2025-09-15-coi-cms-laenderinformationen-tunesien-version-9-44d8
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
■ CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.10.2024): Tunisia - The World Factbook, https://www.ci a.gov/the-world-factbook/countries/tunisia/#military-and-security , Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (26.6.2024): 2023 Report on International Reli gious Freedom: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111975.html, Zugriff 28.11.2024 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 14 Ethnische Minderheiten Letzte Änderung 2025-02-27 13:47 Die Bevölkerung besteht zu 98 % aus Arabern, 1 % Europäern und 1 % Juden und anderen (CIA 23.10.2024). Ein Gesetz aus dem Jahr 2018 stellt rassistische Diskriminierung unter Strafe (FH 29.2.2024; vgl. AA 22.6.2023). Gesetzlich verboten sind alle Formen der Diskriminierung aufgrund von Ras se, einschließlich „ jeglicher Unterscheidung, Ausgrenzung, Einschränkung oder Bevorzugung aufgrund von Ethnie, Hautfarbe, Herkunft“. Das Gesetz bestraft diskriminierende Handlungen mit bis zu drei Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe für Einzelpersonen und einer noch höheren Geldstrafe für juristische Personen wie Unternehmen. Im Jahr 2023 gab es keine Berichte über strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen die Antidiskriminierungsgesetze (USDOS 23.4.2024). In der Praxis sehen sich schwarze Tunesier mit chronischer Ungleichheit bei Beschäftigung und Bildung konfrontiert. Gesellschaftliche Vorurteile sind nach wie vor ein weitverbreitetes Pro blem (FH 29.2.2024; vgl. AA 22.6.2023). Farbige Menschen – darunter schwarze Tunesier und ausländische Migranten – leiden unter Armut, eingeschränktem Zugang zu höherer Bildung und begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihre Situation hat sich im Laufe des Jahres 2023 verschlechtert, ein Trend, den lokale und internationale NGO insbesondere auf rassistische Rhetorik und Gewalt seitens des Präsidenten zurückführen. Farbige Tunesier sind in Politik und Medien weitgehend abwesend, obwohl sie etwa 10 bis 15 % der Bevölkerung ausmachen. Sowohl struktureller als auch zwischenmenschlicher Rassismus führt zu Ungleichheiten, wo bei farbige Menschen von öffentlichen Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Schwarze Tunesier berichteten auch, dass sie beschimpft und körperlich angegriffen und als ausländi sche Migranten identifiziert werden. Medienberichten zufolge sehen sich einige ausländische Staatsangehörige, häufig aus Subsahara-Afrika, auch mit weit verbreiteter Rassendiskriminie rung konfrontiert. Es gibt keinen institutionellen Rahmen für den Schutz und die Aufnahme von Migranten. Es gibt nur begrenzt Beschäftigungsmöglichkeiten, und Migranten arbeiten häufig in informellen Verhältnissen. Es kommt weiterhin zu Schikanen und erniedrigender Behand lung, da durch die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage auch die negative Wahrnehmung entsteht, dass Migranten den Tunesiern Ressourcen wegnehmen (USDOS 23.4.2024). Nach auf Migranten zielenden, rassistischen Äußerungen durch Präsident Saïed im Feber 2023 dokumentierten lokale und internationale NGOs einen Anstieg von gewalttätigen Übergriffen, 27

Raubüberfällen und Vandalismus gegen Migranten, willkürliche Räumungen durch Vermieter und Kündigungen durch Arbeitgeber (USDOS 23.4.2024 vgl. AA 22.6.2023). Am 22. Mai 2023 griffen sieben mit Messern bewaffnete Angreifer 19 Subsahara-Afrikaner in Sfax an, wobei ein Staatsangehöriger aus Benin getötet wurde (USDOS 23.4.2024; vgl. ICG 5.2023). Im Juli 2023 berichteten Menschenrechtsorganisationen und internationale Organisationen, dass die Behör den Hunderte von Migranten aus Subsahara-Afrika, darunter mindestens sechs Asylbewerber, gewaltsam festgenommen an die Grenzen zu Libyen und Algerien gebracht haben. Dort hatten diese Menschen keinen Zugang zu