Diskriminierung beim Zugang zu Dienstleistungen aufgrund des Geschlechts

Anfrage an: Bundeskanzleramt
Verwendetes Gesetz: Auskunftspflichtgesetz

Bundeskanzleramt
Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien

Guten Tag Susanne Raab,

bezugnehmend auf das kürzlich im RIS veröffentliche Verfahren GBK III/300/22 möchten wir Sie um eine Stellungnahme bitten, da sich aus dem Sachverhalt Fragen für uns bezüglich der Arbeit für Gleichberechtigung in Österreich ergeben haben.

Der Senat III beruft sich im Verfahren darauf, dass in diesem konkreten Fall die Ausnahmebestimmung des § 33 leg.cit. zur Anwendung kommt. § 33. GlBG regelt, dass "Die Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen, einschließlich Wohnraum, ausschließlich oder überwiegend für Personen eines Geschlechts [..] keine Diskriminierung [ist], wenn dies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, also durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind." Im Begleittext zur Richtlinie 2004/113/EG führt die Gesetzgeberin aus: "Eine unterschiedliche Behandlung kann nur dann zulässig sein, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Ein legitimes Ziel kann beispielsweise sein:
- der Schutz von Opfern sexueller Gewalt [..],
- der Schutz der Privatsphäre und des sittlichen Empfindens [..],
- die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter oder der Interessen von Männern und Frauen [..],
- die Vereinsfreiheit [..]"

Beschränkungen sollten jedoch im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften festgelegten Kriterien angemessen und erforderlich sein."

1. Sind gesetzliche Regelungen, deren Formulierungen "Männer und Frauen" umschließt, so auszulegen, dass sie Menschen aller Geschlechter umfassen, d.h. insbesondere auch jene, die keine Männer oder Frauen sind?

2. Handelt es sich bei einer nach § 33. zulässigen Ausnahme jedenfalls um einen Sachverhalt, der auch auf unbestimmte Dauer zulässig ist oder sind Ausnahmen nach § 33. grundsätzlich zulässig für Sachverhalte, die eine Übergangslösung darstellen? D.h. die andernfalls, d.h. insbesondere bei nicht fristgerechter Änderung des aktuellen Zustands, nicht gerechtfertigt sind?

3. Können Diskriminierungen grundsätzlich zulässig sein, solange sie schnell genug beseitigt werden?

Im besagten Verfahren handelt sich um den Kauf einer Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr über eine Online Plattform. Der öffentliche Verkehr in Österreich ist u.a. über das ÖPNRV-G bzw. KlimaticketG geregelt.

4. Gibt es staatliche Einrichtungen, Dienstleistung/Services oder Gesellschaften mit staatlicher, direkter und mehrheitlicher Beteiligung, die den Auftrag haben ihre Dienstleistung ausschließlich an Männer und Frauen (d.h. nur an diese beiden, aber nicht an andere rechtlich anerkannte Geschlechter) zu erbringen? Falls ja, welche und mit welchem Ziel?

In seiner Begründung führt der Senat aus, dass er es "gemäß § 33 leg.cit gerade noch als verhältnismäßig an[sieht], dass den Antragsgegnerinnen zur Umsetzung einer geschlechtsneutralen Anrede in ihren Online-Portalen bis 30. November 2023 Zeit gegeben wird, damit diese Änderung dann für alle im öffentlichen ...verkehr eingebundenen Unternehmen und Zusammenschlüsse (im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung im Rahmen der Förderungen durch die öffentliche Hand) gleichzeitig wirksam werden kann". Im Entscheidungstext OGH 18.08.2016 (9 ObA 106/15a) wird erklärt: "Wirtschaftliche Gründe können eine Diskriminierung nicht rechtfertigen."

5. Können wirtschaftliche Gründe eine Ausnahme nach § 33. rechtfertigen? D.h. kann ein Zustand erst zu einem künftigen Zeitpunkt (z.b. nach Ablauf einer Frist) eine Diskriminierung darstellen, wenn zum aktuellen Zeitpunkt eine Beseitigung dieses Zustands unwirtschaftlich erscheint?

In einem gleich gelagerten Verfahren, bei dem es auch um den Kauf einer Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr in Deutschland ging (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.06.2022, Az. 9 U 92/20) wurde eine Diskriminierung festgestellt und dem Konzern aufgetragen, es zu unterlassen, "die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als Herr oder Frau angeben muss". Ziel der Richtlinie 2004/113/EG "zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen" ist die Vereinheitlichung dieser Rechtsmaterie in der Europäischen Union.

6. Ist davon auszugehen, dass ein Sachverhalt der aufgrund der Richtlinie 2004/113/EG in einem Mitgliedsstaat eine Diskriminierung darstellt, auch in einem anderen eine Diskriminierung darstellt?

Sofern es Weisungen oder Durchführungsanleitungen für Verfahren im Senat III gibt, freuen wir uns, wenn Sie diese Ihrer Antwort beilegen!

