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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
Organisation gegen Folter und der tunesischen Beobachtungsstelle für Freiheiten Zugang zu den Haftanstalten (USDOS 23.4.2024). Die Dauer der Untersuchungshaft bleibt unvorhersehbar und kann von einem Monat bis zu mehreren Jahren dauern, was laut lokalen und internationalen NGOs vor allem auf langwierige Strafverfolgungsverfahren, Ineffizienz der Justiz und mangelnde Kapazitäten zurückzuführen ist (USDOS 23.4.2024). Die Untersuchungshaft kann bis zu 6 Monate, infolge des überlasteten Justizsystems auch länger dauern. Auch wenn das Gesetz den Schutz von Häftlingen vorsieht und deren Rechte definiert, sind repressive und die Menschenrechte missachtende Praktiken durchaus noch üblich (ÖB Tunis 10.2022). In Fällen von bzw. Straftaten gegen die nationale Sicherheit oder bei Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren, kann die Untersuchungshaft zwischen sechs Monaten und - in einigen seltenen Fällen - mehrere Jahre dauern (USDOS 23.4.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 12 Todesstrafe Letzte Änderung 2025-02-27 11:52 Das tunesische Strafgesetzbuch von 1913 sieht in seiner geltenden Fassung die Todesstrafe für Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge sowie Landesverrat vor (AA 22.6.2023). Neue Straf tatbestände, für die eine Sanktionierung mit der Todesstrafe vorgesehen ist, wurden durch das am 7.8.2015 in Kraft getretene Gesetz gegen Terrorismus und Geldwäsche geschaffen (AA 22.6.2023; vgl. ÖB Tunis 10.2022). Die Todesstrafe ist auch in der neuen 2022 implementierten Verfassung enthalten (ÖB Tunis 10.2022). Eine verfassungsrechtliche oder gesetzliche Aufhebung der Todesstrafe wurde in der Phase des demokratischen Übergangs seit 2011 diskutiert, fand jedoch im Parlament keine Mehrheit (AA 22.6.2023). Tunesien hat zwar den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR-International Covenant on Civil and Political Rights) noch nicht unterschrieben, jedoch war es im November 2012 gemeinsam mit Algerien das einzige arabische Land, welches sich in der UN-Generalversammlung für das Moratorium gegen die Todesstrafe ausgesprochen hat (ÖB Tunis 10.2022). Eine Abschaffung der Todesstrafe bleibt in Tunesien gesellschaftlich jedoch umstritten. In der tunesischen Öffentlichkeit werden immer wieder Forderungen laut, die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufzunehmen (AA 22.6.2023). Präsident Saïed sprach sich im Oktober 2020 für den Beibehalt der Todesstrafe aus (ÖB Tunis 10.2022). 24

Trotz Art. 20 der Verfassung (Recht auf Leben) und trotz des Moratoriums gegen die Vollstre ckung der Todesstrafe haben die tunesischen Gerichte allein 2019 47 Angeklagte zum Tode verurteilt (ÖB Tunis 10.2022). Dies geschieht bei schweren Straftaten wie Mord oder Vergewal tigung mit Todesfolge sowie Terrordelikten. Nach Eindruck von NGOs ist bei der Verhängung von Todesurteilen eine steigende Tendenz zu verzeichnen. Alleine im März 2023 verhängten tunesische Gerichte zehn Todesurteile (AA 22.6.2023). Zwischen Feber 2023 und April 2024 wurde gegen mindestens 50 Personen - darunter Oppositionelle, Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Geschäftsleute - in einem sogenannten Verschwörungsfall ermittelt, der mit hohen Gefängnisstrafen bis hin zur Todesstrafe geahndet werden kann (AI 24.4.2024). Seit 1991 wurde keine Todesstrafe mehr vollstreckt (De-Facto-Moratorium) (AA 22.6.2023; vgl. ÖB Tunis 10.2022, FH 29.2.