Unterkunft, Lebensmitteln oder Wasser. Laut Quellen von Human Rights Watch sind mehrere Personen in der militärischen Pufferzone zwischen Tunesien und Libyen an Hitze und Hunger gestorben (USDOS 23.4.2024). Die indigene Bevölkerung der Amazigh (Berber) wird nach Angaben regionaler Medien in sozia ler, rechtlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht diskriminiert. Die Regierung lehnt laut einem Bericht ihre Bemühungen ab, eine eigene politische Partei registrieren zu lassen (USDOS 23.4.2024). Nach anderen Angaben wurde 2019 die erste Partei, die sich für die Interessen der Amazigh einsetzt, gegründet - die Akal-Bewegung (FH 29.2.2024). Viele Amazigh können ihre Vornamen nicht in den kommunalen Standesämtern eintragen lassen, da es sich nicht um arabische Namen handelte (USDOS 23.4.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ CIA - Central Intelligence Agency [USA] (23.10.2024): Tunisia - The World Factbook, https://www.ci a.gov/the-world-factbook/countries/tunisia/#military-and-security , Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ICG - International Crisis Group (5.2023): CrisisWatch Database, https://www.crisisgroup.org/crisis watch/database?location[0]=97&page=1, Zugriff 11.12.2024 [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 15 Relevante Bevölkerungsgruppen 15.1 Frauen Letzte Änderung 2025-02-27 17:09 Frauen sind seit der Unabhängigkeit Tunesiens mit der Einführung des fortschrittlichen Perso nenstandsgesetzes von 1957 Männern rechtlich weitgehend gleichgestellt (AA 22.6.2023; vgl. ÖB Tunis 10.2022). Das für die arabische Welt als sehr progressiv geltende Personenstandsge setz, gewährt weitreichende jedoch keine vollständige Gleichheit vor dem Gesetz. Der einseitige Verstoß aus dem Familienverband ist durch die richterliche Scheidung ersetzt und die Poly gamie abgeschafft. Innerhalb des Familienverbandes blieb die patriarchale Struktur allerdings bestehen, z. B. die elterliche Autorität, die Wahl des Wohnsitzes durch den Ehemann oder die Ungleichheiten im Erbrecht etc. (ÖB Tunis 10.2022). 28

Das Personenstandsgesetz enthält Bestimmungen, welche die Rechte von Frauen einschrän ken; Männern und Frauen werden beispielsweise nicht die gleichen Rechte in Bezug auf elterli che Pflichten eingeräumt, und die Rechte alleinstehender Mütter und außerehelich geborener Kinder werden nicht anerkannt (USDOS 23.4.2024). Eine weitere Ausnahme stellt das Erbrecht dar (AA 22.6.2023; vgl. ÖB Tunis 10.2022), es kommt zu Unterschieden zwischen Männern und Frauen (USDOS 23.4.2024). Insgesamt hat sich die Lage bzgl. Frauenrechte unter Saïeds Präsidentschaft verschlechtert. Seine maßgeschneiderte Verfassung, die im Juli 2022 durch ein nationales Referendum ange nommen worden ist, besagt, dass Frauen und Männer „ in Bezug auf Rechte und Pflichten gleich sind und ohne jegliche Diskriminierung vor dem Gesetz gleich sind“. In Artikel 5 heißt es jedoch, dass „Tunesien Teil der islamischen Umma [Gemeinschaft/Nation] ist“, was die Verwirklichung der Ziele des Islam zu einer Aufgabe des Staates macht. Solche Bestimmungen können dazu dienen, Angriffe auf die Rechte der Frauen zu rechtfertigen, die auf der Auslegung religiöser Gebote beruhen, wie es andere Staaten in der Region getan haben (HRW 11.1.2024). Obwohl die Verfassung die Gleichstellung der Geschlechter garantiert, werden Frauen in der Arbeitswelt diskriminiert, und sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ist weiterhin weit verbreitet (FH 29.2.2024). Das tunesische Recht diskriminiert Frauen nach wie vor beim Erbrecht, und Saïed hat sich entschieden gegen die Reform des Erbrechts ausgesprochen, die 2019 im Parlament debattiert worden ist (HRW 11.1.2024; vgl. ÖB Tunis 10.2022). Nach geltendem Recht erhalten Frauen die Hälfte des Anteils, den Männer am Erbe erhalten, und die Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter im Erbrecht sind im Parlament nicht