2025-09-15-coi-cms-laenderinformationen-indien-version-9-afeb
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Länderinformationsblätter“
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Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische Bei den von der Staatendokumentation bereitgestellten Übersetzungen der Länderinformationen ins Englische handelt es sich um Arbeitszusammenfassungen. Anderes als bei den automati schen Übersetzungen (siehe unten) werden diese einer eigenen Überprüfung unterzogen. Die Staatendokumentation ist bemüht, dass die jeweiligen deutsch- und englischsprachigen Versionen (so vorhanden) zum selben Zeitpunkt veröffentlicht werden. Jedoch kann es, aufgrund der umfangreichen Qualitätssicherung vorkommen, dass sich das Datum der Veröffentlichung der beiden Versionen geringfügig unterscheidet. Es sei darauf verwiesen, dass trotz eines möglichen geringfügig unterschiedlichen Veröffentlichungsdatums, der Inhalt der deutsch- und englischsprachigen Version derselbe ist. Automatische Übersetzungen Bei der automatischen Übersetzung handelt es sich um eine maschinelle Übersetzung einer Län derinformation mittels einer Übersetzungssoftware, in eine vom Nutzer festgelegte Zielsprache. Diese Übersetzung wird, da vom Nutzer direkt generiert, weder im Hinblick auf Grammatik und Rechtschreibung noch auf Sinnerhaltung kontrolliert und soll lediglich dazu dienen, einen Ein druck über den Inhalt des Originaldokuments bzw. der verwendenten Quellen zu erlangen. Die Staatendokumentation übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der maschinellen Über setzung. Sollte das Produkt vom Nutzer für eine weitere Verwendung herangezogen werden, insbesondere für eine behördliche Entscheidung, so wird dringend empfohlen die Übersetzung durch einen professionellen Übersetzer kontrollieren bzw. durchführen zu lassen. Qualitätssicherung der maschinellen Übersetzung von DeepL Die Übersetzung, welche nicht als „ automatische Übersetzung“ ausgewiesen wird, wurde von einer/einem professionellen Übersetzer/in qualitätsgesichert. Etwaige in der Übersetzung ent stehende Unstimmigkeiten oder Differenzen sind nicht bindend und haben keine rechtliche Wirkung für Compliance- oder Durchsetzungszwecke. Sollten Fragen zur Richtigkeit der quali tätsgesicherten Übersetzung entstehen, nehmen sie bitte Kontakt mit der Staatendokumentation des BFA unter BFA-Staatendokumentation@bmi.gv.at auf. III

Inhalt 1 Länderspezifische Anmerkungen 1 2 Politische Lage 1 3 Sicherheitslage 4 3.1 Jammu & Kaschmir und Ladakh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4 Rechtsschutz / Justizwesen 12 5 Sicherheitsbehörden 16 6 Folter und unmenschliche Behandlung 19 7 Korruption 21 8 NGOs und Menschenrechtsaktivisten 23 9 Wehrdienst und Rekrutierungen 24 10 Allgemeine Menschenrechtslage, nationale Menschenrechtskommissionen 25 11 Meinungs- und Pressefreiheit, Freiheit im Internet 28 12 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition 31 13 Haftbedingungen 34 14 Todesstrafe 36 15 Religionsfreiheit 37 15.1 Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 15.2 Muslime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 15.3 Sikhs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 16 Ethnische Minderheiten 45 16.1 Dalits (Scheduled Castes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 16.2 Adivasi (Scheduled Tribes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 17 Relevante Bevölkerungsgruppen 50 17.1 Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 17.1.1 Geschlechtsspezifische Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 17.2 Ehen (arrangierte, Zwangsehen, Mischehen), Ehrenmorde, Mitgiftstreitigkeiten 56 17.3 Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 17.4 Sexuelle Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 18 Bewegungsfreiheit und Meldewesen 66 IV