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights - Tunisia 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2107931.html, Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] 13 Religionsfreiheit Letzte Änderung 2025-02-27 13:22 99 % der Bevölkerung sind Muslime – mehr oder weniger praktizierend. Die meisten sind Sun niten. Neben Muslimen leben in Tunesien rund 25.000 Christen (größtenteils Katholiken), wobei die Gemeinden zum Großteil aus ausländischen Bürgern bestehen, und 1.500 Juden (CIA 23.10.2024; vgl. USDOS 26.6.2024, AA 22.6.2023). Des Weiteren gibt es noch Schiiten und Baha’i (CIA 23.10.2024; vgl. USDOS 26.6.2024). Bis zur Revolution im Jänner 2011 konnte der Islam über die Befolgung der grundlegenden muslimischen Riten hinaus kaum gesellschaft liche und politische Aktivitäten entfalten. Außerhalb der Gebetszeiten blieben die Moscheen geschlossen. Zudem wurden die Freitagspredigten sowie alle religiösen Gemeinschaften vom Staat überwacht. Mit der Revolution ist der Islam im gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes allmählich immer sichtbarer geworden (AA 22.6.2023). In der neuen Verfassung von 2022 wurde die Erwähnung des Islams als „ Staatsreligion“ gestri chen, die in der Verfassung von 2014 enthalten war, in welcher Tunesien jedoch als ziviler Staat auf der Grundlage der Staatsbürgerschaft bekräftigt wurde (BS 19.3.2024). Die Verfassung verpflichtet den Staat, die Ziele des Islams zu unterstützen und zu fördern, und sieht vor, dass „Tunesien Teil der islamischen Umma ist“ und dass der Staat sich für die Verwirklichung der Ziele des Islams einsetzen muss, um „ Leben, Ehre, Eigentum, Religion und Freiheit“ zu schützen (USDOS 26.6.2024). Die Umma ist die Weltgemeinschaft der Muslime. Dieser Bezug auf die 25

Religion und die Ziele des Islams in der Verfassung, gepaart mit der Streichung des Hinweises auf den zivilen Charakter des Staates stellen eine Gefahr für die Freiheiten dar, argumentieren viele NGOs (ÖB Tunis 10.2022). In der Verfassung heißt es außerdem, dass die oben genann ten Verpflichtungen „ im Rahmen eines demokratischen Systems“ verwirklicht werden. Es heißt weiter, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit der Religionsausübung garantiert werden. Die Verfassung schreibt vor, dass der Präsident Muslim sein muss (USDOS 26.6.2024; vgl. ÖB Tunis 10.2022). Sowohl die Verfassung von 2014 als auch die 2022 verab schiedete neue Charta beinhalten also Glaubens- und Gewissensfreiheit, enthalten aber auch Bestimmungen, die dem Islam einen offiziellen Status verleihen (FH 29.2.2024). Am 9.5.2023 wurden mehrere jüdische Personen bei einem Angriff auf die El Ghriba-Synagoge in Djerba getötet, weitere wurden verletzt. Die Regierung hat angekündigt, dass sie den Angriff umfassend untersuchen wird. Am 17.5.2023 traf Präsident Saïed mit den Führern der drei wichtigsten Religionsgemeinschaften des Landes zusammen. Nach Angaben des Oberrabbiners des Landes hat der Präsident versichert, dass sich ein solcher Angriff „ nicht wiederholen wird“. Am 17.10.2023, nach dem Angriff der Hamas auf Südisrael, verunstalteten pro-palästinensische Randalierer eine geschlossene Synagoge und einen Schrein in Zentraltunesien und setzten die Gebäude in Brand. Die örtliche Polizei reagierte, wurde aber vom Mob überwältigt. Bis zum Jahresende 2023 hatten die Behörden noch keine Festnahmen im Zusammenhang mit dem Vorfall gemeldet (USDOS 26.6.2024). Es ist rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Missionierung und das Verteilen religiösen Materials sind der katholischen Kirche jedoch verboten (AA 22.6.2023). Es gibt erheblichen gesellschaftlichen Druck gegen die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion (USDOS 26.6.2024). Einige Christen, insbesondere Konvertiten, berichten von Ab lehnung durch ihre Familien und die Gesellschaft. Es kommt mitunter zu Drohungen, Gewalt und Verbannung aus ihren Häusern (USDOS 26.6.2024). Konvertiten werden häufig schikaniert und diskriminiert (FH 29.2.2024; vgl. USDOS 26.6.2024). Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten, dass die Zahl muslimischer Konvertiten zum Christentum zunimmt, die gesellschaft lichen Tabus jedoch nach wie vor so stark und weit verbreitet sind, dass diese Personen ihren Glaubenswechsel im Allgemeinen lieber geheim halten. Ferner berichten Christen, dass Famili enmitglieder Konvertiten häufig beschuldigen, „ Schande“ über die Familie zu bringen (USDOS 26.6.2024). Gruppen religiöser Minderheiten berichten davon, dass es im Zuge von Vereinsanmeldungen zu teils extremen Verzögerungen in der Verwaltung kommt (USDOS 23.4.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Tunisia, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2105847/country_report_2024_TUN.pdf, Zugriff 12.11.2024 26

■ CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.10.2024): Tunisia - The World Factbook, https://www.ci a.gov/the-world-factbook/countries/tunisia/#military-and-security , Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (26.6.2024): 2023 Report on International Reli gious Freedom: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111975.html, Zugriff 28.11.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 14 Ethnische Minderheiten Letzte Änderung 2025-02-27 13:47 Die Bevölkerung besteht zu 98 % aus Arabern, 1 % Europäern und 1 % Juden und anderen (CIA 23.10.2024). Ein Gesetz aus dem Jahr 2018 stellt rassistische Diskriminierung unter Strafe (FH 29.2.2024; vgl. AA 22.6.2023). Gesetzlich verboten sind alle Formen der Diskriminierung aufgrund von Ras se, einschließlich „ jeglicher Unterscheidung, Ausgrenzung, Einschränkung oder Bevorzugung aufgrund von Ethnie, Hautfarbe, Herkunft“. Das Gesetz bestraft diskriminierende Handlungen mit bis zu drei Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe für Einzelpersonen und einer noch höheren Geldstrafe für juristische Personen wie Unternehmen. Im Jahr 2023 gab es keine Berichte über strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen die Antidiskriminierungsgesetze (USDOS 23.4.2024). In der Praxis sehen sich schwarze Tunesier mit chronischer Ungleichheit bei Beschäftigung und Bildung konfrontiert. Gesellschaftliche Vorurteile sind nach wie vor ein weitverbreitetes Pro blem (FH 29.2.2024; vgl. AA 22.6.2023). Farbige Menschen – darunter schwarze Tunesier und ausländische Migranten – leiden unter Armut, eingeschränktem Zugang zu höherer Bildung und begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihre Situation hat sich im Laufe des Jahres 2023 verschlechtert, ein Trend, den lokale und internationale NGO insbesondere auf rassistische Rhetorik und Gewalt seitens des Präsidenten zurückführen. Farbige Tunesier sind in Politik und Medien weitgehend abwesend, obwohl sie etwa 10 bis 15 % der Bevölkerung ausmachen. Sowohl struktureller als auch zwischenmenschlicher Rassismus führt zu Ungleichheiten, wo bei farbige Menschen von öffentlichen Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Schwarze Tunesier berichteten auch, dass sie beschimpft und körperlich angegriffen und als ausländi sche Migranten identifiziert werden. Medienberichten zufolge sehen sich einige ausländische Staatsangehörige, häufig aus Subsahara-Afrika, auch mit weit verbreiteter Rassendiskriminie rung konfrontiert. Es gibt keinen institutionellen Rahmen für den Schutz und die Aufnahme von Migranten. Es gibt nur begrenzt Beschäftigungsmöglichkeiten, und Migranten arbeiten häufig in informellen Verhältnissen. Es kommt weiterhin zu Schikanen und erniedrigender Behand lung, da durch die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage auch die negative Wahrnehmung entsteht, dass Migranten den Tunesiern Ressourcen wegnehmen (USDOS 23.4.2024). Nach auf Migranten zielenden, rassistischen Äußerungen durch Präsident Saïed im Feber 2023 dokumentierten lokale und internationale NGOs einen Anstieg von gewalttätigen Übergriffen, 27