vorangekommen (FH 29.2.2024). Die Erbschaftsbestimmungen der Scharia gewähren Männern in einigen Fällen einen größeren Anteil am Erbe. Nicht-muslimische Frauen und ihre muslimischen Ehemänner können nicht voneinander erben, es sei denn, sie beantragen ein gerichtliches Urteil auf der Grundlage der in der Verfassung verankerten Rechte (USDOS 23.4.2024). Dennoch ist die neue Verfassung Tunesiens im Vergleich zu anderen arabischen oder musli mischen Ländern in Bezug auf Frauenrechte ein Musterbeispiel. Die Gleichstellung der Frau sowie eine Mindestquote im Parlament wurden sichergestellt. Der Präsident hat die erste Regie rungschefin im arabischen Raum ernannt und ein Drittel der Ministerposten mit Frauen besetzt (ÖB Tunis 10.2022). Trotzdem wird die politische Teilhabe von Frauen sowohl durch recht liche als auch durch gesellschaftliche Hindernisse erschwert. Mit dem vom Präsidenten im Jahr 2022 eingeführten Wahlgesetz wurde das 2014 eingeführte Quotensystem zur Förderung der Geschlechterparität in der Legislative abgeschafft (USDOS 23.4.2024). Mit dem neuen, von Saïed im September 2022 einseitig erlassenen Wahlgesetz wurden Bestimmungen aus dem vorherigen Gesetz gestrichen, mit denen eine paritätische Vertretung der Geschlechter in den gewählten Versammlungen Tunesiens erreicht werden sollte (HRW 11.1.2024). Infol gedessen sitzen in der neuen Versammlung mit 161 Sitzen nur 25 Frauen (HRW 11.1.2024; vgl. FH 29.2.2024). Ferner wurde mit dem Wahlgesetz die Quote von 2017 - gleiche Anzahl von Männern und Frauen an der Spitze der Kandidatenlisten auf jeder Liste - aufgehoben, und bei den Parlamentswahlen im Dezember 2022 waren nur 11 % der Kandidaten Frauen (FH 29

29.2.2024). Nur 15 % der Kandidaten, die im Januar in die Legislative gewählt wurden, sind Frauen, verglichen mit mehr als 30 % zwischen 2014 und 2018 (USDOS 23.4.2024). Das Gesetz gegen gewalttätige Übergriffe in der Ehe und Familie wurde Ende Juli 2017 ein stimmig verabschiedet. Zudem wurde die Verpflichtung des Staates zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen ausdrücklich hinzugefügt. Erstmals werden die Opfer von häuslicher Gewalt unter Schutz gestellt. Das neue Gesetz erkennt körperliche, moralische und sexuelle Gewalt gleicher maßen an (ÖB Tunis 10.2022). Dieses Gesetz befasst sich mit häuslicher Gewalt und enthält Bestimmungen zum Schutz von Frauen vor Belästigung in der Öffentlichkeit und vor wirtschaftli cher Diskriminierung (FH 29.2.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Das Gesetz zum Verbot häuslicher Gewalt sieht für Übergriffe, die vom Ehepartner oder einem Familienmitglied begangen werden, doppelt so hohe Strafen vor. Die Durchsetzung erfolgt allerdings selten, und häusliche Gewalt bleibt ein ernstes Problem. Das Gesetz ermöglicht es Frauen jedoch, einstweilige Verfügungen gegen Täter zu erwirken, ohne ein Strafverfahren einleiten oder die Scheidung einreichen zu müssen (USDOS 23.4.2024). Dennoch bleiben Frauen in hohem Maße von häuslicher Gewalt betroffen (FH 29.2.2024). Ge walt gegen Frauen ist weit verbreitet und systemisch (USDOS 23.4.2024). Eine NGO hat min destens 21 Femizide dokumentiert (AI 24.4.2024). Rechtliche, kulturelle und soziale Normen führen häufig dazu, dass Straftaten nicht gemeldet werden und die Strafverfolgungsbehörden in Fällen von Gewalt gegen Frauen nur unzureichend reagieren. Die Beamten weigern sich häufig, Anzeigen entgegenzunehmen, oder setzen, wenn es sich bei dem Täter um einen Ehe partner handelt, Opfer unter Druck, sich privat mit dem Täter zu versöhnen, anstatt rechtliche Schritte einzuleiten (USDOS 23.4.2024). Die Umsetzung des entsprechenden Gesetzes gegen häusliche Gewalt wird durch Unzulänglichkeiten behindert, darunter mangelndes Bewusstsein für seine Bestimmungen, ein Mangel an geschulten Beauftragten für die Bearbeitung von Be schwerden, Druck auf Frauen durch einige Beauftragte, misshandelnde Ehemänner nicht