19 Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge 68 20 Grundversorgung und Wirtschaft 70 20.1 Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 20.2 Armut und Nahrungsmittelsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 20.3 Wohnraum und Sozialwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 21 Medizinische Versorgung 74 22 Rückkehr 76 22.1 Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . 77 23 Staatsbürgerschaft 79 24 Dokumente 81 25 Impressum 82 25.1 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 25.2 Hinweis zum Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 25.3 Veröffentlichte Versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 V

1 Länderspezifische Anmerkungen Letzte Änderung 2025-04-09 06:47 Keine. 2 Politische Lage Letzte Änderung 2025-04-14 08:00 Die 1950 (2 ½ Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit) in Kraft getretene Verfassung Indiens basiert auf der westlich-liberalen Staatstradition. Indien ist ein demokratischer Rechtsstaat mit einem Mehrparteiensystem (ÖB New Delhi 7.2023) und mit einer traditionell etablierten De mokratie (BS 19.3.2024). Andere Quellen stufen Indien dagegen als eine nur teilweise freie (FH 2025a) Wahlautokratie ein (UNIG-VDI 3.2025; vgl. Atlantic 26.4.2024). Neben den großen nationalen Parteien, dem Kongress (in ihren Wurzeln eine sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), der Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überre gional wirkenden kommunistischen Parteien, gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend nach politischer Bedeutung streben (AA 5.6.2023). Die über wiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung akzeptiert den indischen Nationalstaat als legitim. Nur in einigen Gebieten, insbesondere in Zentralindien, im Nordosten und im Kaschmirtal, wird die Legitimität des Nationalstaates durch Rebellenorganisationen infrage gestellt. Der Staat be hält in diesen Regionen die Kontrolle mithilfe von Gesetzen, die den Streitkräften in Konfliktge bieten besondere Befugnisse einräumen, sowie Gesetzen zur Eindämmung illegaler Aktivitäten und zum Verbot illegaler und terroristischer Organisationen (BS 19.3.2024). Die Wahlen und Auswahlverfahren der Exekutive gelten im Allgemeinen als frei und fair (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024). Selbst unter armen und analphabetischen Bevölkerungsgruppen ist die Wahlbeteili gung hoch (BS 19.3.2024). Gemäß der indischen Verfassung ist der Staat säkular. Formal sind weder die Rechtsordnung noch die politischen Institutionen durch religiöse Dogmen definiert oder abgeleitet. Eine Ausnahme bildet das Familienrecht, das hinduistische, muslimische und christliche Bestimmungen umfasst (BS 19.3.2024). Staatsstruktur (Exekutive und Legislative) [Anm.: für Informationen zur Judikative siehe Kapitel Justizwesen] Die föderal strukturierte Republik besteht (nach der Abschaffung der Autonomie von Jammu, Kaschmir und Ladakh und deren Teilung in zwei Unionsterritorien im Jahr 2019) aus 28 Unions staaten (auch Bundes- oder Regionalstaaten genannt) und acht direkt von der Zentralregierung verwaltete Unionsterritorien. Das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislati ve (Parlament) und einer unabhängigen Justiz ist in der Verfassung verankert (ÖB New De lhi 7.2023) und folgt britischem Muster (AA 5.6.2023). Oberhaupt der Indischen Union ist der Staatspräsident, der von einem Gremium der Abgeordneten des Bundes und der Länder für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt wird und großteils Repräsentativfunktionen wahrnimmt (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. FH 2025a). Zudem fungiert der indische Präsident auch als Oberbe fehlshaber der Armee, wenngleich der Premierminister über die exekutive Gewalt verfügt (KAS 1

