Maßnahmen zur Verbesserung der hydrologischen Situation der Unteren Lobau in Wien, Entscheidungen der obersten Wasserrechtsbehörde
Die amtsführende Wiener Stadträtin Mag. Ulli Sima hat in der Landtagssitzung vom 22. September 2022 in Beantwortung von Zusatzfragen zum Thema Dotationen der Unteren Lobau u. a. „Meinungen“, „Entscheidungen“, „Untersagungen“ und „Interessenabwägungen“ der obersten Wasserrechtsbehörde (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft) ins Treffen geführt.
Aus diesen Aussagen (nachfolgend gemäß Protokoll wiedergegeben) ergibt sich der Eindruck, dass die oberste Wasserrechtsbehörde das Land Wien daran hindere, seinen Naturschutzverpflichtungen in Zusammenhang mit der Unteren Lobau nachzukommen, die im Landesrecht wie etwa dem Wiener Nationalparkgesetz, aber auch in den EU-Naturschutzrichtlinien verankert sind. Die oberste Wasserrechtsbehörde hätte die Wiener Landesregierung in Sachen Erhaltung der Unteren Lobau durch die besagten „Meinungen“, „Entscheidungen“, „Untersagungen“ und „Interessenabwägungen“ zur Tatenlosigkeit verurteilt.
Ich ersuche daher um die Beantwortung der folgenden Fragen:
1. Hat die oberste Wasserrechtsbehörde je in Zusammenhang mit einem wasserrechtlichen Verfahren die Feststellung – wörtlich oder sinngemäß – getroffen, dass „der Schutz des Trinkwassers über allem“ stehe, und wenn ja, welche rechtliche Bedeutung kommt dieser Feststellung in Angelegenheiten außerhalb der Zuständigkeit der obersten Wasserrechtsbehörde zu, etwa in Naturschutzangelegenheiten?
2. Hat die oberste Wasserrechtsbehörde jemals eine „Interessenabwägung“ vorgenommen, in der sie – wörtlich oder sinngemäß – zum Schluss kam, dass die „Trinkwasserreserven für die Stadt“ (Wien) „an höchster Stelle“ stünden, und wenn ja, in welchem Zusammenhang und auf welcher Rechtsgrundlage wurde diese „Interessenabwägung“ vorgenommen, zwischen welchen Interessen wurde abgewogen und welche rechtliche Bedeutung kommt dem Ergebnis dieser „Interessenabwägung“ in Angelegenheiten außerhalb der Zuständigkeit der obersten Wasserrechtsbehörde zu, etwa in Naturschutzangelegenheiten?
3. Hat die oberste Wasserrechtsbehörde jemals
• eine vom Land Wien beantragte Dotation der Unteren Lobau
• einen vom Land Wien beantragten wasserwirtschaftlichen Versuch zur Vorbereitung einer Dotation der Unteren Lobau über ein Wehr im Marchfeldschutzdamm oder
• eine vom Land Wien beantragte Anbindung der Unteren Lobau an die Donau über mehrere Wehre im Marchfeldschutzdamm oder
• sonstige vom Land Wien beantragte Maßnahmen zur Verbesserung der hydrologischen Situation in der Unteren Lobau
bescheidmäßig untersagt, und wenn ja, aus welchen Gründen und welche vom Land Wien beantragte Maßnahmen waren konkret betroffen,
und wenn nein,
hat die oberste Wasserrechtsbehörde jemals eine vom Land Wien beantragte Maßnahme zur Verbesserung der hydrologischen Situation in der Unteren Lobau, welcher Natur auch immer, bescheidmäßig bewilligt, und wenn ja, welche vom Land Wien beantragte Maßnahmen waren konkret betroffen?
Nachfolgend die relevanten Ausführungen der Amtsführenden Stadträtin Mag. Ulli Sima in der Sitzung des Wiener Landtags vom 22. September 2022. Quelle: Wortprotokoll, https://www.wien.gv.at/mdb/ltg/2022/ltg… bzw. https://www.wien.gv.at/mdb/ltg/2022/ltg….
Antwort der Amtsf. StRin Mag. Ulli Sima auf die Zusatzfrage des Abg. Anton Mahdalik, FPÖ: "Unser Problem - oder unser Thema oder der Punkt, wo die Interessenkonflikte immer schon waren - ist in der Unteren Lobau, dass wir dort die Trinkwasserreservebrunnen der Stadt Wien haben. Die oberste Wasserrechtsbehörde, die im Bund angesiedelt ist, sagt - zu Recht, meiner Meinung nach -, der Schutz des Trinkwassers steht über allem. Und aus diesem Grund können wir dort nicht dotieren." (...)