vor Gericht zu bringen, und logistische Hindernisse bei der Anzeige von Missbrauch (FH 29.2.2024). Oft scheitert man immer noch an einer effektiven Gewaltprävention und an ausreichend Schutz für besonders vulnerable Frauen (ÖB Tunis 10.2022). Trotz neuer Unterstützungsdienste, der Präventions- und Schutzmechanismen für Opfer vorsieht, gibt es zahlreiche Mängel bei der Um setzung des Gesetzes, insbesondere bei der Art und Weise, wie Polizei und Justiz Beschwerden über häusliche Gewalt behandeln. Die unzureichende staatliche Finanzierung für die Umset zung des Gesetzes sowie das Fehlen von Frauenhäusern sind entscheidende Lücken (HRW 11.1.2024; vgl. AA 22.6.2023). Opfer können sich an zwei Dutzend Sozialzentren im ganzen Land wenden, es gibt Zentren unter staatlicher Leitung und jene von zivilgesellschaftlichen Or ganisationen, die sich an Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt wenden (USDOS 23.4.2024). So hat etwa die Organisation „Tunesischer Verband demokratischer Frauen“ mehr als 600 Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, unterstützt (AI 24.4.2024). Das Ministerium für Frauen, Familie und Senioren geht Beschwerden über häusliche Gewalt nach und arbeitet auch mit der Zivilgesellschaft zusammen, um das Bewusstsein für das Gesetz zu schärfen und die Zivilgesellschaft dabei zu unterstützen, Frauen an Unterstützungsdienste zu vermitteln. Die Nationale Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Frauen betreibt eine Hotline, 30

die Opfer von Gewalt in der Familie weitervermittelt und unterstützt. Das Ministerium für Frau enangelegenheiten hat eine digitale Plattform entwickelt, die der Unterstützung von Opfern, der verstärkten Nachverfolgung von Fällen sowie Interventionen im Sinne der Opfer dient (USDOS 23.4.2024). Das Innenministerium betreibt im ganzen Land in unterschiedlichen Polizeistationen insgesamt 127 spezialisierte Abteilungen, die mit der Untersuchung von Gewaltverbrechen gegen Frau en betraut sind. Das Justizministerium verfolgt Fälle von Gewalt gegen Frauen und sammelt Informationen über die Fälle in den einzelnen Gerichten. Beide Ministerien arbeiten nach Anga ben lokaler NGOs mit der Zivilgesellschaft zusammen, um das Bewusstsein für die Gesetze zu schärfen (USDOS 23.4.2024). Vergewaltigung (auch von Männern) ist gesetzlich unter Strafe gestellt. Die Zahl an Vergewal tigungen wird seitens der Regierung nicht systematisch erfasst. Vertreter der Zivilgesellschaft berichten, dass nur wenige Vergewaltigungsfälle zu einer Verurteilung führen. Vergewaltigung ist nach wie vor ein Tabuthema. Der kulturelle Druck sowie die Kriminalisierung von außerehe lichem Geschlechtsverkehr hält Opfer oft davon ab, sexuelle Übergriffe anzuzeigen. Es gibt keine öffentlichen Aufklärungsprogramme der Regierung hinsichtlich häuslicher Gewalt und Vergewaltigung (USDOS 23.4.2024). 2019 wurde unter dem Hashtag „ EnaZeda“ durch die tunesische MeToo-Bewegung zunehmend auf Fälle von sexueller Belästigung, insbesondere durch Politiker, aufmerksam gemacht. Auch Fälle von sexueller Belästigung in Schulen wurden öffentlich diskutiert (AA 22.6.2023). Frauen können die Scheidung einreichen und Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend machen (AA 22.6.2023). Weitere gesetzliche Reformen betrafen u. a. Ungleichstellung zwischen Mann und Frau in Bezug auf die elterliche Obsorge: Seit 2015 wird es Frauen ermöglicht, ohne vä terliche Genehmigung mit ihren minderjährigen Kindern ins Ausland zu reisen. Es wird jedoch zwischen Sorgerecht und gesetzlicher Vormundschaft unterschieden, Letztere obliegt allein dem Vater als Familienoberhaupt (Art.23(4) CPS) und muss nach dessen Ableben von einem männlichen Familienmitglied übernommen werden (Art.154 CPS) (ÖB Tunis 10.2022). Die Stimme einer Frau als Zeugin in einem Gerichtsverfahren hat dasselbe Gewicht wie die eines Mannes. Eine vom ehemaligen Staatspräsidenten eingesetzte