7.2022). Im Juli 2022 wählten die Gesetzgeber Draupadi Murmu, die von der BJP unterstützte Kandidatin und ehemalige Gouverneurin von Jharkhand, als zweite Frau und erstes Mitglied einer indigenen Minderheit Indiens, zur Präsidentin (FH 2025a, vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Ne ben seiner allgemeinen repräsentativen Funktion entscheidet der Präsident, welche Partei am besten in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Zu seinen legislativen Befugnissen gehören, u. a. die Auflösung oder Einberufung des Parlaments, und zu seinen exekutiven Befugnissen, die Ernennung des Obersten Richters Indiens aus einer Liste, die ihm vom Obersten Gerichtshof übermittelt wird (KAS 7.2022). Die Exekutivgewalt wird durch den Premierminister ausgeübt, in der Regel dem Vorsitzenden der Mehrheitspartei in der Lok Sabha (Haus des Volkes [Anm.: Unterhaus]), und einem vom Premierminister nominierten Ministerkabinett. Sie werden vom Präsidenten ernannt und sind gegenüber der Lok Sabha verantwortlich (FH 2025a). Bei den nationalen Wahlen 2024 konnte die BJP nur mehr 240 Sitze für sich gewinnen und verlor damit die absolute Mehrheit (FH 2025a; vgl. Böll 12.6.2024) von zuvor 272 Sitzen (Wahl 2019) (Böll 12.6.2024). Die von der BJP geführte National Democratic Alliance (NDA) gewann jedoch mit 293 (FH 2025a) bis 294 Sitzen die Mehrheit (Böll 12.6.2024), so dass Modi im Juni eine dritte Amtszeit als Premierminister antreten konnte (FH 2025a). Die oppositionelle INDIA-Allianz, angeführt von derKongresspartei der Gandhi-Dynastie, konnte ihr Ergebnis gegenüber den letzten Wahlen deutlich steigern und 232 Sitze erringen (BAMF 10.6.2024; vgl. Böll 12.6.2024, FH 2025a). Modis Koalitionsregierung hängt nun weitgehend von zwei wichtigen regionalen Verbündeten, der Telugu Desam Partei im südlichen Bundesstaat Andhra Pradesh und der Janata Dal (United) im östlichen Bundesstaat Bihar ab, um an der Macht zu bleiben (BAMF 10.6.2024). Die nationale Legislative besteht aus zwei Kammern (EB 3.3.2025). Die Abgeordneten der 543 Sitze umfassenden Lok Sabha werden in Einpersonenwahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt. Die meisten Abgeordneten des weniger mächtigen Oberhauses, der Ra jya Sabha (Council of States [Anm.: Staatenversammlung]), mit 245 Sitzen, werden von den Parlamenten der Bundesstaaten nach dem Verhältniswahlsystem für gestaffelte sechsjährige Amtszeiten gewählt. Bis zu zwölf Mitglieder werden vom Präsidenten ernannt (FH 2025a). Der Vizepräsident der Republik Indien ist zugleich Vorsitzender der Rajya Sabha (ÖB New Delhi 7.2023). Die Kontrolle der Legislative über die Exekutive wird insbesondere durch strukturel le Faktoren beeinträchtigt, wie die eingeschränkte Kompetenz vieler Abgeordneter und kurze Sitzungszeiten. Zudem wird die Arbeit des Parlaments durch häufige Unterbrechungen und Austritte der Oppositionsparteien behindert. Dies erschwert dem Parlament die Wahrnehmung seiner verfassungsmäßigen Rolle im System der gegenseitigen Kontrolle. Die Dominanz der Exekutive, insbesondere der persönliche Einfluss des Premierministers, hat