Grundwasserwerk Lobau und Verschlechterungsverbot der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie
Sehr geehrte Damen und Herren,
Hiermit beantrage ich gem §§ 2,3 Wiener Auskunftspflichtgesetz die Erteilung folgender Auskunft:
Hat die Wiener Landesregierung zu irgendeinem Zeitpunkt vor oder nach 2007 überprüft oder überprüfen lassen, ob der laufende Betrieb des Grundwasserwerks Lobau (in seiner derzeitigen technischen Ausstattung, d.h. ohne Aufbereitungsanlage) mit dem Verschlechterungsverbot in Art. 6 der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) in Einklang steht und wenn ja, wann und in welcher Form, und zu welchen Ergebnissen hat diese Überprüfung geführt?
Sollte keine oder nur teilweise Antwort gewährt werden, beantrage ich hiermit die Ausstellung eines Bescheids nach § 3 Wiener Auskunftspflichtgesetz.
Hintergrundinformation zur Anfrage
Durch die Europaschutzgebietsverordnung (https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassu…) von 2007 hat die Wiener Landesregierung auch den Nationalpark Donau-Auen (Wiener Teil) zu einem Europaschutzgebiet erklärt. Das betroffene Gebiet unterliegt daher spätestens seit der Entscheidung der Kommission 2008/25/EG vom 13. November 2007 (aktualisierte Liste von Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung) u.a. den Bestimmungen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH).
Zu diesen Bestimmungen gehört das so genannte Verschlechterungsverbot in Art. 6 (2) FFH. Es gilt auch für natürliche Entwicklungen, die den „Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern können“, ebenso gilt es für Aktivitäten, die bereits genehmigt und/oder ausgeführt wurden, bevor die FFH auf das Gebiet anwendbar wurde (siehe https://ec.europa.eu/environment/nature…, Vermerk der Kommission Natura 2000 –Gebietsmanagement Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, S.30 bzw. S. 40).
Bereits genehmigte / ausgeführte Aktivitäten unterliegen zwar nicht den Vorgaben der FFH über eine Ex-ante-Prüfung ihrer Auswirkungen auf das jeweilige Schutzgebiet, dennoch muss aber gewährleistet sein, dass sie die Ziele der FFH, insbesondere deren Erhaltungsziele, nicht erheblich beeinträchtigen.
Die Entnahme von Grundwasser zur Trinkwasserversorgung Wiens durch das Grundwasserwerk Lobau ist eine Aktivität, die bereits vor Anwendbarkeit der FFH auf das Schutzgebiet im Nationalpark Donau-Auen (Wiener Teil) ausgeführt wurde und weiter ausgeführt wird. Es muss daher gewährleistet sein, dass der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau die Ziele der FFH, insbesondere deren Erhaltungsziele, nicht erheblich beeinträchtigt.
Der Wiener Teil des Nationalparks Donau-Auen („Lobau“) unterliegt infolge der Abtrennung vom Hauptstrom durch die Donauregulierung im 19. Jahrhundert und anderer Eingriffe danach einer Verlandungstendenz, die allein zwischen 1938 und 2004 zu einem Verlust von über 30% der Wasserflächen geführt hat (siehe https://www.researchgate.net/profile/Wa…, Die Entwicklung der Donau-Auen bei Wien – Ursachen, Auswirkungen und naturschutzfachliche Folgen, Reckendorfer et. al.). Es handelt sich zweifellos um eine natürliche Entwicklung, die den „Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern“ kann und daher gemäß FFH zu unterbinden ist.
Zu dieser Verlandungstendenz hat auch der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau beigetragen („Verschärft wurde die Lage durch die Wasserentnahme von Industrie und Landwirtschaft sowie durch die Trinkwasserentnahme des Grundwasserwerkes Lobau“, siehe https://www.wien.gv.at/umwelt/gewaesser…, System von Begleitdämmen zum Donau-Hochwasserschutz). Es ist daher bereits aus diesem Grund davon auszugehen, dass der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau mit den Erhaltungszielen der FFH nicht in Einklang stehen könnte.
Darüber hinaus war der Wiener Landesregierung bereits 2007, jedenfalls vor der Erklärung des Nationalparks Donau-Auen (Wiener Teil) zum Europaschutzgebiet, eine weitere eventuell FFH-widrige Auswirkung des Betriebs des Grundwasserwerks bekannt, die mit dem Umstand zusammenhängt, dass das Grundwasserwerk Lobau über keine Aufbereitungsanlage verfügt: Ein in den Jahren davor entwickeltes Projekt zur Gewässervernetzung, das der Verlandungstendenz insbesondere in der Unteren Lobau entgegenwirken sollte („LIFE Projekt), konnte nicht durchgeführt werden, da es eventuell eine Verschlechterung der Qualität des Grundwassers im Brunnenfeld des Grundwasserwerks Lobau bewirkt und die Einspeisung dieses Grundwassers in das Wiener Trinkwassernetz ohne Aufbereitung verunmöglicht hätte.
