2025-09-15-coi-cms-laenderinformationen-tunesien-version-9-44d8
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Disclaimer Das gegenständliche Produkt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt. Das Country of Origin Information - Content Management System (COI-CMS) ist eine Da tenbank mit COI-Inhalten, welche beruhend auf den Bedürfnissen in Verfahren des Asyl- und Fremdenwesens (BFA, BVwG etc.) mit Informationen aus vorhandenen, vertrauenswürdigen und vorrangig öffentlichen Quellen und gemäß den Standards der Staatendokumentation befüllt wird. Das COI-CMS gibt eine einzelfallunabhängige Darstellung über die Lage betreffend rele vanter Tatsachen in Herkunftsländern bzw. in EU-Mitgliedsstaaten. Der jeweilige Bedarfsträger kann aus dem COI-CMS Länder und Themen selektieren und so die für den spezifischen Bedarf relevante Länderinformation zusammenstellen. Das COI-CMS dient den Bedarfsträgern der Instanzen des Asyl- und Fremdenwesens. Es gilt § 5 Abs. 5 BFA-G, d.h. das COI-CMS ist nicht Teil der allgemein zugänglichen, öffentlichen Staatendokumentation. Fallspezifisch relevante Kapitel aus dem COI-CMS werden aber der jeweiligen Partei durch Parteiengehör zugänglich und durch Verwendung in Entscheidungen (Bescheid, Erkenntnis, Urteil) öffentlich gemacht. Wie bereits erwähnt, ist dieses Produkt als Arbeitsbehelf für österreichische Behörden und Ge richte entworfen worden. In diesem Sinne stehen Lesbarkeit, flexible Nutzbarkeit und einfache Verwertbarkeit in Entscheidungen im Vordergrund. Grundsätzlich wird jede Information mit min destens einer Quelle belegt; aus vorgenannten Gründen wird jedoch auf die Hervorhebung von Originalzitaten verzichtet – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich daraus für die Entscheidungs findung kein Mehrwert ergibt. Das gegenständliche Produkt erhebt bezüglich der zur Verfügung gestellten Informationen kei nen Anspruch auf Vollständigkeit. Aus dem vorliegenden Produkt ergeben sich keine Schlussfol gerungen für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Verfahrens. Das COI-CMS stellt keine allgemeine oder individuelle Entscheidungsvorgabe dar. Das vorliegende Dokument kann ins besondere auch nicht als politische Stellungnahme seitens der Staatendokumentation oder des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gewertet werden. Qualitäts- und Aktualisierungshinweis Die einzelnen Kapitel werden gemäß vorliegenden Ressourcen möglichst aktuell gehalten. Eine Gesamtaktualisierung eines Landes erfolgt alle 12 Monate. Bei bestimmten Ländern wird zu sätzlich eine Teilaktualisierung durchgeführt, die in der Regel sechs Monate nach der Gesamtak tualisierung durchgeführt wird. Sollten es in einem Land zu einer kurzfristigen und maßgeblichen Änderung der Lage kommen, können zusätzliche Aktualisierungen durchgeführt werden. Die Aktualität der verwendeten Quellen wird seitens der Staatendokumentation überprüft. Folglich können auch verwendete Quellen älteren Datums als inhaltlich aktuell erachtet werden. II

Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische Bei den von der Staatendokumentation bereitgestellten Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische handelt es sich um Arbeitszusammenfassungen. Anderes als bei den automati schen Übersetzungen (siehe unten) werden diese einer eigenen Überprüfung unterzogen. Die Staatendokumentation ist bemüht, dass die jeweiligen deutsch- und englischsprachigen Versionen (so vorhanden) zum selben Zeitpunkt veröffentlicht werden. Jedoch kann es, aufgrund der umfangreichen Qualitätssicherung vorkommen, dass