das Parlament marginalisiert. Die eingeschränkte Rolle des Parlaments als beratendes Organ und ein unter grabenes Ausschusssystem schwächen die Gesetzgebungsverfahren (BS 19.3.2024). In den Bundesstaaten liegt die Exekutive formal beim jeweiligen Gouverneur, der vom Staats präsidenten ernannt wird, und dem Ministerrat, an dessen Spitze der Ministerpräsident (Chief Minister) steht. Der Gouverneur ernennt den Ministerpräsidenten und die von diesem vorge schlagenen Minister, die kollektiv der gesetzgebenden Versammlung des Unionsstaates (Vidhan 2

Sabha/Legislative Assembly) verantwortlich sind. Die Unionsterritorien werden direkt von der Zentralregierung verwaltet, wobei einige Unionsterritorien (Delhi, Puducherry) auch über eine eigene parlamentarische Versammlung und eine Regierung verfügen und somit de facto eine Zwischenstellung zwischen Regionalstaat und Unionsterritorium einnehmen (ÖB New Delhi 7.2023). Hindu-Nationalismus Das vorherrschende Konzept des indischen Staates als säkularer Staat wird zunehmend von hindu-nationalistischen Gruppen untergraben (BS 19.3.2024). Vom Staat wird erwartet, dass er grundsätzlich Distanz zu allen Religionen wahrt. De facto manifestiert sich jedoch im öffent lichen Raum und in der Politik ein unmissverständlicher Zuspruch zur hinduistischen Identität (Böll 12.7.2022). Es wird berichtet, dass die Regierung der BJP unter Premierminister Narendra Modidie demokratischen Institutionen kontinuierlich schwächt und die Transformation Indiens in einen Staat mit hinduistischer Mehrheit verfolgt (BS 19.3.2024). Zu diesem Zweck betreiben die Regierung Modi und die BJP eine zunehmend diskriminierende Politik. Muslime werden ver stärkt verfolgt (FH 2025a) und die Diskriminierung ethnischer Minderheiten weitergeführt (HRW 16.1.2025). Die BJP verwendet Regierungsinstitutionen zunehmend zur Verfolgung politischer Gegner. Obwohl die Verfassung die bürgerlichen Freiheiten, wie Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert, hat die Belästigung von Journalisten, NGOs und anderen Regierungskritikern unter Modi erheblich zugenommen (FH 2025a). Außerdem wird die Tätigkeit von NGOs in Indien stark eingeschränkt und erschwert (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Die Hindutva-Ideologie ist eine rechts stehende ethno-nationalistische politische Ideologie (EB 17.3.2025a), von der sich die regierende BJP leiten lässt. Sie befürwortet die Vorherrschaft der Hindus und sieht die Errichtung eines „ Hindu-Staates“ (einer „ Hindu Rashtra“) vor. Dabei sollen Nicht-Hindus nicht alle Rechte eingeräumt werden, die Hindus zustehen (Böll 12.7.2022). Hindu-nationalistische Organisationen besetzen wichtige Führungspositionen in relevanten In stitutionen mit Mitgliedern und schränken so den Widerstand gegen abweichende Meinungen ein. Die Dominanz dieser Gruppen birgt ein zunehmendes Risiko der Polarisierung entlang politischer und religiöser Linien. Die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), eine rechte parami litärische hindu-nationalistische Organisation (BS 19.3.2024; vgl. EB 17.3.2025a), ursprünglich von den italienischen Faschisten der 1920er inspiriert (Böll 12.7.2022), übt einen großen Einfluss auf die BJP und ihre Politik aus und hat ihre Präsenz im ganzen Land ausgeweitet. Sie zählt schätzungsweise sieben Millionen Mitglieder und kontrolliert zahlreiche andere Organisationen, darunter Indiens größte Gewerkschaft, die Bharatiya Mazdoor Sangh mit über zehn Millionen Mitgliedern. Weitere von der RSS kontrollierte Institutionen sind 12.000 Schulen und fast 1.000 NGOs. Laut Bertelsmann Stiftung würden die Aktivitäten solcher Organisationen die Demokratie untergraben und zu einem zunehmenden Polarisierungsrisiko beitragen (BS 19.3.2024). Im Rahmen des Wahlkampfs von Premierminister Modi 2024 kam es wiederholt zu Äußerungen gegen Muslime und andere Minderheiten, die zu Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt gegen sie aufriefen. Zwischen Juni und August 2024 kam es zu einer Zunahme der Gewalt durch 3