Raubüberfällen und Vandalismus gegen Migranten, willkürliche Räumungen durch Vermieter und Kündigungen durch Arbeitgeber (USDOS 23.4.2024 vgl. AA 22.6.2023). Am 22. Mai 2023 griffen sieben mit Messern bewaffnete Angreifer 19 Subsahara-Afrikaner in Sfax an, wobei ein Staatsangehöriger aus Benin getötet wurde (USDOS 23.4.2024; vgl. ICG 5.2023). Im Juli 2023 berichteten Menschenrechtsorganisationen und internationale Organisationen, dass die Behör den Hunderte von Migranten aus Subsahara-Afrika, darunter mindestens sechs Asylbewerber, gewaltsam festgenommen an die Grenzen zu Libyen und Algerien gebracht haben. Dort hatten diese Menschen keinen Zugang zu Unterkunft, Lebensmitteln oder Wasser. Laut Quellen von Human Rights Watch sind mehrere Personen in der militärischen Pufferzone zwischen Tunesien und Libyen an Hitze und Hunger gestorben (USDOS 23.4.2024). Die indigene Bevölkerung der Amazigh (Berber) wird nach Angaben regionaler Medien in sozia ler, rechtlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht diskriminiert. Die Regierung lehnt laut einem Bericht ihre Bemühungen ab, eine eigene politische Partei registrieren zu lassen (USDOS 23.4.2024). Nach anderen Angaben wurde 2019 die erste Partei, die sich für die Interessen der Amazigh einsetzt, gegründet - die Akal-Bewegung (FH 29.2.2024). Viele Amazigh können ihre Vornamen nicht in den kommunalen Standesämtern eintragen lassen, da es sich nicht um arabische Namen handelte (USDOS 23.4.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.10.2024): Tunisia - The World Factbook, https://www.ci a.gov/the-world-factbook/countries/tunisia/#military-and-security , Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ICG - International Crisis Group (5.2023): CrisisWatch Database, https://www.crisisgroup.org/crisis watch/database?location[0]=97&page=1, Zugriff 11.12.2024 [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 15 Relevante Bevölkerungsgruppen 15.1 Frauen Letzte Änderung 2025-02-27 17:09 Frauen sind seit der Unabhängigkeit Tunesiens mit der Einführung des fortschrittlichen Perso nenstandsgesetzes von 1957 Männern rechtlich weitgehend gleichgestellt (AA 22.6.2023; vgl. ÖB Tunis 10.2022). Das für die arabische Welt als sehr progressiv geltende Personenstandsge setz, gewährt weitreichende jedoch keine vollständige Gleichheit vor dem Gesetz. Der einseitige Verstoß aus dem Familienverband ist durch die richterliche Scheidung ersetzt und die Poly gamie abgeschafft. Innerhalb des Familienverbandes blieb die patriarchale Struktur allerdings bestehen, z. B. die elterliche Autorität, die Wahl des Wohnsitzes durch den Ehemann oder die Ungleichheiten im Erbrecht etc. (ÖB Tunis 10.2022). 28

Das Personenstandsgesetz enthält Bestimmungen, welche die Rechte von Frauen einschrän ken; Männern und Frauen werden beispielsweise nicht die gleichen Rechte in Bezug auf elterli che Pflichten eingeräumt, und die Rechte alleinstehender Mütter und außerehelich geborener Kinder werden nicht anerkannt (USDOS 23.4.2024). Eine weitere Ausnahme stellt das Erbrecht dar (AA 22.6.2023; vgl. ÖB Tunis 10.2022), es kommt zu Unterschieden zwischen Männern und Frauen (USDOS 23.4.2024). Insgesamt hat sich die Lage bzgl. Frauenrechte unter Saïeds Präsidentschaft verschlechtert. Seine maßgeschneiderte Verfassung, die im Juli 2022 durch ein nationales Referendum ange nommen worden ist, besagt, dass Frauen und Männer „ in Bezug auf Rechte und Pflichten gleich sind und ohne jegliche Diskriminierung vor dem Gesetz gleich sind“. In Artikel 5 heißt es jedoch, dass „Tunesien Teil der islamischen Umma [Gemeinschaft/Nation] ist“, was die Verwirklichung der Ziele des