sich das Datum der Veröffentlichung der beiden Versionen geringfügig unterscheidet. Es sei darauf verwiesen, dass trotz eines möglichen geringfügig unterschiedlichen Veröffentlichungsdatums, der Inhalt der deutsch- und englischsprachigen Version derselbe ist. Automatische Übersetzungen Bei der automatischen Übersetzung handelt es sich um eine maschinelle Übersetzung einer Län derinformation mittels einer Übersetzungssoftware, in eine vom Nutzer festgelegte Zielsprache. Diese Übersetzung wird, da vom Nutzer direkt generiert, weder im Hinblick auf Grammatik und Rechtschreibung noch auf Sinnerhaltung kontrolliert und soll lediglich dazu dienen, einen Ein druck über den Inhalt des Originaldokuments bzw. der verwendenten Quellen zu erlangen. Die Staatendokumentation übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der maschinellen Über setzung. Sollte das Produkt vom Nutzer für eine weitere Verwendung herangezogen werden, insbesondere für eine behördliche Entscheidung, so wird dringend empfohlen die Übersetzung durch einen professionellen Übersetzer kontrollieren bzw. durchführen zu lassen. Qualitätssicherung der maschinellen Übersetzung von DeepL Die Übersetzung, welche nicht als „ automatische Übersetzung“ ausgewiesen wird, wurde von einer/einem professionellen Übersetzer/in qualitätsgesichert. Etwaige in der Übersetzung ent stehende Unstimmigkeiten oder Differenzen sind nicht bindend und haben keine rechtliche Wirkung für Compliance- oder Durchsetzungszwecke. Sollten Fragen zur Richtigkeit der quali tätsgesicherten Übersetzung entstehen, nehmen sie bitte Kontakt mit der Staatendokumentation des BFA unter BFA-Staatendokumentation@bmi.gv.at auf. III

Inhalt 1 Länderspezifische Anmerkungen 1 2 Politische Lage 1 3 Sicherheitslage 2 4 Rechtsschutz / Justizwesen 4 5 Sicherheitsbehörden 6 6 Folter und unmenschliche Behandlung 8 7 Korruption 10 8 NGOs und Menschenrechtsaktivisten 12 9 Wehrdienst und Rekrutierungen 14 10 Allgemeine Menschenrechtslage 15 10.1 Meinungs- und Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 10.2 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 10.3 Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 11 Haftbedingungen 23 12 Todesstrafe 24 13 Religionsfreiheit 25 14 Ethnische Minderheiten 27 15 Relevante Bevölkerungsgruppen 28 15.1 Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 15.2 Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 15.3 Sexuelle Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 16 Bewegungsfreiheit 36 17 Grundversorgung und Wirtschaft 37 18 Medizinische Versorgung 41 19 Rückkehr 42 19.1 Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . 43 20 Impressum 45 20.1 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 20.2 Hinweis zum Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 IV

20.3 Veröffentlichte Versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V

1 Länderspezifische Anmerkungen Letzte Änderung 2025-02-27 17:09 Tunesien wird in Österreich laut Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) derzeit als sicherer Herkunftsstaat geführt. Aufgrund von Entwicklungen in Tunesien ist derzeit eine Über prüfung der Eigenschaft als sicherer Herkunftsstaat anhängig. 2 Politische Lage Letzte Änderung 2025-02-26 13:47 Die politische Lage ist angespannt. Tunesien, einst als einzige Demokratie aus dem Arabischen Frühling 2011 hervorgegangen, erlebt seit 2019 unter Präsident Saïed einen politischen Wandel. Er hat seine Machtbefugnisse kontinuierlich ausgebaut. 