Im Leistungsbericht des Nationalparks Donau-Auen 1997-2006 (https://infothek.donauauen.at/fileadmin…) heißt es dazu u.a.:
„Da die im Hinblick auf die Trinkwasserbrunnen in der Lobau geforderte umfangreiche laufende Beweissicherung nicht finanzierbar war, wurde das Projekt bisher nicht umgesetzt.“
Die damaligen Befürchtungen haben sich mittlerweile mit einem ernüchternden Ergebnis bestätigt: Alle vor und nach 2007 entwickelten und modellierten Maßnahmen zur Bekämpfung der Verlandungstendenz insbesondere in der Unteren Lobau inklusive sogar relativ geringfügiger Dotationen könnten die Grundwasserqualität in einem Ausmaß verschlechtern, das eine Einspeisung des Grundwassers in das Wiener Trinkwassernetz ohne Aufbereitung verunmöglichen würde. Im Managementplan des Nationalparks Donau-Auen 2019-2028, Teil 1 (https://www.donauauen.at/easEd/projects…) heißt es dazu (S. 15):
„Für die Untere Lobau haben Modellierungen gezeigt, dass eine Dotation zu einer Erhöhung des Gewässer- und Grundwasserspiegels führen würde. Dadurch würden die Fließzeiten des Grundwassers bis zu den Brunnen verringert und eine Verschlechterung des gewonnen Trinkwassers kann nicht ausgeschlossen werden. Eine Dotation ist daher unter den derzeitigen Bedingungen nicht realisierbar.“
Es steht also fest, dass der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau ohne Aufbereitungsanlage abgesehen von direkten nachteiligen Auswirkungen (Senkung des Grundwasserspiegels) Maßnahmen zur Unterbindung „natürlicher Entwicklungen“ (Verlandung) verhindert, die den „Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern“ können. Solche Maßnahmen wären aber nach den Vorgaben der FFH zwingend zu ergreifen.
Wie oben ausgeführt, haben die Mitgliedsstaaten – im Fall des Nationalparks Donau-Auen (Wiener Teil) die Wiener Landesregierung – gemäß FFH sicherzustellen, dass eine bereits vor Anwendbarkeit der FFH genehmigte/ausgeführte Aktivität die Ziele der FFH, insbesondere deren Erhaltungsziele, nicht erheblich beeinträchtigt. Daran bestehen im Fall des Betriebs des Grundwasserwerks Lobau unter Berücksichtigung der oben angeführten Tatsachen berechtigte Zweifel.
Mit freundlichen Grüßen
Ergebnis der Anfrage
Die MA 22 (Umweltabteilung) der Stadt Wien war in beiden der mir übermittelten Antworten nicht imstande, den entscheidenden Teil meiner Anfrage mit einem klaren Ja bzw. Nein zu beantworten: Hat die Wiener Landesregierung zu irgendeinem Zeitpunkt vor oder nach 2007 überprüft oder überprüfen lassen, ob der laufende Betrieb des Grundwasserwerks Lobau (in seiner derzeitigen technischen Ausstattung, d.h. ohne Aufbereitungsanlage) mit dem Verschlechterungsverbot in Art. 6 der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) in Einklang steht?
Dennoch lässt sich den Antworten der MA 22 entnehmen: Eine solche Überprüfung hat niemals stattgefunden. Das Unterlassen einer solchen Überprüfung stellt jedoch zweifelsfrei ein FFH-widriges Versäumnis der Stadt Wien dar, und das könnte auch der Grund dafür sein, dass die MA 22 diese Tatsache nicht direkt eingestehen will. Auch für bereits vor Anwendbarkeit der FFH auf das jeweilige Schutzgebiet durchgeführte Aktivitäten wie die Trinkwasserentnahme durch das Grundwasserwerk Lobau muss sichergestellt sein, dass sie den Erhaltungszustand der Schutzgüter nicht gefährden. Ob das der Fall ist oder nicht, kann nur in einem gesetzlich für solche Fälle vorgesehenen Verfahren festgestellt werden. Das bloße Glauben und Dafürhalten einer Behörde oder einzelner VertreterInnen einer Behörde reicht dazu nicht aus.
Des Weiteren geht aus den Antworten zweierlei hervor:
1. Die MA 22 behauptet, dass sich bei den laut FFH zu erhaltenden Schutzgütern im Nationalpark Donau-Auen, Wiener Teil seit 2004 (!) keine Verschlechterung ergeben hätte. Das ist absurd, da auch die Gewässer zu den Schutzgütern gehören und der stetige Verlandungsprozess sicher nicht wundersamerweise seit 2004 zum Stillstand gekommen ist. Noch dazu beruft sie sich dabei auf die Daten im EU-Standardbogen. Dazu ist anzumerken, dass es die MA 22 selbst ist, die diese Datenbogen ausfüllt und dass die letzte Aktualisierung des Datenbogens im September 2017 erfolgte. Aus welchem Jahr die Flächenangaben der Gewässertypen stammen, ist Gegenstand einer separaten Anfrage.
2. Die MA 22 / die Stadt Wien vertritt bezgl. der Vorgaben von Art. 6 FFH eine Rechtsauffassung, die den darin ausdrücklich festgehaltenen Verpflichtungen widerspricht. Art. 6 FFH verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Verschlechterungen des Erhaltungszustands der Schutzgüter – und zwar Verschlechterungen jeder Art, nicht nur „erhebliche“ - zu vermeiden, und zwar durch präventive Maßnahmen. Ein passives Abwarten und Beobachten der Entwicklung der Schutzgüter durch Kartierungen, wie es die MA 22 laut der erteilten Auskunft praktiziert, steht zweifelsfrei nicht in Einklang mit dieser Verpflichtung.
Anfrage teilweise erfolgreich
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Datum30. August 2019
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25. Oktober 2019
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