Islam zu einer Aufgabe des Staates macht. Solche Bestimmungen können dazu dienen, Angriffe auf die Rechte der Frauen zu rechtfertigen, die auf der Auslegung religiöser Gebote beruhen, wie es andere Staaten in der Region getan haben (HRW 11.1.2024). Obwohl die Verfassung die Gleichstellung der Geschlechter garantiert, werden Frauen in der Arbeitswelt diskriminiert, und sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ist weiterhin weit verbreitet (FH 29.2.2024). Das tunesische Recht diskriminiert Frauen nach wie vor beim Erbrecht, und Saïed hat sich entschieden gegen die Reform des Erbrechts ausgesprochen, die 2019 im Parlament debattiert worden ist (HRW 11.1.2024; vgl. ÖB Tunis 10.2022). Nach geltendem Recht erhalten Frauen die Hälfte des Anteils, den Männer am Erbe erhalten, und die Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter im Erbrecht sind im Parlament nicht vorangekommen (FH 29.2.2024). Die Erbschaftsbestimmungen der Scharia gewähren Männern in einigen Fällen einen größeren Anteil am Erbe. Nicht-muslimische Frauen und ihre muslimischen Ehemänner können nicht voneinander erben, es sei denn, sie beantragen ein gerichtliches Urteil auf der Grundlage der in der Verfassung verankerten Rechte (USDOS 23.4.2024). Dennoch ist die neue Verfassung Tunesiens im Vergleich zu anderen arabischen oder musli mischen Ländern in Bezug auf Frauenrechte ein Musterbeispiel. Die Gleichstellung der Frau sowie eine Mindestquote im Parlament wurden sichergestellt. Der Präsident hat die erste Regie rungschefin im arabischen Raum ernannt und ein Drittel der Ministerposten mit Frauen besetzt (ÖB Tunis 10.2022). Trotzdem wird die politische Teilhabe von Frauen sowohl durch recht liche als auch durch gesellschaftliche Hindernisse erschwert. Mit dem vom Präsidenten im Jahr 2022 eingeführten Wahlgesetz wurde das 2014 eingeführte Quotensystem zur Förderung der Geschlechterparität in der Legislative abgeschafft (USDOS 23.4.2024). Mit dem neuen, von Saïed im September 2022 einseitig erlassenen Wahlgesetz wurden Bestimmungen aus dem vorherigen Gesetz gestrichen, mit denen eine paritätische Vertretung der Geschlechter in den gewählten Versammlungen Tunesiens erreicht werden sollte (HRW 11.1.2024). Infol gedessen sitzen in der neuen Versammlung mit 161 Sitzen nur 25 Frauen (HRW 11.1.2024; vgl. FH 29.2.2024). Ferner wurde mit dem Wahlgesetz die Quote von 2017 - gleiche Anzahl von Männern und Frauen an der Spitze der Kandidatenlisten auf jeder Liste - aufgehoben, und bei den Parlamentswahlen im Dezember 2022 waren nur 11 % der Kandidaten Frauen (FH 29

29.2.2024). Nur 15 % der Kandidaten, die im Januar in die Legislative gewählt wurden, sind Frauen, verglichen mit mehr als 30 % zwischen 2014 und 2018 (USDOS 23.4.2024). Das Gesetz gegen gewalttätige Übergriffe in der Ehe und Familie wurde Ende Juli 2017 ein stimmig verabschiedet. Zudem wurde die Verpflichtung des Staates zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen ausdrücklich hinzugefügt. Erstmals werden die Opfer von häuslicher Gewalt unter Schutz gestellt. Das neue Gesetz erkennt körperliche, moralische und sexuelle Gewalt gleicher maßen an (ÖB Tunis 10.2022). Dieses Gesetz befasst sich mit häuslicher Gewalt und enthält Bestimmungen zum Schutz von Frauen vor Belästigung in der Öffentlichkeit und vor wirtschaftli cher Diskriminierung (FH 29.2.