2021 löste Saïed das Parlament auf - ein Schritt, den die Opposition als Staatsstreich bezeichnet hat. Anschließend ließ er die Verfassung zu seinen Gunsten ändern. Saïed weist Kritik an seinem Kurs zurück, nach eigenen Angaben kämpft er gegen eine korrupte Elite im Land (Tagesschau 7.10.2024). Bei der Präsidentschaftswahl am 6. Oktober 2024 wurde Amtsinhabers Kaïs Saïed mit 90,69 % der Stimmen wiedergewählt (HRW 16.1.2025; vgl. Tagesschau 7.10.2024, JoD 10.2024), er gewann so eine zweite fünfjährige Amtszeit (JoD 10.2024). Die Wahlbeteiligung lag nach Anga ben der Wahlkommission bei 28,8 % (HRW 16.1.2025; vgl. Tagesschau 7.10.2024) und damit nur halb so hoch wie bei der Stichwahl um das Präsidentenamt 2019 (Tagesschau 7.10.2024). Die Opposition hat die Ergebnisse angezweifelt. Allerdings hatte der seit Jahren zunehmend autoritär herrschende Saïed im Grunde keine echte Konkurrenz. Seine Wiederwahl galt als sicher (Tagesschau 7.10.2024). Die Behörden haben die Integrität der Präsidentschaftswahlen untergraben, indem sie das Wahl gesetz nur wenige Tage vor der Wahl änderten (HRW 3.10.2024); und auch der Wahlkampf war von mehreren juristischen Auseinandersetzungen überschattet. Folglich kamen bereits vor der Abstimmung Zweifel an deren Legitimität auf (DW 7.10.2024). Mehrere von der Wahlbehörde abgelehnte Kandidaten hatten Widerspruch gegen ihre Ablehnung eingereicht, dreien von ihnen gab das zuständige Verwaltungsgericht recht. Die Wahlbehörde ISIE, deren Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden, weigerte sich jedoch, die drei Kandidaten ins Rennen aufzuneh men (DW 7.10.2024; vgl. HRW 16.1.2025, DW 9.9.2024). Infolgedessen verabschiedete das Parlament zudem zehn Tage vor der Wahl eine Gesetzesänderung (DW 7.10.2024; vgl. HRW 3.10.2024) und entzog dem Verwaltungsgericht die Zuständigkeit für Wahlanliegen - offenbar mit dem Ziel, zu verhindern, dass es die Abstimmung im Nachhinein für ungültig erklären würde (DW 7.10.2024). Im Vorfeld der Wahlen wurden die Repressionen gegen mehrere Gegner Saïed verschärft. Es wurden mindestens zehn Kandidaten und deren Mitglieder im Wahlkampfteam verurteilt oder verhaftet, während andere schikaniert und eingeschüchtert wurden (HRW 16.1.2025). Es kam auch zu willkürlichen Maßnahmen gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft (HRW 3.10.2024). 1

Im August 2024 ließ der Wahlausschuss nur drei Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen zu und lehnte 14 andere ab (HRW 16.1.2025; vgl. DW 9.9.2024). Saïeds einzige Gegenkandidaten (Tagesschau 7.10.2024), seinen ehemaligen Verbündeten und heutigen Kritiker, der Chef der Chaab-Partei, Zouhair Maghzaoui, sowie Ayachi Zammel (DW 7.10.2024), erzielten bei der Wahl nur einstellige Ergebnisse (Tagesschau 7.10.2024). Letzterer galt als aussichtsreicher Herausforderer, bis er im Vormonat verhaftet und zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden ist (DW 7.10.2024). Der liberale Industrielle Ayachi Zammel kam demnach auf 6,9 % der Stimmen, der frühere Abgeordnete Zouhair Maghzaoui holte 3,9 % (Tagesschau 7.10.2024). Bürgerliche Wahlbeobachtungsgruppen, die während des demokratischen Übergangs in Tune sien Erfahrungen mit der Überwachung von Wahlen gesammelt hatten, bewarben sich um die Beobachtung der Wahlen 2024. Die Wahlkommission lehnte jedoch die meisten ihrer Anträge mit der Begründung ab, dass sie verdächtige ausländische Gelder erhalten hätten (JoD 10.2024). Die tunesische Wahlkommission, die Saïed 2022 umstrukturiert hat, um sie seiner Kontrolle zu unterstellen, verweigerte zwei führenden Wahlbeobachtungsgruppen, I Watch und Moura kiboun, willkürlich die Akkreditierung