsplätze) zu erhalten (DFAT 30.11.2022). Ebenso sind Ge werkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung parteipolitisch durchdrungen (AA 30.8.2023). Das Militär und Großunternehmen nutzen ihren erheblichen politischen Einfluss, um ihre jewei ligen Interessen zu schützen (BS 19.3.2024). Durch Gewährung von weitreichenden wirtschaft lichen Betätigungsmöglichkeiten und Beförderungen konnte Sheikh Hasina das Militär für sich gewinnen. Zunehmend machte die Regierung auch erhebliche Zugeständnisse an den weiter er starkenden konservativen Islam, auch, weil sich das entstandene Vakuum auf Oppositionsseite als Nährboden für islamistischen Terrorismus erweist (AA 30.8.2023; vgl. BS 19.3.2024). Aus der Auseinandersetzung mit der BNP ist die AL als klarer Sieger hervorgegangen. Sie führ te seit 2009 - mit Wiederwahlen 2014 und 2018 - die im Übrigen aus sehr kleinen Parteien bestehende Regierungskoalition an (AA 30.8.2023; vgl. ÖB New Delhi 11.2022). Die Parla mentswahlen vom 30.12.2018 brachten einen überwältigenden Sieg für die von der AL geführte Regierungskoalition (ÖB New Delhi 11.2022). Sie erhielt 96 Prozent der Stimmen und gewann 288 der 298 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 31.12.2018; vgl. BS 23.2.2022; Dhaka Tribune 31.12.2018; ÖB New Delhi 11.2022). Lokale wie internationale Medien berich teten allerdings über massive Wahlmanipulationen durch AL-Kader (BS 23.2.2022). Während des Wahlkampfes gab es viele glaubwürdige Berichte über Schikanen, Einschüchterungen, willkürliche Verhaftungen und Gewalt, die es Oppositionskandidaten und ihren Anhängern er schwerten, sich zu treffen, Kundgebungen abzuhalten oder ungehindert Wahlkampf zu betreiben (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023; FH 2024; BS 19.3.2024). Laut einer Einschätzung von 3

westlichen Diplomaten kam es zu massiven Manipulationen in einem bisher nie da gewesenen Ausmaß (ÖB New Delhi 11.2022). Auch die Bertelsmann-Stiftung spricht von der am stärksten manipulierten Wahl der Landesgeschichte. Aufgrund dieser gravierenden Defizite könne die Regierung demnach auch nicht als demokratisch gewählt bezeichnet werden (BS 23.2.2022; vgl. BS 19.3.2024). Regierung, Parlament, Verwaltung und weitere Institutionen waren seitdem fest in der Hand der AL, die mit einer verfassungsändernden Dreiviertelmehrheit regierte. Zudem wurden Zi vilgesellschaft, die Judikative und Medien immer weiter gleichgeschaltet (AA 30.8.2023). Die Schwächen der staatlichen Institutionen schränkten eine Kontrolle der Entscheidungen der AL ein. Der geringe Anteil an Oppositionellen im Parlament reduzierte auch die Kontrollmöglichkei ten der Opposition in Hinblick auf Regierungspolitik, den Haushalt und die Gesetzesinitiativen signifikant (FH 2024; vgl. AA 30.8.2023). Im Vergleich zu 2018 hatte die Regierung zuletzt die Restriktionen bei Demonstrationen wieder gelockert, die BNP konnte 2023 zu Beginn einige große Protestmärsche abhalten. Mit der Ankündigung eines Wahlboykotts und der Abhaltung von Streiks und Blockaden als Protest gegen den Wahlprozess wurde dieser Raum wieder signifikant beschränkt. Allein zwischen Oktober und Dezember 2023 sollen 20.000 Oppositionsmitglieder verhaftet worden sein (FH 2024). Der AL-Regierung gelang es, ihren autoritären Kurs durch das Wirtschaftswachstum und den Ausbau der Infrastruktur der letzten Jahre zu legitimieren (BS 19.3.2024; vgl. Zeit Online 6.8.2024). Das Land hat in den letzten Jahren beachtliche Erfolge in Wirtschaft und Entwick lung erreicht, von denen auch die ärmeren Bevölkerungsschichten profitierten (AA 30.8.2023). Sheikh Hasina wird die Modernisierung des Landes zugeschrieben. Für die Bevölkerung galt sie lange als ein Garant für Stabilität und Bollwerk gegen Islamisten (Zeit Online 6.8.2024). Zuletzt war, auch bedingt durch die Covid-19-Pandemie und die gestiegene Inflation, die Armut jedoch wieder angestiegen (AA 30.8.2023). Wahl 2024 und Sturz der AL-Regierung Tatsächlich boykottierten die großen Oppositionsparteien die Parlamentswahl im Jänner 2024 auch wie angekündigt und Sheikh Hasina gelang es, sich für eine