Expertenkommission für Gleichheit und individuelle Freiheiten (COLIBE) hat 2018 umfassende Vorschläge zur vollständi gen rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern erarbeitet. Seither gab es in der Frage mangels politischen Konsenses aber keine Fortschritte. Vor allem das Erbrecht bleibt umstritten: Während progressive Kräfte grundsätzlich gleiche Erbteile für Söhne und Töchter fordern und in der Praxis Erblasserinnen und Erblassern die Möglichkeit lassen, testamentarisch abwei chende Regelungen zu treffen, setzen sich islamisch-konservative Kreise für eine Umkehrung dieses Grundsatzes ein. Weitere von der Expertenkommission vorgeschlagene familienrecht liche Reformen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit, wie z. B. die Abschaffung der hergebrachten Definition des Ehemannes als Familienoberhaupt, haben bislang noch keinen 31

Eingang in konkrete Gesetzesinitiativen gefunden (AA 22.6.2023). 2017 hat das Justizministeri um ein Dekret aufgehoben, mit welchem tunesischen Frauen verboten wurde, nicht-muslimische Männer zu heiraten (ÖB Tunis 10.2022). Das Gesetz fordert ausdrücklich gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und die Regierung setzt dies im Allgemeinen mittels Geldstrafen durch. Gesellschaftliche, rechtliche und kulturelle Hindernisse schränken die Beteiligung von Frauen an der Erwerbsbevölkerung erheblich ein, insbesondere in Führungspositionen (USDOS 23.4.2024). Im März 2023 forderte ein landesweites Kollektiv von Landarbeiterinnen Gesetzesreformen, um ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung, sicheren Transportmitteln und einem angemessenen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Einer FTDES- Studie (das Tunesische Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte) zufolge kamen 92 % der befragten Landarbeiterinnen nicht in den Genuss von Sozialleistungen (AI 24.4.2024). Fälle von Ausbeutung in der Landwirtschaft und im Textilsektor sind weit verbreitet (FH 29.2.2024). Trotz der Bemühungen von Gruppen der Zivilgesellschaft, Probleme des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung zu bekämpfen, werden tunesische Frauen und Kinder sowohl in Tunesien als auch im Ausland Opfer von Sexhandel und erzwungener Hausarbeit. Auch Flüchtlinge und andere Migranten sind anfällig für die Ausbeutung durch Menschenhändler (FH 29.2.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights - Tunisia 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2107931.html, Zugriff 14.11.2024 ■ FH - Freedom House (29.2.2024): Freedom in the World 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2105041.html, Zugriff 15.3.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2103188.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 15.2 Kinder Letzte Änderung 2025-02-26 17:12 In Tunesien erhalten Kinder per Geburt die Staatsbürgerschaft von den Eltern (BS 19.3.2024). 27 % der Tunesier sind unter 18 Jahre alt. Die Armutsrate unter Kindern betrug 2020 ca. 21,2 % (ÖB Tunis 10.2022). Artikel 52 der Verfassung garantiert Kindern gegenüber ihren Eltern und dem Staat das Recht auf Würde, Gesundheit, Versorgung, Erziehung und Bildung. Der Staat verpflichtet sich darüber hinaus zum Schutz von Kindern „ ohne Diskriminierung und im Einklang mit dem Kindeswohl“ 32

(AA 22.6.2023). Tunesien hat alle wichtigen internationalen Konventionen zur Kinderarbeit ratifi ziert. Darüber hinaus entsprechen die tunesischen Gesetze und Vorschriften den einschlägigen internationalen Normen. Die Geldstrafen sind jedoch zu niedrig, um eine angemessene Ab schreckung zu sein (USDOL 22.10.2024). Das Gesetz stellt Kindesmissbrauch unter Strafe, und die Regierung setzt das Gesetz durch. Organisationen der Zivilgesellschaft berichten, dass Kindesmissbrauch weit verbreitet ist und vor allem in Heimen und Schulen vorkommt. Das Bildungsministerium und das Ministerium für Frauen, Familie, Kinder und Senioren