"Du gehst diesem Flusslauf nach, und irgendwo kommt so ein Brett, und beim Brett ist es aus, denn dort beginnt dann die Untere Lobau, und dort dürfen wir bescheidmäßig nicht mehr dotieren. Das wird sich auch, solange das eine Trinkwasserreserve für die Stadt Wien ist, meiner Meinung nach nicht ändern, denn die oberste Wasserrechtsbehörde wird ihre Meinung dazu nicht ändern." (...)
Antwort der Amtsf. StRin Mag. Ulli Sima auf die Zusatzfrage der Abg. Mag. Heidemarie Sequenz, Grüne: "Also es ist relativ einfach, was passiert ist – ich habe es vorhin ohnedies auch schon angesprochen -: Die oberste Wasserrechtsbehörde hat ganz klar entschieden, dass der Trinkwasserschutz über allem steht, und hat auch nicht zugelassen, dass wir da irgendwelche Dotationen der Unteren Lobau machen und schon gar nicht irgendwelche Tore, wo wir dann bei Hochwasser das Wasser hineinlassen. Das war also schlicht und ergreifend so nicht umsetzbar. Ich kann mich noch gut an die Runden erinnern, wir haben da sehr, sehr lange diskutiert, aber in der Interessenabwägung der obersten Wasserrechtsbehörde stehen die Trinkwasserreserven für die Stadt einfach an höchster Stelle."
Ergebnis der Anfrage
Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft hat das Auskunftsbegehren in Form eingeschriebener Briefsendungen beantwortet, bestehend aus einer Auskunftserteilung zu einer der drei gestellten Fragen und einer bescheidmäßigen Abweisung des Auskunftsbegehrens bzgl. der beiden anderen Fragen. Die Abweisung wurde zum Teil mit zu hohem Aufwand der Beantwortung, zum Teil mit dem nicht dem Zweck des Auskunftspflichtgesetzes entsprechenden Inhalt des Auskunftsbegehrens begründet.
Die Auskunft zu Frage 3 des Auskunftsbegehrens und der Bescheid, mit dem die Beantwotung der Fragen 1 und 2 abgewiesen wurde, sind unter "Korrespondenz" als PDF verfügbar.
Dieses Auskunftsbegehren sollte einen Beitrag zur Überprüfung der Wahrhaftigkeit von Äußerungen der Wiener Stadträtin Ulli Sima in einer Landtagssitzung vom 22. September 2022 leisten. Dieser Zweck wurde erfüllt, und dies gilt sogar für eine der zwei (von insgesamt drei) gestellten Fragen, deren Beantwortung das befragte Bundesministerium für Land-und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft bescheidmäßig abwies.
Das Bundesministerium für Land-und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft stellte klar, dass es in seiner Funktion als Oberste Wasserrechtsbehörde niemals von Wien beantragte Vorhaben zur Verbesserung der hydrologischen Situation der Unteren Lobau bescheidmäßig untersagt und im Gegenteil im Fall von zwei beantragten Vorhaben, für welche sie gemäß Wasserrechtsgesetz 1959 zuständig war, die Entscheidung an den Landeshauptmann von Wien delegiert hat.
Die Aussage der Stadträtin Ulli Sima, die Oberste Wasserrechtsbehörde hätte keinerlei Dotationen der Unteren Lobau "zugelassen", entspricht also nicht den Tatsachen.
Im Hinblick auf die von Stadträtin Ulli Sima angeführte "Entscheidung" der Obersten Wasserrechtsbehörde, wonach der "Trinkwasserschutz über allem" stehe, sowie die ebenfalls von Stadträtin Ulli Sima angeführte "Interessenabwägung" derselben Behörde, wonach die "Trinkwasserreserven der Stadt an höchster Stelle" stünden, erklärte das befragte Bundesministerium, dass die Frage nach dem Vorliegen einer solchen "Entscheidung" bzw. "Interessenabwägung" nur beantwortet werden könnte, "wenn sämtliche ho. aufliegenden Akten gesichtet, ausgewertet und dahingehend interpretiert werden, ob sich dem Akteninhalt allfällige derartige Aussagen entnehmen lassen".
Dazu war das befragte Bundesministerium aus nachvollziehbaren Gründen nicht bereit.
Es stellt sich daher die Frage, woher die Stadträtin Ulli Sima ihre Kenntnis von dieser "Entscheidung" bzw. "Interessenabwägung" der Obersten Wasserrechtsbehörde bezieht, wenn die besagte Behörde selbst die Existenz einer solchen "Entscheidung" bzw. "Interessenabwägung" nicht unmittelbar bestätigen kann.
Anfrage teilweise erfolgreich
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Datum14. August 2024
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9. Oktober 2024
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