hinduistische Bürgerwehren. Laut Human Rights Watch (HRW) hätten die Behörden keine ad äquaten Maßnahmen gegen die für die Angriffe verantwortlichen BJP-Anhänger unternommen. Stattdessen wurden die Opfer der Gewalt gezielt verfolgt, u. a. durch die unrechtmäßige Zerstö rung muslimischer Häuser und Grundstücke. Regierungskritiker sahen sich politisch motivierten Strafverfolgungen ausgesetzt, die sich auf Steuer- und Auslandsfinanzierungsvorschriften sowie auf das drakonische Antiterrorgesetz stützten (HRW 16.1.2025). Quellen ■ AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2093231/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_a syl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Indien_(Stand_April_2023),_05.06.2023.pdf , Zugriff 19.10.2023 [Login erforderlich] ■ Atlantic - Atlantic, The (26.4.2024): The Atlantic, https://www.theatlantic.com/international/archive/ 2024/04/india-autocracy/678172, Zugriff 31.3.2025 ■ BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (10.6.2024): Briefing Notes - Indien, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/fetchcsui/-30167005/Deutschland._Bundesamt_für_Migration_u nd_Flüchtlinge,_Briefing_Notes,_KW24,_10.06.2024.pdf?nodeid=30165784&vernum=-2 , Zugriff 24.9.2024 ■ Böll - Heinrich Böll Stiftung (12.6.2024): The 2024 Indian Election: A New Political Landscape Unfolds, https://www.boell.de/en/2024/06/12/2024-indian-election-new-political-landscape-unfolds , Zugriff 20.3.2025 ■ Böll - Heinrich Böll Stiftung (12.7.2022): Indien: Säkularismus in Gefahr, https://www.boell.de/de/20 22/07/12/indien-saekularismus-gefahr, Zugriff 24.1.2025 ■ BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report - India, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2105881/country_report_2024_IND.pdf, Zugriff 24.1.2025 ■ EB - Encyclopaedia Britannica (17.3.2025a): Hindutva, https://www.britannica.com/topic/Hindutva, Zugriff 20.3.2025 ■ EB - Encyclopaedia Britannica (3.3.2025): Government of India, https://www.britannica.com/topic/I ndian-government, Zugriff 20.3.2025 ■ FH - Freedom House (2025a): Freedom in the World 2025 - India, https://freedomhouse.org/country /india/freedom-world/2025, Zugriff 4.3.2025 ■ HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - India, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2120041.html, Zugriff 22.1.2025 ■ KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (7.2022): Länderbericht - Auslandsbüro Indien, Präsidentschafts wahlen mit Signalwirkung, https://www.kas.de/documents/252038/16191335/Präsidentschaftswahlen mit Signalwirkung.pdf/31978ab9-305e-0f2b-81d3-3c5b4997aedb?version=1.1&t=1659037564802, Zugriff 19.10.2023 ■ ÖB New Delhi - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (7.2023): Asylländerbericht 2023 - Indien ■ UNIG-VDI - Universität Göteborg - V-Dem Institute (Varieties of Democracy) (3.2025): Democracy Report 2025: 25 Years of Autocratization – Democracy Trumped?, https://v-dem.net/documents/60/ V-dem-dr__2025_lowres.pdf, Zugriff 21.3.2025 ■ USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107729.html, Zugriff 3.5.2024 3 Sicherheitslage Letzte Änderung 2025-04-14 08:00 Hinduradikale Gruppen verursachen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen mit An gehörigen religiöser Minderheiten, v. a. Muslime, gelegentlich aber auch mit nicht traditionell eingestellten Hindus (AA 5.6.2023). Der gegen Minderheiten wie Muslime und Christen ge richtete Hindu-Radikalismus wird von offizieller Seite selten in die Kategorie Terror eingestuft, 4