führen mit Unterstützung der Zivilgesellschaft öffentliche Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen über die schädlichen Auswirkungen von körper licher Züchtigung und häuslicher Gewalt durch (USDOS 23.4.2024). Trotz harter Strafen wird eine hohe Dunkelziffer vermutet. Gemäß einer jüngst vom Ministerium für Frauen, Familie und Kindheit veröffentlichten Studie werden 90 % der Kinder Opfer von Gewalt innerhalb der Familie. Im ländlichen Bereich werden Kinder häufig Opfer wirtschaftlicher Ausbeutung und haben wenig Zugang zu Bildung (ÖB Tunis 10.2022). Das 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Verhütung von Gewalt, einschließlich politischer Ge walt, gegen Frauen und Mädchen verpflichtet den Staat zu umfangreichen Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Schutz und Nachsorge für Opfer sowie zur Bestrafung der Täter (AA 22.6.2023). Sexuelle Beziehungen mit einem Kind unter 16 Jahren gelten in jedem Fall als Ver gewaltigung, Tätern drohen 20 Jahre Gefängnis, wobei auch die Möglichkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe besteht, wenn erschwerende Umstände, wie Inzest oder Gewaltanwendung, vor liegen. Gerichte können jedoch in bestimmten Situationen die Eheschließung von Personen unter 18 Jahren auf Antrag und Zustimmung beider Elternteile genehmigen, auch wenn das Mindestalter für die Eheschließung bei 18 Jahren liegt. Die Regierung setzt dieses Gesetz durch (USDOS 23.4.2024). Im Jahr 2023 hat Tunesien nur minimale Fortschritte bei den Bemühungen um die Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit gemacht. Die Regierung hat für mehr als 500.000 Teilnehmer die Zahlungen im Rahmen des Zuschussprogramms „ Back-to-School“ auf etwa 32 US-Dollar verdoppelt. Dieses Programm dient dazu, Kinder in der Schule zu halten. Außer dem wurden 18 Personen wegen Vergehen gegen Kinderarbeit betreffende Gesetze verurteilt. Das Budget der Arbeitsaufsichtsbehörde ist jedoch nicht ausreichend, um - insbesondere in abgelegenen Gebieten - Inspektionen durchzuführen (USDOL 22.10.2024). Insgesamt sind Kinder weiterhin den schlimmsten Formen von Kinderarbeit ausgesetzt, u. a. durch Zwangsarbeit im Haushalt, Straßenbetteln und Drogenhandel. Sowohl auf der Straße als auch im Haushalt verrichten Kinder gefährliche Arbeiten. Bei Kindern, die auf der Straße leben, besteht die Gefahr, dass sie durch Zwangsbettelei ausgebeutet werden. Junge Mädchen aus dem Nordwesten Tunesiens und anderen Regionen im Landesinneren sind einem höheren Risiko ausgesetzt, als Hausangestellte arbeiten zu müssen (USDOL 22.10.2024). 33

In den tunesischen Schulen fehlt es an Lehrern, einige Schulen weisen eine mangelhafte In frastruktur auf oder haben keinen Zugang zu Wasser. In ländlichen Gebieten können sich ei nige Familien die mit dem Schulbesuch verbundenen Transportkosten nicht leisten (USDOL 22.10.2024). 79 Jugendzentren dienen der Betreuung von bis zu 6.000 Kindern, die in Kinderarbeit beschäf tigt oder von Kinderarbeit bedroht sind. Viele dieser Zentren befinden sich in Tunis und bieten Kindern, die sonst auf der Straße leben würden, Bildung und medizinische Versorgung. Auch für Opfer von Menschenhandel gibt es staatliche Unterkünfte. Diese stellen Unterkunft, Verpfle gung, Kleidung und Rechtsbeistand durch ein Netz von kostenlosen Anwälten sowie kostenlose medizinische Versorgung zur Verfügung. In Tunis und Sidi Bouzid gibt es zwei Heime speziell für minderjährige Opfer von Menschenhandel (USDOL 22.10.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Tunisia, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2105847/country_report_2024_TUN.pdf, Zugriff 12.11.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOL - United States Department of Labor [USA] (22.10.2024): 2023 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2116123.html, Zugriff 3.2.2025 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 15.3 Sexuelle Minderheiten Letzte Änderung 2025-02-26 16:46 Das Gesetz kriminalisiert einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen (USDOS 23.4.2024; vgl. BAMF 3.4.2024). Homosexualität ist strafbar und wird gesellschaftlich weitgehend tabuisiert (AA 22.