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Das Gesetz zum Verbot häuslicher Gewalt sieht für Übergriffe, die vom Ehepartner oder einem Familienmitglied begangen werden, doppelt so hohe Strafen vor. Die Durchsetzung erfolgt allerdings selten, und häusliche Gewalt bleibt ein ernstes Problem. Das Gesetz ermöglicht es Frauen jedoch, einstweilige Verfügungen gegen Täter zu erwirken, ohne ein Strafverfahren einleiten oder die Scheidung einreichen zu müssen (USDOS 23.4.2024). Dennoch bleiben Frauen in hohem Maße von häuslicher Gewalt betroffen (FH 29.2.2024). Ge walt gegen Frauen ist weit verbreitet und systemisch (USDOS 23.4.2024). Eine NGO hat min destens 21 Femizide dokumentiert (AI 24.4.2024). Rechtliche, kulturelle und soziale Normen führen häufig dazu, dass Straftaten nicht gemeldet werden und die Strafverfolgungsbehörden in Fällen von Gewalt gegen Frauen nur unzureichend reagieren. Die Beamten weigern sich häufig, Anzeigen entgegenzunehmen, oder setzen, wenn es sich bei dem Täter um einen Ehe partner handelt, Opfer unter Druck, sich privat mit dem Täter zu versöhnen, anstatt rechtliche Schritte einzuleiten (USDOS 23.4.2024). Die Umsetzung des entsprechenden Gesetzes gegen häusliche Gewalt wird durch Unzulänglichkeiten behindert, darunter mangelndes Bewusstsein für seine Bestimmungen, ein Mangel an geschulten Beauftragten für die Bearbeitung von Be schwerden, Druck auf Frauen durch einige Beauftragte, misshandelnde Ehemänner nicht vor Gericht zu bringen, und logistische Hindernisse bei der Anzeige von Missbrauch (FH 29.2.2024). Oft scheitert man immer noch an einer effektiven Gewaltprävention und an ausreichend Schutz für besonders vulnerable Frauen (ÖB Tunis 10.2022). Trotz neuer Unterstützungsdienste, der Präventions- und Schutzmechanismen für Opfer vorsieht, gibt es zahlreiche Mängel bei der Um setzung des Gesetzes, insbesondere bei der Art und Weise, wie Polizei und Justiz Beschwerden über häusliche Gewalt behandeln. Die unzureichende staatliche Finanzierung für die Umset zung des Gesetzes sowie das Fehlen von Frauenhäusern sind entscheidende Lücken (HRW 11.1.2024; vgl. AA 22.6.2023). Opfer können sich an zwei Dutzend Sozialzentren im ganzen Land wenden, es gibt Zentren unter staatlicher Leitung und jene von zivilgesellschaftlichen Or ganisationen, die sich an Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt wenden (USDOS 23.4.2024). So hat etwa die Organisation „Tunesischer Verband demokratischer Frauen“ mehr als 600 Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, unterstützt (AI 24.4.2024). Das Ministerium für Frauen, Familie und Senioren geht Beschwerden über häusliche Gewalt nach und arbeitet auch mit der Zivilgesellschaft zusammen, um das Bewusstsein für das Gesetz zu schärfen und die Zivilgesellschaft dabei zu unterstützen, Frauen an Unterstützungsdienste zu vermitteln. Die Nationale Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Frauen betreibt eine Hotline, 30

die Opfer von Gewalt in der Familie weitervermittelt und unterstützt. Das Ministerium für Frau enangelegenheiten hat eine digitale Plattform entwickelt, die der Unterstützung von Opfern, der verstärkten Nachverfolgung von Fällen sowie Interventionen im Sinne der Opfer dient (USDOS 23.4.2024). Das Innenministerium betreibt im ganzen Land in unterschiedlichen Polizeistationen insgesamt 127 spezialisierte Abteilungen, die mit der Untersuchung von Gewaltverbrechen gegen Frau en betraut sind. Das Justizministerium verfolgt Fälle von Gewalt gegen Frauen und sammelt Informationen über die Fälle in den einzelnen Gerichten. Beide Ministerien arbeiten nach Anga ben lokaler NGOs mit der Zivilgesellschaft zusammen, um das Bewusstsein für die Gesetze zu schärfen (USDOS 23.4.2024). Vergewaltigung (auch von Männern) ist gesetzlich unter Strafe gestellt. Die Zahl an Vergewal tigungen wird seitens der Regierung nicht systematisch erfasst. Vertreter der Zivilgesellschaft berichten, dass nur wenige Vergewaltigungsfälle zu einer Verurteilung führen. Vergewaltigung ist nach wie vor ein Tabuthema. Der kulturelle Druck sowie die Kriminalisierung von außerehe lichem Geschlechtsverkehr hält Opfer oft davon ab, sexuelle Übergriffe anzuzeigen. Es gibt keine öffentlichen Aufklärungsprogramme der Regierung hinsichtlich häuslicher Gewalt und Vergewaltigung (USDOS 23.4.2024). 