vielmehr als „ communal violence“ bezeichnet. Das Innenministerium gibt jedoch seit 2017 keine entsprechenden Daten mehr weiter, und Zivilgesellschaften berichten, dass die Regierung nicht auf Auskunftsbegehren (nach dem Right to Information) reagiert (ÖB New Delhi 7.2023). Insgesamt sind die meisten Inder tagtäglich keinen nennenswerten Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt, mit einigen Ausnahmen in bestimmten, abgelegenen Gebieten. Diejenigen, die in Städten leben, können zivilen Unruhen ausgesetzt sein, einschließlich gewalttätiger Ausschrei tungen, die von Zeit zu Zeit im ganzen Land auftreten. Die Ursachen für zivile Unruhen sind komplex und vielfältig und können ethnische und religiöse Spannungen, Aufstände und Terro rismus sowie politische und ideologische Gewalt umfassen. In den meisten Fällen werden die meisten Inder solche Situationen vermeiden. Über soziale Medien verbreitete Fehlinformatio nen führen gelegentlich zu Gewalt. Über Social-Media-Plattformen wie Facebook, Snapchat, Twitter, WhatsApp und YouTube werden Gerüchte über angebliche Straftaten verbreitet, die zu gelegentlichem Vigilantismus führen. Diese Ereignisse sind unvorhersehbar, bleiben aber meist lokal begrenzt (DFAT 29.9.2023). Sicherheitslage in einzelnen Bundesstaaten Die Streitkräfte des Landes, die Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten und paramili tärische Kräfte lieferten sich Gefechte mit aufständischen Gruppen in mehreren nordöstlichen Bundesstaaten und Jammu & Kaschmir (J&K) sowie mit maoistischen Rebellen im Norden, im Zentrum und im Osten des Landes (USDOS 23.4.2024). Über 40 aufständische Gruppen sind an den Angriffen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten beteiligt. Darüber hinaus kommt es zu Gewalthandlungen zwischen den Stämmen. Die Rebellengruppen verfolgen das Ziel, mehr Autonomie oder sogar völlige Unabhängigkeit für ihre ethnischen oder Stammesgruppen zu erlangen, und sind in eine Vielzahl von kriminellen Aktivitäten verwickelt, einschließlich Bom benanschlägen, Mord, Entführung und Vergewaltigung von Zivilisten. Zudem betreiben sie ein ausgedehntes Erpressungsnetzwerk (FH 2025a). Auch Sicherheitskräfte, die gegen regionale Aufstände kämpfen, sind in außergerichtliche Tötungen (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024), Vergewaltigungen, Folter, Entführungen und die Zerstörung von Häusern verwickelt (FH 2025a). Das Innenministerium reduzierte im April 2024 den Geltungsbereich des AFSPA (Armed Forces Special Powers Act) in den Distrikten Assam, Manipur und Nagaland. In anderen Teilen Naga lands, in Teilen von Arunachal Pradesh, Manipur und Assam blieb die Einstufung als Unruhege biet unter dem AFSPA bestehen, und in J & K war eine Version des Gesetzes in Kraft (USDOS 23.4.2024) [Anm.: weitere Informationen zum AFSPA finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörde n]. Militäroperationen gegen maoistische Rebellen Die Bundesstaaten Bihar, Jharkand, Chhattisgarh, der äußerste Südwesten von Orissa[Anm.: Odisha], der äußerste Norden von Andhra Pradesh und der äußerste Osten von Maharashtra verzeichnen, insbesondere in ländlichen Gebieten, bewaffnete Aktivitäten einer militant-sozial revolutionären maoistischen Bewegung (AA 27.2.2025; vgl. BMEIA 18.2.2025), die in einzelnen 5