unter dem Vorwand einer „ verdächtigen ausländischen Finanzierung“. Gegen beide Gruppen wird nun ermittelt (HRW 16.1.2025). Quellen ■ DW - Deutsche Welle (7.10.2024): Präsidentenwahl in Tunesien: Große Mehrheit fuür Saied, https: //www.dw.com/de/präsidentenwahl-in-tunesien-große-mehrheit-für-saied/a-70422833 , Zugriff 21.1.2025 ■ DW - Deutsche Welle (9.9.2024): Tunesien: Präsidentschaftswahlen ohne Opposition, https://www. dw.com/de/tunesien-wie-präsident-saied-vor-den-wahlen-die-opposition-zerschlägt/a-70169867 , Zugriff 21.1.2025 ■ HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2120124.html, Zugriff 21.1.2025 ■ HRW - Human Rights Watch (3.10.2024): Tunisia: Authorities Undermine Election Integrity, https: //www.ecoi.net/de/dokument/2117488.html, Zugriff 28.11.2024 ■ JoD - Journal of Democracy (10.2024): Tunisia’s Insecure Strongman, https://www.journalofdemoc racy.org/online-exclusive/tunisias-insecure-strongman , Zugriff 21.1.2025 ■ Tagesschau - Tagesschau (7.10.2024): Tunesiens Präsident Saied wiedergewählt, https://www.ta gesschau.de/ausland/asien/tunesien-wahl-118.html, Zugriff 21.1.2025 3 Sicherheitslage Letzte Änderung 2025-02-26 14:47 Die Sicherheitslage in Tunesien ist vor allem in den südlichen Wüstengebieten (Grenze zu Li byen und Algerien) angespannt, sowie entlang der Grenze zu Algerien im Westen des Landes, dort vor allem im Gebiet um den Jebel Chaambi westlich von Kasserine. Das Risiko von terroris tischen Anschlägen ist weiterhin gegeben, es ist aber eine spürbare Verringerung in den letzten Jahren feststellbar. Das Jahr 2015 bildete mit drei großen Anschlägen einen Höhepunkt, seitdem kam es zu einer deutlichen Reduktion terroristischer Aktivitäten. Die Terrorismusbekämpfung und die Sicherheit an den Grenzen gehören somit weiterhin zu den wichtigsten Prioritäten der tunesischen Regierung. Die tunesischen Behörden haben eine Reihe von Maßnahmen getrof fen, um Terrorzellen zu zerschlagen, insbesondere wurde die Präsenz der Sicherheitskräfte im 2

Land erhöht. Die Zahl der Terroranschläge in Tunesien ist in der Folge in den letzten Jahren zurückgegangen, da sich die Sicherheitsstrukturen des Landes erheblich verbessert haben, was zu einer Stabilisierung der Lage geführt hat. Gemäß GTI wird Tunesien in den Jahren 2019, 2022 und 2023 als Land mit einem Terrorismusrisiko von „ niedrig“ bewertet, nur das Jahr 2021 bildet mit einer Bewertung von „ mittel“ eine Ausnahme (STDOK 27.6.2024). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 10.12.2024; vgl. BMEIA 10.12.2024). Nach anderen Angaben bleiben die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Kampf gegen den Terrorismus trotz vermehrter Anstren gungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach mehreren Anschlägen 2015 und einem schweren Angriff von IS-Milizen auf die Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 hat sich die Sicherheitslage zwar verbessert (AA 22.6.2023), bleibt jedoch besonders angespannt (AA 10.12.2024) und es kommt immer wieder zu Anschlägen (AA 22.6.2023). Mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz in in Ben Guerdane und der umliegen den Region zu rechnen (AA 10.12.2024). Im Mai 2023, verübte ein Angehöriger der maritimen Nationalgarde einen Anschlag während einer jüdischen Wallfahrt an der La Ghriba-Synagoge und tötet 5 Menschen (AA 22.6.2023). Im Juni 2022 wurden zwei Sicherheitskräfte bei einem Messerangriff im Zentrum von Tunis verletzt (EDA 10.12.2024). Der nach der Attentatsserie von 2015 verhängte Ausnahmezustand ist nach wie vor in Kraft, wird regelmäßig verlängert und gilt im ganzen Land (BMEIA 10.12.2024). Er gewährt den Si cherheitsbehörden einen erweiterten Handlungsspielraum, der von der Zivilgesellschaft kritisch beobachtet wird (ÖB Tunis 10.2022). Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit zu rechnen (AA 10.12.2024). Laut österreichischem Außenministerium gilt für eigene Staatsbürger eine partielle Reisewar nung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Vereinzelte Aktionen von terroristisch motivierten Einzeltätern können nicht ausgeschlossen werden. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Grenzbereich zu Algerien ist mit verstärkter Militär- und Po lizeipräsenz zu rechnen. Darüber hinaus kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen in der Region Kasserin/Gebirgsmassiv Chaambi, dem Rückzugsgebiet der verbliebenen Terroris tengruppen (BMEIA 10.12.2024). Ferner besteht südlich, bzw. südöstlich in den Sperrzonen der Grenzgebiete zu Algerien und Libyen sowie abseits der Touristenzentren am Rande der Sahara ein erhöhtes Entführungsrisiko (BMEIA 10.12.2024; vgl. AA 10.12.2024). Landesweit kommt es regelmäßig zu v. a. wirtschaftlich und sozial motivierten, oftmals spon tanen Protesten, die nicht selten auch in Gewalt umschlagen. Gegen den Staatsumbau von Staatspräsident Saïed kam es im Laufe des Jahres 2022 und rund um die Parlamentswahlen zu Jahresbeginn 2023 zu regelmäßigen Protesten der Ennahdha und anderen Oppositions parteien/-bündnissen, die jedoch friedlich blieben und merklich abgeflaut sind (AA 22.6.2023). 3

Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften können aber weiter nicht ausgeschlossen werden (AA 10.12.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.12.2024): Auswärtiges Amt, https://www.auswaertiges-amt .de/de/ReiseUndSicherheit/tunesiensicherheit/219024#content_5, Zugriff 10.12.2024 ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (10.12.2024): Tunesien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/tunesien , Zugriff 10.12.2024 ■ EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (10.12.2024): Rei sehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/t unesien/reisehinweise-fuertunesien.html#eda931a7d, Zugriff 10.12.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (27.6.2024): Themenbericht der Staatendokumentation: Terrorismus Nordafrika 4 Rechtsschutz / Justizwesen Letzte Änderung 2025-02-26 14:57 Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektiert die Unabhängig keit und Unparteilichkeit der Justiz nicht (USDOS 23.4.2024). Seit der Machtergreifung durch Präsident Saïed im Juli 2021 wurde die Unabhängigkeit der Justiz immer weiter untergraben, bis hin zur völligen Aufhebung (BS 19.3.2024). Im Jahr 2022 löste Saïed den Hohen Justizrat (HJC), Tunesiens höchstes Justizorgan, auf (FH 29.2.2024; BS 19.3.2024). Der Oberste Justizrat hatte den Auftrag, das ordnungsgemäße Funktionieren des Justizsystems und die Wahrung seiner Unabhängigkeit durch seine Aufsichts- und Beratungsfunktion zu gewährleisten (BS 19.3.2024). Während die Verfassung von 2022 sowohl den Obersten Justizrat als auch das Verfassungs gericht dem Namen nach beibehielt, räumte sie dem Präsidenten die endgültige Befugnis zur Ernennung und Entlassung von Richtern nach der Ernennung durch den Obersten Justizrat ein (FH 29.2.2024; vgl. BS 19.3.2024). Zudem wurde in der neuen Verfassung eine Klausel aus der Verfassung von 2014 gestrichen, die dem Verfassungsgericht die Befugnis einräumte, über den Umfang der Befugnisse des Präsidenten zu entscheiden (FH 29.2.2024). Ferner wurde das Gesetzesdekret 2022-35 erlassen, das den