Mit freundlichen Grüßen

i.V. für den Vorstand (<< Adresse entfernt >>)

Anfrage abgelehnt

  • Datum
    13. Februar 2024
  • Frist
    9. April 2024
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Pepper Gray
Bundeskanzleramt Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien Guten Tag Susanne Raab, bezugnehm…
An Bundeskanzleramt Details
Von
Pepper Gray
Betreff
Diskriminierung beim Zugang zu Dienstleistungen aufgrund des Geschlechts [#3017]
Datum
13. Februar 2024 14:02
An
Bundeskanzleramt
Status
Warte auf Antwort — E-Mail wurde erfolgreich versendet.
Bundeskanzleramt Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien Guten Tag Susanne Raab, bezugnehmend auf das kürzlich im RIS veröffentliche Verfahren GBK III/300/22 möchten wir Sie um eine Stellungnahme bitten, da sich aus dem Sachverhalt Fragen für uns bezüglich der Arbeit für Gleichberechtigung in Österreich ergeben haben. Der Senat III beruft sich im Verfahren darauf, dass in diesem konkreten Fall die Ausnahmebestimmung des § 33 leg.cit. zur Anwendung kommt. § 33. GlBG regelt, dass "Die Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen, einschließlich Wohnraum, ausschließlich oder überwiegend für Personen eines Geschlechts [..] keine Diskriminierung [ist], wenn dies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, also durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind." Im Begleittext zur Richtlinie 2004/113/EG führt die Gesetzgeberin aus: "Eine unterschiedliche Behandlung kann nur dann zulässig sein, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Ein legitimes Ziel kann beispielsweise sein: - der Schutz von Opfern sexueller Gewalt [..], - der Schutz der Privatsphäre und des sittlichen Empfindens [..], - die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter oder der Interessen von Männern und Frauen [..], - die Vereinsfreiheit [..]" Beschränkungen sollten jedoch im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften festgelegten Kriterien angemessen und erforderlich sein." 1. Sind gesetzliche Regelungen, deren Formulierungen "Männer und Frauen" umschließt, so auszulegen, dass sie Menschen aller Geschlechter umfassen, d.h. insbesondere auch jene, die keine Männer oder Frauen sind? 2. Handelt es sich bei einer nach § 33. zulässigen Ausnahme jedenfalls um einen Sachverhalt, der auch auf unbestimmte Dauer zulässig ist oder sind Ausnahmen nach § 33. grundsätzlich zulässig für Sachverhalte, die eine Übergangslösung darstellen? D.h. die andernfalls, d.h. insbesondere bei nicht fristgerechter Änderung des aktuellen Zustands, nicht gerechtfertigt sind? 3. Können Diskriminierungen grundsätzlich zulässig sein, solange sie schnell genug beseitigt werden? Im besagten Verfahren handelt sich um den Kauf einer Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr über eine Online Plattform. Der öffentliche Verkehr in Österreich ist u.a. über das ÖPNRV-G bzw. KlimaticketG geregelt. 4. Gibt es staatliche Einrichtungen, Dienstleistung/Services oder Gesellschaften mit staatlicher, direkter und mehrheitlicher Beteiligung, die den Auftrag haben ihre Dienstleistung ausschließlich an Männer und Frauen (d.h. nur an diese beiden, aber nicht an andere rechtlich anerkannte Geschlechter) zu erbringen? Falls ja, welche und mit welchem Ziel? In seiner Begründung führt der Senat aus, dass er es "gemäß § 33 leg.cit gerade noch als verhältnismäßig an[sieht], dass den Antragsgegnerinnen zur Umsetzung einer geschlechtsneutralen Anrede in ihren Online-Portalen bis 30. November 2023 Zeit gegeben wird, damit diese Änderung dann für alle im öffentlichen ...verkehr eingebundenen Unternehmen und Zusammenschlüsse (im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung im Rahmen der Förderungen durch die öffentliche Hand) gleichzeitig wirksam werden kann". Im Entscheidungstext OGH 18.08.2016 (9 ObA 106/15a) wird erklärt: "Wirtschaftliche Gründe können eine Diskriminierung nicht rechtfertigen." 5. Können wirtschaftliche Gründe eine Ausnahme nach § 33. rechtfertigen? D.h. kann ein Zustand erst zu einem künftigen Zeitpunkt (z.b. nach Ablauf einer Frist) eine Diskriminierung darstellen, wenn zum aktuellen Zeitpunkt eine Beseitigung dieses Zustands unwirtschaftlich erscheint? In einem gleich gelagerten Verfahren, bei dem es auch um den Kauf einer Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr in Deutschland ging (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.06.2022, Az. 9 U 92/20) wurde eine Diskriminierung festgestellt und dem Konzern aufgetragen, es zu unterlassen, "die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als Herr oder Frau angeben muss". Ziel der Richtlinie 2004/113/EG "zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen" ist die Vereinheitlichung dieser Rechtsmaterie in der Europäischen Union. 6. Ist davon auszugehen, dass ein Sachverhalt der aufgrund der Richtlinie 2004/113/EG in einem Mitgliedsstaat eine Diskriminierung darstellt, auch in einem anderen eine Diskriminierung darstellt? Sofern es Weisungen oder Durchführungsanleitungen für Verfahren im Senat III gibt, freuen wir uns, wenn Sie diese Ihrer Antwort beilegen! Mit freundlichen Grüßen i.V. für den Vorstand (<< Adresse entfernt >>)
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Bundeskanzleramt
In der Anlage wird ein Schreiben des Bundeskanzleramtes übermittelt. Freundliche Grüße
Von
Bundeskanzleramt
Betreff
GZ 2024-0.125.700; Auskunftspflichtgesetz; Diskriminierung beim Zugang zu Dienstleistungen aufgrund des Geschlechts; Entscheidung der Gleichbehandlungskommission (GBK III/300/22)
Datum
7. März 2024 17:48
Status
Anfrage abgeschlossen
In der Anlage wird ein Schreiben des Bundeskanzleramtes übermittelt. Freundliche Grüße