Distrikten bis hin zur Ausübung quasistaatlicher Gewalt gehen (AA 27.2.2025). Die Aufständi schen werden auch als Naxaliten bezeichnet, benannt nach dem Distrikt, in dem sie im Jahr 1967 ihren bewaffneten Feldzug begannen. Ihre Ideologie ist vom chinesischen Revolutions führer Mao Zedong beeinflusst (BAMF 13.1.2025). Die Naxaliten führen seit Jahrzehnten vor allem in Zentral- und Ostindien einen Guerillakrieg gegen die Regierung, der zu regelmäßigen Zusammenstößen und Opfern auf beiden Seiten führt (BAMF 10.2.2025). Die Rebellen erheben unter anderem illegale Steuern, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte, verschleppen und rekrutieren Kinder sowie Erwachsene. Lokale Zivilisten und Journalisten, die als regie rungstreu gelten, sind von Angriffen betroffen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in staatlich geführten Lagern (FH 2025a). Die BJP-Regierung im Bun desstaat Chhattisgarh, der Heimat vieler Stammesgemeinschaften, hat ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der Aufstände maoistischer Rebellen verschärft (HRW 16.1.2025; vgl. FH 2025a). Seit dem 15.1.2025 gehen mindestens 3.000 indische Sicherheitskräfte gegen die Naxaliten im Bundesstaat Chhattisgarh vor (BAMF 20.1.2025). Im Zuge dieser Auseinandersetzungen kam es auch zu Übergriffen auf Dorfbewohner und Vorwürfen außergerichtlicher Hinrichtungen. Zu dem gingen die Behörden weiterhin gezielt gegen Menschenrechtsaktivisten vor, unter anderem aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen, sie seien Maoisten oder Maoisten-Anhänger (HRW 16.1.2025). Die indische Regierung will die bewaffnete Rebellion nach eigenen Angaben bis Anfang des Jahres 2026 niederschlagen und hat ihre Anstrengungen zur Beendigung des langjährigen bewaffneten Konflikts verstärkt. Offiziellen Angaben zufolge wurden im Jahr 2024 insgesamt 287 mutmaßliche Rebellen getötet und etwa 1.000 verhaftet; 837 sollen sich ergeben haben (BAMF 13.1.2025). Zusammenstöße im Bundesstaat Manipur zwischen den Stammesgemeinschaften der Kuki und Meitei Im September 2024 kam es in Manipur erneut zu ethnischen Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen der überwiegend christlichen Kuki-Zo-Gemeinde und der überwiegend hinduistischen Meitei-Gemeinde, bei denen Berichten zufolge mindestens elf Menschen ums Leben kamen (HRW 16.1.2025). Die Meitei stellen in Manipur die Mehrheit (fast 53 %), die Kuki-Zo nur 16 % der Bevölkerung (OpD 2.2024). Studenten und andere Menschen protestier ten gegen die Gewalt, einige von ihnen lieferten sich Zusammenstöße mit Sicherheitskräften und griffen Regierungsgebäude an. Anstatt gefährdete Gemeinschaften zu schützen und die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, vertiefte die von der Bharatiya Janata Party (BJP) ge führte Landesregierung durch eine polarisierende Politik die seit Langem bestehende Wut und das Misstrauen zwischen den Gemeinschaften (HRW 16.1.2025). Zuvor war es bereits zwischen Mai und November 2023 zu Zusammenstößen zwischen den beiden Stammesgemeinschaften gekommen, mit mindestens 175 Toten und mehr als 60.000 Binnenvertriebenen. Aktivisten und Journalisten berichteten von bewaffneten Konflikten, Vergewaltigungen und Übergriffen sowie von der Zerstörung von Häusern, Geschäften und Gebetsstätten. Als Reaktion auf die Gewalt setzte die Regierung Sicherheitskräfte ein, verhängte tägliche Ausgangssperren und schaltete das Internet ab. (USDOS 23.4.2024). Der Konflikt dauert aktuell an [Anm.: Stand 24.3.2025] (India Today 24.3.2025). 6