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024). Artikel 230 des Straf gesetzbuchs sieht für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern und Frauen bis zu drei Jahre Haft vor (HRW 11.1.2024; vgl. AA 22.6.2023, USDOS 23.4.2024); der umstrittene Artikel 230 wird auch nach Meinung des Präsidenten nicht aufgehoben. Dieser Artikel untersagt gleichgeschlechtlichen Paaren zudem das Leben im gemeinsamen Haushalt. Der damit verbundene, anhaltende Single-Status führt zu sozialer- wie wirtschaftlicher Diskri minierung von Angehörigen sexueller Minderheiten (ÖB Tunis 10.2022). Strafrechtliche Verfol gungen werden unter Verweis auf Artikel 230 des StGB begründet. Dieser stellt die Verletzung der Moral oder der öffentlichen Sittlichkeit unter Strafe. Aufgrund der vagen Formulierung im StGB sowie des Fehlens einer gesetzlichen Definition der öffentlichen Sittlichkeit verfügt die Po lizei über einen weiten Ermessensspielraum. Im November 2022 stellte das Kassationsgericht fest, dass der Artikel 230 des StGB verfassungswidrig ist. Solange keine Aufhebung durch das Verfassungsgericht erfolgt, bleibt der Artikel allerdings in Kraft (BAMF 3.4.2024). 34

Im Juli 2023 berichtete Damj, der tunesische Verband für Gerechtigkeit und Gleichheit, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte damit gedroht haben, ihre Büros zu schließen. Am 8.8.2023 reichte Damj eine Beschwerde nach einer Online-Verleumdungs- und Hasskampagne ein (AI 24.4.2024). Laut NGOs nutzen die Behörden das Gesetz, um Personen zu verhaften und zu ihren sexuellen Aktivitäten und ihrer sexuellen Orientierung zu befragen - Berichten zufolge zuweilen allein aufgrund ihres Aussehens (USDOS 23.4.2024; vgl. BAMF 3.4.2024). Im Jahr 2017 hat die Regierung formell eine Empfehlung des UN-Menschenrechtsrats zur Been digung entwürdigender Untersuchungspraktiken (Analtest) bei Inhaftierung akzeptiert. Trotzdem besteht die Praxis weiterhin (ÖB Tunis 10.2022). Behörden und Mediziner setzen unfreiwillig oder erzwungen, diese Praxis der erzwungenen Analuntersuchungen fort. Auch die erzwungene sogenannte Konversionstherapie ist nicht verboten, wird aber laut Angaben lokaler Rechtsgrup pen auch nicht praktiziert (USDOS 23.4.2024). Die Behörden stützen sich bei der Strafverfolgung manchmal auf unrechtmäßig erlangte digitale Beweise (HRW 11.1.2024). Human Rights Watch berichtet, dass Sicherheitsbehörden unter Androhung oder Anwendung von Gewalt die Mobiltelefone Beschuldigter durchsuchen, um Beweise für die unterstellte sexuelle Orientierung zu erlangen. Zudem werden demnach von der Regierung sexuelle Minderheiten online gezielt in den Fokus genommen, um sie und mit ihnen assoziierte Organisationen zu verfolgen. V. a. in den letzten Jahren hat sich die Online- Erpressung etabliert, dabei wird auf Dating-Apps und andere soziale Medien zurückgegriffen (BAMF 3.4.2024). Zivilgesellschaftliche Vereinigungen zum Schutz von Angehörigen sexueller Minderheiten be stehen, sind aber ständig vom Entzug der Zulassung bedroht und arbeiten unter z. T. schwierigen Bedingungen wie Morddrohungen (ÖB Tunis 10.2022). Die Polizei und andere Regierungsbeamte verüben und dulden Gewalt gegen Angehörige se xueller Minderheiten oder gegen Personen, die solche Übergriffe melden. Angehörige sexueller Minderheiten sind mit Diskriminierung und Gewalt konfrontiert, einschließlich Mord- und Ver gewaltigungsdrohungen und gesellschaftlicher Stigmatisierung. Die vage Formulierung des Strafgesetzbuchs sowie das Fehlen einer gesetzlichen Definition der öffentlichen Moral lassen der Polizei einen großen Ermessensspielraum bei der Festlegung, was als Straftatbestand der Moral oder der öffentlichen Moral gilt (USDOS 23.4.2024). Menschenrechtsgruppen berichteten über eine Zunahme an Verhaftungen von Angehörigen sexueller Minderheiten sowie über einen Anstieg der Fälle von gesellschaftlicher Belästigung. U. a. wurde berichtet, dass einige Polizeigewerkschaften Aktivisten für die Rechte sexueller Minderheiten belästigen und gefährden, indem sie ihre Wohnadressen oder Bilder online stellen und sich an Online-Hassreden beteiligen, ohne Konsequenzen für diese Aktivitäten befürchten zu müssen (USDOS 23.4.2024; vgl. AI 24.4.2024). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrele vante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Auswärtiges_ 35

Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien,_22.06.2023.pdf , Zugriff 4.12.2024 [Login erforderlich] ■ AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights - Tunisia 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2107931.html, Zugriff 14.11.2024 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.4.2024): Länderkurzinformation Tunesien SOGI (Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität): Situation von LGBTIQ-Perso nen, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30081872, Zugriff 14.11.2024 ■ HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/do kument/2103188.html, Zugriff 15.3.2024 ■ ÖB Tunis - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien [Login erforderlich] ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/2107636.html, Zugriff 11.11.2024 16 Bewegungsfreiheit Letzte Änderung 2025-02-26 16:39 Gesetzlich sind Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 29.2.2024), Emigration sowie Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Regierung re spektiert im Allgemeinen diese Rechte auch in der Praxis (USDOS 23.4.2024). Die Regierung verhängt weiterhin Reiseverbote für Einzelpersonen, gegen die ein Gerichtsverfahren anhängig ist (USDOS 23.4.2024). Allerdings haben die Behörden im Rahmen des Ausnahmezustands weitreichende Befugnis se, ohne formal Anklage zu erheben, die Bewegungsfreiheit von Personen einzuschränken. Tausende Menschen sind von solchen Anordnungen betroffen (FH 29.2.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Die Behörden haben im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen gegen Oppositionelle und vermeintliche Kritiker, wie den Vorsitzenden der Kommission für Wahrheit und Würde, Sihem Bensedrine, und den ehemaligen Parlamentsabgeordneten Zied Ghanney, mindestens ein Dutzend Reiseverbote verhängt und schränken damit deren Bewegungsfrei heit ein (HRW 11.1.2024). Menschenrechtsgruppen kritisieren die Reiseverbote als willkürliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (FH 29.2.2024). Zudem stellen diese fest, dass die Behörden das Gesetz nicht konsequent anwenden und dass die Sicherheitskräfte Gerichts entscheidungen zur Aufhebung von Reisebeschränkungen nicht immer respektieren (USDOS 23.4.2024). Zivilgesellschaftliche Gruppen berichten, dass das Innenministerium weiterhin eine informelle Liste mit Reiseverboten, namens „ S17-Beobachtungsliste“ nützt, um eine zusätzliche Kontrolle durch Beamte an den Grenzkontrollpunkten zu ermöglichen. Mehrere ehemalige Parlaments mitglieder und Politiker haben bekannt gegeben, dass sie daran gehindert wurden, ins Ausland zu reisen, obwohl gegen sie kein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist (USDOS 23.4.2024). Das Gesetz schreibt vor, dass die Behörden diejenigen, die von Reisebeschränkungen betroffen sind oder deren Reisepass beschlagnahmt worden ist, unverzüglich über die Gründe für diese Entscheidungen informieren. Darüber hinaus haben die betroffenen Personen gesetzlich das Recht, eine solche Entscheidung anzufechten. Das Gesetz sieht eine maximale Frist von 14 Monaten vor, in der ihre Reise eingeschränkt werden kann, bevor eine erneute gerichtliche Anordnung erforderlich ist (USDOS 23.4.2024). 36