vierte Amtszeit die Funktion der Premierministerin zu sichern (vgl. ABC News 3.8.2024, Zeit Online 6.8.2024). Im Juli 2024 brachen allerdings Massenproteste und Unruhen aus. Ihren Ursprung nahmen sie in Studentenprotesten gegen eine Quotenregelung für die Vergabe von Posten im öffentlichen Dienst, die nach Ansicht der Demonstranten Unterstützer von Sheikh Hasina bevorzugte (Zeit Online 8.8.2024). Die Regelung hätte eine 30-prozentige Quote bei Anstellungen im öffentlichen Dienst für Nachkommen von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges vorgesehen (ABC News 3.8.2024). Gerade aber durch das brutale Vorgehen gegen die Proteste entwickelten sich diese erst in eine breite Bewegung für den Rücktritt der Regierungschefin (BBC 12.8.2024; vgl. Zeit Online 8.8.2024, ABC News 3.8.2024). Nachdem bei Straßenschlachten zwischen Demonstranten, 4

Sicherheitskräften und dem Studenten-Flügel der regierenden AL verschiedenen Schätzungen zufolge mindestens 300 Menschen ums Leben kamen, darunter Studenten und Polizisten, aber auch Unbeteiligte und Kinder, schlossen sich immer mehr Bevölkerungsgruppen an (Zeit Online 6.8.2024; vgl. ABC News 3.8.2024). Bereits Ende Juli wurde von mehr als 4.000 Verhafte ten berichtet (BBC 26.7.2024). Einige Medien sprachen von 11.000 Verhafteten (ABC News 3.8.2024). Schlussendlich floh die Premierministerin am 6. August nach der Stürmung ihrer Re sidenz durch Demonstranten nach Indien. Zuletzt hatten auch Aussagen pensionierter Militärs in den Medien darauf hingedeutet, dass die Unterstützung des Militärs im Angesicht der Gewalt gegen Demonstranten bröckelte. So ist jenes nun auch bestrebt, sich aufseiten des Volkes zu präsentieren (Zeit Online 6.8.2024). Mit dem Rückhalt des Militärs wurde der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus nach seiner Rückkehr aus seinem Exil in Frankreich als Übergangsregierungschef vereidigt. Damit wurde eine Forderung der Protestierenden angenommen. Yunus soll die Regierungsgeschäf te bis zu Neuwahlen führen, deren Abhaltung er innerhalb weniger Monate ankündigte. Dem Wirtschaftswissenschaftler wurde 2006 der Friedensnobelpreis verliehen, aufgrund seiner Ent wicklung eines Systems der Vergabe von Mikrokrediten in den 1980er Jahren (Zeit Online 8.8.2024). Dessen ungeachtet war der harte Kritiker der vorigen Regierung zu einem halben Jahr Haft verurteilt worden, seiner Aussage nach, aufgrund politisch fingierter Gründe (BBC 12.8.2024). Das Chaos im Land und die Sicherheitslage sind damit noch nicht beruhigt. Als Reaktion auf den Umsturz streikte die Polizei und die zuvor demonstrierenden Studenten übernahmen Aufgaben wie die Regulierung des Straßenverkehrs (BBC 12.8.2024). Der Oberste Richter Bangladeschs und weitere Richter des Supreme Courts traten hingegen auf Druck der Anführer der Studen tenproteste zurück (AP 12.8.2024). Im Zuge der Proteste wurden, besonders nach dem Umsturz, Hindus sowie deren Tempel, Geschäfte und Häuser von Mobs angegriffen (ToI 9.8.2024; vgl. DW 10.8.2024, India Today 12.8.2024). Hindus gelten mehrheitlich als Unterstützer der Regierung, die den Säkularismus betonte. Allerdings mobilisierten sich Vertreter der bangladeschischen Zivilgesellschaft um die hinduistischen Minderheit zu schützen (DW 10.8.2024; BuS 11.8.2024). Medien berichten eben so von Übergriffen auf Einrichtungen und lokale Führungspersonen der AL (BuS 11.8.2024). Die Sorge vor einem Erstarken islamistischer Organisationen besteht nicht nur im Nachbarland Indien und unter den religiösen Minderheiten (India Today 12.8.2024) - so ist die islamistische Oppositionspartei Jamaat-e-Islami für breite Angriffe auf die hinduistische und christliche Min derheit mit um die Hundert Toten in den 2010er Jahren verantwortlich (USGPO 30.4.2015; vgl. SADF 2.3.2017, AI 6.3.2013), sondern auch in der bangladeschischen Bevölkerung selbst (Zeit Online 6.8.2024). Die Nominierung von Yunus wird dabei als positives Zeichen gewertet (DW 10.8.2024; vgl. ToI 9.8.2024). 5

Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.8.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Juli 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/20972 49/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrep ublik_Bangladesch,_30.08.2023.pdf, Zugriff 9.8.2024 [Login erforderlich] ■ ABC News - Australian Broadcasting Corporation News (3.8.2024): Protests and violence break out again in Bangladesh amid calls for the government’s resignation, https://abcnews.go.com/Int ernational/wireStory/protests-continue-bangladesh-amid-outrage-crackdown-112535941 , Zugriff 13.8.2024 ■ AI - Amnesty International (6.3.2013): Bangladesh: Wave of violent attacks against Hindu minority, https://www.amnesty.org/en/latest/press-release/2013/03/bangladesh-wave-violent-attacks-against -hindu-minority, Zugriff 14.8.2024 ■ AP - Associated Press (12.8.2024): Bangladesh’s chief justice resigns under pressure as Yunus-led interim government starts working, https://apnews.com/article/bangladesh-hasina-yunus-student-p rotest-chief-justice-9b3f6070d35e60e5e4bd9b47d9976690 , Zugriff 14.8.2024 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (12.8.2024): Yunus: I will help make students’ dream for Bangladesh come true, https://www.bbc.com/news/articles/c89w7gd2j7no, Zugriff 13.8.2024 ■ BBC - British Broadcasting Corporation (26.7.2024): Bangladeshi police remove three protest leaders from hospital, https://www.bbc.com/news/articles/c6p21g8863no, Zugriff 12.8.2024 ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Bangladesh Country Report, https://bti-project.org /en/reports/country-report/BGD, Zugriff 9.8.2024 ■ BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report: Bangladesh, https://www.ecoi.net /en/file/local/2069721/country_report_2022_BGD.pdf, Zugriff 12.4.2023 ■ BuS - Business Standard (11.8.2024): ‘Persecution’ of Hindus in Bangladesh: Fake posts uncovered by BBC, https://www.tbsnews.net/bangladesh/persecution-hindus-bangladesh-fake-posts-uncover ed-bbc-914141, Zugriff 14.8.2024 ■ DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (30.11.2022): DFAT Country Information Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2086697/country-information-report-banglad esh.pdf, Zugriff 18.4.2023 ■ Dhaka Tribune - Dhaka Tribune (31.12.2018): Nearly 80% voter turnout, https://archive.dhakatribu ne.com/bangladesh/election/2018/12/31/nearly-80-voter-turnout , Zugriff 18.4.2023 ■ DW - Deutsche Welle (10.8.2024): Indien: Suche nach neuer Strategie für Bangladesch, https: //www.dw.com/de/indien-suche-nach-neuer-strategie-für-bangladesch/a-69898145 , Zugriff 13.8.2024 ■ FH - Freedom House (2024): Bangladesh: Freedom in the World 2024 Country Report, https: //freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2024, Zugriff 9.8.2024 ■ FH - Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/d e/dokument/2088488.html, Zugriff 18.4.2023 ■ Guardian - The Guardian (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as ’farcical’, https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-electio n-polls-open-after-campaign-marred-by-violence , Zugriff 18.4.2023 ■ India Today - India Today (12.8.2024): Bangladesh unrest gives rise to threat of terror organisations to India, https://www.indiatoday.in/india/story/bangladesh-unrest-gives-rise-to-threat-of-terror-org anisations-to-india-2581007-2024-08-12 , Zugriff 13.8.2024 ■ ÖB New Delhi - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (11.2022): Bangladesch Asyllän derbericht, https://www.ecoi.net/en/file/local/2090012/BANG_ÖB-Bericht_2022_11.docx , Zugriff 12.4.2023 [Login erforderlich] ■ SADF - South Asia Democratic Forum (2.3.2017): Facing Jamaat-e-Islami* in Bangladesh - A global threat in need of a global response, https://www.sadf.eu/wp-content/uploads/2017/03/POLICY-BRI EF.N.5.JeI_.pdf, Zugriff 14.8.2024 ■ ToI - Times of India, The (9.8.2024): ’We stand against’: UN chief condemns racial violence amid attacks on Hindus in Bangladesh, https://timesofindia.indiatimes.com/world/south-asia/we-stand-a gainst-un-chief-condemns-racial-violence-amid-attacks-on-hindus-in-bangladesh/articleshow/11 2392467.cms, Zugriff 14.8.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089131.html, Zugriff 18.4.2023 6