2019 wurde unter dem Hashtag „ EnaZeda“ durch die tunesische MeToo-Bewegung zunehmend auf Fälle von sexueller Belästigung, insbesondere durch Politiker, aufmerksam gemacht. Auch Fälle von sexueller Belästigung in Schulen wurden öffentlich diskutiert (AA 22.6.2023). Frauen können die Scheidung einreichen und Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend machen (AA 22.6.2023). Weitere gesetzliche Reformen betrafen u. a. Ungleichstellung zwischen Mann und Frau in Bezug auf die elterliche Obsorge: Seit 2015 wird es Frauen ermöglicht, ohne vä terliche Genehmigung mit ihren minderjährigen Kindern ins Ausland zu reisen. Es wird jedoch zwischen Sorgerecht und gesetzlicher Vormundschaft unterschieden, Letztere obliegt allein dem Vater als Familienoberhaupt (Art.23(4) CPS) und muss nach dessen Ableben von einem männlichen Familienmitglied übernommen werden (Art.154 CPS) (ÖB Tunis 10.2022). Die Stimme einer Frau als Zeugin in einem Gerichtsverfahren hat dasselbe Gewicht wie die eines Mannes. Eine vom ehemaligen Staatspräsidenten eingesetzte Expertenkommission für Gleichheit und individuelle Freiheiten (COLIBE) hat 2018 umfassende Vorschläge zur vollständi gen rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern erarbeitet. Seither gab es in der Frage mangels politischen Konsenses aber keine Fortschritte. Vor allem das Erbrecht bleibt umstritten: Während progressive Kräfte grundsätzlich gleiche Erbteile für Söhne und Töchter fordern und in der Praxis Erblasserinnen und Erblassern die Möglichkeit lassen, testamentarisch abwei chende Regelungen zu treffen, setzen sich islamisch-konservative Kreise für eine Umkehrung dieses Grundsatzes ein. Weitere von der Expertenkommission vorgeschlagene familienrecht liche Reformen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit, wie z. B. die Abschaffung der hergebrachten Definition des Ehemannes als Familienoberhaupt, haben bislang noch keinen 31

Eingang in konkrete Gesetzesinitiativen gefunden (AA 22.6.2023). 2017 hat das Justizministeri um ein Dekret aufgehoben, mit welchem tunesischen Frauen verboten wurde, nicht-muslimische Männer zu heiraten (ÖB Tunis 10.2022). Das Gesetz fordert ausdrücklich gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und die Regierung setzt dies im Allgemeinen mittels Geldstrafen durch. Gesellschaftliche, rechtliche und kulturelle Hindernisse schränken die Beteiligung von Frauen an der Erwerbsbevölkerung erheblich ein, insbesondere in Führungspositionen (USDOS 23.4.2024). Im März 2023 forderte ein landesweites Kollektiv von Landarbeiterinnen Gesetzesreformen, um ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung, sicheren Transportmitteln und einem angemessenen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Einer FTDES- Studie (das Tunesische Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte) zufolge kamen 92 % der befragten Landarbeiterinnen nicht in den Genuss von Sozialleistungen (AI 24.4.2024). Fälle von Ausbeutung in der Landwirtschaft und im Textilsektor sind weit verbreitet (FH 29.2.2024). Trotz der Bemühungen von Gruppen der Zivilgesellschaft, Probleme des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung zu bekämpfen, werden tunesische Frauen und Kinder sowohl in Tunesien als auch im Ausland Opfer von Sexhandel und erzwungener Hausarbeit. Auch Flüchtlinge und andere Migranten sind anfällig für die Ausbeutung durch Menschenhändler (FH 29.2.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights - Tunisia 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2107931.html, Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2103188.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 15.2 Kinder Letzte Änderung 2025-02-26 17:12 In Tunesien erhalten Kinder per Geburt die Staatsbürgerschaft von den Eltern (BS 19.3.2024). 27 % der Tunesier sind unter 18 Jahre alt. Die Armutsrate unter Kindern betrug 2020 ca. 21,2 % (ÖB Tunis 10.2022). Artikel 52 der Verfassung garantiert Kindern gegenüber ihren Eltern und dem Staat das Recht auf Würde, Gesundheit, Versorgung, Erziehung und Bildung. Der Staat verpflichtet sich darüber hinaus zum Schutz von Kindern „ ohne Diskriminierung und im Einklang mit dem Kindeswohl“ 32