Präsidenten ermächtigt, Richter zu entlassen (FH 16.10.2024). Im Juni wurde vonseiten der Richter gestreikt, um gegen die Säuberung der Justiz durch den Präsidenten zu protestieren (FH 29.2.2024). Weiters sieht die Verfassung keine Möglichkeit vor, den Präsidenten zur Rechenschaft zu zie hen, selbst bei schwerwiegenden Verstößen, wie dies zuvor durch Artikel 88 der Verfassung von 2014 gewährleistet war, der es dem Parlament ermöglichte, einen Antrag auf Amtsent hebung zu stellen. Im Gegenzug ist der Präsident berechtigt, das Parlament aufzulösen und sowohl den Regierungschef als auch die anderen Mitglieder der Exekutive zu entlassen, die dem Präsidenten und nicht dem Parlament rechenschaftspflichtig sind. Das Parlament ist bis zur 4

Bedeutungslosigkeit geschwächt und fungiert als Kontrollinstanz, da es keine Gesetze erlassen kann, sondern der Regierung lediglich Gesetzesvorschläge unterbreitet (BS 19.3.2024). 2023 setzte Saïed seine Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz mit unbegründeten Verhaf tungen und gerichtlichen Anklagen aus vagen Gründen fort. Saïed hat auch öffentlich Druck auf Richter und Staatsanwälte ausgeübt, damit diese gegen seine Gegner entscheiden (FH 29.2.2024). Bis Ende 2023 hatte die Regierung 57 Richter, die 2022 vom Präsidenten entlassen wurden, weil er sie der Korruption und anderer Verfehlungen beschuldigte (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 16.10.2024), nicht wieder eingestellt, obwohl das Verwaltungsgericht 49 der Entlas sungen für unzulässig erklärt hat. Die Vereinigung der tunesischen Richter (ATM) hat im Juni 2023 eine Sitzblockade organisiert, um gegen die Entlassungen zu protestieren. Im August 2023 wurde der Präsident der ATM, Anas Hamadi, vom Gericht erster Instanz in Kef wegen „ Behinderung der Arbeitsfreiheit“ angeklagt. Die Anklage scheint darauf abzuzielen, Hamadi dafür zu bestrafen, dass er gegen die gerichtlichen Entlassungen von 2022 Berufung eingelegt hatte (USDOS 23.4.2024). Mit der neuen Verfassung wurde auch die Autonomie von Einrichtungen wie der Hohen Behörde für Wahlen und dem Justizrat aufgehoben (BS 19.3.2024). Und so wurde am 27.9.2024, einige Tage vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen vom 6.10.2024, das Wahlgesetz durch die tunesische Versammlung der Volksvertreter - Tunisia’s Assembly of the Representatives of the People – verabschiedet. Dieses entzog dem Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit in Wahl angelegenheiten und hinderte es somit an der Kontrolle von Machtmissbrauch. Somit hat nach Änderungen des Wahlgesetzes von 2024 das Berufungsgericht in Tunis die einzige Zuständig keit für die Beilegung von Wahlstreitigkeiten, wobei gegen die Entscheidungen Berufung beim Kassationsgerichtshof eingelegt werden kann (HRW 3.10.2024). Der von Präsident Saïed erstmals im Juli 2021 verhängte und jedenfalls bis Dezember 2024 verlängerte Ausnahmezustand, verleiht Regierungsbehörden übermäßige Befugnisse (FH 16.10.2024). Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen sind die Behörden verstärkt gegen ver meintliche Kritiker oder Gegner Saïeds vorgegangen (HRW 3.10.2024). Die Justiz ist eigentlich dazu da, Rechte und Freiheiten zu schützen. Die einseitige Kontrolle der Exekutive über die Justiz könnte diese Garantien allerdings gefährden (FH 16.10.2024). Neben Wahlbeobachtern wurden auch Oppositionellen, Bloggern, Journalisten wie auch Aktivisten die Akkreditierung entzogen (FH 16.10.2024; vgl. HRW 3.10.2024). Blogger, Journalisten und Aktivisten wurden während der Berichterstattung wegen der Inhalte, die sie online veröffentlicht hatten, verhaftet. Mehrere Gesetze sehen strafrechtliche Sanktionen für Meinungsäußerungen im Internet vor. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Blogger und Journalisten vor Militärgerichten und nicht vor Zivilgerichten angeklagt (FH 16.10.2024). Militärgerichte werden von zivilen Richtern geleitet, die sich auf das Militärgesetzbuch stützen. Sie verhandeln einerseits Fälle, an denen Angehörige der Sicherheits- oder Streitkräfte beteiligt sind, andererseits solche, wo Zivilisten Verbrechen gegen die nationale Sicherheit oder Ver gehen wie Beleidigung des Präsidenten (als Oberbefehlshaber der Streitkräfte) oder anderer Angehöriger der Streitkräfte vorgeworfen werden. Gegen Entscheidungen der Militärgerichte 5

zu Zivilisten kann beim Kassationsgerichtshof, dem höchsten Berufungsgericht des Landes, das Teil des zivilen Justizsystems ist, berufen werden. Die Internationale Juristenkommission bewertet es als mit internationalen Standards unvereinbar, dass Verhandlungen gegen Zivilisten vor Militärgerichten stattfinden (USDOS 23.4.2024). Das Gesetz sieht das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, doch die Justiz setzt dieses Recht nicht immer durch. Auch laut lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen befolgen Behörden nicht immer. Angeklagten, die nach dem Antiterrorismusgesetz angeklagt worden sind, wurden nicht unverzüglich über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen in formiert. Zudem wurde ihnen das Recht auf ein öffentliches Verfahren, in bestimmten Fällen auch das Recht, mit einem Anwalt zu sprechen, verweigert. Das Gesetz zur Terrorismusbe kämpfung besagt, dass die Richter in Fällen, in denen es um Terrorismus geht, die Öffentlichkeit von Anhörungen ausschließen, Aussagen von anonymen Zeugen zulassen und Informationen über Zeugen, Opfer und andere relevante Personen vertraulich behandeln können, auch ge genüber den Angeklagten und ihren Rechtsbeiständen. Im August 2023 wies der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker die Regierung an, „ alle Hindernisse zu beseitigen“ und vier inhaftierten politischen Gefangenen Zugang zu ihren Rechtsvertretern und Ärzten zu gewähren sowie die Familien und Anwälte der Gefangenen über die Gründe für ihre Inhaftierung zu informieren, nachdem die Familienangehörigen der Inhaftierten beim Gericht der Afrikanischen Union in Tansania Klage eingereicht hatten (USDOS 23.4.2024). Quellen ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Tunisia, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2105847/country_report_2024_TUN.pdf, Zugriff 12.11.2024 ■ FH - Freedom House (16.10.2024): Freedom on the Net 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2116595.html, Zugriff 28.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (3.10.2024): Tunisia: Authorities Undermine Election Integrity, https: //www.ecoi.net/de/dokument/2117488.html, Zugriff 28.11.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 5 Sicherheitsbehörden Letzte Änderung 2025-02-26 15:16 Dem Innenministerium unterstehen die Nationalpolizei und die Nationalgarde. Die National polizei ist für die Strafverfolgung in Großstädten verantwortlich, während die Nationalgarde (Gendarmerie) die Grenzsicherheit überwacht und in kleineren Städten und ländlichen Gebieten patrouilliert. Die Anti-Terrorismus-Brigade der Nationalpolizei und die Spezialeinheit der Natio nalgarde leiten Anti-Terror-Operationen des Innenministeriums (CIA 23.10.2024). Der Sicher heitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011 6