(AA 22.6.2023). Tunesien hat alle wichtigen internationalen Konventionen zur Kinderarbeit ratifi ziert. Darüber hinaus entsprechen die tunesischen Gesetze und Vorschriften den einschlägigen internationalen Normen. Die Geldstrafen sind jedoch zu niedrig, um eine angemessene Ab schreckung zu sein (USDOL 22.10.2024). Das Gesetz stellt Kindesmissbrauch unter Strafe, und die Regierung setzt das Gesetz durch. Organisationen der Zivilgesellschaft berichten, dass Kindesmissbrauch weit verbreitet ist und vor allem in Heimen und Schulen vorkommt. Das Bildungsministerium und das Ministerium für Frauen, Familie, Kinder und Senioren führen mit Unterstützung der Zivilgesellschaft öffentliche Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen über die schädlichen Auswirkungen von körper licher Züchtigung und häuslicher Gewalt durch (USDOS 23.4.2024). Trotz harter Strafen wird eine hohe Dunkelziffer vermutet. Gemäß einer jüngst vom Ministerium für Frauen, Familie und Kindheit veröffentlichten Studie werden 90 % der Kinder Opfer von Gewalt innerhalb der Familie. Im ländlichen Bereich werden Kinder häufig Opfer wirtschaftlicher Ausbeutung und haben wenig Zugang zu Bildung (ÖB Tunis 10.2022). Das 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Verhütung von Gewalt, einschließlich politischer Ge walt, gegen Frauen und Mädchen verpflichtet den Staat zu umfangreichen Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Schutz und Nachsorge für Opfer sowie zur Bestrafung der Täter (AA 22.6.2023). Sexuelle Beziehungen mit einem Kind unter 16 Jahren gelten in jedem Fall als Ver gewaltigung, Tätern drohen 20 Jahre Gefängnis, wobei auch die Möglichkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe besteht, wenn erschwerende Umstände, wie Inzest oder Gewaltanwendung, vor liegen. Gerichte können jedoch in bestimmten Situationen die Eheschließung von Personen unter 18 Jahren auf Antrag und Zustimmung beider Elternteile genehmigen, auch wenn das Mindestalter für die Eheschließung bei 18 Jahren liegt. Die Regierung setzt dieses Gesetz durch (USDOS 23.4.2024). Im Jahr 2023 hat Tunesien nur minimale Fortschritte bei den Bemühungen um die Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit gemacht. Die Regierung hat für mehr als 500.000 Teilnehmer die Zahlungen im Rahmen des Zuschussprogramms „ Back-to-School“ auf etwa 32 US-Dollar verdoppelt. Dieses Programm dient dazu, Kinder in der Schule zu halten. Außer dem wurden 18 Personen wegen Vergehen gegen Kinderarbeit betreffende Gesetze verurteilt. Das Budget der Arbeitsaufsichtsbehörde ist jedoch nicht ausreichend, um - insbesondere in abgelegenen Gebieten - Inspektionen durchzuführen (USDOL 22.10.2024). Insgesamt sind Kinder weiterhin den schlimmsten Formen von Kinderarbeit ausgesetzt, u. a. durch Zwangsarbeit im Haushalt, Straßenbetteln und Drogenhandel. Sowohl auf der Straße als auch im Haushalt verrichten Kinder gefährliche Arbeiten. Bei Kindern, die auf der Straße leben, besteht die Gefahr, dass sie durch Zwangsbettelei ausgebeutet werden. Junge Mädchen aus dem Nordwesten Tunesiens und anderen Regionen im Landesinneren sind einem höheren Risiko ausgesetzt, als Hausangestellte arbeiten zu müssen (USDOL 22.10.2024). 33
